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Band 1 |
Zu Ittmanns Werken
Heinrich Balz
Peter Anhalt
A. M. Selignow
A. M. Selignow
Band 2 |
Geistiger Volksbesitz
Band 3 |
Religion im v. Kamerun

„Geber“ und „Richter“:

Heinrich Balz

Hermeneutische Überlegungen zu J.Ittmanns Deutung der vorchristlichen Gotteserfahrung im Waldland von Kamerun

Inhalt

1. Neuer Streit um alte Gottesnamen in Bakossi
2. Johannes Ittmann 1885—1963: eine verspätete Wirkungsgeschichte
3. Die „Nachtseite afrikanischen Lebens“: Ittmann und Pl.Tempels
4. „Urtümliche Bindungen“: Ittmann und B.Gutmann
5. „Vorstellungen“ und „Gebräuche“ in Kameruner Religion
6. „Geber“ und „Richter“ in vorchristlicher Kameruner Gotteserfahrung
7. Geber, Richter und das christliche Bekenntnis von Gott
Anmerkungen

1. Neuer Streit um alte Gottesnamen in Bakossi

Im etwa 50 bis 80.000 Menschen umfassenden Stamm der Bakossi im nördlichen Waldland des englischsprachigen Teils von Kamerun ist Englisch die formelle Schul- und Kirchensprache. Gepredigt wird an den meisten Orten, in presbyterianischen und katholischen Kirchen gleichermaßen, gewöhnlich auf Pidgin-Englisch. Doch auf abgelegenen Dörfern mit homogener Bakossi-Bevölkerung wird weiterhin in der Stammessprache Akoose nicht nur alltäglich geredet, sondern auch gepredigt. In dieser Sprache ist in allen christlichen Kirchen der Name für Gott Diob, was gleichzeitig und ursprünglich „der Himmel“ bedeutet. Dieser Name ist jedoch nicht unumstritten. Viele einheimische Prediger wissen nämlich, daß es einen anderen alten Name für Gott gab, Nyame oder Muanyame; und manche von ihnen sind überzeugt, daß dies der eigentliche, richtige Name sei, und gebrauchen ihn anstelle von Diob, wenn sie predigen und den Bibeltext in die Stammessprache übertragen. Muanyame ist seit alters nicht im Himmel, sondern drunten in der Erde bei den Ahnen, den benyame, und den Lebenden so nahe wie diese; näher als der hohe und ferne Himmel.

Doch nicht alle, die von beiden Namen wissen, teilen die Vorliebe für Muanyame. W.M.Abwenzoh, der im theologischen College der Presbyterianischen Kirche 1978 seine Examensarbeit über dies Thema schrieb, eröffnete sie mit einer von ihm beobachteten Begebenheit: ein Katechist, der Gott immer Muanyame nannte, gerät an den Text von der Taufe Jesu, Mt 3,13–17. Schon bei der Übersetzung des Texts, aber dann erst richtig bei der Predigt, kommt er in Schwierigkeiten und ins Stocken. Der Grund ist einfach: die Stimme, die Jesus zum geliebten Sohn erklärt, kommt von oben, vom Himmel. Wäre sie aber Muanyames Stimme, dann könnte sie nur von unten kommen. Also stimmt etwas nicht. Also ist vielleicht und am Ende doch die andere Seite im Recht, die schon immer sagte: Gott ist Diob und wohnt im Himmel...1 Abwenzoh, der dies berichtet, ist von der letzteren Partei und stellt deren Argumente neu zusammen. Außer dem räumlich Weltbildlichen ist entscheidend für ihn vor allem, daß die meisten heutigen Bakossi, wenn sie Muanyame hören, an einen menschlichen Ahnen denken, höchstenfalls an Ngoe, den sagenhaften Stammesgründer und Vater aller Bakossi. Diob dagegen ist keinen solchen Verwechslungen ausgesetzt. Freilich, das gibt Abwenzoh zu: Diob ist den lebenden Menschen so fern wie der Himmel. Diob ist gerecht, aber kein Freund der Menschen. Deshalb endet seine Arbeit mit der überraschenden Wende: zwar ist Muanyame als Name für Gott den Vater ungeeignet. Dennoch könnte er für Gott den Sohn, Jesus Christus den Menschgewordenen, durchaus sinnvoll in Akoose gebraucht werden; als für einen, der über dem Stammvater Ngoe steht, zugleich aber als Mensch den Menschen nahe ist, näher als Diob; als einer, der lebte, für uns starb und von den Toten wieder hinaufging zu Gott dem Vater. „I would even wish that Jesus be called ancestral spirit.“2

Abwenzohs eigentlicher Widerpart in seinem Plädoyer für Diob waren nicht die Katechisten in ihrer Schwierigkeit mit dem biblischen Weltbild, sondern eine andere Examensarbeit, die im selben College ein Jahr früher, 1977, von einem anderen Bakossi-Studenten, S.E.Ntoko, geschrieben worden war. Sie war eine leidenschaftliche Kritik am offiziellen kirchlichen Namen Diob und belegte mit manchen Beispielen, wie viele fromme Bakossi nur deshalb in heidnische Gebräuche und Rituale zurückfallen, weil das vordem mit Muanyame Gemeinte in der Verkündigung und im Gebet der christlichen Kirchen nicht vorkommt. Daß umgekehrt so viele heute sich unter Muanyame nur noch den menschlichen Ahn vorstellen können, ist Ntoko zufolge nicht die alte, wahre Tradition, sondern bloß die Folge des gewaltsamen und willkürlichen Eingriffs der Missionare zu Anfang des Jahrhunderts, die Diob als Gottesnamen einführten, welcher schrittweise und doch immer nur unvollkommen die Eigenschaften usurpierte, die vordem und rechtmäßig Nyame zukamen. Diob seinerseits war in der alten Zeit keineswegs ein persönlicher Gott, sondern war, und ist für viele bis heute noch, „a hidden abstract power which is neither involved in human life nor beneficial to man in any way, but which is rather the source of evil.“ Der einzig richtige Name für den nahen und menschenfreundlichen Gott, an welchen Christen glauben, könne darum in Akoose nur Nyame oder Muanyame sein.3

Hinter beiden mit Nachdruck vertretenen Positionen, der Ntokos wie der Abwenzohs, steht nicht nur die Befragung des gegenwärtigen Sprachgebrauchs in Bakossi. Beide Theologiestudenten hatten, in einer von mir 1976 angefertigten englischen Übersetzung, einen Aufsatz des Missionars Johannes Ittmann aus dem Jahr 1931 gelesen mit dem Titel: „Der Gottesname in Bakossi: Diob oder Muanyame”.4 Ittmann, der den damaligen Sprachgebrauch und die damals noch ursprünglichere mündliche Tradition zu beiden Namen ausgiebig befragt hatte, war in seinem Bericht an die Missionsleitung in Basel bewußt beim „oder“, das heißt beim „Unentschieden“ zwischen Diob, dem offiziell gewordenen und Muanyame, dem mutmaßlich echteren, älteren Gottesnamen, stehen geblieben. Er hatte dafür zwei verschiedene Gründe. Der erste war pragmatisch: selbst wenn Muanyame in Akoose der bessere Gottesname wä.re, erscheint es Ittmann, mehr als dreißig Jahre nach Beginn der christlichen Mission, nicht möglich, Diob wieder abzulösen, den Namen, der sich durchgesetzt und auf seine Weise auch bewährt hat. Der zweite, theologische Grund ist 1931 mehr nur angedeutet und klärt sich erst schrittweise in Ittmanns späteren Ausführungen zum Thema: man kann eigentlich nicht wählen zwischen den beiden Namen, weil Gott der Vater Jesu Christi in Wahrheit beides ist: der nahe „Geber“ Muanyame und der ferne “Richter” Diob. Erst beide Erfahrungen zusammen machen die Wirklichkeit des wahren Gottes aus - und das nicht nur für die vorchristliche Religion der Bakossi, sondern auch für den christlichen Glauben.

Damit aber verschiebt und erweitert sich die Fragestellung über die Alternative der Namen hinaus zu einer Frage des Redens von Gott überhaupt, des Denkens und der Erkenntnis. Immer wieder hat Ittmann sich von verschiedenen Seiten und mit neuem Material aus angrenzenden Stämmen im Kameruner Waldland damit beschäftigt. Die Frage nach Gottesnamen und Gottesvorstellung ist ein Leitmotiv seiner religionswissenschaftlichen Arbeit; vielleicht sogar das Leitmotiv, von dem aus die übrigen Fragen ihren Ort bekommen und von welchem aus Ittmanns theologisches Denken sein eigenstes, persönlichstes Profil erhält.

2. Johannes Ittmann 1885—1963: eine verspätete Wirkungsgeschichte

Die Beschäftigung mit Ittmanns Forschungen hat in Bakossi, wie eingangs gezeigt, erst reichlich verspätet eingesetzt. Weil Kameruner Theologen nicht Deutsch lernen, sind sie auf englische oder französische Übersetzungen angewiesen. Verwunderlicher und in gewisser Weise tragischer ist, daß es für Ittmann zu seinen Lebzeiten auch daheim, in den evangelischen Missionkreisen in Deutschland und in der Schweiz wenig Echo, fast keine Wirkungsgeschichte gab. Sein sprachwissenschaftliches und ethnologisches Werk hat Anerkennung in den entsprechenden Disziplinen gefunden, sehr viel weniger jedoch seine religionswissenschaftliche Arbeit.5 Wesentliches von ihr ist bis heute unveröffentlicht. Die Gründe dafür liegen heute, im Rückblick mehrerer Jahrzehnte, einigermaßen deutlich zutage; Geschichtlich-Politisches hatte sich mit Theologischem fest verschlungen, so, daß die Entwirrung erst in unseren Tagen recht möglich wird. Johannes Ittmann (1885–1963) war von 1911–1914 und dann wieder 1927–1940 als Missionar der Basler Mission in Kamerun gewesen, davon die letzten acht Jahre als Generalpräses der Mission, bis er Ende 1939, nach Ausbruch des Krieges, von dieser Funktion entbunden wurde.6 Von 1940 bis 1946 war er dann mit vielen anderen deutschen Missionaren in britischer Internierung auf Jamaika, wo zwei große Manuskripte von ihm entstanden; zuerst „Geistiger Volksbesitz der Kameruner im Blickfeld des Missionars“ und dann das noch umfänglichere und wichtigere „Die Religion im vorderen Kamerun“. Ittmanns Wunsch und Hoffnug war, nach dem Kriege die Arbeit in Kamerun wieder aufzunehmen. Doch daraus wurde nichts. Nach dem Krieg schickte Basel nur Schweizer Missionare nach Kamerun; 1957, als auch Deutsche wieder kommen durften, war Ittmann zu alt. Er blieb für den Rest seiner aktiven Jahre bis 1958 Pfarrer in Groß-Umstadt in Hessen und wertete sein Forschungsmaterial weiter in seinen Mußestunden und dann im Ruhestand aus.

