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Band 1 |
Zu Ittmanns Werken
Heinrich Balz
Peter Anhalt
A. M. Selignow
A. M. Selignow
Band 2 |
Geistiger Volksbesitz
Band 3 |
Religion im v. Kamerun

Zu Johannes Ittmann‘s „Religion im vorderen Kamerun“

Peter Anhalt

Inhalt

1. Einleitung
2. Kurze biographische Notizen zu Johannes Ittmann (1885–1963)3
3. Johannes Ittmann „Die Religion im vorderen Kamerun“5
4. Zur Wirkungsgeschichte der RVK
5. Die „Religion im vorderen Kamerun“ in ihrer Bedeutung im Gesamtwerk Ittmanns
6. Schluss
7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Anlässlich der Eröffnung der neugestalteten Ausstellung „Afrika. Kunst und Kultur“ im Völkerkundemuseum Berlin Dahlem am 23. 09. 1999 besuchte König Ngum III. Ebfon von Oku aus Kamerun Berlin. Er hielt die Eröffnungsrede und war wenige Tage später Teilnehmer einer Gesprächsrunde zum Thema „Leben in Kamerun - Tradition und Moderne“. Ngum III. bildet gemeinsam mit einer Geheimgesellschaft, deren wichtigste Mitglieder die Oberhäupter von etwa 60 Großfamilien sind, die traditionelle Regierung. Wenn auch heute der König kaum noch politische Instanz ist, so ist er aber immer noch die überragende Persönlichkeit seines Volkes und oberster Führer aller Gesellschaften, zu deren Geheimnissen er jeden Zugang hat. Aber Ngum III. ist nicht nur traditioneller König, sondern auch christlicher Theologe, der in den USA studiert hat und Executive Secretary der Baptisten-Kirche von Kamerun war.

Ich halte es für einen interessanten Zufall, dass zu dem Zeitpunkt, als ich meine Diplomarbeit verfasste, auf der dieser Aufsatz basiert, auch diesem Kameruner Theologen und traditionellen König begegnete und ich frage mich seitdem, was wohl Johannes Ittmann, mit dem ich mich schon seit geraumer Zeit beschäftige, heute zu so einem Mann wie Ngum III. sagen würde. Hätte er diese Entwicklung gewollt? Wäre diese Verbindung von Tradition und Christentum das, was Ittmann unter in Kameruner Form gegossenes Evangelium verstand (Ittmann RVK, S. 301)? Oder wäre er eher der Meinung gewesen, der „gute Magen“ des „auf Synkretismus angelegte[n] Heidentum[s]“ (Ebd.) hätte sich hier zuviel einverleibt?

Ich glaube, dass dies die wesentlichen Fragen sind, die den Missionar Johannes Ittmann Zeit seines Lebens beschäftigt haben: Wie bringt man das Evangelium nach Kamerun, wie weit passt man es an die dortigen Lebens-, Denk- und Glaubensformen an, wo kann man „anknüpfen“, was muss man ablehnen. Dass man aber bei den Kamerunern „anknüpfen“ muss, davon war Ittmann, entgegen anderen Strömungen der evangelischen Theologie, immer überzeugt. Deshalb sammelte er auch so umfassend religionsethnologisches Material und beschäftige sich intensiv mit den Kameruner Sprachen. Er wollte „seine“ Kameruner verstehen. Dabei stand er sich mitunter selbst im Wege, war das Andere ihm doch teilweise so sehr fremd, als dass er es hätte akzeptieren können.

Einen wesentlichen Einblick in sein Denken und Ringen bietet das bis jetzt unveröffentlichte, sehr umfangreiche Manuskript „Die Religion im vorderen Kamerun“1 , das er 1943–1946 während seiner Internierung auf Jamaika schrieb. Dieses Werk, an deren Edierung ich seit Oktober 1998 gearbeitet habe, soll im Mittelpunkt dieses Aufsatzes stehen. Beginnen werde ich mit biographischen Notizen zu Ittmann, sofern sie für das Verständnis seiner Person von Bedeutung sind. Um der Systematisierung der RVK auf die Spur zu kommen, habe ich versucht, die verschiedenen Facetten dieses Mannes gesondert zu betrachten, um so herauszuarbeiten, von welchen Motiven er besonders geleitet wurde. Dabei wird versucht nachzuweisen, dass Ittmann sich vor allem von seinem missionarischen Anspruch leiten ließ.

In einem kürzeren Einschub wird die Rezensionsgeschichte der RVK anhand von E. Dammanns „Die Religionen Afrikas“ deutlich gemacht.

Schließlich soll noch auf die Bedeutung der RVK in Ittmanns Gesamtwerk eingegangen werden. Dabei musste aus dem sehr umfangreichen Schrifttum ausgewählt werden, so dass ich mich auf die Entwicklung von mir wesentlich erscheinenden Punkten in Ittmanns Denken und Glauben konzentrieren werde, welche ich zuvor in der RVK herausgearbeitet habe.

In meiner Bewertung von bestimmten Aussagen Ittmanns, die heute schwer erträglich erscheinen, habe ich im September von Ngum III. eine wichtige Anregung erhalten. Für ihn „...gehören auch die Deutschen zu unseren Vorvätern...“ und er möchte „...uns daran erinnern, dass wir sehr vorsichtig und zurückhaltend mit Aussagen und Urteilen über vergangene Zeiten und Generationen sein müssen. Unsere Väter und Vorväter hatten nicht die Möglichkeit aus dem Erfahrungs- und Wissensschatz zu schöpfen, der uns heute zur Verfügung steht“2. Bei allen mir nötig erscheinenden kritischen Einwänden über bestimmte Äußerungen und Meinungen Ittmanns hoffe ich, diese Leitlinie nicht vergessen zu haben.

2. Kurze biographische Notizen zu Johannes Ittmann (1885–1963)3

Johannes Ittmann, der unter kleinbürgerlichen Verhältnissen in Groß-Umstadt/Hessen aufwuchs und aus pietistischen Erweckungskreisen kam, absolvierte eine Ausbildung zum Notariatsgehilfen, bevor er 1904 in das Basler Missionsseminar eintrat. Nachdem er 1911 noch eine kurze Zeit bei Meinhof in Hamburg Duala lernte, ging er im selben Jahr als Schulleiter nach Kamerun, wo er bis zum Ausbruch des I. Weltkrieges blieb. Nach Jahren im Pfarrdienst in Hessen kam er 1927 wieder nach Kamerun, diesmal als Schulinspektor und blieb, von einigen kürzeren Unterbrechungen abgesehen dort, bis er im Zuge des II. Weltkrieges 1940 auf Jamaika interniert wurde. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland 1946 wurde er von Basel zwangspensioniert, zum einen wegen seiner Mitgliedschaft in der NSDAP und zum anderen wegen dem Durchbruch der dialektischen Theologie, die den von ihm vertretenen Missionsansatz der „Anknüpfung“ vehement ablehnte.

So arbeitete er bis 1957 als Pfarrverwalter in Groß-Umstadt und verbrachte anschließend seine letzten Lebensjahre bei einer Tochter in Mainz, wo er 1963 starb, ohne die ihm angetragene Ehrendoktorwürde noch in Empfang nehmen zu können.

Von 1920 bis zu seinem Tode veröffentlichte Ittmann eine Vielzahl von Aufsätzen mit religionsethnologischen, linguistischen, religionswissenschaftlichen und missions-wissenschaftlichen Inhalten. Die Zeit der Internierung nutzte er für die Verfassung dreier großer Werke: „Geistiger Volksbesitz der Kameruner im Blickfeld des Missionars“ (GVK), das hier zu besprechende „Die Religion im vorderen Kamerun“ sowie ein verschollenes Werk über die Kosi.4

3. Johannes Ittmann „Die Religion im vorderen Kamerun“5

3.1. Einleitendes

Ittmann gliedert sein Werk in 3 Teile und einen Anhang. Die ersten beiden Teile beschäftigen sich mit den „Religiösen Vorstellungen“ (Erster Teil, S. 1–127) und den „Religiösen Gebräuchen“ (Zweiter Teil, S. 128–278). Im dritten Teil (S. 279–299) reflektiert Ittmann über „Religion, Moral und Ethik“ in Kamerun, um schließlich in einem Anhang (S. 300–306) über die Beziehung von „Kameruner Religion und Evangelium“ nachzudenken.

Um Ittmanns Systematisierung auf die Spur zu kommen, erschien es mir, wie schon erwähnt, sinnvoll zu versuchen, die verschiedenen Aspekte und Facetten dieses Mannes zu trennen und einzeln anzuschauen. Im ersten Teil soll dazu vor allem der Ethnologe und Sprachenforscher Ittmann befragt werden, der ja in RVK sein umfangreiches gesammeltes Material in eine zusammenhängende Form bringt. Dieser soll hier nachgegangen werden, indem der Inhalt der „Religiösen Vorstellungen“ und die „Religiösen Gebräuche“ dargestellt wird.

In einem zweiten Teil soll der Religionswissenschaftler Ittmann beleuchtet werden, der sich durch das ganze Buch hindurch mit verschiedenen Theorien auseinandersetzt. Dabei haben einige davon Einfluss auf die Systematisierung seines Werkes gehabt. Gerade dieses Kapitel stellt eine Spurensuche da, da Ittmann so gut wie nie deutlich macht, mit welchen Quellen er sich auseinandersetzt.6

Schließlich soll es in einem dritten Teil um den Missionar Ittmann gehen, der m. E. die stärkste Kraft in diesem Menschen ist. Es soll gezeigt werden, dass von Ittmanns missionarischem Denken her letztlich Ziel und Aufbau der RVK zu verstehen sind.

3.2. Der Ethnologe und Sprachenforscher - Teil 1 und 2 der RVK

Ittmann war während seiner Jahre in Kamerun ein unermüdlicher Sammler linguistischen und ethnologischen Materials. Er war bekannt dafür, dass er, wann immer es sich ergab, die Kameruner über ihre Vorstellungen, Gebräuche, Märchen und Sagen u. ä. befragte.7

Nachdem er bis zu seiner Internierung schon eine Vielzahl von Aufsätzen mit gesammelten Material veröffentlicht hatte, nutzte er die Zeit seines unfreiwilligen Jamaikaaufenthaltes u. a. dazu, dieses Wissen in eine Gesamtform zu bringen, die uns mit dem umfangreichen Manuskript über „Die Religionen der Völker Kameruns“ vorliegt.

Wie schon erwähnt, machen diese ethnologischen und linguistischen Betrachtungen den größten Teil des Werkes aus. Diese gliedert er in „Religiöse Vorstellungen“ und „Religiöse Gebräuche“.

Dabei betont er gleich zu Anfang, dass er versucht, bei seinen „...Beobachtungen wie bei der Niederschrift möglichst unvoreingenommen zu sein“. Er will das Vorhandene „sehen“ und „hören und nach gewonnener Erkenntnis...deuten“. {1} Inwieweit ihm das gelingt, wird zu überprüfen sein.

3.1.1. „Erster Teil: Religiöse Vorstellungen“

3.1.1.1. „I. Vorstellungen über die sinnlich wahrnehmbare Welt (Weltbild)“ {1–47e}

Die Struktur des ersten Abschnittes hat Ittmann mit großer Wahrscheinlichkeit von dem Schweizer Missionar und Ethnologen Henri A. Junod übernommen.8 Dieser hatte im 2. Band seines Werkes unter dem Thema „Religious Life and Superstitions“ das 1. Kapitel mit „Conceptions of the Thongas regarding Nature and Man“ überschrieben. Ittmann übernimmt die Unterteilung Junods größtenteils wörtlich, benutzt sie gleichsam als Schablone und füllt diese mit seinem Material aus Kamerun.

In dieser ersten Einheit beschäftigt sich Ittmann, worauf ja schon die Überschrift hindeutet, mit dem Denken der Kameruner über die sinnlich wahrnehmbare Natur und Welt. Dieses Kapitel ist relativ kurz gefasst, was damit zusammenhängen dürfte, dass das Welt- und Menschenbild der Kameruner für Ittmann kaum zu trennen ist von den religiösen Vorstellungen, da fast alles im Leben der Kameruner mit Macht, Geheimnisvollem, Dämonen oder Göttlichem behaftet ist.

Ittmann beginnt mit dem „...tiefste(n) Denken der Kameruner...“, dem Glauben an Nyambe, den „Wirker“, über den hinaus es keinen Schöpfer gibt und auf den die ganze Schöpfung, d. h. „...die historische und die permanente...“, zurückzuführen ist. Dieser „Wirker“, den Ittmann auch „Urkraft“ nennen kann, ist „...die im Fruchtbarkeitskult verehrte Gottheit“. Allerdings glauben „manche Kameruner“ auch, dass die Ahnengeister „...den Inhalt des Alls gemacht hätten...“.{1} Und schließlich kann man dieser „Schöpferkraft“ neben Nyambe für den „Wirker“ und bedimo für die „Schattengeister“ auch noch „leicht“ den Namen Loba „Himmelsgott“ geben. {2} Ittmann führt das an dieser Stelle nicht weiter aus, verweist aber auf spätere Stellen.

Die Welt als Ganzes stellen sich die Kameruner in einer dreifachen Schichtung vor. In der Mitte, auf der Erdoberfläche, befindet sich die „Welt der Sichtbarkeit“. Darunter, also unter der Erdoberfläche, findet man die für die Kameruner so bedeutsame „Totensiedlung, Hades“, den Sitz der Ahnen, die dort quasi in einer Parallelwelt leben. Die obere Schicht schließlich ist der Himmel, Sitz der Himmelsmenschen. {2}

Himmel und Hades schließlich sind Ort des ndimsi „Übersinnlichen“ {2}, die beide intensiv auf die Welt der Sichtbarkeit einwirken.

Ittmann steigt nun in seiner Beschreibung der sichtbaren Welt von oben herab, d. h. er beginnt mit der Kameruner Astronomie (Himmel, Sonne, Mond, Monate, Tag...), geht weiter zu den kosmographischen und meteorologischen Erscheinungen (Gewitter, Blitz, Donner, Regenbogen...) und „landet“ schließlich auf der Erdoberfläche mit der Beschreibung der Kameruner Vorstellungen über die Geographie, die anorganische Welt (Wasser, Feuer, Steine...), die Flora und Fauna.

Wenn Ittmann dabei feststellt, dass, z. B. bei der Pflanzenwelt, „...der Kameruner bei seinem Einteilen von unserem wissenschaftlichen Klassifizierungsprinzip ab[weicht]“, so betont er doch, dass der Kameruner zumindest „...den Vergleich mit dem ungeschulten Europäer aus [hält]“. {21}

Ausführlich geht Ittmann auf die ausgeprägten Kameruner Vorstellungen bezüglich der Tierwelt ein. Wenn auch hier bei den Kamerunern wissenschaftliche Kenntnisse nicht zu erwarten sind, so sind die Vorstellungen doch vielgestaltig, da sich die Kameruner „...dem Tiere näherstehend als wir“ {29} fühlen. Dies liegt nicht nur an der engeren Lebensgemeinschaft zwischen Mensch und Tier, sondern auch an den Vorstellungen über Menschen und (große) Tiere: beide haben den gleichen Besitz des mbaki (eine Art schädigende Kraft, ein „Bann, Fluch, Schuld“, die als „Anhängsel“ auf den übergeht, der einen Menschen oder ein – großes – Tier tötet und ihn dadurch schädigt {58}); Menschen- und Tierseele sind also in gewisser Weise „konform“, so dass der Mensch sich die Kräfte des Tieres in magischer Weise aneignen kann {29}.

Dabei haben die Kameruner die Vorstellung einer noch engeren vorzeitlichen Gemeinschaft zwischen Mensch und Tier, worauf in vielen Märchen angespielt wird. {30, Note 1}

Im zweiten Teil dieser Einheit beleuchtet Ittmann nun die Vorstellungen bezüglich des Menschen. Er beginnt mit der ausführlichen und gut lesbaren Wiedergabe einer Vielzahl von alten Sagen und Erzählungen, z. B. über den Ursprung des Menschen, den Grund der Trennung des „Wirkers“ von den Menschen, die Ursache des Todes, der Beschwerlichkeit des Erdenlebens u. a. m. Dabei stellt das Problem von Leben und Tod „d a s Problem der Kameruner“ dar, warum auch „all ihr Sinnen und okkultes Unternehmen...auf Beseitigung des Todes und auf Erhaltung des Lebens gerichtet...“ ist. {32}

Betreffs des Wissens über den anatomischen Aufbau des menschlichen Körpers urteilt Ittmann ähnlich wie bei der Kameruner Einteilung von Flora und Fauna. Wenn die Kameruner auch vieles benennen können, so herrscht bei ihnen doch große Unkenntnis, „will man...Genaueres über den Aufbau oder die inneren Funktionen des Körpers hören...“. Allein „...ist das bei uns anders, wo anschaulicher Schulunterricht fehlt?“. {39c}

Wenn nun schon die anatomischen Kenntnisse in Kamerun ungenügend sind, so liegen erst recht die physiologischen ...im Dunkeln“ und sind von daher in besonderer Weise mit Aberglauben behaftet und bilden „...den Hintergrund von einer Menge magischer und kultischer Handlungen“. Ittmann erachtet aber den Einblick in dieses System als eminent wichtig, ist doch ohne ihn „...das Denken, Glauben, Handeln des Kameruner nicht zu verstehen“. {40} So erläutert er im Folgenden anschaulich die diversen Anschauungen, u. a. zu den Altersstufen, den Unreinheitsperioden, der Sexualität, der wichtigen Rolle von menschlichen Absonderungen und Abfallstoffen.

Nach der Abhandlung des Körpers kommt er dann zu den Kameruner Seelenvorstellungen. Obwohl gewisse Seelenkräfte im Körper bzw. in verschiedenen Körperteilen ihren Sitz haben, haben die Kameruner doch auch eine ganz konkrete Vorstellung von einer Seele als Ganzes, für die er im weiteren die Duala-Bezeichnung mudi benutzt. Diese Lebensseele kann den Menschen auf dreifache Art verlassen: unwillkürlich (z. B. in Träumen), absichtlich (wer die Macht dazu hat) und gezwungenermaßen (sie kann geraubt werden). {44f.} Die Lebensseele ist also beliebter Spielplatz allerlei okkulter und magischer Mächte und Kräfte.

Fazit der Seelenvorstellungen ist, „...dass der primitive Kameruner den Menschen als ein Doppelwesen betrachtet: Der Mensch ist Teilhaber an der Sinnenwelt und der unsinnlichen Welt“. {46}

Ittmann stellt dann die Grundsätze auf, mit denen der Kameruner denkt, „...wenn auch kein Eingeborener sie klar ausspricht und niemand dahinter kommt, wann und wie sie entstanden sind.“ {47b}

Zum einen ist das der Grundsatz: „Der Teil eines Ganzen wirkt auf das Ganze“ {47b}, zum anderen: „Gleiches (oder Ähnliches) wirkt auf Gleiches (oder Ähnliches) und bewirkt Gleiches (oder Ähnliches)“ {47c}. Auf diese zwei Grundsätze wird Ittmann in seinem ganzen Werk, besonders natürlich bei den religiösen Gebräuchen, immer wieder verweisen.

3.1.1.1. „I. Vorstellungen über die sinnlich wahrnehmbare Welt (Weltbild)“ {1–47e}

Die Struktur des ersten Abschnittes hat Ittmann mit großer Wahrscheinlichkeit von dem Schweizer Missionar und Ethnologen Henri A. Junod übernommen.9 Dieser hatte im 2. Band seines Werkes unter dem Thema „Religious Life and Superstitions“ das 1. Kapitel mit „Conceptions of the Thongas regarding Nature and Man“ überschrieben. Ittmann übernimmt die Unterteilung Junods größtenteils wörtlich, benutzt sie gleichsam als Schablone und füllt diese mit seinem Material aus Kamerun.

In dieser ersten Einheit beschäftigt sich Ittmann, worauf ja schon die Überschrift hindeutet, mit dem Denken der Kameruner über die sinnlich wahrnehmbare Natur und Welt. Dieses Kapitel ist relativ kurz gefasst, was damit zusammenhängen dürfte, dass das Welt- und Menschenbild der Kameruner für Ittmann kaum zu trennen ist von den religiösen Vorstellungen, da fast alles im Leben der Kameruner mit Macht, Geheimnisvollem, Dämonen oder Göttlichem behaftet ist.

Ittmann beginnt mit dem „...tiefste(n) Denken der Kameruner...“, dem Glauben an Nyambe, den „Wirker“, über den hinaus es keinen Schöpfer gibt und auf den die ganze Schöpfung, d. h. „...die historische und die permanente...“, zurückzuführen ist. Dieser „Wirker“, den Ittmann auch „Urkraft“ nennen kann, ist „...die im Fruchtbarkeitskult verehrte Gottheit“. Allerdings glauben „manche Kameruner“ auch, dass die Ahnengeister „...den Inhalt des Alls gemacht hätten...“.{1} Und schließlich kann man dieser „Schöpferkraft“ neben Nyambe für den „Wirker“ und bedimo für die „Schattengeister“ auch noch „leicht“ den Namen Loba „Himmelsgott“ geben. {2} Ittmann führt das an dieser Stelle nicht weiter aus, verweist aber auf spätere Stellen.

Die Welt als Ganzes stellen sich die Kameruner in einer dreifachen Schichtung vor. In der Mitte, auf der Erdoberfläche, befindet sich die „Welt der Sichtbarkeit“. Darunter, also unter der Erdoberfläche, findet man die für die Kameruner so bedeutsame „Totensiedlung, Hades“, den Sitz der Ahnen, die dort quasi in einer Parallelwelt leben. Die obere Schicht schließlich ist der Himmel, Sitz der Himmelsmenschen. {2}

Himmel und Hades schließlich sind Ort des ndimsi „Übersinnlichen“ {2}, die beide intensiv auf die Welt der Sichtbarkeit einwirken.

Ittmann steigt nun in seiner Beschreibung der sichtbaren Welt von oben herab, d. h. er beginnt mit der Kameruner Astronomie (Himmel, Sonne, Mond, Monate, Tag...), geht weiter zu den kosmographischen und meteorologischen Erscheinungen (Gewitter, Blitz, Donner, Regenbogen...) und „landet“ schließlich auf der Erdoberfläche mit der Beschreibung der Kameruner Vorstellungen über die Geographie, die anorganische Welt (Wasser, Feuer, Steine...), die Flora und Fauna.

Wenn Ittmann dabei feststellt, dass, z. B. bei der Pflanzenwelt, „...der Kameruner bei seinem Einteilen von unserem wissenschaftlichen Klassifizierungsprinzip ab[weicht]“, so betont er doch, dass der Kameruner zumindest „...den Vergleich mit dem ungeschulten Europäer aus [hält]“. {21}

Ausführlich geht Ittmann auf die ausgeprägten Kameruner Vorstellungen bezüglich der Tierwelt ein. Wenn auch hier bei den Kamerunern wissenschaftliche Kenntnisse nicht zu erwarten sind, so sind die Vorstellungen doch vielgestaltig, da sich die Kameruner „...dem Tiere näherstehend als wir“ {29} fühlen. Dies liegt nicht nur an der engeren Lebensgemeinschaft zwischen Mensch und Tier, sondern auch an den Vorstellungen über Menschen und (große) Tiere: beide haben den gleichen Besitz des mbaki (eine Art schädigende Kraft, ein „Bann, Fluch, Schuld“, die als „Anhängsel“ auf den übergeht, der einen Menschen oder ein – großes – Tier tötet und ihn dadurch schädigt {58}); Menschen- und Tierseele sind also in gewisser Weise „konform“, so dass der Mensch sich die Kräfte des Tieres in magischer Weise aneignen kann {29}.

Dabei haben die Kameruner die Vorstellung einer noch engeren vorzeitlichen Gemeinschaft zwischen Mensch und Tier, worauf in vielen Märchen angespielt wird. {30, Note 1}

Im zweiten Teil dieser Einheit beleuchtet Ittmann nun die Vorstellungen bezüglich des Menschen. Er beginnt mit der ausführlichen und gut lesbaren Wiedergabe einer Vielzahl von alten Sagen und Erzählungen, z. B. über den Ursprung des Menschen, den Grund der Trennung des „Wirkers“ von den Menschen, die Ursache des Todes, der Beschwerlichkeit des Erdenlebens u. a. m. Dabei stellt das Problem von Leben und Tod „d a s Problem der Kameruner“ dar, warum auch „all ihr Sinnen und okkultes Unternehmen...auf Beseitigung des Todes und auf Erhaltung des Lebens gerichtet...“ ist. {32}

Betreffs des Wissens über den anatomischen Aufbau des menschlichen Körpers urteilt Ittmann ähnlich wie bei der Kameruner Einteilung von Flora und Fauna. Wenn die Kameruner auch vieles benennen können, so herrscht bei ihnen doch große Unkenntnis, „will man...Genaueres über den Aufbau oder die inneren Funktionen des Körpers hören...“. Allein „...ist das bei uns anders, wo anschaulicher Schulunterricht fehlt?“. {39c}

Wenn nun schon die anatomischen Kenntnisse in Kamerun ungenügend sind, so liegen erst recht die physiologischen ...im Dunkeln“ und sind von daher in besonderer Weise mit Aberglauben behaftet und bilden „...den Hintergrund von einer Menge magischer und kultischer Handlungen“. Ittmann erachtet aber den Einblick in dieses System als eminent wichtig, ist doch ohne ihn „...das Denken, Glauben, Handeln des Kameruner nicht zu verstehen“. {40} So erläutert er im Folgenden anschaulich die diversen Anschauungen, u. a. zu den Altersstufen, den Unreinheitsperioden, der Sexualität, der wichtigen Rolle von menschlichen Absonderungen und Abfallstoffen.

Nach der Abhandlung des Körpers kommt er dann zu den Kameruner Seelenvorstellungen. Obwohl gewisse Seelenkräfte im Körper bzw. in verschiedenen Körperteilen ihren Sitz haben, haben die Kameruner doch auch eine ganz konkrete Vorstellung von einer Seele als Ganzes, für die er im weiteren die Duala-Bezeichnung mudi benutzt. Diese Lebensseele kann den Menschen auf dreifache Art verlassen: unwillkürlich (z. B. in Träumen), absichtlich (wer die Macht dazu hat) und gezwungenermaßen (sie kann geraubt werden). {44f.} Die Lebensseele ist also beliebter Spielplatz allerlei okkulter und magischer Mächte und Kräfte.

Fazit der Seelenvorstellungen ist, „...dass der primitive Kameruner den Menschen als ein Doppelwesen betrachtet: Der Mensch ist Teilhaber an der Sinnenwelt und der unsinnlichen Welt“. {46}

Ittmann stellt dann die Grundsätze auf, mit denen der Kameruner denkt, „...wenn auch kein Eingeborener sie klar ausspricht und niemand dahinter kommt, wann und wie sie entstanden sind.“ {47b}

Zum einen ist das der Grundsatz: „Der Teil eines Ganzen wirkt auf das Ganze“ {47b}, zum anderen: „Gleiches (oder Ähnliches) wirkt auf Gleiches (oder Ähnliches) und bewirkt Gleiches (oder Ähnliches)“ {47c}. Auf diese zwei Grundsätze wird Ittmann in seinem ganzen Werk, besonders natürlich bei den religiösen Gebräuchen, immer wieder verweisen.

3.1.1.2. „II. Religiöse Vorstellungen im engeren Sinne“ {47f - 127}

Mit diesem Abschnitt trennt sich Ittmann wieder von Junod. Ihm geht es jetzt um die „...Besprechung der Vorstellungen über geheime Kräfte, Gewalten und Wesen, die in unserer Sinnenwelt und der unsinnlichen Welt und zwischen beiden wirken und die abgesehen von einzelnen Sonderheiten von der Gesamtheit geteilt werden“. {47f}

Ittmann orientiert sich an den verschiedenen religionswissenschaftlichen Theorien und beginnt mit dem unspezifischen Dynamismus, kommt über den Tabu-Glauben und dem Animatismus bzw. Animismus zum Glauben an Geister und Dämonen, um schließlich bei dem Gottesbewusstsein der Kameruner zu enden, er steigt also gleichsam wieder nach oben in Richtung Himmel und Höchstem Gott.

In einleitenden Bemerkungen stellt Ittmann fest, dass für den Kameruner „...das Normale in unserer Sinnenwelt...“ das Geordnete ist, das frei ist von Überraschungen. Die typische Vorstellung dafür ist mundi „die geordnete Siedlung“, die sich im Zustand der „Beruhigung, Kühle“ befindet. Aber aus der unsinnlichen Welt wirken nun immer wieder Mächte und Kräfte ein, die mundi erregen, „sie flammt auf, wird unberechenbar, ungebärdig“, wodurch „Aufruhr, Unordnung“ (mpungu) entstehen. Diese Unordnung kann von bestimmten Personen, Objekten, Ereignissen und Zuständen hervorgerufen werden, die von daher mit besonderer Vorsicht zu behandeln sind, was in bestimmten Verhaltensmaßregeln und Enthaltungsvorschriften seinen Ausdruck findet. So wie nun diese beunruhigenden Mächte und Kräfte aus der unsinnlichen Welt kommen, so kommen auch die Kräfte, die die Ordnung wiederherstellen, von dort, die ein „Wissender“ (nganga) kennt und zum Wohle des Einzelnen oder der Siedlung anzuwenden weiß. {47f}

„A. Dynamismus“ {49–60}

Der Kameruner glaubt an eine latent ruhende, unpersönliche Macht in den Dingen, Lebewesen und Naturereignissen, wobei weniger darüber reflektiert wird, von wem diese Macht ausgeht. Wer nun in Berührung kommt mit solchen machtgeladenen Objekten, kann von der Macht ergriffen und von ihr ins Verderben gezogen werden. Und da der Einzelne in einer engen Beziehung zu seiner Gruppe (Sippe, Siedlung) steht, ist auch sie davon betroffen. {49}

Ittmann schildert nun die Orte, Gegenstände und Lebewesen, in denen sich diese Macht besonders konzentriert (Wald, Steine, bestimmte Tiere und Menschen, Blut, Wachstumsprodukte und Abfallstoffe, Leichen u. a. m.) Diese Macht der unsinnlichen Welt kann man auf drei Arten erfahren:

1. allmählich ins Bewusstsein kommend (z. B. bei Krankheit)

2. als Schreckzeichen bedimi, dass die Unordnung bereits eingetreten ist und der Mensch sich in einem Gefahrenzustand befindet und

3. als Warnungszeichen bedidi, dass etwas bevorsteht (z. B. stolpern, bestimmte Tiere, physiologische Phänomene). {55a}

Zwischen bedim und bedidi gibt es noch mbena, Vorzeichen dafür, dass ein Feind oder eine Schattenseele etwas Übles gegen einen unternehmen will. {57b}

Schon erwähnt wurde mbaki, eine Art Fluch, der von einem Getöteten (Mensch oder großes Tier) übergeht. In dieser mbaki-Idee zeigt sich für Ittmann „...etwas vom Kameruner Gewissen...“, da aus ihr Reue und das Verlangen nach einer Sühnehandlung herrühren. (58f.)

„B. Der Tabu-Glaube“ {60–75}

Diesen Abschnitt leitet Ittmann wiederum mit allgemeinen Bemerkungen ein. Da sich der Kameruner in einer Welt voller Unwägbarkeiten weiß, sinnt er permanent auf „Sicherheiten“, was sich vor allem in Verboten äußert, welche Ittmann mit dem polynesischen Fremdwort „Tabu“ bezeichnet. Weil nun die Mächte und Kräfte aus der unsinnlichen Welt fortwährend auf die Sinnenwelt Einfluss nehmen, sich in einer Vielzahl von Phänomen, Objekten und Lebewesen manifestieren können und also der Kameruner immer darauf achten muss, diese Manifestationen zu meiden, ist er für Ittmann „...ganz eingeschnürt in einen Haufen von Regeln und Verboten, um sich zu schützen gegen Wirkungen aus der unsichtbaren Welt, die bewusste und unbewusste Vergehen gegen sie straft oft bis ins dritte oder vierte Glied.“ {60}

Ittmann versucht nun das Entstehen solcher Tabu-Regeln zu erklären, räumt aber ein, dass das nicht einfach ist, „...weil die meisten Tabu-Regeln alter Überlieferung entspringen, die niemand mehr nachkontrollieren kann.“ Manche lassen sich aber psychologisch erklären: Oft hat man nach einer Handlung einen Schaden erlitten, der mit der Handlung nur in zeitlichem Zusammenhang stand, trotzdem wird nun diese Handlung gemieden, „...denn post hoc, ergo propter hoc“. {61}

Ittmann versucht dann die Vielzahl von Tabu-Regeln in Gruppen zu gliedern, auch wenn er sich „...dabei bewusst [ist], dass wir damit nicht alle umfassen“ {61}. Er unterscheidet Natur-, religiöse, soziale, physiologische, Sprachen-, Vorsorge-, Machtmittel- und Individual-Tabu. Ferner gibt es noch uneigentliche Tabu, deren Übertretung keine Strafe nach sich ziehen, sondern wo aus anderen Gründen eine Meidung erfolgt (z. B. Ekelgefühl). {68}

Die Übertretung eines Tabu zieht Strafe nach sich, „vor allem rächt sich das tabuierte Ding oder Person selbst an seinem Frevler, es bringt diboma ‘Verderben, Unglück’ über ihn“. {69} Dabei ist es egal, ob das Tabu mit Willen oder aus Versehen verletzt wurde, denn „Unkenntnis des Gesetzes schützt vor Strafe nicht!“. {70}

Man versucht nun, die Folgen eines Tabu-Bruches zu beseitigen. Das geschieht vor allem durch Meidungen (z. B. bestimmter Orte), Absonderungen (z. B. von Personen, die unter dem Tabu-Verbot stehen) und der Anwendung diverser Schutzmittel.