Schmerzlicher für Ittmann war, daß seine großen Manuskripte auch in der Ausbildung der jungen Generation von Basler Kamerunmissionaren, für die er sie wesentlich gedacht hatte, kaum genutzt wurden. Dies hatte, in den Jahren nach dem Kriege, auch teilweise politische Gründe: man mißtraute in der Schweiz deutschen Missionaren, die sich nicht früh und ausdrücklich vom Nationalsozialismus distanziert hatten. Es hatte aber noch wesentlicher und tiefer theologische Gründe. Schon in den ausgehenden dreißiger Jahren hatte sich die Basler Mission zunehmend an der Theologie Karl Barths orientiert, die für die wohlwollende missionarische Beschäftigung mit vorchristlicher Religion, da diese durch Gottes Offenbarung „aufgehoben“ wird, wenig Raum hatte und auch nicht zu ihr motivierte. Diesbezügliche Forschungen Ittmanns und anderer7 waren darum für die Ausbildung der Missionare, dann aber auch für die beginnende Ausbildung einheimischer Kameruner Pfarrer, verhältnismäßig uninteressant. Der 1965 von Basler und holländischen Missionaren redigierte, noch heute gültige Katechismus für die evangelischen Kirchen in Kamerun beispielweise stellt lapidar fest: der wahre Gott macht sich durch Jesus Christus bekannt; vorher gab es nur mancherlei von Menschen gemachte Götter; auch der ferne „supreme god“ - mit kleinem Anfangsbuchstaben - der alten Religion ist ein anderes, vom wahren Gott verschiedenes Wesen. 8

Zu solch einer einfachen und radikalen Aussage - die, wie vorauszusehen, von den Kameruner presbyterianischen Pfarrern nie wirklich übernommen wurde - hätte sich Ittmann, wie die meisten Missionare seiner Generation, nie verstehen können. So hat es seinen geschichtlichen Sinn, wenn der alte, heimgekehrte Missionar noch vieles in sprachwissenschaftlichen und ethnologischen Zeitschriften veröffentlichte, aber im Basler „Evangelischen Missionsmagazin“ nach 1940 nichts mehr von ihm erschienen ist. Dort gehörte er nicht mehr hin. Und doch gab es auch in den fünfziger Jahren in Deutschland andere missionstheologische Verhältnisbestimmungen von Offenbarung und vorchristlicher Religion in Afrika, die Ittmanns Art religionswissenschaftlicher Forschung höher schätzen konnten - wenn nicht auf der evangelischen, dann eben auf der katholischen Seite. So kam es denn dazu, was Ittmann selber vor dem Kriege sich schwerlich hätte träumen lassen, daß in seinen letzten zehn Lebensjahren, 1953–1963, fünf Aufsätze von ihm im von P. Wilhelm Schmidt begründeten, der Steyler Missionsgesellschaft verbundenen „Anthropos“ erschienen.9 Hier gehörte er hin - hier hatte ökumenische Weite in theologisch eisiger Zeit sich bewährt. Dem ist freilich alsbald hinzuzufügen, daß sich auch bei der Mission in Basel seit damals vieles geändert hat. Konnte man die Arbeit der älteren Missionare an der Kameruner Religion zeitweilig vernachlässigen, so doch nicht die neue Herausforderung „Afrikanischer Theologie“, wie sie sich auch bei den Kameruner Pfarrern und Theologen in Dissertationen seit Mitte der siebziger Jahre bemerkbar machte. Nun besann man sich wieder auf die alten ungehobenen Schätze Ittmanns und ermutigte auch die neue Generation von theologischen „fraternal workers“ in Kamerun, hier die liegengebliebene wissenschaftliche Arbeit wieder aufzunehmen; eine Wende, von welcher auch der Verfasser dieser Zeilen dankbar profitiert hat.10 Wer immer über die alte Gesellschaft und Religion im Kameruner Waldland wissenschaftlich zu arbeiten beginnt, sieht sich bald mit Ittmanns gründlicher und weitreichender Vorarbeit konfrontiert. Die Hauptaufgabe ist und bleibt dann freilich die Weiterarbeit unter Einbezug seiner Ergebnisse; parallel mit der Ermutigung der Kameruner, unter den veränderten kirchlichen und theologischen Bedingungen selber in die Erforschung ihres Erbes und ihrer Umwelt einzusteigen.11 Das Gespräch mit Ittmann ordnet sich dabei nach den einzelnen Sachfragen, von denen die nach Gott in der vorchristlichen Religion gewiß nicht die einzige, aber weiterhin eine der spannendsten ist. Die englische Übersetzung und Verbreitung von wichtigen Texten Ittmanns fügt sich dem ein, ist aber, da es nicht um das Monument eines missionarischen Ahnen geht, sondern um die Gegenwart christlichen Glaubens in Kamerun heute, nicht die Hauptsache. Neben der Hauptaufgabe entwickelt sich dann aber, gerade aus dem intensiven Gespräch mit Ittmann über einzelne Sachfragen, eine zweite, ergänzende Aufgabe. Weil Ittmann, entgegen dem Eindruck mancher, die ihn in Kamerun kannten, nicht nur ein enzyklopädisch fleißiger Sammler war, ist auch das Gespräch mit Ittmann dem Deuter, Systematiker und Hermeneuten der Kameruner Religion aufzunehmen. Dieses Gespräch, so wie ich es seit meiner ersten Begegnung mit Ittmanns Schriften seit bald zwanzig Jahren führe, hat manche Schwierigkeiten. Die erste, nicht ungewöhnliche, ist: vieles erscheint bei Ittmann so klar und endgültig eingeordnet, daß man sich erst von seiner Systematik frei machen muß, um zu den Problemen selbst vorzustoßen, um die es geht. Die zweite, auch allgemeine, Schwierigkeit ist sodann: jedes neue, eigene Forschungsergebnis, jeder andere Deuteansatz ist an Ittmanns weit gestreutem, nicht leicht übersehbaren Werk zu messen und zu verifizieren, um nicht, wie man anschaulich sagt, in der Erkenntnis hinter den großen Vorgänger „zurückzufallen“. Diese letztere Versuchung betrifft in gleicher Stärke beide Arten von Nachfolgern Ittmanns: nicht nur den westlichen Missionswissenschaftler, sondern ebenso die Kameruner, die ihre eigene Tradition wissenschaftlich zu bearbeiten beginnen. Ittmann sah, so ist vor allem dem unveröffentlichten Werk zu entnehmen, neben der sammelnden sehr deutlich die deutende, ordnende Aufgabe. Er sah sie, ohne sie aber doch zu einer ihn selber befriedigenden endgültigen Lösung zu bringen. Er versuchte zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Deuteansätze, die sich teils mehr, teils weniger an die in seiner Zeit vertretenen afrikabezogenen Missionstheorien anlehnten. Und hier ergibt sich eine weitere, spezifische Schwierigkeit mit seinen Schriften: Johannes Ittmann war ein Gelehrter von Rang, aber er blieb ein Autodidakt. Das bedeutet zum einen, daß er, wo es um grundlegende, theologische Fragen geht, bescheiden äußerste Zurückhaltung übt und an kritischen Stellen sich oft ins gesammelte reiche Material sozusagen flüchtet, um sich nicht angreifbar zu machen. Es bedeutet zum anderen: Ittmann hat sehr vieles gelesen, aber er zitiert fast nie. Er führt kein direktes, offenes Gespräch mit Vorgängern und Zeitgenossen, wie dies sonst zur Wissenschaft gehört. Vieles hat er neu und als erster entdeckt; aber auch dort, wo es anders ist, wo er auf schriftliche Quellen zurückgreift, nennt er diese nicht oder nur ausnahmsweise. So fängt er scheinbar und für den ungeübten Leser immer bei sich selber an. Wer Ittmann nun geschichtlich und vergleichend einzuordnen und zu würdigen versucht, der liest ihn sozusagen gegen den Strich. Er muß ein gut Teil Detektivarbeit leisten - nicht mit dem Ziel, einen großen Forscher kleiner zu machen, sondern eher, um ihn in seiner wirklichen Statur und auch in seiner Aufnahmefähigkeit für viele Fragen, wie sie damals in der Luft lagen, zu zeigen. Es gilt also, Dank abzustatten an Ittmann, von dem man für Kamerun so vieles lernen kann und muß. Und es gilt zugleich, wo man als Nachgeborener auf des großen Forschers Grenzen stößt, mit Elia nach 2 Sam 19,4 zu beherzigen: Siehe, ich bin nicht besser als meine Väter. Eine Festschrift für einen katholischen Kollegen, dem zeitlebens das Thema der Inkulturation des Evangeliums in anderen Kontinenten wichtig war und ist, bietet hierzu wohl den geeigneten Ort. Ittmanns späte Aufsätze erschienen im „Anthropos“, so mögen auch diese Gedanken zur Würdigung seines Werkes, dreißig Jahre nach seinem Todestag am 16.Juni 1963, von Sankt Augustin hinausgehen. Das Folgende lokalisiert ihn zunächst im afrikabezogenen missionstheoretischen Kontext: im Verhältnis zu Placide Tempels (3) und zu Bruno Gutmann (4), welche beide, in der Spät- bzw. Frühphase bestimmend für seine „Systematik“ waren. Es skizziert sodann Ittmanns mittlere, am stärksten eigene Problemstellung, wie sie sich einerseits in der Zuordnung von „Vorstellungen“ und „Gebräuchen“ in der Kameruner Religion zeigt (5), andererseits und zentral am Thema der Gotteserfahrung des „Gebers“ und „Richters“, wie es ihn die ganze Zeit hindurch beschäftigte (6 und 7).

3. Die „Nachtseite afrikanischen Lebens“: Ittmann und Pl.Tempels

Ittmanns fünfter und letzter Beitrag zum „Anthropos“ erschien erst einige Monate nach seinem Tode im Jahr 1963. Er trägt den gleichermaßen anspruchvollen wie bescheidenen Titel: „Von den Grundlagen der Welt- und Lebensanschauung in Süd-Kamerun“.12 Er wagt sich weiter als die voraufgehenden Beiträge vor ins Allgemeine; er verspricht Synthese. Der in der Missionsliteratur Kundige wird hellhörig, wenn er die vorangestellte inhaltliche Gliederung liest: „1. Die Lehre vom Sein, 2. Gott als Quelle der Weisheit, 3. Die Lehre von der Seele, 4. Objektive und subjektive Ethik, 5. Wiederherstellung des Lebens.“ Und der Leser täuscht sich nicht: es ist dies in allen ihren wesentlichen Teilen die Kapitelfolge von Placide Tempels‘ berühmter Bantu Philosophie von 1945.13 Ittmanns ganzer Aufsatz ist, trotz des abweichenden Titels, eine Tempels-Paraphrase mit Material aus Kamerun anstelle der Baluba in Zaire, von denen Tempels ausging. Ittmann verwendet Tempels‘ Buch wie einen Fragebogen, um das Denken der Kameruner, wie er es kennt, zur Sprache zu bringen. Doch - und das ist das leicht Befremdliche - weder er noch die redaktionelle Vorbemerkung nennen den Namen von Placide Tempels.14 Dem weniger kundigen Leser bleibt der Eindruck, dies sei Ittmanns eigene, selbst entworfene Systematik; auch wenn er sich darüber wundern könnte, daß hier ein evangelischer Missionar afrikanisches Denken zuerst nach einer „Lehre von den Sein“ befragt. Das ist ungewöhnlich, auch in Ittmanns eigener Entwicklung.

Weniger verwundert es, daß Ittmann in diesem ersten Abschnitt schneller als sein katholisches Vorbild von der mit dem Sein gleichgesetzten Lebenskraft zum menschlichen Sein und den Formen menschlichen Zusammenlebens in der Gesellschaft kommt. Ob das Sein für die Kameruner statisch oder dynamisch, ob überhaupt die von der griechischen Philosophie übernommene Rede vom Sein angemessen oder mehr ein Notbehelf des Europäers sei, alle diese von Tempels erwogenen Fragen läßt Ittmann beiseite, um alsbald zur anschaulichen, bildhaften Mitte zu kommen: zum abgestuften Rang der Kräfte, wo Gott an der Spitze steht, der lebende Mensch in der Mitte, Tiere und Pflanzen unter ihm. In der „ontologischen Hierarchie der Kräfte“, so Ittmanns Ausdruck, wirken Kräfte von oben nach unten nach festen, vorhersehbaren Gesetzen. Sie zu erkennen und zu formulieren, im beständigen Blick auch auf die Semantik und Grammatik der Kameruner Sprachen, ist fruchtbarer als bei solcher Wechselwirkung allgemein von „Magie“ zu reden oder die Afrikaner in einer „vorrationalen“ Stufe des Bewußtseins anzusiedeln (Ittmann aaO 662–664).

Im 2.Abschnitt, „Gott als Quelle der Weisheit“, ist, Tempels genau entsprechend, Gott wohl Quelle und Ursprung, nicht aber Ziel dessen, worauf menschliches Erkennen und Wissen sich richtet. Dies sind vielmehr die Dinge und Geheimnisse der Welt, durch Generationen vererbte natürliche und technische Fähigkeiten sowie andere, denen nur durch Wahrsagerei und Orakel beizukommen ist. Abweichend von Tempels kommt Ittmann hier für Kamerun auf die große Bedeutung der Initiation in den Kultbünden, die zu höherer Erkenntnis bringen, indem sie den Adepten dem Einfluß eines Meisters, Ahnen oder Dämons aussetzen. Die folgende „Lehre von der Seele“ oder Psychologie, bei Tempels ganz an der Klärung des muntu - Begriffs, des Singulars von bantu orientiert, geht auch bei Ittmann stark ins Sprachliche der Wortklassen, lenkt dann aber, über die Bedeutung der Personennamen, zum Ritual der „Investitur“ hin, ohne welche kein Clan- oder Stammeshäuptling in seine seinsmäßige Funktion eintreten kann. Die beiden verbleibenden Abschnitte handeln von Ethik und Recht bzw. der Restitution geschehenen Unrechts; Ittmann belegt hier Tempels‘ allgemeine Einsichten mit Beispielen, ja mit einzelnen Rechtfällen aus seiner Erfahrung in Kamerun. Er folgt ihm auch in der Vorordnung der objektiven Ethik vor der subjektiven Ethik: das höchte Gut bestimmt sich nach dem höchsten Sein; was der Mensch soll, ist am vorgegebenen Sein abzulesen. Tempels fand hier in Bantu-Afrika wieder, was er bei Thomas und Aristoteles gelernt hatte; vereinfacht gesagt: Gott will etwas, weil es gut ist - und nicht voluntaristisch: etwas ist gut, weil Gott es gewollt hat. Indem aber Ittmann dies von Tempels übernimmt, entfernt er sich spürbar von einen früher von ihm vertretenen, noch zu erläuternden Satz: „Es ist der große Fehler der

Kameruner Religion, daß sie nicht moralisch, und der Fehler der Kameruner Moral, daß sie nicht religiös ist.“ So hätte Tempels nie von den Bantu sagen können.