Ittmann betont die eminente soziale Bedeutung des Tabu-Glaubens. Er wehrt die Meinung ab, dass dieser und die daraus entspringende Furcht nur „absichtliche menschliche Erfindung“ sei „...zur Bereicherung und Ausbeutung anderer“ (wenn das natürlich auch der Fall ist). Vor allem aber ist es Ausdruck des seelischen Erlebens bei der Berührung mit der unsinnlichen Welt. Dies ruft ein „Erschaudern und eine Scheu, zugleich aber auch zeitweilige Zuversicht und Vertrauen“ hervor und ist wesentliches Merkmal des religiösen Erlebens in Kamerun. {72b}

So ist das Tabu „Träger der Gemeinschaft“, es gibt dem Führer der Sippe Gewalt, zum Wohle der Gemeinschaft zu wirken.{72b} Weil es die Gesamtheit der Sitten und Gebräuche der Gruppe bestimmt, wirkt es wesentlich auf deren Rechtsbewusstsein ein und schützt die Gruppe nach außen und innen. Wenn Ittmann hier das Positive des Tabu-Glaubens herausstellt, so relativiert er es im Folgenden, wenn er sagt, dass durch das Tabu „die Zivilisation...nur eine gewisse Höhe“ erreichen kann, ab einer bestimmten Höhe „...würgt [es] guten Fortschritt ab“, vor allem deshalb, weil es zwar als Gesetz, „...aber nicht als sittliches, sondern als magisches Gesetz“ wirkt.

Im letzten Kapitel zum Tabu-Glauben beschäftigt sich Ittmann mit der Beziehung von Tabu und dem Heiligen bzw. der Moral und betont, dass die beiden letzteren nicht aus dem Tabu-Glauben erwachsen, auch wenn es manchmal den Anschein hat, sondern sich selbständig entwickelt haben. Bezüglich des Heiligen macht Ittmann das an dem Unterschied zwischen einem mutudu „Ältesten, Sippenvorsteher“ und einem mulondedi magisch „Gefüllten“ deutlich. Während das Verhältnis zum ersten ein sittliches ist, das durch Liebe und Ehrfurcht gekennzeichnet ist, ist das Verhältnis zum mulondedi ein magisches, mit dem man Furcht verbindet. {74}

Auch besteht für Ittmann ein Gegensatz zwischen Moral und Tabu. Er erkennt das daran, dass, wenn Kameruner Christen geworden sind und dadurch alles Magische ablehnen, doch die sittliche Bindung bestehen bleibt. Diese handeln mit der Stimme des Gewissens, während der vor dem Tabu Erschrockene nur aus Furcht handelt. {75}

„C. Der Animatismus“ {75}

Dieses Kapitel umfasst nur eine knappe Seite. Ittmann sieht den Animatismus zwischen Dynamismus und Animismus angesiedelt. Unter animatischen Vorstellungen versteht er Dinge und Lebewesen, die zwar „mit Persönlichkeit und Willen begabt“ (Abgrenzung zum Dynamismus), aber „nicht beseelt“ (Abgrenzung zum Animismus) sind. Dazu zählen vor allem das ngambi „Orakel“ (es weiß alles) und das bwanga „Machtmittel“ (es vermag alles). Aber auch ein Mensch, den seine mudi „Lebensseele“ verlassen hat, der aber noch lebt, befindet sich in einem animatischen Zustand, „...denn er ist zwar ‘entseelt’, aber noch ‘belebt’“. {75}

„D. Animistische Vorstellungen“ {76–107}

Umfangreicher handelt Ittmann nun wieder die animistischen Vorstellungen ab.

Er betont, dass die Kameruner ein anderes Seelenverständnis haben als die Europäer. Während wir unter Seele die „...Gesamtheit der geistigen Fähigkeiten eines Menschen verstehen“, ist die Seele für den Kameruner „...ein geistig-feinmaterielles Wesen, das...auch in einzelnen Teilen des Körpers steckt und mit diesem stückweise entfernt werden kann“.{76}

Während der Europäer von einer Seele des Menschen redet, kennt der Kameruner mehrere, „...von denen die Lebensseele mudi und die Schattenseele bedimo die wichtigsten sind.“ Entstanden ist die Seelenvorstellung durch Traum, Vision, Hellsehen, Ekstase u. ä. In diesen Erfahrungen erlebte man, dass es im Körper noch etwas gibt, eben ein „seelisches Prinzip“, das sich vom Stofflichen unterscheidet und sich im Tode von dem Körper trennt. {76}

Ittmann beschäftigt sich nun ausführlich mit der Lebensseele {77ff.}. Diese, gleichsam ein „feinmateriell gedachtes Lebensprinzip“{77}, ist zwar an den Körper gebunden, solange er lebt, man hat aber auch gewisse Prä- und Postexistenzvorstellungen von ihr. Ferner gibt es die Möglichkeit, dass die Lebensseele den Körper zeitweise verlässt. Bestimmte Menschen (z. B. „Gefüllte“) haben die Möglichkeit, Seele und Körper zu trennen, d. h. während der Körper schläft, kann die Seele ausgehen und verschiedene Verkörperungen annehmen: Schatten oder Gespenster und besonders im Gebiet des Totemismus (Individualtotemismus = Nagualismus; Sozialtotemismus, hier besonders die Geheimbünde).

Solange der Totemismus nicht zum Schaden anderer, besonders aber der eigenen Gruppe, genutzt wird, gilt er als „weiße Kunst“. Wenn seine Kräfte aber zur Schädigung anderer gebraucht werden, wird er zur schwarzen Kunst, unter welche man vor allem den Hexenglauben zählt, den Ittmann im folgenden behandelt {94ff.}.

Menschen, die über Hexenkraft verfügen, gehen aus zur Plage anderer, vor allem aber zum „Raub von ‘Lebensseelen’“. {94} Der Eigentümer muss dann sterben, während „...die Lebensseele noch weiterleben kann als ‘Sklave’ der Hexe...“. {98} Kommt jemand unter den Verdacht, so ein Schädling zu sein, so muss er sich „...dem Ordal in irgendeiner Form unterziehen, damit Schuld und Unschuld offenbar werden“. {96} Ittmann wird dieses Thema noch ausführlich in seinem 2. Teil über die „Religiöse Gebräuche“ in dem Abschnitt „Magie, Welt des Zaubers“ behandeln.

Er erwähnt nach dem Hexenglauben, durch den man seiner Lebensseele beraubt werden kann, ferner noch die Möglichkeit, diese nicht durch Hexen, sondern ebenso durch übersinnliche Mächte verlieren zu können. Wodurch aber auch immer, der Verlust der Lebensseele (ob Einzelner oder Gruppe) bedeutet existentielle Bedrohung und bedarf vielfältiger magischer Rituale, um diesen Gefahrenzustand wieder aufzuheben. {97}

Sehr vage sind die Vorstellungen darüber, wo die Lebensseele nach dem Tode verbleibt. Einerseits verschwindet sie mit dem Tode aus dem Körper, andererseits sind Stücke von ihr in den Abfallstoffen des Körpers (Haare, Nägel) enthalten, die man sorgsam hüten und verstecken muss, dass nicht eine Hexe sich ihrer bemächtige und den Eigentümer schwächt. {98}

Wie gerade gesagt, entweicht die Lebensseele mit dem Tode aus dem Körper. „Bei diesem Ereignis löst sich vom ‘Leichnam’...die ‘Schatten- oder Totenseele’“ edimo, auf die Ittmann nun näher eingeht. Diese edimo tritt zu Lebzeiten nicht in Erscheinung, kann aber nach dem Tode in der Sinnenwelt auftreten (die sog. Wiedergänger) und „zum furchtbaren Machterlebnis“ werden. {99}

Der Mensch tritt nach dem Tode den Weg in den Hades ein, der mundi ma kwedi „Todessiedlung“ genannt wird und als Sitz der Ahnen wesentlicher Teil der unsinnlichen Welt ist. {100} Nach verbreiteter Ansicht ist bei der Aufnahme in den Hades eine Prüfung zu bestehen; die vielgestaltigen Todesfeiern dienen auch zur Unterstützung des Verstorbenen. {101}

In diesem Kapitel erwähnt Ittmann erstmals auch die wichtige Rolle der Ahnen, die als Mittler zwischen der Gottheit (Nyambe) und den Menschen fungieren. {102}

Neben diesen Ahnengeistern, denen man sich verbunden und verantwortlich weiß, die verehrt werden und die solange im Hades existieren, solange man ihrer gedenkt, kennt man auch noch die schadenstiftenden Quälgeister, Schattenseelen verstorbener Menschen, die nicht verehrt werden, weil man nicht weiß, zu welcher Sippe sie gehören. {106}

„E. Der Glaube an Geister und Dämonen“ {108–118}

Die nächste Stufe in den religiösen Vorstellungen ist nun die von den Geistern und Dämonen. Diese grenzt Ittmann von den Menschenseelen und Totengeistern hinsichtlich ihrer Herkunft ab, die weder vom Macht- und Seelenglauben (d. h. durch dynamistische bzw. animistische Vorstellungen) abzuleiten sind, wenn sie auch mit diesen in Verbindung stehen können, noch mittels Magie geschaffen werden. Diese Dämonen (Ittmann spricht im folgenden weniger von Geistern als von Dämonen) gehören der unsinnlichen Welt an, wirken aber auch in der sinnlichen. Sie sind „etwas wesentlich anderes...als Menschen“, gehören aber auch nicht zu dem, was man „Gott“ nennt. Sie sind „eine besondere Kategorie von Wesen“, die aber ebenfalls zur Schöpfung gehören. {108}

Ittmann beschreibt nun einige Dämonen näher, z. B. den Halbmenschen epas’ a moto, den nur in – in Afrika häufigen – Verschlingemärchen vorkommenden Oger, den „Kameruner Herkules“ Tub’ a Mbange oder den Mokase der Bakwiri. Dazu zählt er auch den Großfetisch mfam, der das Dorf schützen und eventuelle Frevler erkennen und bestrafen soll. Ittmann hält diesen Fetisch vor allem für einen „Schwindel“, der schon viele ähnliche Vorgänger gehabt hat und sicherlich „...auch nicht der letzte Betrug in Kamerun sein“ wird. {112}

Eine besondere Verehrung wird bestimmten Dämonen in den geheimen Kultbünden zuteil. Ittmann beschreibt hier 1. den „Fruchtbarkeitsdämon“ mungi, der bei den Fruchtbarkeitsfesten auftrat {115}, 2. ngue, in Gestalt eines Elefanten, „...der über die ganze Stammesorganisation wachte und so die öffentliche Rechtspflege in der Hand hatte“ {116} und 3. den Kultbund, der sich an die Wassergeister mengu wendete {117ff.}.

„F. Das Gottesbewusstsein der Kameruner“ {119–127}

Im Schlusskapitel über die religiösen Vorstellungen kommt Ittmann wieder an seinen Ausgangspunkt zurück, wenn er nun das Gottesbewusstsein der Kameruner genauer beleuchtet. Er konstatiert, das es zum einen „nicht ganz einheitlich“ ist, da man in den verschiedenen Stammesgruppen verschiedene Namen für das höchste Wesen hat. Zum anderen „...ringen gleichsam zweierlei Anschauungen, die sich um bestimmte Punkte gruppieren, miteinander“. Die Kameruner kennen nämlich einerseits eine Gottheit, die im Ahnenkult verehrt wird, und die Ittmann als „Wirker“ bezeichnet. „Daneben oder eigentlich darüber...“ wird andererseits eine Himmelsgottheit verehrt, die er „Richter“ nennt. Während der „Wirker“ dem Menschen näher steht und ihm im Fruchtbarkeitskult gedacht wird; hat der „Richter“ keinen Kult, ihm werden keine Opfer gebracht, er gilt aber als letzte Instanz, zu der man sich in jeder Not wenden kann. Obwohl er hier schon beide Hochgottvorstellungen unterscheidet und diese im folgenden näher ausführt, betont er, dass die Kameruner „...doch als Monotheisten anzusprechen [sind], denn ihnen ist das höchste Wesen nur eines; in der letzten Idee verschmelzen ihnen beide Vorstellungen“. {119} Diese Verschmelzung sieht Ittmann bei den Bakwiri bestätigt, wenn dort die Alten beten: „Du Ahnengottheit im Himmel, du Aufheber aller sippischen Zerklüftung“.10{121}

Ittmann geht nun auf beide Gottesgestalten näher ein.

Der „Wirker“ (Nyambe) ist der „...Geber ‘aller guten Gaben’“, er ist „...ewig, weise, gütig, mitleidig“. Über die Ahnen, die seine Mittler sind, hat er Verbindung mit den Menschen; er selber ist aber kein Ahne, wie Ittmann unterstreicht. {119} Sein Name wird oft in Verbindung mit „der erschaffende...“ bzw. „der immerwährende...“ gebraucht. {120}

Es ist Ittmann wichtig zu betonen, dass der Kameruner „Urheberglaube“ etwas „Autochthones“ ist, also nicht entspringend aus Ahnenglaube und Fruchtbarkeitskult, wenn er auch mit diesen in Zusammenhang steht. Er ist der „Herr“, sein Verhältnis zu den Menschen ist das einer Überlegenheit. Wenn er als Schöpfer angesehen wird, dann wird weniger an den geschichtlichen Akt der Schöpfung gedacht, da der Kameruner „...an geschichtliches Denken nicht gewöhnt“ ist. Die Schöpfung ist ihm vielmehr „...eine Art Emanation aus der unsichtbaren Welt in unsere Wirklichkeit“. {122}

Der Name für den Richter, die Himmelsgottheit, ist synonym mit dem Wort für „Himmel, Firmament“, nämlich loba. loba ist zunächst ein Ort, der von den Himmelsmenschen bewohnt wird. Die, weil sie auf Erden „ganz anders“ waren (Zwillingen, Albinos, Verunglückte, Ermordete...), sind nach dem Tode auch dort, wo „...das g a n z Andere, das Unberechenbare und daher Unnormale seine Stätte hat“. {123} Ittmann beschreibt nun erst einmal diese Himmelsmenschen, bevor er zu der Macht kommt, die man hinter dem Himmel als Ort ahnt und von der man spricht wie von einer Person, eben Loba. Dieser Himmelsgott war nicht immer den Menschen so entfernt, allein „...die Unlauterkeit der Menschen hat ihn in unerreichbare Ferne gerückt“. {124} Jetzt aber ist er „...unerreichbar für die Menschenwelt, so dass er ungestört und unbeeinflusst gerechtes Urteil sprechen und des Gerichtes walten kann“. Niemand zweifelt an der Existenz dieses Himmelsgottes, niemand muss ein Kind über ihn belehren. Er ist gütig, deshalb braucht er keine Opfer und eigentlich auch keinen Kult, aber man betet zu ihm und sucht, besonders in der Not, Zuflucht bei ihm. Wie das Himmelsgewölbe sich über die ganze Erde wölbt, so sieht auch Loba auf die ganze Welt, also über die Sippengrenzen hinweg. Die Sonne, die oft diso a loba „Himmelsauge“ genannt wird, ist gleichsam Ausdruck dafür. Man ruft Loba als Zeugen und als Beistand an, „...etwa unserem ‘beim wahrhaftigen Gott!’ entsprechend“. {125}

Neben dieser Vorstellung von dem Richter und Beschützer ist mit Loba auch die Vorstellung des „Schicksals“ verbunden.

3.1.2.  „Zweiter Teil: Religiöse Gebräuche“

Ittmann beginnt diesen umfangreichsten Teil seines Werkes wiederum mit einer kurzen Einleitung. Er will sich nun den „Formen“ zuwenden, „...in denen sich das religiöse Leben dem Beobachter darstellt und die uns zeigen, wie sich der Eingeborene in seinem Leben und Handeln gegenüber der beschriebenen übersinnlichen Welt und ihren Kräften und Mächten verhält“. Wenn er auch formal diese Trennung von Vorstellungen (1. Teil) und Gebräuchen (2. Teil) macht, so weist er darauf hin, dass er in diesem Teil auch immer wieder auf bestimmte Vorstellungen zurückkommen wird, wie er auch im ersten schon bestimmte Gebräuche beschrieben hat. {128}

3.1.2.1. „I. Magie, Welt des Zaubers“ {128–168}

„A. Definition“ {128}

Ittmann beginnt mit einer Definition von Wundt, nachdem „Zauber...eine auf völlig unbegreifliche Weise von Menschen oder Geistern ausgeübte Handlung ist, mittels der man Heil oder Unheil ausführen oder drohendes Unheil abwehren oder irgendwelche sonst erreichbare Wirkungen erzeugen zu können glaubt“. Ittmann fügt dieser Definition hinzu, dass dies dem Zauberer und Zaubergläubigen nur „...auf dem Wege des magischen Denkens“ begreiflich ist. Der Kameruner glaubt an eine „mystische Einheit, durch die er mit dem Universum verbunden ist...“. Ziel allen magischen Handelns ist es nun, diese Einheit zu beeinflussen, sie also intakt zu halten oder aber zu stören. {128}

„B. Phänomenologie der Magie“ {128–166}

Ittmann beginnt mit Allgemeinem. So unterscheidet man bei den Zaubermitteln männliche, die „entflammen, erregen“ sollen, und weibliche, die beruhigend, ausgleichend wirken. {129}

Außerdem unterscheidet man zwischen „weißer und schwarzer Magie“ {129}, wobei Ittmann betont, dass man in Kamerun, im Gegensatz zu europäischen Anschauungen {128, Note 1}, diese beiden Künste nicht von ihrem Wesen her unterscheidet, sondern nur die Absicht und die Wirkung der magischen Handlung entscheidet, ob sie „schwarz“ oder „weiß“ ist {130}.

Anschließend kommt Ittmann noch einmal, und ausführlicher, auf die schon im ersten Teil {47b-d} beschriebenen beiden Hauptarten der Magie zurück, die „nachahmende Magie“, die er jetzt auch „homöopathische“ oder „imitative“ nennt, und die „sympathetische Magie“, nun „Berührungs- oder kontagiöse Magie“ genannt. {130f.}

Und er betont hier wie dort auch, dass der Schwarze nicht prälogisch denkt. Allerdings macht dieser nach Ittmanns Meinung „...vorzüglich zwei Denkfehler“. Er glaubt,

1. dass zwei Dinge, die gleich scheinen, auch gleich sind bzw. wenn zwei Dinge im Denken verbunden werden, sie auch in Wirklichkeit verbunden sind und

2. dass Dinge oder Personen, die einmal verbunden waren, dies auch weiter auf mystische Weise sind. {130f.}

Nach den umfangreichen Ausführungen der beiden Magiearten erläutert Ittmann nun komplizierte Zauberformen, die sich aus einfachen entwickeln. Da in Kamerun das Motto gilt „Viel hilft viel“, werden mehrere Magieformen zusammengefügt oder der Zauber wird durch besonders machtgeladene Menschen, die sog. „Gefüllten“ durchgeführt. Daneben kann auch der Mensch als „das Wertvollste der Schöpfung“ selbst als Mittel benutzt werden, so z. B. bei der Schaffung eines Großfetischs, die den Tod eines Menschen erfordert. {137a}

Und auch gerade dem Wort wird magische Kraft zugesprochen, wie sich bei Beteuerungen, beim Schwören und Fluchen zeigt. {137bff.}

Wie schon erwähnt, gibt es Menschen mit besonderen Kräften, die Ittmann die Hauptträger der magischen Kräfte nennt. Diese „Machtmittelkundigen“ sind in besonderer Weise mit den Kultbünden verbunden und lassen sich in zwei große Gruppen gliedern: die „Medizinmänner“ und die „Orakelmänner“. Beiden ist eigen, dass ihr Amt „gewisse Veranlagungen und Voraussetzungen“ erfordert. {138}

Die magischen Kräfte können, wie schon gesagt, zur schwarzen Kunst benutzt werden und den Einzelnen oder die Gruppe schädigen. Die größte Rolle dabei spielen die Hexen, aber auch Ahnengeister, übertretene Tabu-Vorschriften u. a. können zur Quelle von Übeln werden.

Diese schädigenden Praktiken richten sich zum einen „gegen des Nächsten Eigentum“, zum anderen gegen dessen Gesundheit. Am Schlimmsten aber ist, dass die Hexen auch töten können, was in Kamerun umschrieben wird mit „Essen der Lebensseele“. Wenn das geschieht, ist der betroffene Mensch zum Tode verurteilt, auch wenn er „...oft noch Monate lang weiterleben kann“. {140ff.}

Um diesen Gefahren zu begegnen, gibt es ein ganzes Arsenal von Machtmitteln, die man im Kampf gegen verderblichen Zauber benötigt. Ittmann benutzt hier als Namen für diese Machtmittel den aus dem portugiesischen stammenden Begriff „Fetisch“, „...d. i. ein mit magischer Kraft geladener Gegenstand“, der entweder von Natur aus geladen ist oder durch magische Manipulation geladen wird. Wenn so ein Fetisch auch „...i. a. nichts zu tun [hat] mit Dämonen und Geistern, so werden doch besonders die Großfetische oft wie Personen behandelt und angeredet, man betet zu ihnen...“. {142}

Ittmann versucht dann die verschiedenen Mittel zu klassifizieren und beschreibt die einzelnen Stufen der Abwehr der dunklen Mächte. {143ff.}

Wenn der Magier keinen Erfolg hat, so glauben die Kameruner nicht, dass er es nicht vermochte oder seine Mittel keine Macht besaßen, d. h. die Magie wird nicht in Frage gestellt. Vielmehr kann es daran liegen, dass die Hilfe zu spät angefordert wurde, die feindlichen Mächte zu stark waren oder ein anderer die Sache durch Frevel oder Verletzung eines Tabus verdorben hat. Wenn das alles nicht der Fall war, dann hat es schließlich Gott (Loba) so gewollt und man kann nichts mehr tun. {145}

Um eine Hexe in einem Dorf auszumachen, muss jeder aus der Gruppe von einem „Hexereiabschwörmittel“ trinken. Ittmann schildert hier, dass dazu dann auch die Christen des Dorfes gezwungen werden, die Frauen sogar unter Schlägen. {150}

Mit dem nun folgenden Orakelwesen beschäftigt sich Ittmann in besonderer Weise. Hier scheint er, was die Magie angeht, am meisten innerlich beteiligt zu sein, hier hat er die umfangreichsten persönlichen Reflexionen, hier ist seine Abneigung am Größten.

Das hat für Ittmann seinen Grund darin, dass „der Glaube an das Orakel...absolut“ ist; „...man macht fast göttliche Aussagen über es...Ja, man stellt es eigentlich über Gottheit und Geister und andere Mächte...“. Ittmann beobachtet, dass es zwischen Kameruner Heiden und Christen oft zum Streit darüber kommt, ob die Bibel oder das Orakel das bessere Offenbarungsmittel sei. Die „zu Synkretismus neigenden Neger“ gebrauchen die Heilige Schrift sogar mitunter als Orakel. Nichts beschäftigt den Kameruner Geist so sehr wie der Gebrauch der verschiedenen Orakelsysteme und wenn das Denken der Afrikaner „...so oft einen anderen Weg geht als europäische Logik...“, so hat das seinen Hauptgrund in dem „...Gebundensein an den magischen Zauber des Orakels...“. {154}

Ittmanns Meinung über die Orakler schwankt zwischen Anerkennung und Abneigung. So bescheinigt er manchen von ihnen durchaus Ernsthaftigkeit. Sie sind „schlaue Leute“, haben eine außerordentliche Einbildungskraft, sind oft hellseherisch begabt; „...und vor allem kennen sie ihre Leute“. Durch kluge Fragen bekommen sie Informationen über den Klienten, ohne dass dieser es merkt. Und sie haben ihre Hintermänner, „...die ihnen allerlei Neuigkeiten zutragen“. {154} An anderer Stelle konstatiert er fast bewundernd, dass „...manchem dieser Dunkelmänner...der Doktorhut für Intuitivpsychologie“ gebührte. {163a}

Im folgenden Abschnitt beleuchtet Ittmann nun die Bedeutung des Orakels im privaten und öffentlichen Leben{155ff.}. Wenn das Orakel doch hauptsächlich magisch ist, so hat es für ihn doch auch eine „religiöse Grundlage“, da der Orakler vor seinem Tun „...seine Ahnen oder verstorbenen Meister an[ruft] oder er bittet auch Gott um Erfolg...“.{155} Hier scheint mir wichtig zu erwähnen, dass Ittmann an dieser Stelle von einer Anrufung der Ahnen spricht und dies augenscheinlich nicht reduziert aus eine Mittleraufgabe der Ahnen zwischen Mensch und Gott.

Anschließend wird Ittmann regelrecht leidenschaftlich, wenn er mit dem Orakelwesen ins Gericht geht. Er sieht „...ein durchaus übles Resultat im Volke...“. Das Orakel „...ertötet das moralisches Gewissen“ oder hindert zumindest die „...gesunde Entwicklung dieser wertvollen Kraft“ und damit die sittliche Erneuerung. {156}

Nach dieser wertenden Einlassung spricht wieder der Ethnologe in Ittmann, in dem er ausführlich die in Kamerun gebräuchlichen Orakelgerätschaften und ihre Benutzung beschreibt. {157ff.}

Ausführlich beschreibt er als besonderes Orakelmittel ist Ordal, das vor allem bei Gerichtshandlungen und Verhandlungen eine Rolle spielt und das oft als Gottesurteil angesehen wird, wenn auch den Ordalmitteln selbst offenbarende Kraft zugesprochen wird. {164ff.}

3.1.2.2. „II. Der Kultus“ {169–189}

Ittmann stellt fest, dass der Kult in Kamerun „nicht stark ausgeprägt“ sei. Den Grund dafür sieht er darin, „...dass die Gottesidee, soweit sie die hohe Gottheit betrifft, gegenüber den niederen Mächten zurücktritt“; „...zwischen den Wirker und Richter11 und die Menschen [haben sich] die Ahnen als Mittelsleute eingeschoben und Mittel als mächtige Gewalten“. {169}

Ittmann kritisiert hier auch wieder die zahlreichen Zauberhandlungen, die den Kult begleiten und stellt fest, dass „nur der Schrei des Herzens in der Not zum Rächer und Richter...verhältnismäßig frei [ist] von magischem Rankenwerk“. {169}

Im folgenden befasst sich Ittmann mit den Kultstätten{169ff.}, den Kultzeiten{174bff.}, Kultdienern {175f.}, der Kultsprache{176ff.} und den Kulthandlungen{178aff.}.

Hier scheint mir interessant zu erwähnen, dass Ittmann mit den Stätten des Ahnendienstes beginnt, besonders mit dem Ahnenkultplatz und auch davon spricht, dass man den Ahnen Einzelopfer bringt.12{170}

Auch viele Gebete, die „Pulsschlag des religiösen Lebens“ {178a} sind, wenden sich an die Ahnen, die direkt um Hilfe angesprochen werden und wo nicht von einer Mittlerschaft geredet werden kann {179}. Allerdings fühlt sich Ittmann von diesen Gebeten, die oft mit Opfer und magischen Handlungen verbunden sind, abgestoßen. {182}

Nur bei den Gebeten zu Loba zeigen die Kameruner „eine gewisse Scheu“ {182}, ja „gelegentlich klingt...etwas wie Anbetung hindurch, dieweil ein stark nach Selbstgerechtigkeit riechendes Beteuern der eigenen Unschuld und Suchen der Schuld bei anderen einen echt heidnischen Zug ins Gebet bringt“ {183}.

Ittmann äußert sich dann noch zum Kameruner Opferwesen. Hier ist wieder interessant, dass Ittmann dem Ahnenopfer durchaus „einen religiösen Wert“ beimisst.13{188}

3.1.2.3. „III. Feste, Weihen und Geheimbünde“ {190–268}

Dieses Kapitel ist Ittmanns umfangreichstes. Er beschreibt nach kurzen allgemeinen Bemerkungen sehr ausführlich zuerst die regelmäßig wiederkehrenden Feste und Weihen (Übergangs-, Abwehrriten u. ä. und vor allem das Gebiet der Totenverehrung und des Ahnendienstes), um dann auf die außergewöhnlichen Feste und Weihen einzugehen (z. B. Beicht- und Sühneverhandlungen, Weiheriten, Wiederherstellungsriten). Nach Ausführungen zu den kultischen Geheimbünden schließt Ittmann mit kurzen Betrachtungen über den Mythus.

Die natürliche Ordnung kann nach Kameruner Auffassung nur bestehen „...auf Grund periodischer Erneuerung“, was mit den Festen und Weihen erreicht werden soll. Dabei sind diese „...nicht rein religiöse Gebräuche; in ihnen ist Magie und Religion gemischt...“. {190}

Die Feste bestehen aus drei Elementen, sie sind magisch, kultisch und gemütlich, worunter Ittmann versteht, dass auf ihnen „...getrunken, gegessen, getanzt, gespielt [wird] oft tagelang und das Ganze...zum wüsten Ausleben niederer Triebe“ wird. Oft enden die Feste mit einer Hungersnot, weil alle Vorräte aufgebraucht wurden. {190}

Ittmann beschäftigt sich im Folgenden mit den regelmäßig wiederkehrenden Festen und Weihen (Kinderweihen, Knaben- und Mädchenweihen, Heiratssitten und „das jährliche Fest“ ngand’ a mbu). {191ff.}

Ausführlich reflektiert Ittmann in diesem Kapitel über den Ahnendienst. Er unterscheidet ihn von der Totenverehrung, bei dem es sich um alles dreht, was mit einem einzelnen Verstorbenen zu tun hat; der Ahnendienst dagegen wendet sich an die abgeschiedenen Schattenseelen, die sich im Hades aufhalten. Und während die Totenverehrung mehr von Furcht geprägt ist, ist im Ahnenkult das Vertrauen das vorherrschende Motiv und man hat die Hoffnung, dass die Bande zu den Verstorbenen nicht zerreißen. {209a}

Auf die Ahnen als Stifter der Gruppe geht alle Kultur zurück, „sie sind die Grundlage aller das Leben regelnden Sitte“. Ittmann betont hier auch wieder, dass die Ahnen „...im Verhältnis zu Gott eine Art Mittler“ sind. {227} Da sie die irdischen Verhältnisse so gut kennen, sind sie „...die einzig richtigen Vertreter in der Not der Gottheit gegenüber und man hat großes Vertrauen und starken Glauben in sie“; Ittmann kann sie sogar als „eine Art Schutzengel“ bezeichnen. {228}

Wie Ittmann auch schon an anderer Stelle darlegte, haben die Ahnen einen Kult, man betet zu ihnen und bringt ihnen Opfer. Interessant ist, dass Ittmann nun sogar so weit geht zu sagen, dass „abgesehen von der Verehrung der Hochgötter...der Ahnendienst die eigentliche Religion der Kameruner“ ist. {232} Er präzisiert das noch, indem er den Ahnendienst als eine spiritualistische, partikularistische, soziale, eudämonistische und schließlich unphilosophische Religion bezeichnet.

Ausführlich geht Ittmann dann auch noch auf die Kultbünde und ihre mannigfaltigen Aufgabenkreise ein, wobei neben der magisch-medizinischen, der administrativ-politischen, der sozial-wirtschaftlichen und der sportlich-mimischen für Ittmann vor allem die kultisch-religöse Bedeutung den tiefsten Kern und Hintergrund darstellt. {270ff.}

Als Abschlusskapitel reflektiert Ittmann noch auf knapp zwei Seiten über den Kameruner Mythus. {277f.}

3.3. Der Religionswissenschaftler

In die ethnologischen Sammlungen sind immer wieder religionswissenschaftliche Reflexionen eingebaut. Ittmann reagiert offensichtlich auf diesbezügliche Literatur, ohne diese immer explizit zu nennen. Mitunter nennt er einen Namen, nie aber ein Werk, also auch nie nachprüfbare Angaben. Es ist also eine Spurensuche, die man unternehmen muss. Diese erscheint mir aber wichtig, weil in Auseinandersetzung mit bestimmten Theorien Ittmann selbst Klarheit anstrebt in der angemessenen Einschätzung seiner ethnologischen Sammlungen und er den Aufbau seines Werkes z. T. an bestimmten religionswissenschaftlichen Theorien orientiert.

Meines Ermessens schälen sich folgende Kerndiskussionen heraus:

3.3.1. Die Frage nach Entstehung von Religion und Gottesgedanken

Die Religionswissenschaft des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert lässt sich grob in zwei Denkrichtungen gliedern.