Was der letzte „Anthropos“-Aufsatz nicht sagt: daß er aus dem Gespräch mit Tempels‘ Buch entstanden ist, das hat Ittmann selber fünf Jahre zuvor in einer ausführlichen Rezension der deutschen Übersetzung dieses Buches 1958 und anderem Ort deutlich zu erkennen gegeben.15 Dort spürt man unmittelbarer, was Ittmann an Tempels anzog und wo er ihm, aufgrund seiner Kenntnis der Kameruner Bantu, zu widersprechen geneigt ist. Tempels‘ Buch, meint er 1958, wird helfen, „die verbreitete Meinung umzustoßen, die Afrikaner lebten auf einer prärationalen Bewußtseinsstufe ohne die Fähigkeit logischen Denkens... viele werden ihm Dank wissen, daß er das, was sie bruchstückartig gefunden haben, als die den Bantu eigene geschlossene Philosophie darstellt“.16 Die Rezension endet folgerichtig mit der Ankündigung einer Anwendung auf andere afrikanische Regionen: seine, des Rezensenten kritischen Rückfragen wollen „nur anregen, daß auch andernorts im Sinne Tempels‘ versucht werden sollte, das logisch zusammenhängende ontologische System der Bantu darzustellen und so zur Seele des Afrikaners vorzudringen, um ihm sagen zu können, was er in seinem tiefsten Wesen über das Seiende denkt.“17 Gerade der Anspruch also, an dem Tempels in den Jahren nach der Bantu-Philosophie selber schließlich irre wurde: als Europäer den Afrikaners erst die richtige Sprache geben zu können oder zu müssen18 - „was er in seinem tiefsten Wesen denkt“ - dieser Anspruch trifft auch Ittmanns Intention; wenngleich er, im Unterschied zu Tempels, weniger für die Afrikaner selber als für die westliche missionarische und ethnologische Leserschaft deutet und schreibt.

Wichtiger zum Verständnis Ittmanns sind in der Rezension indessen die, im späteren ausgeführten Aufsatz leider kaum mehr erkennbaren, kritischen Rückfragen an Tempels. Sie stehen insgesamt unter dem Vorzeichen: Tempels deutet zu harmonisch und optimistisch, zu wenig der Gegensätze im afrikanischen Denken bewußt. „Man kann bei aller Anerkennung der Richtigkeit der geschilderten Beobachtungen und Schlüsse doch fragen, ob Tempels das Denken der Bantu nicht zu licht gezeichnet hat.“ Ittmanns eigene sprachwissenschaftlich vergleichende Arbeit, durch welche er Tempels‘ Beschränkung auf nur einen Stamm zweifelsohne überlegen ist, verbindet sich hier mit größerer Skepsis hinsichtlich der Kontinuität zwischen altem und neuem Gottesbegriff. „Das beginnt schon bei der Gottesvorstellung... ist Vidye so ganz identisch mit dem Gott eines christlichen Missionars?“ Anstatt nun aber der Diskontinuität zwischen afrikanischem und christlichem Gottesbegriff weiter nachzugehen, wendet sich Ittmann in den folgenden Sätzen - hier deutet sich schon seine eigene Umorientierung vom „Sein“ hin zur „Welt- und Lebensanschauung“ an - vielmehr der Unentrinnbarkeit bantuafrikanischer Weltwirklichkeit zu, die er bei Tempels zu wenig beachtet, zu sehr an den Rand geschoben sieht: „Gelten die verschiedenen ontologischen Gesetze und Weisheitslehren nicht auch für die Nachtseite des afrikanischen Lebens, den Hexenglauben? Tempels deutet gelegentlich an, wie diese Geißel die Bantu quält. Ist aber nur das Hexenwesen buloji Zauberei? Der gleiche Mensch kann mindestens theoretisch die gleichen Mittel in der gleichen Methode anwenden: gegen die Gruppenmitglieder als Hexe, gegen Feinde als Helfer seiner Gruppe; jedesmal ist es die Anwendung von Naturkräften nach der Bantuweisheit. Das Zugrundegehen von Lebewesen wird S.31 ausdrücklich und ausschließlich Gott zugeschrieben. Gibt es aber nicht auch ein von Menschen verursachtes Zugrundegehen?“ Ittmann redet von der Nachseite des Lebens und vom Menschen, der die Naturkräfte nach seinem Willen, das heißt aber: ethisch neutral, in seinen Gebrauch nimmt. Die ontologischen Gesetze, wenn es sie denn gibt, sind nicht eindeutig von Gott, dem höchsten Sein und höchsten Gut her gesteuert. Das System ist noch stärker anthropozentrisch, noch weniger theozentrisch. Wenn es dennoch mit Gott verbunden ist, beziehungweise: ihn mit einbezieht, so doch nicht als Gott, den nahen „Geber“ alles Guten, sondern als Gott, das unerbittlich sich selber vollstreckende Gesetz, als den unpersönlichen „Richter“ in ferner Himmelshöhe. All dieses ist auch in Ittmanns Rezension nur angedeutet. Man erkennt es in seinen Fragen, in seiner Differenz zu Tempels, wenn man es aus seinen anderen Ausführungen über die Gottesvorstellung in Kamerun weiß. Gleichwohl bezeichnet die Rezension mit der „Nachtseite des afrikanischen Lebens“ temperamentvoller und eindrücklicher als der spätere, mehr auf das Verbindende als auf das möglicherweise Kontroverse am „Gott eines christlichen Missionars“ bedachte ausgeführte Aufsatz von 1963, worum es in einem wirklichen Gespräch zwischen Ittmann und Tempels als zwei Missionaren bei den Bantu, die wissen, wovon sie reden, hätte gehen können: hier ist eine der offenen Stellen, an welcher es sich lohnt, in eigener Verantwortung auf Ittmanns Spur neu weiterzudenken.

4. „Urtümliche Bindungen“: Ittmann und B.Gutmann

Ittmanns späte Entdeckung des Buches von Tempels regte ihn zu neuer Ordnung seiner Kameruner „Beobachtungen“ an; sie konnte ihn aber nicht mehr mit neuen Fragen zur Feldforschung inspirieren: die lag weit zurück; Ittmann war mittlerweile Gemeindepfarrer in der Heimat im Ruhestand. Das war anders bei seiner in den dreißiger Jahren aufweisbaren - obwohl auch niemals namentlich belegten - Aufnahme der Grundgedanken des Leipziger Ostafrika-Missionars Bruno Gutmann (1876–1966). Gutmanns Entdeckungen und Thesen zu den schöpfungsmäßigen, durch die Mission zu bewahrenden „urtümlichen Bindungen“ in Afrika haben Ittmann in den Jahren 1927 bis 1939 erkennbar auch in der Orientierung seiner eigenen Feldforschung angeregt.19 Sie waren in deutschen evangelischen Missionskreisen damals ausgiebig diskutiert, kaum jedoch irgendwo zur Gänze als Leitlinie von den Missionsgesellschaften übernommen worden - zumal bei der Basler Mission nicht. So war es denn durchaus ein streitbares Bekenntnis zu Gutmann, wenn Ittmann 1936 im Basler „Evangelischen Missionsmagazin“ einem großen und grundsätzlichen Aufsatz den Titel „Urtümliche Bindungen und Volksordnungen in Kamerun“ gab. Nicht minder deutlich war die Distanzierung, welcher der Basler Missionsdirektor K.Hartenstein im selben Heft durch seinen, dem Ittmanns vorangestellten, Aufsatz „Heidentum und Kirche“20 warnend artikulierte: für die neue dialektische wie für die ältere pietistische Theologie bleiben ta ethne weiterhin primär „die Heiden“, vor aller neuen Würdigung als „Völker“ mit gottgegebenen Ordnungen und Bindungen, die Gutmann - wie er meinte, mit Luther - in den Vordergrund gerückt hatte. Ittmann seinerseits kam, anders als Gutmann, nicht vom volkskirchlichen Luthertum sondern, wie fast alle Basler Missionare, vom Pietismus und der Erweckung her.21 Doch das, was er in Kamerun erfuhr und was sich in dieser seiner Tradition schwer erfassen ließ: die Familien- und Stammesbande bis hin zu den „Volksordnungen“ - alles das trieb ihn für etliche Jahre in Gutmanns Arme, der, wie es schien, eben diese afrikanischen Wirklichkeiten missionarisch und theologisch im Griff hatte. Ittmanns programmatische Sätze 1936: „Mission ist Aussaat des Evangeliums in den Boden des Volkstums. Das eine ist so sehr Voraussetzung für rechte Missionsarbeit wie das andere: Das Evangelium von Jesus Christus und das Volkstum“ - eine formale Gleichstellung zweier sehr ungleicher Größen, die den von Barth und Barmen herkommenden theologischen Leser nur erstarren lassen konnte - sie könnten genauso auch bei Gutmann stehen. Und wie den neun Jahre älteren Gutmann, so ließen auch Ittmann die Entdeckungen zum afrikanischen Volkstum für begrenzte Zeit sehr aufgeschlossen sein für den aus der afrikanischen Ferne verfolgten völkischen, deutschen und germanischen „Aufbruch“ daheim seit 1933. J.C.Hoekendijk hat insofern 1948 nicht unrecht, wenn er in seinem differenzierten, aber insgesamt radikal ablehenenden Gutmann-Kapitel von „Kirche und Volk in der deutschen Missionswissenschaft“ Ittmann nur beiläufig aufführt zum Nachweis daß man, anstatt nach Kirche und ihrem Kontext zu fragen, in Gutmanns Gefolge vielmehr „fast überall auf die Suche nach urtümlichen Bindungen ging“ und sich schließlich in völkischen Allgemeinheiten verlor.22

In diesem Zusammenhang mag eine verwunderliche und zwiespältige Spätwirkung Ittmanns auf katholischer Seite Erwähnung finden. Durch Ittmanns 1957 im „Anthropos“ erschienenen und von ihm hoch gelobten großen Aufsatz über Djengu, den kultischen Geheimbund der Duala in Kamerun, sah sich der vormalige Pater und Missionar R.Bureau bestätigt in seiner radikalen Kritik an der zu ethnologischen Verstehen unfähigen französischen katholischen Mission in Kamerun, die schließlich zu seiner Absage an alle christliche Mission in Afrika und zu seinem Wechsel von der Theologie zur Ethnologie führte (R.Bureau, Péril blanc. Propos d‘un ethnologue sur l‘Occident, Paris 1978; über Ittmann: 34f.) Ittmann jedoch hatte nie am Sinn und an der Notwendigkeit christlicher Mission in Afrika gezweifelt. Er dachte, bei aller Faszination durch die „urtümlichen Bindungen“, auch nicht daran, die Theologie mit der Ethnologie zu vertauschen. Man findet bei ihm darum, trotz aller völkischen Neigungen, auch nicht so undialektische Sätze wie beim späteren, ethnologischen und „grünen“ Bureau (aaO, 199), bei denen sich zumindest der deutsche, halbwegs geschichtsbewußte Leser, verduzt die Augen reibt: „Le sang et la terre, voilà les deux données élémentaires sur lesquelles reposent les rapports humains.“ Genaueres zum Verhältnis Bureaus zu Ittmann findet sich in Balz 1984 (o., Anm­11), 6–10.