Da ist zum einen die Theorie, dass sich die Religionen quasi aufwärts entwickelt haben, also z. B. ihren Anfang nahmen in sehr archaischen Vorstellungen, z. B. im Fetischismus14 , im Animismus15 oder in der Ahnenverehrung16 und sich dann bis zu den Hochgottvorstellungen weiterentwickeln. Diese Auffassung wird als Entwicklungstheorie bezeichnet.17

So wie dieses Evolutionsmodell ein Fortschrittsdenken repräsentiert, so entstand auch ein genau umgekehrtes Modell mit Wilhelm Schmidts Theorie vom Urmonotheismus18 . Er versuchte nachzuweisen, dass die Vorstellung eines Höchsten Wesens „...bei allen Völkergruppen der Urkultur zu finden ist“ und zwar in „...solcher Klarheit, Bestimmtheit, Lebendigkeit und Unmittelbarkeit...“ wie in späteren Kulturen nicht mehr anzutreffen;19 . In späteren Kulturen verfällt und zersplittert die ursprüngliche Hochgottreligion und gerät „...immer tiefer in die Regionen der verschiedenen Astralmythologien, des Fetischismus, des Animismus, des Manismus und des Zaubers...“.20

Die Schwierigkeiten bei diesen Theorien bestehen vor allem darin, dass beide eine gleichartige Entwicklung in allen Kulturen annehmen und den Religionen bestimmte Qualitäten zusprechen, wobei dem Monotheismus der Vorrang gebührt. Ittmann, der nur einen sehr begrenzten Ausschnitt, eben „seine“ Kameruner kennt, prüft nun immer wieder seine Erkenntnisse an diesen Theorien.

Gleich zu Beginn seines Manuskriptes erwähnt er die Entwicklungstheorie und stimmt ihr insofern zu, dass sie durch manche Erscheinungen bestätigt zu werden scheint. Er betont aber, dass sie „...wie jede andere Theorie...nur eine Hypothese [ist], die nicht zu Gesetz und Dogma werden darf“. {1} In gewisser Weise lehnt er sich formal an sie an, wenn er bei den „Religiösen Vorstellungen im engeren Sinne“ mit dem Dynamismus beginnt, um sich dann über den Tabu-Glaube, den Animatismus, den Animismus und dem Glaube an Geister und Dämonen zu den Gottesvorstellungen „hochzuarbeiten“. Aber er widerlegt diese Theorie damit eigentlich auch - ohne das explizit zu sagen -, wenn er bei den Kamerunern letztlich alle Stufen mehr oder weniger ausgeprägt vorfindet. Und, fast noch wichtiger, betont er später bei seinen Aussagen über Nyambe, dass der Kameruner Glaube an den Wirker etwas „Autochthones“ sei. Für ihn kann sich dieser Glaube nicht evolutionistisch aus dem Ahnendienst entwickelt haben, weil zum einen „...die Äußerungen der Kameruner [dazu] keinen Anlass bieten“ und zum anderen „...mit dieser Vorstellung der Rahmen des Ahnenkultes gesprengt ist“. {122}

Man könnte eher annehmen, dass Ittmann der Urmonotheismustheorie folgt. So schreibt er bei seinen allgemeinen Bemerkungen zum Kultus, dass sich die Ahnen zwischen die Gottheit und den Menschen „als Mittelsleute“ geschoben haben, wodurch sich „...die vorhandene einheitliche Gottesidee aufgelöst [hat] in Einzelgestalten der Dämonen...“. {169} Oder er beklagt an anderer Stelle, dass der den Kamerunern „eigene monotheistische Gottesgedanke zersplittert...“ ist. {47b} Andererseits spricht Ittmann nie explizit vom Urmonotheismus. Und er unterscheidet, wie gleich zu zeigen sein wird, Magie von Religion und stellt fest, dass es sich nicht empirisch nachweisen lässt, was eher war. Ja, „...wir treffen überall beide Erscheinungen an, als wären sie miteinander entstanden und von Anfang an nebeneinander hergegangen...“. {167} Das stützt dann seine These von der unabhängigen Entwicklung des Gottesgedankens.

Was ihm aber wichtig ist, ist die Tatsache, dass die Kameruner eine, wenn auch vage und vielfach überdeckte, Vorstellung von einem Höchsten Gott haben, ja sie letztlich „...als Monotheisten anzusprechen...“ sind.

3.3.2. Ittmanns Religionsbegriff

Im ersten Satz seines Werkes bringt Ittmann eine Definition von Religion, in dem er vom lateinischen religio ausgeht und darunter die „Bindung an Familie, Sippe und Volk und zugleich an unsichtbare Mächte der übersinnlichen Welt“21 versteht. {1} Diese Definition diskutiert er dann im ersten Teil nicht mehr. Erst in der Einleitung zu den „Religiösen Gebräuchen“ befasst er sich wieder mit dem Begriff Religion, diesmal, um ihn von der Magie abzugrenzen.

So umfasst für ihn „Religion im engeren Sinne“ „Auffassungen, Gefühle, Riten, Gebräuche, Handlungen, die voraussetzen den Glauben an persönliche oder überpersönliche Geistwesen, denen Attribute der Gottheit zustehen...“. Magie dagegen umschließt „...Auffassungen, Gefühle, Handlungen und Brauchtum, die feindlichen, neutralen oder günstigen Einflüssen gelten. Diese Einflüsse könne herrühren von unpersönlicher Naturkraft oder von als Hexen wirkenden Menschen oder persönlichen Geistern...“.22 Er differenziert aber sogleich diese Trennung, indem er betont, dass sich diese Elemente in der Praxis nicht auseinanderhalten lassen, da z. B. der Zauber auch von religiösen Momenten durchsetzt ist. {128}

Und er hat später auch noch ein weiteres Kapitel zum Verhältnis von Magie und Religion zueinander. Und obwohl er betont, dass beide „vielfach verbunden“ sind, versucht er aber wieder, zu trennen und wertet jetzt auch stark. {167}

So unterwirft sich der Mensch in der Religion „letztlich dem übergeordneten Willen“, er „...will teilhaben an einer höheren Lebenssphäre,... ersehnt Bergung...und sucht...Recht“. Hinter allen Handlungen steht „ein ethisches Moment“ und obwohl man „...seine Ohnmacht anerkennt“, „...denkt [man] an letzte Verantwortung“. {167}

In der Magie dagegen „...sucht der Mensch das Göttliche in seinen Dienst zu zwingen“, er erstrebt die „...Erfüllung selbstischer Wünsche“ und „...täuscht...sich und anderen eigenes Können vor“. Das ethische Moment fehlt, „...an seine Stelle tritt selbstische Erhöhung“. {167}

Hier hält Ittmann seinen zu Anfang geäußerten Vorsatz der Unvoreingenommenheit augenscheinlich nicht durch. Gegen die Magie, insbesondere das Orakelwesen hat er große innere Widerstände und wir werden später den Missionar dazu befragen müssen.

3.3.3. Die Einschätzung des Ahnenkultes durch Ittmann

Es fällt auf, dass Ittmann in seinen „Religiösen Vorstellungen“ so gut wie überhaupt nicht auf die Ahnen zu sprechen kommt. Er erwähnt sie nur „...als Mittler zwischen Gottheit und Menschen...“{102} und gesteht ihnen in diesem Kapitel eigentlich auch keinen Kult zu, da im Ahnenkult vor allem die Gottheit Nyambe verehrt wird {119}.

Ganz anders ist das Bild in den „Religiösen Gebräuchen“. Dort berichtet er ausführlich vom Ahnendienst und Ahnenkult. So beginnt er z. B. bei dem Abschnitt „Kultstätten“ mit dem Ahnendienst und beschreibt, dass den Ahnen Opfer gebracht werden {170a} und beim Gebet die Ahnen mit Klage und Bitte angerufen werden {171}. Auch bei den Reflexionen über das „Gebet“, dem „Pulsschlag des religiösen Lebens“, in dem „...die Kameruner Religion am besten belauscht werden kann“ {178a}, führt er Gebete zu den Ahnen auf {z. B. 179}. Auch werden den Ahnen Opfer gebracht, denen Ittmann „einen religiösen Wert“ beimisst. {188} Schließlich spricht er auch direkt vom Ahnendienst als Religion. {233}

Diese Inkonsequenz verwundert. Wenn Ittmann soviel über den Ahnendienst berichtet und ihn als Religion qualifiziert, ist es unverständlich, warum er ihn in den „Religiösen Vorstellungen“ so gut wie gar nicht erwähnt. Wenn die Ahnen aber nur als Mittler zwischen der Gottheit und den Menschen fungieren, wie er ja auch immer schreibt, bleibt es unverständlich, diesen Kult dann doch als Religion zu bezeichnen. Offensichtlich kämpfen hier zwei Seelen in Ittmanns Brust: auf der einen Seite der Ethnologe und Wissenschaftler, der unvoreingenommen sammeln und deuten will und auf der anderen Seite der Missionar und Theologe, der ein eigenes Religionsverständnis hat. Auch dies wird beim Missionar Ittmann noch näher zu beleuchten sein.

Zum Schluss sei erwähnt, dass sich Ittmann noch an vielerlei Stellen mit anderen Theorien auseinandersetzt23bzw. deutlich wird, dass er viele Theorien kennt24. Diese alle hier näher zu beleuchten würde allerdings den Rahmen meiner Arbeit sprengen.

3.4. Der Missionar

Es bleibt zu fragen, ob Ittmann mit seinem Werk wirklich nur unvoreingenommen die Kameruner betrachten will und ob er sich wirklich „...nie Ideen [macht], was der Kamerun[er] sei oder gar sein müsse“, wie er am Anfang seines Werkes betont. {1}

Es fällt auf, dass Ittmann in seinem zweiten großen Werk: „Geistiger Volksbesitz der Kameruner im Blickfeld des Missionars“ (GVK), am Ende jedes Kapitels die Frage stellt und beantwortet: „Was sagt der Missionar...?“.

Dies tut Ittmann in RVK nicht. Schaut man sich das Inhaltsverzeichnis an, so hat er in den beiden ersten großen Teilen nur einmal eine Zwischenüberschrift, die die Mission zum Thema hat: „Das Kameruner Gottesbild in der christlichen Missionspredigt“. {127} Im dritten Teil beschäftigt er sich in einem Kapitel mit dem Kameruner Gewissen unter dem Einfluss des Christentums {286ff.} und erst im Anhang geht es dann explizit um den „Kampf zweier Mächte“, nämlich „Kameruner Religion und Evangelium“ {300}.

Trotzdem dienen das umfangreiche ethnologische Material und die linguistischen Überlegungen nicht einem Selbstzweck. Denn wenn er auch im Inhaltsverzeichnis nicht darauf verweist, so hat er doch auch in den ersten beiden großen Teilen recht häufig am Ende der einzelnen Kapitel Betrachtungen, die er als Missionar anstellt.

Und auch in seinem Verständnis und seiner Beschreibung der Kameruner, ihres Denkens und ihrer Lebensverhältnisse spricht nicht nur der sammelnde Ethnologe und der deutende Religionswissenschaftler, sondern immer wieder auch der Missionar, der mit diesem Werk ein bestimmtes Ziel verfolgt. Dabei schwankt Ittmann in seiner Beurteilung der Kameruner zwischen dem Bemühen einer objektiver Darstellung und stark wertenden Abschnitten.

3.4.1. Ittmanns Plädoyer für eine realistische Einschätzung der Kameruner

Ittmann wendet sich gegen die Meinung, die Kameruner seien „eine Horde ohne Recht und Regel“ {60} und betont immer wieder, dass in vielem die Unterschiede zwischen den Kamerunern und Europäern so groß nicht sind. Das macht er deutlich, indem er oft Parallelen zwischen dem Kameruner Denken und Vorstellungen im alten Griechenland25{1, 4, 46, 119, 126 u. ö.} im Germanentum {5}, in deutschen Märchen {15, 110} und in der Bibel {37, 60, 67} zieht und die Frage stellt: „Ist nun die Vorstellung der Kameruner26 so wesentlich anders als die der Völker der alten Welt?“. {46} Hier spürt man sein Bemühen, Verständnis für die Afrikaner erreichen zu wollen und sie nicht als primitive Menschen anzusehen.27

Aber Ittmann wendet sich auch gegen eine Verklärung der Kameruner als „Naturmenschen“, die „...von Haus aus gut...“ seien. {60} Besonders kritisiert er die „Mode“ so zu tun, „...als werde den Schwarzen erst durch die Mission und das von ihr übermittelte sittliche Gebot...die Sünde dawider zum Bewusstsein gebracht und sie zur Übertretung verführt“. {282}

Diese beiden Auffassungen, das „verächtliche Urteil“ und das „hohe Lob“ sind für Ittmann „Fehlbeobachtungen“ von Menschen, die „...nur oberflächlich und äußerlich die Dinge beurteilen“ und sich nicht bemühen, „...diese Menschen wenigstens bruchstückweise mit der Seele zu erschauen“. {282} Diese europäischen Fehlbeobachtungen haben für Ittmann zwei Gründe. Zum einen zieht man „...von Beobachtungen bei Einzelnen zu rasch Schlüsse auf die Allgemeinheit, sei es zum Schlimmen oder zum Guten“ und zum anderen stellt man „...das Schlimmste der einen Seite dem Ideal auf der anderen Seite gegenüber“. {299} Und er wird nicht müde zu betonen, dass auch die Weißen sich nicht immer beispielhaft benehmen. So waren sie zwar „...den Primitiven in allen Stücken kulturell...[und] intellektuell“ überlegen {38a} und sollten von daher „Autorität“ sein {72a}. Aber nur allzu oft „...treten die Europäer selbst ihre Glorie in den Dreck“, tun Unrecht und verspielen so die hohe Meinung, die die Afrikaner von ihnen hatten. {38a}

3.4.2. Die Grenzen von Ittmanns Unvoreingenommenheit

Ittmann zeigt aber auch Grenzen in seiner Unvoreingenommenheit gegenüber den Kamerunern.

Da ist zum einen die Annahme einer allumfassenden Furcht, in der die Kameruner fast permanent leben und die nur durch „...zeitweilige Zuversicht und Vertrauen...“ {72b} abgemildert wird. Diese Furcht resultiert für Ittmann aus dem Aberglauben und hier insbesondere aus dem Totemglauben und seiner „...Knechtung unter die Furcht...“ {93d}, aber ebenso auch aus Ahnenkult, Machtmittelwesen und Geisterdienst {283}. Umgekehrt nötigt „die Unsicherheit des Lebens und die Furcht vor dem Kommenden...das primitive Denken, magische Mittel zu suchen, die den Menschen der Ungewissheit entheben und ihm die Zukunft und damit Wegrichtung zeigen“. {154} Für Ittmann befinden sich die Kameruner also gleichsam in einem Teufelskreis: Das Nichtverstehen der sie umgebenden Welt, Krankheiten, Tod u. ä. erzeugen beim Kameruner Furcht und zwingen ihn, sich zur Abwehr dieser Furcht magischer Mittel zu bedienen, die ihn nun aber ihrerseits auch in Furcht halten.

Die andere wesentliche Negativeinschätzung betrifft das sittliche Empfinden bzw. das Gewissen der Kameruner. Bemerkungen dazu finden sich verstreut im ganzen Text, besonders gebündelt aber natürlich im 3. Teil, der ja schon mit „Religion, Moral und Ethik“ überschrieben ist. Auch hier ist Ittmann in seinem Urteil widersprüchlich. So ist es einerseits für ihn klar, dass die Kameruner „...sicherlich moralische Wesen sind...“ {280} und sich nicht allzu sehr vom „Kulturmenschen“ unterscheiden, da auch sie sehr ähnliche Maßstäbe „...für gut und schlecht, recht und unrecht, schuldig und unschuldig, schön und hässlich...“ haben {285}. Den Grund dafür sieht Ittmann in dem Umstand, dass in Kamerun überall ein Bewusstsein für Gott zu finden ist. {283} Von daher haben die Kameruner moralische Ideen, die unabhängig vom Tabu oder anderen magischen Vorstellungen sind „...und damit auch das, was wir <Gewissen> nennen...“. {280}

Andererseits sieht Ittmann diesen moralischen Kern überall verdeckt. Da verhindert z. B. „...die durch den animistischen Glauben erregte Furcht...eine Sittlichkeit, die auf freier persönlicher Entscheidung beruht...“ {107}; ja Ittmann kann sogar sagen: „...nichts ist sittlich bedingt...“28{156}. In seinen Handlungen lässt sich der Kameruner von daher nicht vom Gewissen leiten, sondern von der Furcht vor magischer Gefahr. Und die vielfältigen magischen Praktiken, besonders aber das Orakel ertöten das Gewissen. {156}

Weil die Kameruner Religion also vorwiegend magisch bestimmt ist und vor allem nur eine schwache Bindung zur Gottheit aufweist, ist der „...moralische Standard nicht sehr hoch...“. {281}

Man erkennt hier die enge Verbindung von Hochgottglauben und Ethik in Ittmanns Denken. So wie in den Kameruner religiösen Vorstellungen und Gebräuchen der Glaube an einen Höchsten Gott verdeckt ist, so ist auch wahres ethisches Empfinden nur im Verborgenen wahrzunehmen.

Da aber alle Kameruner letztlich ein Bewusstsein von diesem Gott haben, zeigen sie, wenn auch sehr verschleiert, ein sittliches Empfinden.

Und hier setzt der Missionar Ittmann an, in diesem seinem Denken liegt m. E. der Schlüssel für Ittmanns Absicht mit diesem Werk und der Schlüssel für dessen Systematik.

3.4.3. Ziel und Absicht von RVK

Ausgehend von dem Gedanken einer allumfassenden Furcht der Kameruner will Ittmann diese mit der Botschaft des Evangeliums „befreien“. Er hat den Eindruck, dass „die Leute...unter dieser ihrer eigenen Tyrannei [seufzen], aber das Volk...nicht die Kraft [hat], sich von dieser Fessel zu lösen“ {296}, denn „...das einzige Mittel, den Kameruner von seiner Knechtung unter die Furcht zu lösen, ist Unterricht in wahrhaft christlichem Geiste“ {93d}. Und das bedeutet für Ittmann „vor allem aber der eine Glaube an den lebendigen Gott...“ als den besten Weg, „...die Schwarzen zu befreien“29. {72a} Und die Richtigkeit seiner Überzeugung sieht er bestätigt, wenn er feststellt, das „...vielerorts...das Evangelium als befreiende Macht erlebt und begrüßt...“ wird. {73}

Die Frage nun, wie das befreiende Evangelium zu den Kamerunern gebracht werden soll, lässt sich bei Ittmann unter das Stichwort der „Anknüpfung“ subsumieren.30 Er hält es für „übel“, nur das Europäische zu kopieren, sondern er will „...das Evangelium in Kameruner Form gießen...“. {301} Aber zu diesem Zweck muss man diese Form eben auch kennen und darf „...nicht nur oberflächlich und äußerlich die Dinge beurteilen...“. {282} Dazu ist „der ideale Kämpfer“ aber nur imstande, wenn er zwei wesentliche Voraussetzungen erfüllt: Er muss in der Lage sein „...die Sprache der Eingeborenen richtig zu lernen und zu meistern“ und er muss sich in der heidnischen Religion auskennen31. {300} Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, dann ist der Missionar in der Lage, die zahlreichen „Anknüpfungspunkte fürs Evangelium“ {304} zu finden, die Ittmann am Ende seines Werkes zusammenfasst. So sind die Kameruner vor allem positiv auf das Evangelium vorbereitet, sie haben z. B. ein „...lebendige[s] Empfinden...für Religion...“, zeigen ein „...Ahnen von Gott und Sehnen nach ihm...“, der Kult (Gebet, Opfer, Weihen) „...lädt zu Anknüpfungen ein“ {304f.} u. v. a. m. Und selbst die die Kameruner so bestimmende Furcht „...ist negative Vorbereitung für das Evangelium, das in seiner befreienden Macht diese Furcht vor den heidnischen Mächten überwindet“. {304}

Durch die Verkündigung des Evangeliums wird der Missionar zudem „...Gründer und Pfleger christlicher Sittlichkeit...“ {42}, der im Kameruner „...die Stimme des göttlichen Gebotes, das auch in des Heiden Busen geschrieben ist...“ zum Erklingen bringt, indem er ihm „...das göttliche Sittengesetz..., wie es in den zehn Geboten seinen Niederschlag gefunden“ hat, nahe bringt. {288}

Ittmann beklagt „interessierte Gruppen“ in Kamerun, die „...aus Selbstsucht und eigenem Interesse gegen das Evangelium auf[treten]...“ und „...mindestens passiven Widerstand dem Evangelium...“ entgegensetzen. Dies sind die Orakler, Medizinmänner und Magier mit ihren Praktiken, denen darum Ittmanns leidenschaftliche Ablehnung gilt. {303}

Und schließlich ahnt und kennt Ittmann die theologischen Widerstände aus seiner Heimat, wenn er seine Praxis der „Anknüpfung“ mit den Worten verteidigt, „...dass wir jeglichen Synkretismus mit dem Heidentum abzulehnen haben“. {290}

3.5. Zusammenfassung: Schlüsse auf Ittmanns Systematik

Nach all diesen Überlegungen wird die Systematik von Ittmanns großem Werk deutlich. Ittmann hat eine bestimmte Vorstellung von Religion. Echte Religion wendet sich an einen Hochgott und ist vor allem durch sittliches Verhalten geprägt. Von diesen Gedanken her wird der Aufbau der „Religiösen Vorstellungen“ greifbar, die er sozusagen durch den Gottesgedanken verklammert. Um dies zu entfalten, lehnt er sich an Vorgaben anderer (Junod) an, wenn es seinen Überlegungen entspricht, kann sich aber auch sofort wieder davon lösen, um seinen Denkweg weiter zu verfolgen.

Um für sich nachzuweisen, dass die Kameruner letztlich Monotheisten sind, spaltet er die Ahnen von den religiösen Vorstellungen ab und ordnet sie als bloße Mittler zwischen der Gottheit und den Menschen in den Kult ein. In Ittmanns Denken zeigt sich hier m. E. auch noch ein generelles Problem. Er reflektiert auf einer Verstandesebene über eine Religion, was an sich schon problematisch ist, und dann noch über eine Religion, die er nicht teilt; d. h. er denkt rational über etwas nach, was er nicht nachempfinden kann und was sich vor allem auf nichtrationalen Ebenen abspielt. Von daher ist die Abtrennung der Ahnen eine künstliche und die Zuschreibung ihrer Rolle als bloße Mittler stellt, schon bei dem reichlichen religionsethnologischen Material, das Ittmann hier liefert, eine Reduktion dar.

Andere Vorstellungen, denen er die religiöse Qualität nicht absprechen kann, entwertet Ittmann dann dadurch, dass er sie als „Minimalreligion“ {Dynamismus, 59} oder „verdorbene Religiosität“ {Animismus, 107} bezeichnet.

Und durch die Abtrennung der Magie von der Religion braucht er die von ihm so verabscheuten okkulten und magischen Praktiken auch nicht in die religiösen Vorstellungen mit hinein nehmen, eben weil sie ja nicht Religion sind.

So trennt er auch die „Religiösen Vorstellungen“ von den „Religiösen Gebräuchen“, denn der Missionar will eher bei den Vorstellungen, speziell bei denen über das Höchste Wesen, anknüpfen, mit der religiösen Praxis hat er doch eher Schwierigkeiten, da an die Hochgottvorstellungen ja kaum ein Kult gebunden ist, von dem man bei der Missionsarbeit ausgehen könnte.

Der dritte Teil seines Werkes stellt dann gleichsam die Fortführung seiner Gedanken über das Höchste Wesen dar, jetzt in Bezug auf Ethik und Moral. Er trennt hier wieder in zwei Teile, indem er die Sittenlosigkeit bzw. das nur durch Furcht ausgelöste sittliche Verhalten mit den von ihm abgelehnten religiösen Gebräuchen und den dazugehörigen Vorstellungen verbindet, wohingegen hinter dem verborgenen Glauben an den Hochgott wahres ethisches Empfinden waltet.

Schließlich ist m. E. der letzte Abschnitt mit Reflexionen über „Kameruner Religion und Evangelium“ nicht wirklich ein „Anhang“, sondern eigentlich der wesentliche Hintergrund für Ittmanns Gedanken und seine Systematik. Deswegen sammelt er das ethnologische Material, deswegen beschäftigt er sich mit den afrikanischen Sprachen. Er will herausfinden, wo beide, nämlich Kameruner Religion und christlicher Glaube, zusammenpassen, wo er „anknüpfen“ kann, und wo beide nicht zusammenzubringen sind, wo also bestimmte Kameruner Vorstellungen und Praktiken „Gegner“ seiner Missionsarbeit sind.

4. Zur Wirkungsgeschichte der RVK

Die RVK kann ohne Zweifel als das opus magnum im verfügbaren Schrifttum Ittmanns gelten und er hat mit ihr, bei allen formalen und inhaltlichen Unkorrektheiten, ein wissenschaftlich relevantes Werk hinterlassen.

Aber wenn Ittmann sich auch mit wissenschaftlicher Literatur und den verschiedensten Theorien auseinandersetzt, sieht er sich selbst doch nie als Wissenschaftler.

So schreibt er in einem Brief an den „sehr verehrten, lieben Herrn Professor“ Ernst Dammann am 30. Juni 1959: „Es war schon immer meine Meinung: Wir Leute vom Feld haben das Material zu beschaffen, wie dies aber am besten zu verarbeiten ist um druckfähig und der Wissenschaft genehm zu sein, mögen die gelehrten Herren daheim entscheiden.“

Dies wurde offensichtlich auch von dem Adressaten Dammann so gesehen, der bis in die 1990er Jahre im wesentlichen der einzige war, der sich mit Ittmanns RVK beschäftigte. Da es Ittmann Zeit seines Lebens - und darüber hinaus - nicht vergönnt war, seine RVK zu veröffentlichen32 , konnte sie bis heute wirkungsgeschichtlich nicht sehr bedeutsam werden, da das Manuskript nur einem begrenzten Leserkreis zugänglich war.33 Dem Theologen und Afrikanisten Ernst Dammann stand es allerdings bei der Verfassung seines Buches „Die Religionen Afrikas“ (1963) zur Verfügung und er lässt vieles von dem dort geschriebenen in seinen eigenen Text einfließen.34

Allerdings sieht er auch in Ittmann nur den Missionar und Sammler ethnologischen Materials und nicht den Wissenschaftler. Dammann betont gleich zu Beginn seines Buches, dass bezüglich der Quellenlage den Missionaren „...das größte Verdienst“ zukommt, weil diese sich eingehend mit den afrikanischen Religionen beschäftigt haben, um die Afrikaner kennen zu lernen (Dammann 1963, S. 2). Und hier ordnet er augenscheinlich auch Ittmann einseitig den Missionaren zu, ohne auch z. B. auf dessen religionswissenschaftliche Reflexionen einzugehen. Wenn er auch in großem Maße ethnologisches Material aus der RVK für seine Überlegungen zieht, so diskutiert er im ganzen Buch an keiner Stelle die vielfältigen Überlegungen Ittmanns.

Dammann erwähnt Ittmann in seiner Autobiographie im übrigen kaum. Er betont aber, Ittmann kennen und schätzen gelernt zu haben (Dammann 1999, S. 77f.) und bescheinigt ihm, „...einer der besten Kenner des Duala und anderer Kamerunsprachen...“ gewesen zu sein (Ebd., S. 292). Ein Hinweis auf Ittmanns eventuellen Einfluss auf Dammanns Werk findet sich allerdings nicht.

5. Die „Religion im vorderen Kamerun“ in ihrer Bedeutung im Gesamtwerk Ittmanns

5.1. Einleitendes

Die Zeit der Abfassung der RVK stellt eine Zäsur in Ittmanns Leben und Schaffen dar. Da ist einmal die Internierung in Jamaika, in der Ittmann die Zeit findet, all seine Forschungen und Überlegungen zu verbinden und diese in einen, seinen großen Zusammenhang zu stellen. Dies macht er in seiner missionswissenschaftlichen Schrift GVK und der mehr religionsethnologischen RVK.

Diese Zeit stellt aber auch insofern eine Zäsur dar, weil sie, von Ittmann nicht gewollt, seine Tätigkeit als Missionar beendet. Als er 1946 nach Deutschland zurückkehrt, hat er den Wunsch, wieder nach Kamerun zurückzukehren, der sich aber nicht erfüllt. Basel schickte bis 1957 nur noch Schweizer Missionare nach Kamerun; die Nähe vieler deutscher Missionare zum Nationalsozialismus hatte sie zunächst für diese Arbeit diskreditiert, Ittmann kann man da ja nicht ausnehmen. Ab 1957 wurden dann auch wieder Deutsche von Basel aus in die Mission geschickt, aber da war Ittmann zu alt. Aber auch für sein Schriftwerk interessierte man sich in Missionskreisen nicht mehr, die Dominanz der dialektischen Theologie ließ keinen Raum mehr für die Beschäftigung mit anderen Religionen. (vgl. Balz 1993, S. 256)

Vor diesem Hintergrund, dass die RVK Ittmanns bedeutendstes Schrift darstellt, soll jetzt noch einmal die Bedeutung dieses Werkes im Gesamtschaffen Ittmanns beleuchtet werden.

Viele Motive der RVK finden sich verständlicherweise auch in seinen anderen Schriften und es soll hier aus Platzgründen nicht auf alle Gesichtspunkte im Denken Ittmanns eingegangen werden, die sich so oder sehr ähnlich sowohl in RVK als auch in seinen diversen Beiträgen finden. Ebenso wird hier verzichtet auf eine Auflistung der Aufsätze bis 1942, also vor der Internierung, die Eingang in die RVK finden, sowie die Aufsätze ab 1951, die aus Teilen der RVK entstanden sind, soweit es sich um die Veröffentlichung von ethnologischem und linguistischem Material handelt.

Im Folgenden sollen vielmehr ein paar Fragen, die sich in RVK stellten, noch einmal vor dem Hintergrund des Gesamtwerkes beleuchtet werden, um zum einen Ittmann besser kennen zu lernen und zum anderen eventuelle Entwicklungen im Denken Ittmanns aufzuzeigen.

Von daher soll zunächst näher über Ittmanns Religiosität und über die Absichten von Ittmanns Arbeit nachgedacht werden. Anschließend wird noch einmal auf die Wandlungen der Gedanken Ittmanns über die Kameruner Hochgottvorstellungen zu sprechen sein.

Schließlich soll noch auf die erstaunlichen Unterschiede, die zwischen Ittmanns letztem Aufsatz und seinem Gesamtwerk bestehen, eingegangen werden.

5.2. Kennzeichen Ittmanns eigener Religiosität

Durch Ittmanns Schrifttum zieht sich eine bestimmte Auffassung von einem rechten religiösen Bewusstsein, die sehr durch seinen pietistischen Hintergrund geprägt ist. Nach der darf man „...den großen Gott...Vater nennen und sich zu ihm als ein Kind tun...“ (1932, S. 35). Ittmann sieht dann seine missionarische Arbeit fruchtbringend, wenn ein schwarzer Christ ihm erzählt, „’...dass Gott stark ist und ich als kleiner Mensch ihm gehorsam sein muss’“ (1932, S.37), das Christwerden macht „...viele bescheiden und klein...“ (1932, S.38). In RVK beklagt er, dass bei den Kamerunern „...kindliche Ehrfurcht vor dem Vater...selten“ ist (RVK, S. 169) und das „Hauptmerkmal“ des christlichen Glaubens ist ihm „...das kindliche Vertrauen zu Gott dem Vater“ (RVK, S. 306).35

Man hat dabei manchmal den Eindruck, dass Ittmann sich - unbewusst - selbst in einer väterlichen Rolle gegenüber den Kamerunern sieht. So ist er ihnen im Innersten zugetan, versucht sie zu verstehen, ist aber streng und abweisend in den Aspekten, die er nicht akzeptieren kann und die ihm falsch erscheinen. So schreibt er z. B. über die afrikanischen Lehrer, die „...alle noch an der Erbschaft aus dem Heidentum...“ tragen, dass der, der „...ihnen aber helfen will, ...wahr und streng sein“ muss (Ittmann 1928, S. 44) und es entspricht für ihn „...eher unserer protestantischer Praxis...“, wenn „...statt Milde Strenge...“ waltet (Ebd., S. 46).

Dieses Denken ist durchaus ein Zeichen für die Nähe Ittmanns zu den Kamerunern, aber es hindert ihn daran, diese als potentielle Gesprächspartner ernst zu nehmen, letztlich schaut er doch - wenn auch wohlwollend - auf sie herab. In diesem Zusammenhang wird sein noch zu besprechender Aufsatz von 1963 bedeutsam.