Auch wenn Ittmann für einige Jahre Mitläufer im Gutmannschen Zuge war, so blieb er es doch nicht sehr lange. Wie seine Herkunft, so ist auch seine spätere Entwicklung von Gutmann deutlich geschieden. Was Ittmann von dem großen Missionar der Dschagga in Ostafrika trennte, war zunächst die Begegnung mit der komplexeren, an Spannungen und Widersprüchen schon reicheren alten Sozialstruktur der Kameruner Küstenstämme. Nicht alles, was es dort zu erforschen gab, zumal nicht die Geheimbünde, die Ittmann bei allem tiefen Eindringen am Ende doch sehr kritisch beurteilt, läßt sich auf gute Schöpfungsordnung im Sinne des ersten Glaubensartikels nach Luthers Auslegung zurückführen. Der soziale Sündenfall ist nicht nur modern und westlich. Ein anderer, wohl noch tieferer Interessengegensatz zwischen Ittmann und Gutmann ließe sich, bald nach den Jahren der intensiven Berührung, an zwei Vorträgen deutlich machen, die beide, schon während des Zweiten Weltkrieges, zu fast demselben Thema hielten: 1942 sprach Gutmann vor der Brandenburgischen Missionskonferenz in Berlin über „Die Gottesfrage zwischen Schwarz und Weiß“ so, daß man ihm anmerken mußte, daß das Verhältnis der überlegenen weißen Rasse zu den Afrikanern ihn ebensosehr umtrieb wie die Frage nach Gott.23 Ittmann dagegen hielt im November 1939 in Buea vor der Generalkonferenz der Basler Kamerunmissionare seinen Abschiedsvortrag über „Gottesvorstellung und Gottesnamen im vorderen Kamerun“, wenige Monate vor der Internierung aller deutschen Missionare durch die Engländer.24 In diesem Vortrag, der Ittmann so wichtig war, daß er ihn 1955 wesentlich unverändert dem „Anthropos“ zur vollständigen Veröffentlichung gab, hatte er endgültig sein Leitthema, seine religionswissenschaftliche und theologische Frage nach Gott dem „Geber“ und dem „Richter“ bei den Kamerunern gefunden; so, daß vor dem Geheimnis Gottes, das alle Menschen nur bruchstückhaft begreifen, das Problemfeld „Volkstum“ und vollends die Frage nach schwarz und weiß zur Nebensache, zum durchaus Sekundären wurde. Damit entfernt sich Ittmann zwar nicht eindeutig von Gutmanns sehr weit gespannten Werk; er hält sich aber eindeutiger und enger an die Frage des frühen Gutmann nach dem „Gottesbewußtsein“ der Afrikaner, die beim späten nicht mehr im Vordergrund stand. Bevor wir jedoch in Ittmanns zentrale, schon in den frühen Text von 1931 über die Gottesnamen in Bakossi vorbereitete Thematik einsteigen, ist es sinnvoll, noch einen Blick auf die zwischen den beiden Fassungen des Vortrags von 1939 und 1955 von ihm geschriebenen beiden großen Buchmanuskripte zu werfen. Beide sind in der erzwungenen Muße der Internierungsjahre auf Jamaika entstanden. Die deutschen Missionare nutzen sie als „Rüstzeit“ zum Rückblick auf die getane Arbeit und, so war die Hoffnung, im Vorblick auf die Rückkehr nach Kamerun nach Kriegsende. Aus von Ittmann gehaltenen Kursen entstand sein erstes zusammenhängendes Buch: „Geistiger Volksbesitz der Kameruner im Blickfeld des Missionars“. Das maschinenschriftliche Manuskript von 164 eng beschriebenen Seiten, das vor allem für die „jüngeren Missionare“ gedacht war, ist aus den schon genannten Gründen nie zur Veröffentlichung gelangt. Obwohl die Einführung noch kräftig nationale Töne enthält, ist, im Vergleich mit den „urtümlichen Bindungen“ von 1936, der Höhepunkt des Volkstum- und Gutmann-Einflusses bei Ittmann schon überschritten. Schon der Titel „Geistiger Volksbesitz“ meint Distanzierung von der gängigen Terminologie; und stärker als vordem bemüht sich Ittmann, das viele und überwältigende in Kamerun Erfahrene in das „Blickfeld des Missionars“ einzuordnen. Die vierteilige Gesamtanlage des Buches orientiert sich nicht mehr an Gutmann sondern - wieder ohne das Vorbild namentlich zu nennen - an einem anderen deutschen Ostafrikamissionar, der früh schon im beteiligten und kritischen Gespräch mit Gutmanns Thesen stand, Ernst Johanssen (1864–1934).25

Johanssen hatte seinen Rückblick auf das „Geistesleben afrikanischer Völker im Lichte des Evangeliums“ 1931 vom „Mysterium gliedhafter Verbundenheit“(I) über das „Mysterium des Ichbewußtseins“(II) und das „Mysterium der Leiblichkeit des Menschen“(III) hin zum „Mysterium des Glaubens“ (IV) geführt. Die Anordnung der Teile I - III war bei Johanssen als Anknüpfung an Gutmanns großem Thema, zugleich aber als Korrektur gemeint: der Einzelne als Leib und Seele muß auch bei den Afrikanern wichtiger genommen werden als dies bei Gutmann geschieht. Bei Ittmann kehren ein Jahrzehnt später alle vier Stücke Johanssens wieder; auch die Sprache ist sichtlich vom Vorbild gefärbt, aber - wohl weil ihm die Absetzung vom Kollektiven bei Johanssen noch nicht missionarisch genug ist - in gezielter Umstellung: zuerst kommt „der Mensch als Leib“ (I) und „als Seelenwesen“ (II); dann erst „als Glied von mancherlei Bindungen“ (III) und zuletzt, wie beim Vorbild, „Der Mensch und die übersinnlichen Mächte“ (IV). Ittmann nennt dies einen Gang „vom Nahen zum Entfernten, vom Sichtbaren zum Übersinnlichen“. Zugleich, und ohne daß er dies sagt, drückt dies auch eine Wiederannäherung an die neue theologische Linie und an das alte pietistische Erbe in Basel und anderwärts aus: bekehrt und getauft werden in der Mission zuerst und zuletzt doch namentliche, einzelne Menschen und nicht Verbände oder Gemeinschaften - auch wenn diese, als christliche Gemeinde und Kirche, aus der Missionsarbeit folgerichtig entstehen.

Manchmal etwas steif wirken am Ende jedes einzelnen Abschnitts Ittmanns Schlußbemerkungen unter der Überschrift „Was sagt der Missionar“ zu diesem und jenem Gefundenen: es klingt, als müsse er nicht nur die hörenden oder lesenden jüngeren Missionare, sondern auch sich selber mit Nachdruck zurück und zur Sache christlicher Mission rufen; als müsse er immer etwas „zu sagen“ haben, auch dann, wenn ihm mehr nach stillem Nachdenken und Verarbeiten des Fremden, Neuen zumute wäre. Bedeutsam ist, daß Ittmann in dieser ersten Zusammenschau die Ahnen und ihren Kult nicht etwa unter den „übersinnlichen Mächten“ sondern bei den „Grenzen des Ichbewußtseins“ unter dem Menschen „als Seelenwesen“ einordnet. Unter den „übersinnlichen Mächten“ behandelt er dann die „Beseeltheit der Welt“ - so verdeutscht er Animismus - , den „Glauben an den Urheber (Wirker) und Richter“ und schließlich die in den Geheimbünden erfahrenen und eingesetzten „mystischen Kräfte“ des Menschen.

In den Schlußbemerkungen zum Kameruner Gottesglauben „sagt der Missionar“, also Ittmann selber, im wesentlichen dies: die Kameruner glauben wirklich an Gott, obwohl anderes und näheres sie viel mehr beschäftigt. Es ist ein Glaube, nicht ein Ergebnis schließender Kausallogik, und für den Betrachter, „der selber im Gottesglauben seine Heimat gefunden hat“, ein Hinweis auf Gottes Selbstbezeugung in allen Völkern nach Apg 14,17. Die praktische missionarische Arbeit findet immer Anknüpfungpunkte für den christlichen Gottesbegriff in „Vorstellungen, die weder von viel verwirrenden Mythologien, noch in genauer philosophischer Präzision umschrieben sind“. In dem Zusammenhang erwägt Ittmann als Alternative zum Evolutionismus die Möglichkeit, auf einen „Rest von altem Monotheismus“ gestoßen zu sein: er weiß also von A.Lang und W.Schmidts Urmonotheismus-These, ohne sie sich doch selber ausdrücklich zu eigen zu machen. Die für Schmidt entscheidende Verbindung mit der Kulturkreislehre - durch welche die Bantu insgesamt sehr weit von der Urkultur und Urreligion ab geraten - spielt bei Ittmann keine Rolle.26 Ittmanns erstes Buchmanuskript zeichnet sich, auch Johanssen gegenüber, durch die große Fülle seines Materials von den Kameruner Bantu-Stämmen aus. Bei aller Bemühung um ordnende Deutung bleibt der Wille, andere an den „geistigen Volksbesitz“ selber heranzuführen, das Primäre. Manches an inneren Spannungen und Unausgeglichenheiten des Buches lädt zu genetisch-biographischer Interpretation ein; auch im Hinblick auf Ittmanns offenkundig gespanntes Verhältnis zur jüngsten Entwicklung evangelischer Theologie in Basel und an anderen Orten. Der Missionar, sagt Ittmann, „wird am Vorhandenen anknüpfen, positiv und negativ. Viel ist um diesen Punkt in der deutschen Theologie der letzten Jahre gekämpft worden, vieles auch aneinander vorbeigeredet.“ Solcher weiser geschichtlicher Einsicht wird man kaum widersprechen wollen. Wenn Ittmann selber jedoch auf der selben Seite wenig zuvor, offensichtlich in gewollter polemischer Zuspitzung, formuliert: „Rechter evangelischer Missionsarbeit dürfte doch das Ziel ‚christliche Schwarze‘ und nicht ‚schwarze Christen‘ vorschweben“27 - so fragt sich der Leser, auf welcher Seite hier die Verwirrung, das Aneinandervorbeireden stattfindet. Gutmann könnte auch so reden; Tempels, ihrer beider katholischer Zeitgenosse hätte es, bei aller Sympathie für das afrikanisch Besondere, nie getan; auch wenn im Wildwuchs seiner afrikanischen Wirkungsgeschichte gerade ihn die „urtümlichen Bindungen“ eingeholt haben.28 Tempels wußte immer, daß Kirche anderes und mehr ist als verwirklichte Kultur oder Volkstum. Bei Ittmann sind, wie angedeutet, solche Sätze nach 1940 nur mehr ein zorniges Nachbeben; sie sind nicht mehr bestimmend für das Buch, das er wirklich schreibt.

Aber sie machen ihrerseits wohl verständlich, warum die, welche in Basel damals die offizielle Missionstheologie formulierten, gerade Ittmanns wegen mehr über „Heidentum und Kirche“ und überhaupt über die „Gemeinde Christi“ in Kamerun im Unterschied und Gegenüber zum Lauf der Geschichte der Völker so in Afrika, wie in Europa, sich ihre Gedanken machten. Wichtig neben K.Hartenstein war hier auch der Kamerun-Reisebericht von Missionsinspektor E.Kellerhals, Das Volk hinterm Berg, Stuttgart/Basel 1935, mit seiner überscharfen Trennung von „Land und Leuten“ einerseits und dem „Werk des Christus“ in Kamerun andererseits.

5. „Vorstellungen“ und „Gebräuche“ in Kameruner Religion

In seinem zweiten, doppelt so umfangreichen, während der Internierungsjahre niedergeschriebenen Buchmanuskript „Die Religion im vorderen Kamerun“ hat Ittmann, trotz erkennbarer neuer Lektüren, sich in Fragestellung und Anlage freier gemacht von Vorbildern. Diesmal schreibt er nicht für künftige Missionare, sondern vorrangig für wissenschaftliche Leser, und auch für sich selber, zu Selbstverständigung als gelehrter Autor; so, wie dies bei ihm sonst nur in dem großen Vortrag von 1939 deutlich erkennbar ist. Der Vortrag und das zweite Buchmanuskript gehören zusammen; so nämlich, daß das Buch bestimmt, wo im weiteren Ganzen der Kameruner Religion das „Gottesbewußtsein“ seinen Ort hat. Die praktisch missionarische Anwendung der Erkennntnisse ist diesmal, der veränderten intendierten Leserschaft wegen, in einen „Anhang: Kameruner Religion und Evangelium“ versetzt. Ansonsten gliedert sich das Buch in drei quantitativ wie strukturell recht ungleiche Teile. Den „religiösen Vorstellungen“ (I) auf 130 Seiten folgen (II) die „religösen Gebräuche“ auf 150 Seiten und (III) abschließend „Religion, Moral und Ethik“ auf 20 Seiten.

Dieser knappe Schlußteil ist in der Sache das Gegenstück zu dem was - Ittmann damals noch völlig unbekannt - in ungefähr den selben Jahren Tempels unter „objektiver und subjektiver Ethik“ der Bantu verhandelte. Ittmanns methodischer Ansatz ist hier noch eindeutig vom „Gewissen“, also vom Subjektiven her, nicht vom vorgegebenen Objektiven. Darin steckt protestantische, auch spezieller missionstheologische Tradition. Am Ende seiner Beobachtungen zu vorchristlicher Sitte und Gewissen formuliert Ittmann scharf: „Es ist der große Fehler Kameruner Religion, daß sie nicht moralisch, und der Fehler Kameruner Moral, daß sie nicht religiös ist“ (aaO, 281). Wenigstens die zweite Hälfte würde Tempels rundweg bestreiten. H.A.Junod (1863–1934), der berühmte Schweizer protestantische Missionar bei den Thonga in Moçambique, würde sie bestätigen. Mehr noch, Ittmanns Satz scheint direkt zu bezeugen, was er an Junods Deutung der Thonga auch für Kamerun richtig fand (H.A.Junod, The Life of a South African Tribe, London 1927). Ittmanns späte, nicht weiter begründete Wende mit Tempels hin zur objektiven, ontologischen Ethik deutet offen gebliebene Fragen an - nicht nur zwischen protestantischem und katholischem Ansatz, sondern wie beide vom vorchristlichen Afrikanischen her neu gefaßt, beziehungweise: relativiert werden müßten.

Die wichtigste architektonische Vorentscheidung in Ittmanns Buch ist die durchgehende Zweiteilung „Religiöse Vorstellungen“ und „Religiöse Gebräuche“. Sie ist bei ihm letztlich gesteuert von dem Willen, dem alten Kameruner „Gottesbewußtsein“ seine herausragende, hohe Stellung anzuweisen: das jedoch geht als Klimax und Schlußpunkt nur auf der Seite der „Vorstellungen“29, nicht auf Seite der „Gebräuche“; denn bei ihnen kommt Gott, wie Ittmann als unbestechlicher Beobachter der Kameruner Religion weiß und bedauert, fast nicht vor. Umgekehrt behandelt er die Ahnen soweit als nur irgend möglich nur unter den „Gebräuchen“, obwohl er weiß, daß sie auch „vorgestellt“ d.h. geglaubt werden.

Der Teil „Gebräuche“ ist insgesamt der reichere, farbigere: Ittmann bringt in ihm den „Kult“ im eigentlichen Sinne zusammen mit einer breiten „Phänomenologie der Magie“, von welcher später sein Anthropos-Beitrag „Orakelwesen im Kameruner Waldland“ 1960 ein Fragment ist; sowie mit einem großen Kapitel „Feste, Weihen und Geheimbünde“, wobei er die letzteren glaubt, wesentlich als religiöse Kultbünde verstehen zu können. Drei knappe Seiten über den „Mythos“ beschließen die „Gebräuche“: logischer wäre gewesen, ihn unter den „Vorstellungen“ abzuhandeln; aber da es Ittmann ohnehin wesentlich nur darum geht zu vermerken, daß die Kameruner eine ausgeführte Mythologie nicht haben, entsteht keine Verwirrung daraus. Wie Gutmann und wie W.Schmidt - und im deutlichen Kontrast etwa zu M.Eliade - geht Ittmann von einer erkennbaren vormythischen Stufe archaischer Religion in Afrika aus.

Ittmanns zweigliedrige Architektonik „Vorstellungen/Gebräuche“ in der Kameruner Religion nicht einfach hinzunehmen, sondern zu interpretieren, heißt sich in der Sache von ihr zu distanzieren, zugleich aber auch das in ihr angedeutete tiefere Interpretationsproblem zu bestätigen. Die solchermaßen zuerst herausgelösten, sodann heuristisch an den Anfang, vor die „Gebräuche“ gestellten „Vorstellungen“ sind kein verläßlicher, tragfähiger Zugang zum gelebten Ganzen der alten Kameruner Religion. Neben seinem missionarischen Interesse am Gottesbewußtsein spielt hier bei Ittmann auch noch eine zweite, forschungpraktische Schwierigkeit mit herein: zu der Zeit, als er forschte, war der alte Kult, besonders der Ahnenkult, öffentlich schon nicht mehr sichtbar. Ittmanns Quellen waren Informanten, die ihm sagten, wie es gewesen war, häufig schon mit Ansätzen zu einer christlichen Deutung dabei. Ittmann war selber mit ziemlicher Sicherheit nie bei einem Ahnenfest. Ein deutlich anderes Bild von Gott und den Ahnen ergibt sich dem Feldforscher, wenn er - beim Kult direkt statt bei den erinnerten Vorstellungen einsetzend - bei den noch heute an einigen abgelegenen Orten zumal in Bakossi stattfindenden Dorfahnenfesten die dort auf Band genommenen langen Gebete als Text des gelebten Credo und also auch der religiösen „Vorstellungen“ nimmt: Gott kommt in ihnen normalerweise nicht vor, wohl aber die Dorf- und Stammesahnen mit göttlichen Attributen, über welche hinaus zu einer noch höheren Instanz zu beten ein Bedürfnis nicht besteht. Ittmann selber schreibt aber auch: „Das Gebet ist der Pulsschlag religiösen Lebens, in ihm kann auch die Kameruner Religion am besten belauscht werden“30 - wer dies in veränderter Zeitlage und mit neuen technischen Hilfmitteln tut, geht also, auch wenn er Ittmanns hohe Einschätzung des Kameruner „Gottesbewußtseins“ nicht mehr teilen kann, in der Forschung mit Ittmann über Ittmann hinaus.31

Es bleibt aus heutiger Sicht des weiteren zu bemerken, daß Ittmann gerade in seiner methodischen Einseitigkeit, in seiner Weise, den gordischen Knoten zu zerhauen, welcher Kult und Vorstellungen in afrikanischer Religion zusammenhält, ein geradezu typischer Vorläufer „Afrikanischer Theologie“ der protestantischen Variante ist, wie sie sich in den sechziger und siebziger Jahren formierte. Der wahre Gott war in Afrika schon bekannt, bevor die christliche Mission kam; weil er aber - so geht die an Reformation und Erweckung geschulte afrikanisch-protestantische Logik weiter - nicht bzw. nicht nur der ferne Gott der Philosophen sein kann, deshalb muß weiter erwiesen werden, daß zu diesem Gott auch gebetet und daß ihm gedient wurde; daß es also nicht nur „concepts of God in Africa“, sondern auch überall auf dem Kontinent einen „worship of God“ gegeben habe. Dies führt dann zu manchen spekulativen Sätzen wie dem, daß auch in den Opfern an Geister und Tote Gott der letzthinnige Empfänger sei, „whether or not the worshippers are aware of that“ (J.S.Mbiti, African Religions and Philosophy, London (1969), Second Ed. 1990, 58, und ders., Concepts of God in Africa, London 1970).

So gewaltsam redete Ittmann nicht; doch sein Kunstgriff der Vorordnung des „Gottesbewußtseins“ vor den „Gebräuchen“, in denen Gott nicht vorkommt, will ähnliches. Denn ein Gott, der keinen Kult hat, kann für protestantisches Empfinden weithin nicht der wahre, sondern nur ein falscher Gott sein. Katholiken, auch afrikanische, sind hier gelassener: obwohl die Bantu durchweg Gott kannten, meint Pater A.Kagame, haben sie ihm nicht ausdrücklich gedient (La philosophie Bantu comparée, Paris 1976, 289–299). Pater St.Ezeanya versuchte einer berühmten, mehrheitlich protestantischen Zusammenkunft afrikanischer Theologen 1966 in Ibadan dasselbe klar zu machen, und zwar mit Berufung auf Röm 1,20–21 (K.A.Dickson et P.Ellingworth (Eds), Pour une théologie africaine. Rencontre de théologiens africains Ibadan, Yaoundé 1968, 42–45. Die Diskussionsberichte sind nur im französischen, nicht im parallelen englischen Berichtsband der Tagung enthalten). – Paulus anzuführen ist unter Evangelischen immer gut. Unter Afrikanern wie unter Missionsleuten scheint es insbesondere an der Zeit, neuerlich zu bedenken, daß der Römerbrief nicht erst mit seinem zweiten oder vierten Kapitel beginnt, sondern im ersten (1,18–25) ebenso ausdrücklich wie dialektisch auch zur kultlosen Gotteserkenntnis außerhalb der biblischen Offenbarung Stellung bezieht.

6. „Geber“ und „Richter“ in vorchristlicher Kameruner Gotteserfahrung

Der große, 1955 im „Anthropos“ erschienene Aufsatz „Gottesvorstellung und Gottesnamen im nördlichen Waldland von Kamerun“ ist, wie schon gezeigt, älter als das ausgeführte Manuskript „Die Religion im vorderen Kamerun“. Ittmann hatte ihn schon im November 1939 vor Basler Missionaren in Kamerun vorgetragen.32 Buch und Vortrag gehören zusammen in dem Sinne, daß er in beiden am meisten von allen seinen Schriften er selber, will sagen: durch seine in Kamerun gewonnenen Erkenntnisse frei und am wenigsten abhängig ist von den Synthesen und Fragestellungen anderer, berühmterer Autoren. Sie beide sind darum auch das Vermächtnis Ittmanns, an welchem weder künftige Religions- und Missionswissenschaft von Europa aus, noch Kameruner christliche Theologie, will sie die wirkliche Überlieferung der alten Religion ernst nehmen, vorbei kommen werden. Auch der Vortrag ist von einer wesenhaften Zweiheit bestimmt; nicht jedoch von der, die der Titel vermuten ließe: „Vorstellung“ und „Namen“ Gottes, sondern vielmehr von der in der im ganzen nördlichen Waldland beobachteten Zweiheit der Namen des einen Gottes, den man doch immer nur als einen vorstellte, wußte und erfuhr. Das eine ist der „mit dem Ahnendienst verbundene“33, das andere der „mit dem Himmmel verbundene Gottesname“34. Ittmann könnte in genauerer Parallele sachgemäß auch schreiben: der mit den Ahnen, also mit der Erde und Unterwelt verbundene Gottesname; doch auf den Ahnendienst kommt es ihm bei Nyame/Muanyame und deren Äquivalenten gerade an. Hingegen könnte er für Diob bzw. Loba nicht schreiben: der mit dem Himmelsdienst verbundene Gottesname - denn einen solchen gab es im vorchristlichen Kamerun eigentlich nicht. Hier stand, trotz gelegentlicher Anrufungen, die Gottes“vorstellung“ allein und auf sich. Etwas verdeckter und erst bei wiederholtem genauen Lesen wird neben und hinter dieser distanziert beschreibenden Zweiheit eine andere, unmittelbarere, auch den christlichen Glauben mitbetreffende, sichtbar: die von Gott als „Geber“ und als „Richter“.35 Sie ist eine rückblickende, vereinfachende Kurzfassung des zuvor im Detail beschriebenen, meint also nicht a priori gegebene Ideen, aus welchen das weitere hernach deduziert würde. Gerade weil diese beiden Seiten zur Wahrheit des einen Gottes gehören, so gibt Ittmann in den Schlußabschnitten zu verstehen, mußte den christlichen Missionaren, als sie nach Kamerun zum Küstenstamm der Duala kamen, die Wahl zwischen Nyambe, dem Geber und Loba, dem Richter als christlichem Gottesnamen so schwer fallen. Im Grunde ist sie unmöglich. Der ideale, wahre Gottesname käme nur durch das „Verschmelzen“ beider zustande, wie Ittmann dies beim Stamm der Bakwiri meint wirklich gefunden zu haben: Obas‘ a Loba, „der Ahnengott im Himmel“, ist der Gott unten und oben; ist Geber und Richter zugleich.36 Deutlicher als sonst irgendwo beim so zurückhaltenden Ittmann begegnet hier die phänomenologische der theologisch hermeneutischen Frage: wie ist eigentlich in seinem tiefsten Wesen der Gott, den „das christliche Bekenntnis meint“? Richter, Geber, oder beides?

Es ist hier nicht möglich, auch nicht notwendig, Ittmanns ganzes Material zu Gottesnamen und -kult in den einzelnen Kameruner Waldlandstämmen auszubreiten. Wie schon in dem frühen Bakossi-Aufsatz von 1931, stellt Ittmann wiederum die faktisch geschehene Entscheidung der Mission für den Himmels-Namen Gottes dadurch in Frage, daß er den damit verworfenen „mit dem Ahnendienst verbundenen“ Gottesnamen des „Gebers“ zuerst, ausführlicher und mit spürbar mehr eigener Beteiligung behandelt, bevor er dem fernen himmlischen „Richter“ Loba/Diob sein relatives Recht zukommen läßt. Seine These ist dabei phänomenologisch und geschichtlich gleichermaßen. Der von den frühen Missionaren seit A.Saker 1848 verworfene Gottesname hatte genau dort seinen Sitz, wo das Herz der alten Religion schlug: im Dienst der Ahnen in Opfer, Gebet und öffentlichen, mit Saat und Ernte verbundenen Festen. Ittmanns Sicht ist hier im wesentlichen zu bestätigen; nicht zuletzt durch den, ihm offensichtlich entgangenen, Stamm der Mbo, unmittelbar nördlich der Bakossi: dort, wo keine Missionare und keine Missionsstation war, hatten die einheimischen Basler Katechisten von sich aus entschieden, Gott den Vater Jesu Christi nicht Diob sondern Munya zu nennnen, wie es bis heute alle Christen in Mbo tun. Dies wird im einzelnen ausgeführt werden im Kapitel „God near and far“ des zweiten Teils meiner Studies in Bakossi Society and Religion.