5.3. Die Missionsmethode der „Anknüpfung“

Wir hatten schon festgestellt, dass Ittmann seine Missionsarbeit unter dem Stichwort „Anknüpfung“ versteht.36 Dieser Gedanke war in der Missionswelt weit verbreitet. Schon 1884 formulierte der Allgemeine Evangelisch-Protestantische Missionsverein als Ziel, die „...christliche Religion und Kultur unter den nicht christlichen Völkern auszubreiten in Anknüpfung an die bei diesen schon vorhandenen Wahrheitselemente“ (nach Hoekendijk 1967, S. 38f.; Hervorhebung von mir). Ittmann selbst begründet in einem Aufsatz von 1935 diesen Ansatzpunkt als den richtigen, wenn er zwei Möglichkeiten gegenüber stellt. Zum einen kann man versuchen, „...einem...fremden Volke das Evangelium in dem Gewande unseres heimischen Christen- und Kirchentums zu übermitteln“ (Ittmann 1935a, S. 135). Es sei auch eine Zeitlang sehr gefordert worden, die zu missionierenden Völker „...heraufzuheben und durch Einführen der deutschen Sprache fester an uns zu knüpfen“ (Ebd.).37 Aber dies will Ittmann nicht, er ist kein Nationalist wie viele andere seiner Generation. Er hält einen anderen Weg für den richtigen, den er ja auch in RVK befürwortet, nämlich dem fremden Volk „...die biblische Frohbotschaft in seine Verhältnisse unmittelbar hinein[zu]sagen“, indem „...der Missionar vor allem in die Sitten, das Volkstum und die Gebräuche eindringt und die Sprache erlernt“ (Ebd.). Deswegen vor allem seine ethnologischen und linguistischen Aufzeichnungen, die Ittmann wesentlich für die „...Ausbildung der jungen Generation von Basler Kamerunmissionaren...“ schreibt (Balz 1993, S. 256). Er argumentiert dabei auch biblisch (Mt 5,17), wenn er sagt, dass er „das fremde Volkstum...Nicht auflösen, sondern erfüllen!“ will (Ittmann 1935a, S. 135). Und in einem anderen Aufsatz aus dem selben Jahre schließt er sich Paulus an (1. Kor 9, 19–23), wenn er betont, dass sich der Missionar in Afrika bemühen muss, „...den Negern ein Neger zu werden“ (Ittmann 1935c, S. 1). Auch hier betont er wieder, wie wichtig es ist, Sprache und „Volksleben“ der Afrikaner zu kennen, damit der Missionar in der Lage ist, „...bei seinem Verkündigen des Evangeliums möglichst an die geistige Art des Negers sich anschließe“; und es ist wichtig für Ittmann, das Evangelium so zu verkündigen, dass der Kameruner „...diese neue Lehre als die Erfüllung seines alten Suchens und Sehnens versteht“. (Ebd.)

Allerdings verschiebt sich bei Ittmann der Schwerpunkt seiner Anknüpfungen. In den 30er Jahren befand er sich „...für etliche Jahre in Gutmanns Arme[n]...“ (Balz 1993, S. 262). Gutmann, der selbst als Missionar bei den Dschagga in Afrika tätig war, schloss von der zunehmenden Entwurzelung und Desintegration dieses Volkes auf Europa und bescheinigte beiden „geistige Bastardierung“ (nach Hoekendijk, S. 142f.). Geprägt von Zivilisationsmüdigkeit und Kulturpessimismus zog er die Linie: „europäisieren = zivilisieren = individualisieren =...desintegrieren“ (Ebd., S. 146). Dem entgegen setzte Gutmann dann seine „urtümlichen Bindungen“, die für ihn „...die einzig richtige Menschen-weise“ waren (Ebd., S. 152) und die er mit seiner „volksorganische Missionsmethode“, die „...auf das Bewahren, Indienstnehmen, wenn nötig Erneuern und Funktionalisieren der Volksorgane gerichtet ist“, (Ebd., S. 154) reaktivieren wollte. Dass dieses Denken großen Einfluss auf Ittmann hatte, wird vor allem in einem Aufsatz von 1936 deutlich, der schon in seinem Titel: „Urtümliche Bindungen und Volksordnungen im vorderen Kamerun“ auf Gutmann verweist.38

Aber Ittmann trennt sich wieder von Gutmann, es ist auffallend, dass er in RVK die Begriffe „urtümlich“ und „Volksordnungen“ nicht mehr benutzt. Aus dem bis jetzt Herausgearbeiteten wird auch der Grund dafür deutlich. Ittmanns Bemühungen um einen realistischen Blick bewahrt ihn vor einer Verklärung der Lebensverhältnisse der Naturstämme, wohin Gutmann zu neigen scheint.39 In RVK macht Ittmann dagegen, wie gezeigt wurde, deutlich, dass er in seiner Missionsarbeit bei den Vorstellungen über den Hochgott anknüpfen will, weil dieser Glaube für ihn wahre Religion ist und wahres ethisches Empfinden möglich macht. Mit der Frage nach Gott als „Geber“ und „Richter“, den er in RVK herausstellt „...hatte er endgültig sein Leitthema gefunden...“ (Balz 1993, S. 263).

Dieses zentrale Thema aber, die Kameruner Vorstellungen vom Hochgott, ziehen sich durch Ittmanns gesamtes Schrifttum und entfalten sich immer mehr. Diese Entwicklung soll im nächsten Abschnitt näher beleuchtet werden.

5.4. Zur Entwicklung der Gedanken Ittmanns über die Kameruner Hochgottvorstellungen

Schon 1932 betont Ittmann, dass man den Schwarzen „...das Sein Gottes...nicht erst bezeugen“ muss (Ittmann 1932, S. 35), da sie schon eine Vorstellung von ihm haben.40

Später betont Ittmann, dass die Kameruner „monotheistisch“ denken und „...die Ahnengeister eine Art Verbindungsglied zwischen Gott und Menschen...“ darstellen (Ittmann 1935b, S. 355). Es fällt auf, dass Ittmann hier nicht zwischen dem Himmels- und Ahnengott unterscheidet, sondern nur vom Himmelsgott Owase41 spricht. Erstaunlich ist, dass Ittmann den Satz: „A ovas’ a lova la mongo mo ndando“ (in Ittmann 1935b Schreibung in Umlautschrift) nicht wie in RVK mit: „Du Ahnengottheit im Himmel, du Aufheber aller sippischen Zerklüftung“ (Ittmann RVK, S. 121) übersetzt, sondern mit: „Du großer, allmächtiger Himmelsgott der Ordnung“ (Ittmann 1935b, S. 357). Hier ist also (noch?) nichts zu spüren von einem Zusammendenken von Ahnen- und Himmelsgott!42 Wenn Ittmann am Ende dieses Aufsatzes betont, dass er die Widersprüche in den religiösen Vorstellungen der Bakwiri „...nicht auszuglätten“ suchte (372), so stellt sich doch die Frage, ob er das später in RVK nicht doch macht, wenn er diese Wendung ovas’ a lova... so ganz anders übersetzt, ohne zumindest seinen älteren Aufsatz zu diskutieren.43

Wesentlich Neues bezüglich der Kameruner Vorstellungen über den Hochgottglauben formuliert Ittmann 1940 in einem Aufsatz „Gottesvorstellung und Gottesnamen im vorderen Kamerun“, der ihm offenbar so wichtig ist, dass er ihn - im wesentlichen unverändert44 - 1955 noch einmal veröffentlicht. Hier entfaltet Ittmann seine Überlegungen über die „lebendige Gottesvorstellung“ der Kameruner und erklärt, dass deren Gedanken „um zwei Vorstellungen“ kreisen (Ittmann 1940, S. 137), eben um den mit dem Ahnen- und Fruchtbarkeitskult verbundenen Nyambe und dem mit dem Himmel verbundenen Loba, die er auch als den „Geber“ (in RVK favorisiert er „Wirker“) und den „Richter“ bezeichnet. Beide beschreibt er in diesem Text in großen Teilen analog zu RVK.45.

Das ist ihm also augenscheinlich wichtig: Die Betonung, dass die Kameruner monotheistisch denken, dass die zwei Namen nur zwei unterschiedliche Erscheinungsweisen desselben geglaubten Gottes repräsentieren. Dies ist das zentrale Thema in seinem Aufsatz und in RVK und auch das wesentliche Bindeglied zwischen beiden. Weist Ittmann in seinem Aufsatz vor allem die Einheit des Gottesgedankens auf, so führt er das in RVK weiter und zeigt, dass in eben diesem Glauben an den einen Gott der Ansatzpunkt liegt für die Mission, d. h. für das befreiende Evangelium. Mit diesen Gedanken hat Ittmann sein Thema gefunden, hier treffen sich der Ethnologe und der Missionar, hier zieht er seine persönlichen Schlüsse aus seinen Erfahrungen in Kamerun und macht sich frei von anderen Autoren.46 Und offensichtlich bleibt dies auch sein Thema, wenn er 1955 diesen Aufsatz noch einmal veröffentlicht.

Widersprüchlich bleibt Ittmann allerdings in seinen religionswissenschaftlichen Versuchen, den Hochgottglauben in seiner Entwicklung erklären zu wollen. In RVK hatte er ja ausdrücklich betont, dass der Glaube an Nyambe etwas „Autochthones“ sei, der sich nicht aus dem Ahnendienst entwickelt habe, Nyambe also kein Urahn ist (Ittmann RVK, S. 121f.). In seinem Aufsatz dagegen konstatiert er zumindest für das Grasland, dass dort die Gottheit „...noch deutlich der Urahn selbst...“ ist (Ittmann 1940, S. 138, Hervorhebung von mir). Und am Ende des Aufsatzes vermutet er, dass der Gottesname Nyambe „...unzweifelhaft dem Ahnen- und dem damit verbundenen Totemkulte entstammt...“, wohingegen Loba „...vielleicht auf einen längst entschwundenen oder im Entstehen steckengebliebenen Gestirndienst zurückgeht“ (S. 147). Beide Sätze übernimmt Ittmann 1955 im übrigen unverändert (S. 244, 261).

Aber mit diesen Widersprüchen steht Ittmann nicht alleine da, sondern ist hier Kind seiner Zeit, die immer wieder vergeblich versuchte, schlüssige Erklärungen und Theorien für die Entstehung von Religion und Gottesglauben zu geben und immer wieder damit scheiterte.

5.5. Die Wandlung in Ittmanns Einschätzung der Kameruner

1963 erscheint posthum ein Aufsatz Ittmanns mit dem Titel „Von den Grundlagen der Welt- und Lebensanschauung in Süd-Kamerun“, den ich bemerkenswert finde, weil er sich in einigen Punkten von Ittmanns bisherigen Denken, das auch in RVK bestimmend war, abhebt. Einige Jahre zuvor hatte Ittmann das 1945 erschiene Buch „Bantu Philosophie“ von Placide Tempels gelesen und dies 1958 rezensiert (Balz 1993, S. 259f.). Offensichtlich beeindruckte ihn dieses Werk stark und öffnete neue Wege in seinem eigenen Denken. Balz weist darauf hin, dass sich Ittmann in seinem Aufsatz in seinen wesentlichen Teilen nach der Kapitelfolge von Tempels Buch richtet, so wie er das früher auch schon mit anderen Werken tat (Johanssen47, Junod). Und es ist wieder etwas befremdlich, wenn er dies an keiner Stelle vermerkt. (Ebd., S. 259) Aber davon abgesehen ist zu vermuten, dass er Tempels Gliederung und Gedanken nicht aufgenommen hätte, wenn sie nicht auch seiner Meinung entsprochen hätte. Dem soll an dieser Stelle nachgegangen werden.

Ittmann hat plötzlich einen erstaunlich anderen Blick auf die Kameruner. Wenn er gleich zu Anfang betont, dass sich immer mehr die Erkenntnis durchsetzt, dass man bei den Afrikanern „...nicht von Menschen reden kann, die auf einer prärationalen Bewusstseinsstufe ständen und nicht die Fähigkeit logischen Denkens besäßen“ (Ittmann 1963, S. 661), so befindet er sich damit noch auf einer Linie mit seiner RVK, wo er zunächst vorsichtig Levy-Brühl kritisiert und betont, dass „...die Kameruner Stämme bei weitem nicht auf der ganz primitiv prälogischen Stufe stehen“ (Ittmann RVK, S. 47a), um an anderer Stelle eindeutig zu sagen, dass „...der Schwarze nicht ‘prälogisch’ denkt“ (Ebd., S. 130).

Aber völlig neu und anders beurteilt Ittmann jetzt Denk- und Verhaltensweisen der Kameruner, die er vorher, wie ja für die RVK gezeigt, verurteilte und sehr kritisierte. So gelten ihm Wahrsagerei und Orakel nun als „...von den Ahnen übermittelte Künste zur Förderung der Weisheit“ und er bedauert, dass das europäische Schulwesen in diese Volksweisheit eine große Lücke gerissen hat (Ittmann 1963, S. 664). Jetzt gesteht er den Kamerunern auch Lebensweisheit, Psychologie und Ethik zu. Der Mensch ist nicht nur gebunden an alle möglichen Vorschriften, Gebote und Verbote, sondern kann „als Wesen mit freiem Willen...über sich selbst bestimmen, kann wählen zwischen Gut und Böse...“ (Ebd., S. 668). Er sieht sich „...nicht als erstes und letztes Maß aller Dinge...“, sondern anerkennt „...eine höhere Macht, die ihn beurteilt“ und von der „...Freiheit der Entscheidung und Pflicht zur Rechenschaft“ kommt (Ebd., S. 669). Und „das Verhalten des Einzelnen gegenüber den Sittenregeln wird getragen von seinen Vorstellungen über die geltenden Begriffe von Pflicht, Gewissen, Verantwortlichkeit, Verfehlung und Schuld“ (Ebd.).

Ittmann sieht die Kameruner auch nicht mehr in einer allumfassenden Furcht gefangen, denn trotz vieler Störungen in der unvollkommenen Welt ist man in Kamerun überzeugt, „...dass das Leben stärker ist als der Tod, Recht stärker als Unrecht, Lebenswille stärker als die Vernichtung; denn Gott übt das stärkere Recht auch gegen Übeltäter“ (Ebd., S. 672).

Zusammenfassend stellt Ittmann fest, „...dass auch der primitive Kameruner kein geistiger Habenichts ist, sondern ein entwickeltes Menschentum lebt und eine das ganze All umfassende Weisheitslehre besitzt; dass er zwischen Gut und Böse zu unterscheiden weiß und sich nach Lebenserneuerung sehnt“ (Ebd., 676).

Diese Wandlung in Ittmanns Einschätzung der Kameruner erstaunt. Balz merkt an, dass Ittmann in seiner Rezension von Tempels’ Buch diesen kritisiert, „...zu harmonisch und optimistisch, zu wenig der Gegensätze im afrikanischen Denken bewusst“ zu deuten; wenn Ittmann 1958 selbst fragt, „...ob Tempels das Denken der Bantu nicht zu licht gezeichnet hat“ (Balz 1993, S. 260).

Was aber ist fünf Jahre später? Neigt Ittmann hier, am Ende seines Lebens und mit einem 20-jährigen Abstand zu seiner Kameruner Zeit, selbst zu einer Verklärung Afrikas und seiner Bewohner? Oder wagt er es hier, mit der Autorität von Tempels im Rücken, sich zu lösen von seinen Vorurteilen und der in Missionskreisen seiner Zeit sicherlich gängigen Ablehnung der „heidnischen“ Bräuche? Man hat den Eindruck, Ittmann ist hier versöhnt mit sich und den Afrikanern. Er kann sie lassen, wie sie sind, er begibt sich jetzt auf eine Augenhöhe mit ihnen, gibt den väterlichen Blick von oben auf und nimmt die Afrikaner als Gesprächspartner ernst.

In diesem Sinne kann man Ittmanns letzten Aufsatz als eine Ergänzung zur RVK und seinem großen Thema der Kameruner Hochgottvorstellung als „Geber“ und „Richter“ ansehen. Dieses Thema gibt er ja nicht auf, er verweist 1963 auch auf seinen hier schon besprochenen Aufsatz über „Gottesvorstellung und Gottesnamen...“ von 1955 (S. 662, Note 5), ohne dies allerdings an dieser Stelle auszuweiten.

Zum Schluss des Aufsatzes spricht dann wieder der Missionar. Jetzt aber einer, der nicht mehr „befreien“ muss, sondern einer, der weiß, dass das, was die Afrikaner glauben, nicht von vornherein falsch ist, aber der auch weiß, dass er eine Botschaft hat, die „weiterhelfen“ kann. In seinem letzten Satz schließlich ist dann noch einmal zusammengefasst, um was es Ittmann sein Leben lang ging und um dessen richtigen Weg er ein Leben lang rang: „Das Vertrautsein mit dem geistigen Hintergrund der in Afrika geltenden Anschauungen und Gebräuche ist auch Voraussetzung für die Verkündigung des Evangeliums“ (Ittmann 1963, S. 676, Hervorhebung von mir).

6. Schluss

Heute, über ein halbes Jahrhundert nach der Abfassung der RVK und mehr als 30 Jahre nach Ittmanns Tod hat sich in Afrika viel verändert. Die Mission war in den meisten Ländern erfolgreich, große Teile Schwarzafrikas sind christianisiert, viele eigenständige Kirchen sind entstanden. Aber was Ittmann ahnte, ist eingetreten: Das Christentum hat nicht einfach die alte Religion abgelöst, sondern beide existieren nebeneinander bzw. oftmals vermischen sie sich. Der eingangs erwähnte Ngum III. verkörpert als christlicher Theologe und traditioneller König diese Vermischung von Tradition und Christentum in Personalunion. Auf einem Podiumsgespräch, wenige Tage nach der Ausstellungseröffnung betonte Ngum III.48 , dass die Afrikaner nach wie vor in zwei Welten leben, zum einen in der Welt der alten Kultur, die sich aber auch weiterentwickelt, und zum anderen in der neuen westlich geprägten. Auf die Frage, wie man denn traditioneller König und zugleich christlicher Theologe sein kann, antwortete Ngum III. mit dem Pauluswort, dass er allen alles geworden sei, um einige zu gewinnen. Er will nicht vor der Welt davonlaufen und nur auf die eigene Reinheit achten, sondern sieht seine Bestimmung darin, Diener zu sein, so wie Christus Diener gewesen ist, was für ihn vor allem heißt, dass er nicht ändern, sondern akzeptieren will.