Zu korrigieren ist freilich Ittmanns Annahme, Nyame und der weiter westlich von Nigeria her eingeführte Name Obase seien ursprünglich und schon immer mit Ahnen, Tod und Unterwelt verbunden gewesen: in beiden Fällen war dies vielmehr eine, ihrerseits deutungsbedürftige, Kameruner Sonderentwicklung, da sowohl Obase wie auch der im Kongogebiet verbreitete Nyambe/Zambi in ihren Kerngebieten eher Himmelsgottheiten oder “überall“ d.h nicht lokalisiert waren. Bestätigt hat sich dagegen Ittmanns Annahme, daß Loba/Diob, der himmlische Richter, einen wirklichen Kult erst in christlicher Zeit bekam, der dann freilich vielfältig zurück projiziert wurde und - wie oben bei W.M.Abwenzoh gezeigt - die Erinnerung an Nyame/Muanyame auch in der gegenwärtigen mündlichen Tradition seinerseits verdrängte. Richtig und zu erweitern ist schließlich Ittmanns Vermutung, daß schon vorchristlich in verschiedenen Weisen eine „Verschmelzung“ der auseinanderfallenden Erfahrungen Gottes „unten“ und „oben“ gesucht wurde: dort wo dies nicht, wie bei den Bakwiri, zu einem neuen, doppelten Gottesnamen führte, geschah dasselbe, etwa bei den Bakossi, in eindrücklichem gestischem Ritual, welches den erbetenen Segen von unten und oben in einer bittenden Bewegung zusammenhielt.

Wie andere vor ihm, stellt Ittmann im Blick auf Kamerun und auf die weitere religionsgeschichtliche Theoriebildung sich auch die Frage, ob die auffällige Zweiheit der Gottesnamen im nördlichen Waldland etwa soziologisch oder geschichtlich zu deuten und das heißt: wesentlich außerreligiös zu erklären ist. Zeitweilig erwägt er, ob sie etwa die religiöse Verlängerung der realen Verhältnisse in den segmentären, fast anarchischen Dorfgesellschaften sei - so, daß Loba dem politischen Häuptling, Nyambe aber dem für den Kult zuständigen Priester entspreche37; doch er läßt diese Möglichkeit dann wieder fallen. Geschichtlich neigt er dazu, die Gestirns- oder Himmelsgottheit für später, und die nicht immer von den menschlichen Ahnen deutlich unterscheidbare Ahnengottheit für früher zu halten. Doch er bleibt auch hier - etwa mit W.Schmidt verglichen - in der Hypothesenbildung sehr zurückhaltend; hinter die letzten vorkolonialen Jahrhunderte zurück, in welchen sich Bantu- und Sudan-Kulturen in Kamerun begegneten, hält er gesicherte Rückschlüsse nicht für möglich.38 So bleibt dann nur der andere Weg, den Ittmann in seiner Deutung behutsam aber folgerichtig einschlägt: die Zweiheit der Gottesnamen ist in der Sache und Wirklichkeit der Gottheit selber begründet - und dies nicht in einer bloß zu referierenden afrikanischen „Vorstellung“, sondern in der tieferen Gotteserfahrung, wie sie auch der europäische Christenmensch bei einiger Besinnung in sich findet und darum in der Kameruner Religion nachvollziehen kann. Zum mit dem Ahnendienst verbundenen Gottesnamen entfaltet er das als „Geber“ Zusammengefaßte auch als das - strittige, und von ihm wohl zu theistisch gesehene - Verhältnis zwischen Ahnen und Gott folgendermaßen: „Die Ahnen sind, den Heiligen der katholischen Kirche gleich, ‚Fürbitter‘: Sie vermitteln die Gaben, die die Gottheit den Irdischen zukommen lassen will, und umgekehrt wendet man sich im Fruchtbarkeitskult an sie um Verwendung bei der Gottheit, die man sich zwar nicht denkt als eine Person, die sieht, hört, denkt usw., sondern mehr als einen Hort aller Güter, einen ‚Brunn, daraus und früh und spät viel Heil und Segen fleußt‘.“39 Der letzte bildhafte Ausdruck ist, für evangelische Missionare unmißverständlich, Zitat aus Paul Gerhardts bekannten Morgenlied: „Ich singe dir mit Herz und Mund“.40 Für Gerhardt, den Lutheraner des 17.Jahrhunderts, ist Gott selbstverständlich Person, und dennoch auch „Brunn“ alles Guten. Umgekehrt bestreitet Ittmann auch den Kamerunern trotz des Vorwiegens dieses apersonalen Aspekts die personale Gotteserfahrung nicht völlig. Auffallen muß hier, daß der evangelische Missionar zur Verdeutlichung des Gemeinten nicht Bibel, Katechismus oder Bekenntnis zitiert, sondern ein Kirchenlied: gerade es drückt aus, wo und wie die christliche und die kamerunisch vorchristliche Frömmigkeit sich am nächsten berühren. Der „Brunn“ alles Guten wird anders und näher erfahren als das - ebenfalls eher unpersönliche - der natürlichen Vernunft zugängliche „höchste Sein“ bei Placide Tempels oder Thomas, das ohne Kult bestehen kann. „Heil und Segen“ würde, wörtlich genommen, ewiges Heil, Erlösung von Sünde und Tod miteinschließen; doch Ittmanns Gedankengang macht klar, daß eigentlich nur der „Segen“ hier und jetzt empfangener guter Gaben gemeint ist. Dies verbietet auch, den „Geber“ etwa lutherisch mit dem „Evangelium“ und den „Richter“ mit dem „Gesetz“ zu verbinden. Eher schon ist der Schöpfer und Erhalter des ersten Glaubenartikels gemeint; doch auch der wieder in spezifischer Abwandlung: die Weltentstehung am Anfang beschäftigt die Kameruner wenig; wichtig ist ihnen das Werden neuen Lebens jetzt, auf der Farm, bei den Tieren und bei den menschlichen Kindern - und eben darum nicht der Schöpfer, sondern wesentlich und ursprünglich der „Geber“. Noch deutlicher wird die Kontur auch des „Gebers“ dann im Unterschied zur zweiten Gotteserfahrung, der des himmlischen „Richters“. Mit ihm verfährt Ittmanns Beschreibung methodisch strenger, teilweise auch psychologisch-genetisch. Zuerst ist loba/diob ein Ort; freilich ein geheimnisvoller, „wo das ganz andere, das Unberechenbare und daher Anomale seine Stätte hat“. Ittmanns eigene Hervorhebung des „ganz anderen“ spielt auf den Lesern oder Hörern von 1939 Bekanntes an, ohne es namentlich zu nennen: mutmaßlich geht es um Karl Barth und um die Dialektische Theologie41, welcher Ittmann auf diese Weise beiläufig ihr relatives Recht einräumt und sie zugleich in ihrem wesentlichen Anspruch bestreitet: radikale Diskontinuität senkrecht von oben kommt nicht nur in christlicher Verkündigung vor, sondern auch in afrikanischer Religion. Sodann, zweitens, wird der Himmel, manchmal ineins gesetzt mit der Sonne, von den Kamerunern erfahren als Person, die redet und durch ihr Wort das Böse richtet. So entsteht bei den Menschen das Gewissen. Dieser Richter, der, weniger personal, auch als Geschick und gerechtes Schicksal erscheint, wird vor allem als „Rächer“ und gerechter Helfer in der Not erfahren und sogar angerufen. Wieder bringt Ittmann zur Verdeutlichung europäische Erfahrung hinzu: „Wenn wir Europäer vom ‚Himmel‘ reden, empfinden wir immer deistisch.“42 Die Kameruner tun das so nicht; oder wenn, dann doch in einer anderen, eher antiken Weise: Loba/Diob ist ihnen der Rächer des Bösen. „Die alttestamentliche Bitte: ‚Gott, des die Rache ist, erscheine!‘ geht auch den Kamerunern leicht von den Lippen. Die Nemesis-Vorstellungen, wie sie etwa Schillers ‚Kraniche des Ibikus‘ zugrundeliegen, sind den Schwarzen wie aus der Seele gesprochen.“43 Auch zu dieser zweiten Seite Kameruner und allgemeinmenschlicher Gotteserfahrung zitiert Ittmann nicht etwa Bekenntnis oder Neues Testament, sondern antikisierende Dichtung und einen Rachepsalm (Ps 94,1) aus dem Alten Testament, zu welchem als ganzem er eher ein zwiespältiges Verhältnis hatte.

7. Geber, Richter und das christliche Bekenntnis von Gott

Ittmanns Erwähnungen und Zitate in diesem Zusammenhang sind auffallend. Sie werden es noch mehr, wenn man sich vergegenwärtigt und in ihren Berichten nachliest, wie wichtig, ja entscheidend für die früheren Basler Missionare vor 1914 die Botschaft von Gottes jüngstem Gericht über alle Menschen war, und daß allein der Glaube an Jesus Christus vor der ewigen Verdammnis erretten kann. Besonders eifrig hatten sie deshalb gesucht, ob es in der vorchristlichen Religion schon irgendeine Vorstellung vom Totengericht gebe, an der sich predigend anknüpfen ließe; aber sie kamen zu keinem klaren Schluß darüber.44 Ittmanns Ergebnis dazu ist eindeutig: die Kameruner wußten von einem himmlischen Richter und einer strafenden Gerechtigkeit, freilich wesentlich auf das hiesige, diesseitige Leben bezogen. Doch als Anknüpfungspunkt für die christliche Verkündigung hat der himmlische Richter für Ittmann durchaus nicht mehr die Bedeutung und den Stellenwert wie für die Missionare vordem. Gott der „Geber“, der Brunn alles Guten hat für ihn an dieser Stelle Vorrang. Der „Geber“ ist konstitutiv in der Gotteserfahrung, der „Richter“ nur noch regulativ. Mit Ittmanns eigener Distinktion könnte man auch sagen: die „Religion“ - die alte wie die neue christliche - hat ihre Mitte beim „Geber“, die „Moral und Ethik“ dagegen beim „Richter“. Im Glauben und in der Hermeneutik der frühen Basler Missionare hatte beides, die Ethik und die Religion, gleichermaßen an Gott und seinem Gericht gehangen; und die „Gabe“, welche sie den Kamerunern verkündigten, war vor allem das ewige Leben, Errettung und Leben nach dem Tode gewesen. Alles übrige: Kinder, Wachstum im Hof und auf dem Feld, war ihnen „Schöpfung“ Gottes - mehr ein denkender Rückschluß als eigentlich Religion. So aber ist es bei Ittmann nicht mehr. Gott der Erhalter als Geber hat den Vorrang; im Glauben wie im Bekenntnis; selbst wenn dieses als christliches nie auf den „Richter“ nach und neben dem „Geber“ verzichten kann. Vermutlich geht man nicht zu weit, wenn man deutet: Ittmann, der selber aus dem eher weltflüchtigen Pietismus hergekommene Missionar, solidarisiert sich hier mit den Kamerunern, die ursprünglich an Gott den nahen „Geber“ glaubten und denen dann von den europäischen Missionaren Gott der himmlische „Richter“, der ihnen wichtiger war, einigermaßen gewaltsam in den Vordergrund gerückt worden war. Insofern hätte auch S.E.Ntoko, der Bakossi-Theologiestudent Ittmann richtig verstanden, wenn er 1977 schrieb: wir müssen wegkommen vom fremden, fernen himmlischen Wesen Diob und zurückfinden zu Muanyame, dem wahren Gott, der den Menschen nahe ist und Gutes tut. Schon bei Ittmann also, nicht erst bei S.E.Ntoko, ist die Kritik, die Distanzierung vom Himmelsgott, der als Loba und Diob der offizielle kirchliche Gottesname wurde, größer als die vom „Geber“, Nyambe in Duala und Muanyame in Bakossi. Und dennoch - hier ist Ittmann bestimmter als Ntoko - der nahe Gott allein tut es auch nicht. Der wahre Gott ist immanent und transzendent. Die Klage der Unangemessenheit bezieht sich auf beide alten Gottesvorstellungen: „Es eignet also keinem der Gottesnamen der Vollinhalt der christlichen Botschaft. Wie wäre dies auch auf dem Boden des Heidentums möglich, aus dem Name und Begriff erwuchsen!“45 Im scheinbar ungebrochenen Reden vom „Heidentum“ drückt Ittmann am Zielpunkt seiner eigenen Forschungen hier das gleiche aus, was er später 1958 in der Tempels-Rezension in die Frage kleidete: ob der alte Gott Vidye der Baluba denn “so ganz identisch mit dem Gott eines christlichen Missionars” sei. Die Folgerung aus der beobachteten Diskontinuität ist bei Ittmann nun aber nicht: also ist der Gott der Kameruner ein anderer als der wahre Gott, sondern vielmehr: also ist eine Wahl zwischen beiden je auf ihre Weise unvollkommenen alten Gottesname nicht möglich. Der wahre Gott ist beides, „Geber“ und „Richter“. Daß er anders, ja „ganz anders“ ist, läßt sich besser durch den Richter- und Himmelsnamen ausdrücken. Ist auch der „christliche Inhalt“ neu, so ist es doch die Grunderfahrung der Diskontinuität, des qualitativen Unterschieds zwischen Mensch und Gott nicht; wie umgekehrt die schon alte zweifache Erfahrung von Gott, daß er Geber und Richter in einem ist, auch die Erfahrung von Christen ist und bleibt. Hier also, vor dem Geheimnis der zweifachen Wirklichkeit Gottes, sind Christen und Altgläubige in Kamerun ein Stück weit solidarisch.

Die Brücke zwischen Ittmanns Deutung der Kameruner Gotteserfahrung und begrifflich ausgeführter christlicher Lehre von Gott könnte in mehreren Richtungen geschlagen werden. Hier sei nur eine, von der damaligen Diskussionslage der evangelischen Theologie und von Ittmanns Anspielung auf das „ganz andere“ nahegelegte, deutlicher benannt. Für die beiden Seiten Gottes hätte Ittmann, wenn er dogmatisch formulierte, wohl auch sagen können, was in den selben Jahren ein evangelischer Theologe lehrte: Gottes Wirklichkeit, Gottes Sein ist das des „Liebenden in der Freiheit“. So schrieb Karl Barth 1940 im zweiten Band seiner „Kirchlichen Dogmatik“ in der Lehre von Gott und stellte dann gezielt die „Vollkommenheiten des göttlichen Liebens“ vor die „Vollkommenheiten der göttlichen Freiheit“, obwohl er über diese viel mehr zu sagen hatte.46 Ittmann würde als Leser wohl überrascht gewesen sein, gerade bei Barth, den er nur als den radikalen Theologen des „ganz anderen“ kennt, die Sprachmittel zu finden für das, was ihn an der Gottesfrage in Kamerun umgetrieben hat. Barth umgekehrt, dies darf hier nicht verschwiegen werden, würde wohl weniger freudig überrascht als vielmehr befremdet, wo nicht entsetzt gewesen sein, wenn man ihm gesagt hätte, daß eben dieser wirkliche, in Freiheit liebende Gott nicht nur von den Christen geglaubt wird, sondern schon von den vorchristlichen Heiden in Kamerun gewußt und erfahren wurde.47 Und doch ist es so. Zwischen beidem: Barths mutmaßlichem Befremden und Ittmanns mutmaßlicher erfreuter Überraschung, bleibt eine letze hermeutische Überlegung zu formulieren. Unsere eigene, also nicht Ittmanns, Voraussetzung und Vorentscheidung dabei ist, daß gerade Barths Lehre von der „Wirklichkeit“, den Eigenschaften Gottes hier hilfreich und geeignet ist, die vorchristliche Kameruner Erfahrung des einen, wahren Gottes deutlicher auf den Begriff zu bringen - in klarer Absage an Barths andere Lehre, daß Gottes Offenbarung in dem Sinne Aufhebung aller Religion und Religionen sei, daß sich in ihnen keine Erkenntnis des wahren Gottes finde. Nicht richtet sich indessen unsere Absage an Barths andere Vorentscheidung, in der Dogmatik zuvor und gleich am Anfang von „Gott“ als dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist zu reden und also mit einem trinitarisch christianisierten Gottesbegriff einzusetzen.48 Hier richtet sich unsere suchende, ja verwunderte und befremdete Frage vielmehr umgekehrt an Ittmann. Der Forscher und Missionar spricht in seinem Vortrag, den er doch vor Missionaren, nicht vor neutralem wissenschaftlichen Publikum gehalten hat, vom „christlichen Gottesnamen“, von dem, was „christliche Botschaft“ und „christliches Bekenntnis“ von Gott meinen. Er sagt aber nicht schlicht und einfach: für uns Christen hat sich Gott in Jesus Christus endgültig gebunden und zu erkennen gegeben; für uns ist Gott der Vater Jesu Christi. Die Frage auch des christlichen Gottesnamens steht für Ittmann sozusagen isoliert und auf sich - sie führt notwendig hinein in die Zweiheit von „Geber“ und „Richter“; sie führt aber nicht zur trinitarischen Wirklichkeit Gottes, welche doch immernoch die deutlichste und tiefste Antwort des „christlichen Bekenntnisses“ auf die Frage nach dem Namen und Wesen Gottes ist. So zu fragen und so kirchlich bekenntnishaft zu antworten hatte Ittmann vermutlich in seiner Ausbildung im Basler Missionsseminar zu Anfang des Jahrhunderts nicht gelernt. Die älteren pietistischen Kamerunmissionare hatten es übrigens auch nicht gelernt, obwohl ihnen, von der Gerichts- und Heilsbotschaft als Begründung der Mission her, Jesus Christus und Gott nicht so weit auseinander fielen wie dann zwischen den beiden Weltkriegen für Ittmann und andere, die sich wie er tiefer in die Erforschung der alten Kameruner Religion einließen.49 Die einheimischen Kameruner Pfarrer der älteren und jüngeren Generation dagegen, sie haben es gelernt. Einige von ihnen wissen darum, wie es lehrmäßig richtig weitergehen muß mit der Aufnahme etwa der beiden alten Gottesnamen in Bakossi. Falsch wäre es hier gewiß zu behaupten: in beiden Namen war Gott schon immer als Vater, Sohn und Geist gewußt; die alte Religion enthielte also ein deutlich lesbares vestigium trinitatis. Gott war so nicht bekannt; vielmehr ist dies das christlich Neue. Richtig aber kann der umgekehrte Schluß vom Ende und vom christlichen Bekenntnis her sein: Gott ist nicht nur, wie die frühen Missionare durch ihre sprachliche Vorentscheidung nahelegten, Diob, der ferne himmlische Richter, sondern er ist auch, im Sohne Jesus Christus, der Mensch wurde, zu unserem Heile den Tod auf sich nahm und auferweckt wurde, das, was in Bakossi die Alten mit Muanyame meinten. In W.M.Abwenzohs Worten: nicht Gott der Vater, wohl aber Jesus Christus der Sohn, kann mit gutem Sinn Muanyame genannt werden: “He then is the real and only intermediary... I would even wish that Jesus be called ancestral spirit, Nyame of the highest rank.”50 Das freilich ist ein neues weites Feld; ein Feld auch, das in verschieden Richtungen über die eigentliche Gotteslehre hinausführt, und in tiefgründigen spekulativen Inkulturationen von „Christ as our Ancestor“ die Afrikanische Theologie insgesamt - und derzeit vielleicht mehr noch die katholische als die evangelische - in Spannung hält.51 * Bei Ittmann, so meinten wir beobachten zu müssen, geraten in der intensiven beteiligten Einlassung mit Gott dem „Geber“ und „Richter“ in der vorchristlichen Kameruner Religion auf der Seite des christlichen Bekentnisses, welches allein die christliche Mission in Afrika begründet und rechtfertigt, Gott und Jesus Christus zu weit auseinander. Sie finden nicht mehr recht zueinander - so wie bei Bruno Gutmann „urtümliche Bindungen“ und „Gottesbewußtsein“ und wie bei Ittmann auf anderer, methodischer Ebene „Vorstellungen“ und „Gebräuche“ in der Religion nicht mehr zusammenfinden. Doch auch diese theologische Kritik an einem großen Missionar darf nicht überspitzt werden. Ittmanns so einseitige Konzentration auf das christliche und vorchristliche Geheimnis Gottes des Gebers und Richters steht im engen Zusammenhang mit dem, was zu seiner Zeit die christliche Mission aller Kirchen in Afrika vernachlässigten und wofür Ittmann mit seiner zurückhaltenden, bedächtigen Art nicht anders kämpfte als der flämische Franziskaner Placide Tempels: für mehr Solidarität zwischen Christen und afrikanischen „Heiden“ vor Gott, der über beide hinaus und doch - nach Apg 17,27 - beiden „nicht fern“ ist. Was Ittmann als Forscher und Lehrer systematisch zu formulieren nicht gelang: nämlich diese Solidarität einerseits und das andere, Neue der christlichen Botschaft für Afrika andererseits, das hatte er im übrigen in den Schlußsätzen des Vortrags 1939, die in der späteren „Anthropos“-Fassung, wohl der distanzierteren Wissenschaftlichkeit zuliebe, wegfielen, als eigene missionarische Erfahrung recht verständlich zusammengefaßt: Loba in Duala und Diob in Bakossi, einmal gewählt, werden, so sagte er, die offiziellen christlichen Gottesnamen bleiben; „Das Unzulängliche aber, das dem Namen anhaftet, will uns allezeit zweierlei vor Augen halten: All unser Wissen ist Stückwerk, und: Werdet nicht müde, diesen Namen und noch mehr die Herzen der Kameruner zu füllen mit der Erkenntnis des Vaters unseres Herrn Jesus Christus, der durch ihn auch unser und des schwarzen Volkes Vater ist.“52 Auch heute, drei Jahrzehnte nach Johannes Ittmanns Tod, gilt noch eben dasselbe im endlichen menschlichen Leben nicht überspringbare „Zweierlei“ und will von Missionaren wie von einheimischen Pfarrern und Theologen bedacht sein. Hinzuzufügen ist in veränderter Zeitlage wohl nur dies, daß wir auch bei uns, bei den europäischen Zeitgenossen daheim, wo diese Erkenntnis eher zu verblassen droht als als in Afrika, nicht müde werden sollen zu bezeugen: durch Jesus Christus will dieser Gott - immernoch und auch heute - aller Menschen Vater sein.

Anmerkungen

1 W.M.Abwenzoh, God in African Traditional Religion and in the Old Testament. Similarities and Differences and the Christian View Point. Thesis, Nyasoso 1978 (masch.), 1f. 2 AaO, 75. Vgl auch u. Anm 50. 3 S.E.Ntoko, The Traditional Concept and Name of God in Bakossi: A Test Case to African Theology and Barthian Dogmatics. Thesis, Nyasoso 1977 (masch.); Zitat aus der Zusammenfassung für die mündliche Defense of Thesis am 24.6.1977. 4 J.Ittmann, Der Gottesname in Bakossi: Diob oder Muanyame, Bericht an die Heimatleitung in Basel vom 16.März 1931, 14 S., masch. Ittmann beschreibt und deutet dort 2f ausführlich das Präfix Mua- in Muanyame, weiß aber, daß die einfache Form Nyame, die dem Nyambe beim Küstenstamm der Duala genauer entspricht, in Akoose auch gebraucht wird. 5 Vgl hierzu vor allem die knappe Biographie und das ausführliche „Verzeichnis der Veröffentlichungen von Johannes Ittmann“ von E.Kähler-Meyer in Afrika und Übersee Bd 47, 1963, 1–8, veröffentlicht aus Anlaß seines Todes am 15.6.1963. Nachzutragen ist zu der Bibliographie im wesentlichen nur: J.Ittmann, Wörterbuch der Duala-Sprache, bearb. und hgg. v. E.Kähler-Meyer, Berlin 1976. Eine bemerkenswerte Ausnahme auf religionswissenschaftlicher Seite ist E.Dammann, der in Die Religionen Afrikas, Stuttgart 1963 (Die Religionen der Menschheit Bd 6) vielfältig auf Ittmanns Forschungen, einschließlich der großen unveröffentlichten Manuskripte rekurriert. Auf Dammanns Systematik und seine Darstellung des „Höchsten Wesens“ in afrikanischer Religion wirkt sich das Gespräch mit Ittmanns Deuteansatz jedoch nicht aus. 6 H.Witschi, Geschichte der Basler Mission, Bd 5: 1920–1940, Basel 1970, 401f. 7 Als wichtigster neben Ittmann ist hier H.Nicod (1897–1986), ein Schweizer Missionar der Pariser Mission in Kamerun zu nennen, der sich ebenfalls mit seinem positiven Interesse an der Kameruner Religion unter den jüngeren Missionaren und Missionsinspektoren in den dreißiger Jahren als fast isoliert entdeckte; vgl u., Anm 49. 8 I am the Lord your God! Catechism of the Presbyterian Church in Cameroon, Buea 1973, 3. 9 J.Ittmann, Mond und Monate im vorderen Kamerun, in Anthropos Bd 48, 1953, 389–395. - Gottesvorstellung und Gottesnamen im nördlichen Waldland von Kamerun, Bd 50, 1955, 241–264. - Der Geheimbund djengu an der Kameruner Küste, Bd 52, 1957, 135–176. - Orakelwesen im Kameruner Waldland, Bd 55, 1960, 114–134. - Von den Grundlagen der Welt- und Lebensanschauung in Süd-Kamerun, Bd 58, 1963, 661–676. Unterlagungen darüber, wie die Verbindung Ittmanns zum Anthropos zustande kam, finden sich in der Redaktion in Sankt Augustin derzeit keine mehr, wie P. K.Piskaty SVD mir mitteilt (Brief vom 8.8.1992). 10 Mein Dank geht hier besonders an Dr.F.Raaflaub, Ittmanns Nachfolger als Präses in Kamerun und dann von 1951–1976 Afrika-Sekretär der Basler Mission, sowie an Pfr. E.Renz, Afrika-Sekretär 1976–1981 und an P.Jenkins, den Archivar der Basler Mission. 11 H.Balz, Where the Faith has to Live. Studies in Bakossi Society and Religion, Part I, Basel/Stuttgart 1984. Eine erste zusammenhängende Ittmann-Deutung für Kameruner habe ich versucht in: J.Ittmann‘s Manuscripts on Cameroonian Religion: Raw Material for a Cameroonian Theology? Thursday Evening Lecture in the Nyasoso Theological College 3/6/1976 (masch.). 12 S.o. Anm 9. 13 Pl.Tempels, La Philosophie Bantoue, frz. Paris 1945, dt. Bantu-Philosophie. Ontologie und Ethik, Heidelberg 1956. 14 Eine sehr knappe Anzeige der deutschen Übersetzung - mit Hinweis auf anderwärts erschienene ausführliche Rezensionen - von Tempels‘ Buch findet sich in Anthropos Bd 52, 1957, 999f. 15 Besprechung in Afrika und Übersee, Bd 42, 1958, 135–138. 16 AaO, 135. 17 AaO, 138; die folgenden Zitate ebendort. 18 Dokumentiert vor allem in Tempels‘ selbstkritischem Rückblick in Colloque sur les religions Abdijan 1961, Paris 1962. 19 Eindeutige Gutmann-Anklänge sind schon 1931 in Ittmanns unveröffentlichtem Aufsatz zu den Gottesnamen der Bakossi (o. Anm 4) zu finden. Zur Einführung in Gutmanns Werk vgl E.Jaeschke, Gemeindeaufbau in Afrika. Die Bedeutung Bruno Gutmanns für das afrikanische Christentum, Stuttgart 1981; zur ethnologischen Einschätzung: J.C.Winter, Bruno Gutmann 1876–1966. A German Approach to Social Anthropology, Oxford 1979. 20 Beide im Ev.Missionsmagazin (inskünftig abgek.= EMM) 80, Heft 1, Januar 1936: K.Hartenstein, Heidentum und Kirche, 5–15; J.Ittmann, Urtümliche Bindungen und Volksordnungen im vorderen Kamerun, 16–30, fortgesetzt in H.2, 37–52; das folgende Ittmann-Zitat 16f. Direkte Auseinandersetzung oder Polemik wird von beiden Autoren sorgfältig vermieden. 21 Mein eigener, allzu knapper und darum mißverständlicher Hinweis auf Gutmann und Ittmann in H.Balz, In und zwischen den Kulturen, in F.Baumann (Red.), Kein Vogel fliegt mit einem Flügel. 12 Skizzen zu 175 Jahren Basler Mission, Basel 1990, 32–39, hier: 35f, machte diesen Unterschied nicht. Für die Richtigstellung danke ich Frau T.Schmidt, der Tochter J.Ittmanns (Brief vom 17.9.1990). 22 J.C.Hoekendijk, Kirche und Volk in der deutschen Missionswissenschaft. Bearbeitet und herausgegeben v. E.-W.Pollmann, München 1967, 172, Anm 129. Hoekendijks Dissertation war im holländischen Original 1948 in Amsterdam erschienen. Was Ittmann am Völkischen in Deutschland beeindruckte, war, wie insbesondere in einem Aufsatz über Kameruner Geheimbünde 1936 (in EMM 80,305–311 und 332–342) bezeugt, ein tiefes Gemeinschaftserlebnis. Darüber, wann Ittmann sich endgültig vom Völkischen im nationalsozialistischen Sinne losgesagt hat, gehen begreiflicherweise die Meinungen und Erinnerungen der Zeitzeugen immer noch auseinander. Es scheint, daß Ittmann nach dem Kriege Schweizern gegenüber hier unbeugsamer und weniger selbstkritisch auftrat als unter Deutschen. Wichtig zum Verständnis scheint mir die Erinnerung von Pfr. Dr.med. K.Munchheimer, der 1940 als junger deutscher Missionsarzt von Nigeria wie Ittmann von Kamerun in die britische Internierung nach Jamaika kam und sich dort mit ihm befreundete: früher schon als er selber habe Ittmann erkannt, daß dieser Krieg von Deutschland nur verloren werden könne. 1945, unmittelbar nach Kriegsende, habe Ittmann in einer Predigt über Jesaia 40,12–18 bewegt und bewegend darüber gesprochen, „was uns in unserer Lebenszeit an Großem schon zusammenbrach“ und den Glauben umso mehr auf das allein Bleibende, Unerschütterliche zurückwerfe. Mitgeteilt in einem Gespräch in Kumba/Kamerun am 3.2.1980; Munchheimer lebte von 1948 bis zu seinem Tode 1982 in Rio Dell/California. 23 B.Gutmann, Die Gottesfrage zwischen Schwarz und Weiß. Vortrag auf der Brandenburgischen Missionskonferenz, 16 S., Berlin 1942. 24 J.Ittmann, Gottesvorstellung und Gottesnamen im vorderen Kamerun. Referat, gehalten auf der Generalkonferenz zu Buea im November 1939. Berichte aus dem Missionsfeld Nr.190, Basel Juli 1940, hektographiert, 19 S. Eine stark gekürzte Fassung erschien unter gleichem Titel im EMM 84, 1940, 137–150. Zur späteren endgültigen Anthropos-Fassung s.u., Anm 32. 25 E.Johanssen, Geistesleben afrikanischer Völker im Lichte des Evangeliums, München 1931. 26 Ittmann, Geistiger Volksbesitz, 150. W.Schmidt, Ursprung und Werden der Religion. Theorien und Tatsachen, Münster 1930, bes. 277–280. 27 Ittmann, Geistiger Volksbesitz, Einführung, S. IV. 28 Zur Inanspruchnahme Tempels‘ durch eine unabhängige kirchliche Bewegung im südlichen Zaire s. W. de Craemer, The Jamaa and the Church. A Bantu Catholic movement in Zaire, Oxford 1977. 29 Ittmann, Die Religion im vorderen Kamerun, 119–127: „Das Gottesbewußtsein der Kameruner“. 30 AaO, 178. 31 Dies wird inhaltlich ausgeführt werden in H.Balz, Where the Faith has to Live. Part II. Vgl auch ders., Ndie, das Dorfahnenfest der Bakossi. Probleme des Dialogs mit der Religion einer schriftlosen Kultur, in BThZ 7, 1990, 260–285. 32 S.o., Anm 24. Neu gegenüber der 1940 in Basel vervielfältigten Fassung ist die geographische Präzisierung des Titels: „Gottesvorstellung und Gottesname im nördlichen Waldland von Kamerun“ statt ursprünglich „im vorderen Kamerun“. Die übrigen Veränderungen sind kleinere Zusätze und Streichungen, von welchen nur eine, weiter unten noch zu behandelnde, von theologischem Gewicht ist. 33 Ittmann, Gottesvorstellung (1955), 242–253. 34 AaO, 253–261. 35 Erstmals eingeführt im ersten Satz des dritten Vortragsteils „Der christliche Gottesname“ (aaO, 261–264), 261: „Nach dem vorstehenden sah man ursprünglich in der Ahnengottheit den ‚Geber‘, in loba oder Loba den ‚Richter‘.“ 36 AaO, 264. 37 Ittmann, Geistiger Volksbesitz, 141f. 38 Ittmann, Gottesvorstellung (1955), 262f. 39 AaO, 244. 40 Im Evangelischen Kirchengesangbuch, Ausgabe von 1953 (381988) Nr. 230. Ittmann zitiert offensichtlich aus dem Gedächtnis. Die zweite Liedstrophe lautet richtig: „Ich weiß, daß du der Brunn der Gnad/ und ewge Quelle seist, daraus uns alle früh und spat/ viel Heil und Gutes fleußt.“ Eine Anspielung Gerhardts auf M.Luthers Formulierung in Großen Katechismus 1529 zum Ersten Gebot, daß Gott „ein ewiger Brunnquell ist, der von lauter Güte überfließt und von dem alles, was gut ist und gut heißt, ausströmt“, ist denkbar, aber nicht notwendig. 41 Ittmann aaO, 254. Möglich wäre auch die Anspielung auf R.Otto, bei dem schon seit 1917, also vor Barth, das „ganz andere“ in der Erfahrung des Heiligen von Bedeutung ist. Doch sie ist unwahrscheinlicher, da von Otto sonst keine spuren in Ittmanns Schriften erkennbar sind und da jedenfalls den Hörern von 1939 der Barth des „Römerbriefs“ von 1922 eine nähere Vorstellung war. 42 AaO, 262. 43 AaO, 260. 44 Dies ist den Berichten der Missionare in Bakossi-Gebiet von 1896–1908 W.Basedow, H.Dorsch und J.Gutekunst zu entnehmen; vgl bes. J.Gutekunst, Am Fuße des Kupe. Skizzen über Land, Leute und Missionsarbeit im Nkosiland in Kamerun, Basel 1913, 35–39 und 46f. 45 Ittmann aaO, 262. 46 K.Barth, Kirchliche Dogmatik II/1, Die Lehre von Gott, Zollikon (1939) 41958, Kap. 6: Die Wirklichkeit Gottes, 288–764. Vergleichs- und Anknüpfungspunkt zur Erhellung von Ittmanns Thema ist bei Barth die der Tradition gegenüber ungewöhnliche Vorordnung der Vollkommenheiten des göttlichen Liebens (§ 30) vor den Vollkommenheiten der göttlichen Freiheit (§ 31), nicht die inhaltliche Ausführung beider. Die genauere Zuordnung und Unterscheidung von liebendem Gott und Geber einerseits, freiem Gott und Richter andererseits, bedürfte anderer, hier nicht auszuführender Zwischenschritte. 47 Dies wäre zu belegen an Barths irritiertem Exkurs zum japanischen Jodo Shin - Buddhismus und seiner scheinbaren Nähe zu reformatorischem Gnadenverständnis: „Man denkt unwillkürlich an die Zauberer des Pharao, Ex 7, die mindestens die Wunder Aarons, der immerhin Mose Bruder war, auch zu tun vermochten...“ K.Barth, Kirchliche Dogmatik I/2, (1938) 51960, 372–377, Zitat 375f. 48 Kirchliche Dogmatik I/1 (1932) 81964, §§ 8–12: Der dreieinige Gott, 311–514. 49 Wichtigster Vergleichspunkt ist hier H.Nicod von der Pariser Mission (o. Anm 7), der die vorchristliche Gotteserkenntnis des Kameruner Küstengebiets in seinem Buch La vie mysterieuse de l‘Afrique noire, Lausanne 1943, konsequent unter „le mystère du Créateur“ behandelt (16–33), ohne einen Bezug zum zweiten christlichen Glaubensartikel zu suchen. Vom offensichtlich agnostischen Verfasser der Préface zu seinem Buch, dem Professor E.Pittard, wird ihm dafür das Lob zuteil: „Ici, dans l‘œuvre de M.Nicod, toute théologie chrétienne étant momentanément oubliée, l‘enquête est objective“ (6). 50 W.M.Abwenzoh (o.Anm 1), 75. Die besondere Seite der „Menschlichkeit“ und damit Todunterworfenheit Muanyames kommt in Ittmanns Zweiheit „Geber - Richter“ nicht so deutlich zum Zuge und hat ihn wohl auch theologisch weniger beschäftigt. Gleichwohl weiß er von ihr, zumindest in dem Sinne, daß menschlicher Urahn und Ahnengottheit in der gelebten Frömmigkeit oft ununterscheidbar waren: aaO, 244 und passim. 51 Vgl hierzu besonders C. Nyamiti, Christ as our Ancestor, Gweru (Zimbabwe) 1984. Während Nyamitis frühere methodologische Essays den afrikanischen und westlich protestantischen Kritikern zu „scholastisch“ und thomistisch waren, findet nun sein christologischer Entwurf in Deutschland keinen Übersetzer - offenbar, weil er den katholischen Verlagen zu afrikanisch geworden ist. 52 Ittmann, Gottesvorstellung und Gottesnamen im vorderen Kamerun, hektogr. Fassung von 1940 (o. Anm 24), 17. „Unser Wissen ist Stückwerk” spielt auf 1­Kor 13,12 an, der „Vater Jesu Christi und allen Volkes“ auf Eph 3,14.

Der voranstehende Aufsatz ist unter Auslassung der kleiner gedruckten Absätze veröffentlicht in: Verbi praecones. Festschrift für P. Karl Müller SVD zum 75. Geburtstag. Herausgegeben von Kurt Piskaty und Hort Rzepkowski. Nettetal: Steyler Verlag, 1993 (Studia Instituti Missiologici Societatis Verbi Divini; Nr. 56), S. 253–277 Adresse des Autors: Heinrich Balz, Ostpreußendamm 170e, 12207 Berlin, Tel. 030 / 771 70 57

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