Wenn wir die Frage vom Anfang, was Ittmann einem Mann wie Ngum III. sagen würde, nochmals aufnehmen, so bleibt die vermutliche Antwort vage. Wahrscheinlich wäre er befremdet gewesen. Vielleicht hätte der alte Ittmann aber auch überlegt, ob nicht die Entwicklung so verlaufen ist, wie er es immer gewollt hat, dass nämlich das Evangelium Kameruner Form annimmt.

Ittmann sah es als Missionar als seine Aufgabe an, das Christentum nach Afrika zu bringen. Um die richtige Art und Weise hat er ein Leben lang gerungen. Wie sich aber der christliche Glaube in Afrika entwickelt, liegt nicht in unserer Macht und die Entwicklung zu kritisieren, steht uns m. E. nicht zu. Die Entscheidung, wer denn das Evangelium am besten vertritt, brauchen und können wir nicht fällen.

Bei uns liegt aber, miteinander ins Gespräch zu kommen und da hat die deutsche Theologie, wie mir scheint, einen größeren Nachholbedarf als die afrikanische.

Der österreichische Philosoph Franz Wimmer formuliert einen „kategorischen Imperativ“ der interkulturellen Philosophie, wenn er schreibt: „...halte keine philosophische These für gut begründet, an deren Zustandekommen nur Menschen einer einzigen kulturellen Tradition beteiligt waren“ (Wimmer 1996, S. 93). Ich bin überzeugt, dass sich diese Forderung auch auf die Theologie übertragen lässt.

Unsere religiösen Auffassungen und Gebräuche sind immer mitgeprägt von unserer Kultur, d.h. sie sind immer auch eingeschränkt. Die Beschäftigung mit anderen Kulturen und Religionen wird den eigenen Blick erweitern und kann das Eigene in Frage stellen, es kann aber auch bestätigt werden,

Ich weiß nicht, ob Ngum III. meint, immer akzeptieren und nie ändern zu wollen, es gibt sicher in allen Religionen und Kulturen Strömungen, die man nicht akzeptieren kann. Aber was man glaubt ändern zu müssen, das muss man zuvor auch wirklich kennen, um es als nicht akzeptabel einschätzen zu können. Ittmann kann uns hierfür Vorbild sein. Als er, der aus kleinbürgerlichen Verhältnissen kam und sehr pietistisch geprägt war, nach Afrika ging, ließ er sich auf eine ihm sehr fremde Welt ein und dürfte oft genug sehr befremdet gewesen sein. Aber er ließ sich ein, versuchte zu verstehen und konnte am Ende auch stehen lassen. Und dazu, den Anderen anders sein lassen zu können, gehört menschliche Größe, die man Ittmann zuerkennen muss.

Ittmann bleibt von daher aktuell. Aber auch sein Schrifttum bleibt es, für die Afrikaner, die mit Ittmanns gesammelten Material ihrer eigenen Vergangenheit nachgehen und für uns, die wir uns mit seinem Schrifttum der afrikanischen Kultur annähern können.

Wenn, wie Ngum III. sagt, die Afrikaner heute auch mit Dankbarkeit auf eine oft schlimme Vergangenheit schauen können, dann gilt dieser Dank, dessen bin ich mir sicher, auch Johannes Ittmann.

7. Literaturverzeichnis

Balz 1993Balz, Heinrich: „Geber“ und „Richter“ - Hermeneutische Überlegungen zu J. Ittmanns Deutung der vorchristlichen Gotteserfahrung im Waldland von Kamerun. In: Piskaty, Kurt / Rzepkowski, Horst (Hrsg.): Verbi praecones: Festschrift für Karl Müller zum 75. Geburtstag, Nettetal 1993, S. 253–273 (Studia Instituti Missiologici Societatis Verbi Divini; Nr. 56).
Balz 1995Balz, Heinrich: Where the Faith have to Live: Studies in Bakossi Society and Religion. Part 2: The Living, the Dead and God. Berlin 1995.
Dammann 1963Dammann, Ernst: Die Religionen Afrikas. Stuttgart 1963 (Die Religionen der Menschheit - Band 6).
Dammann 1999Dammann, Ernst: 70 Jahre erlebte Afrikanistik - Ein Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte. Berlin 1999 (Marburger Studien zur Afrika- und Asienkunde, Serie A: Afrika, Band 32).
de Brosses 1785de Brosses, Charles: Ueber den Dienst der Fetischengötter oder Vergleichung der alten Religion Egyptens mit der heutigen Religion Nigritiens. Berlin / Stralsund 1785.
Hoekendijk 1967Hoekendijk, Johannes Christiaan: Kirche und Volk in der deutschen Missionswissenschaft. München 1967 (Original Amsterdam 1948) (Theologische Bücherei - Neudrucke und Berichte aus dem 20. Jahrhundert - Band 35, Mission und Ökumene.
Ittmann 1928Ittmann, Johannes: Schulvisitation in Kamerun. In: Der Heidenbote Nr. 3, 1928, S. 44–47.
Ittmann 1932Ittmann, Johannes: Wie dem Kameruner das Reich Gottes verständlich wird. In: Der Heidenbote Nr. 3, 1932, S. 34–39.
Ittmann 1935aIttmann, Johannes: Ein praktischer Einblick in die Arbeit deutscher Missionen (Die Basler Mission in Kamerun.). In: Auf der Warte 32. Jg. Nr. 1, 1935, S. 133–136.
Ittmann 1935bIttmann, Johannes: Von der Gottesvorstellung der Bakwiri. In: Africa 3, 1935, S. 355–372.
Ittmann 1935cIttmann, Johannes: Welche Anknüpfungspunkte und Vergleiche für die Verkündigung des Evangeliums findet der Kamerun-Missionar unter seinen Zuhörern? In: Blätter für die Freunde der evangelischen Mission in Kamerun und Nord-Togo, Nr. 61, 1935, S. 1–16.
Ittmann 1936Ittmann, Johannes: Urtümliche Bindungen und Volksordnungen im vorderen Kamerun. In: Evangelisches Missionsmagazin - Neue Folge, 80. Jg., Nr. 1, 1936, S. 16–52.
Ittmann 1940Ittmann, Johannes: Gottesvorstellung und Gottesnamen im vorderen Kamerun. In. Evangelisches Missionsmagazin - Neue Folge, 84. Jg., 1940, S. 137–150.
Ittmann 1955Ittmann, Johannes: Gottesvorstellung und Gottesnamen im nördlichen Waldland von Kamerun. In: Anthropos, Vol. 50, 1955, S. 241–264.
Ittmann 1963Ittmann, Johannes: Von den Grundlagen der Welt- und Lebensanschauungen in Süd-Kamerun. In: Anthropos, Vol. 58, 1963, S. 661–678).
Ittmann GVKIttmann, Johannes: Geistiger Volksbesitz der Kameruner im Lichte des Evangeliums. unveröffentlichtes Typoskript von 1942, ca. 200 Seiten.
Ittmann RVKIttmann, Johannes: Die Religionen im vorderen Kamerun. unveröffentlichtes Typoskript von ca. 1943/44, ca. 330 Seiten.
Junod 1963Junod, Henri A.: The Life of a South African Tribe - II. Mental Life. New York 1962 (Original 1927).
Kähler-Meyer 1964Kähler-Meyer, E.: Pfarrer i. R. Johannes Ittmann † (Nachruf und Bibliographie). In: Afrika und Übersee 47, 1964, S. 1–8.
Schmidt 1930Schmidt, Wilhelm: Ursprung und Werden der Religion - Theorien und Tatsachen. Münster 1930 (Handbuch der vergleichenden Religionsgeschichte).
Selignow 1996Selignow, Andreas-Martin: Evangelium, afrikanisches Volkstum und geistiger Volksbesitz im Denken des Missionars Johannes Ittmann bis zum ersten großen Jamaika-Manuskript (ca. 1943) im Zusammenhang der deutschen missionstheologischen Debatte 1909–1940. (Unveröffentlichte Magisterschrift) 1996, 80 Seiten.
Spencer 1877Spencer, Herbert: Die Principien der Sociologie - I. Band. Stuttgart 1877 (Ders.; System der synthetischen Philosophie - VI. Band).
Tylor 1873Tylor, Edward B.: Die Anfänge der Cultur - Untersuchungen über die Entwicklung der Mythologie, Philosophie, Religion, Kunst und Sitte; Leipzig 1873 (Original: Primitive Culture. London 1871).
Wimmer 1996Wimmer, Franz M.: Polylog der Traditionen im philosophischen Denken - Universalismus versus Ethnophilosophie? In: DIALEKTIK Nr. 1, 1996.

Fußnoten:

1 Im Folgenden RVK abgekürzt.
2 Aus der Eröffnungsrede von König Ngum III. vom 23.09.99. Das Zitat stammt aus der deutschen Übersetzung des Redemanuskriptes, das während der Ausstellungseröffnung verteilt wurde.
3 Ausführliche biographische Angaben bei Kähler-Meyer 1964, Balz 1993 und vor allem Selignow 1996. Bei letzterem auch ein eingehender Exkurs zu „Ittmanns Verhältnis zum Nationalsozialismus“. A. Selignow sei an dieser Stelle dafür gedankt, dass ich auf seine umfangreichen Literaturrecherchen zum Werk Ittmanns zurückgreifen konnte.
4 Ittmann schreibt in einem Brief an E. Dammann vom 25.November 1961: „Das Wichtigste von dem, was der britische Zensor in Jamaika oder das War Office in London zurückbehalten oder wahrscheinlich verschleift hat, ist 1.eine Beschreibung des Stammes der Kosi, etwa 400 Seiten, und 2. eine Auslegung der Kleinen Propheten (in Duala), etwa 250 Seiten.“
5 Seitenangaben aus RVK werden im laufenden Text mit { }Klammern gekennzeichnet, wobei ich hier Ittmanns Seitenzählung folge. Vgl. dazu die „Editorischen Bemerkungen“ in dieser Ausgabe.
6 Dies Problem zieht sich durch das gesamte Werk Ittmanns und ist sicherlich dem Umstand geschuldet, dass er nie eine wissenschaftliche Ausbildung genossen hatte. Wenn das auch den Zugang zu seinem Schaffen und dessen Bewertung erschwert, sei Ittmann auch Bewunderung gezollt, dass er als Autodidakt in der Lage war, sich die diversen wissenschaftlichen Werke zu erarbeiten und das noch neben seiner sicher nicht zu geringen Arbeit in Kamerun. Vgl. dazu auch Balz 1993, S. 258.
7 Vgl. Kähler-Meyer 1964, S. 1.
8 Junod, Henri A.; The Life of a South African Tribe. Nach einem Hinweis von H. Balz. Inwieweit sich Ittmann auch inhaltlich an Junod hält, ja vielleicht auch von ihm abschreibt, konnte im Rahmen dieser Arbeit nicht näher untersucht werde.
9 Junod, Henri A.; The Life of a South African Tribe. Nach einem Hinweis von H. Balz. Inwieweit sich Ittmann auch inhaltlich an Junod hält, ja vielleicht auch von ihm abschreibt, konnte im Rahmen dieser Arbeit nicht näher untersucht werde.
10 Vgl. dazu auch Kap. 5.4. dieser Arbeit.
11 Hier zieht Ittmann beide Gottesvorstellungen offensichtlich zusammen. Vgl. dazu Kap. 5.4. dieser Arbeit.
12 Vgl. Kap. 3.3.3 dieser Arbeit.
13 Vgl. vorhergehende Note.
14 So schon de Brosses 1785.
15 So vor allem Tylor 1871 (deutsche Fassung 1873).
16 Nach Spencer 1877.
17 Dieser Begriff wurde vor allem durch Tylor geprägt. Zivilisation erscheint für ihn „...als ein allgemeine Veredlung der Menschheit durch höhere Organisation des Individuums oder der Gesellschaft, und zwar so, dass zugleich die Güte, die Stärke und das Glück des Menschen wächst“. (Tylor 1873, S. 27) Dies schlägt sich dann für Tylor natürlich auch in den religiösen Vorstellungen nieder.
18 Schmidt 1930.
20 Ebd., S. 280.
21 Diese Definition ist schon von Ittmann in Anführungszeichen gesetzt worden, so dass anzunehmen ist, dass er sie irgendwo abgeschrieben hat.
22 Als Drittes unterscheidet er noch wissenschaftliche Anschauungen.
23 So z. B. ablehnend mit Freuds Gedanken über das Inzest-Tabu und den Ödipuskomplex. {192ff.}
24 So erwähnt er z. B. Warneck {107}, Wundt {93c, 128}, Levy-Brühl {47a} und setzt sich mit ihnen auseinander, allerdings wieder ohne wissenschaftliche Quellen- und Literaturangaben.
25 Das erinnert an das Goethe-Wort: „Von Afrika bis Athen sind alle Menschen Vettern.“
26 Hier bezüglich den Seelenvorstellungen. Ich denke aber, dass Ittmann diese Frage auch bei anderen Vorstellungen so hätte stellen können.
27 Diese Verbindung zum alten Griechen- oder sogar zum Germanentum dürfte auch im Gegensatz zu den nationalsozialistischen Rassenauffassungen gestanden haben. Dies zeigt u. a. auch, dass Ittmann, obwohl Mitglied der NSDAP, wohl kaum Vertreter der nationalsozialistischen (Rassen-)Ideologie gewesen sein kann. Vgl. dazu auch Selignow 1996.
28 Um allerdings sofort wieder anzufügen: „...obwohl dem Volksgemüt solche Erkenntnis nicht ganz unbekannt ist“. {ebd.}
29 Diese Bemerkung ist übrigens handschriftlich dem maschinen geschriebenen Text hinzugefügt worden, was auf eine spätere Bemerkung schließen lässt. Vor allem aber schien es Ittmann wichtig zu sein, dies noch zu ergänzen.
30 Vgl. Kap. 5.3. dieser Arbeit.
31 Ittmann versteigt sich in diesem Zusammenhang in zwei doch recht unglücklich gewählte Bilder, wenn er davon spricht, dass „der Jäger...seine eigenen Waffen recht kennen [muss], um Wild zu erlegen“ bzw. „...der Tiersammler...auch die Gewohnheiten seinen Opfers kennen“ muss. {ebd.}
32 Ebenso wenig wie seinem zweiten in der Internierung geschriebenen Werk (GVK).
33 Balz, dem Ittmanns unveröffentlichte Schriften zur Verfügung stehen und der sie eingehend bearbeitet hat, nennt neben Dammann noch zwei Autoren, die bei ihren eigenen Kameruner Untersuchungen auf Ittmann zurückgriffen. Allerdings ist Dammann der einzige Autor, welcher „...integrated his findings (bei Ittmann, PA) into a wider African horizon...“ (Balz 1995, S. 636).
34 In den ersten 6 Kapiteln seines Buches beziehen sich ca. 15% der Fußnoten, die sich auf Quellen berufen, auf Ittmann, dabei in besonders großem Anteil auf RVK. Der Anteil schwankt in den einzelnen Abschnitten sehr. Ab dem VII. Kapitel rekurriert Dammann nicht mehr auf Ittmann, da er ab hier die - z.Z. der Abfassung des Buches - aktuelle afrikanische Situation beleuchtet.
35 Hier befindet sich Ittmann im Übrigen auch in der Nähe von Gutmann, für den die „...Kindschaft...die Summe des Evangeliums“ ist, wenn Ittmann dies auch nicht in so starke Verbindung mit dem Leben in den urtümlichen Bindungen bringt wie Gutmann (vgl. Hoekendijk 1967, S. 156). Zu Gutmann Kap. 5.3. dieser Arbeit.
36 Vgl. Kap. 3.4.3. dieser Arbeit.
37 Ittmann lässt hier offen, wer genau das forderte. Er schreibt allerdings, dass sich die „Missionen...gegen eine Politik [sträubten]“, welche verlangte, dass ganz Kamerun in 30 Jahren deutsch sprechen sollte (Ebd.). Das wäre insofern zu korrigieren, als auch Missionswissenschaftler genau dies forderten. So schreibt Warneck 1885: „Es ist ganz natürlich und selbstverständlich, dass der deutsche Missionar weder sein deutsches Wesen, noch seinen deutschen Patriotismus zu verleugnen habe und dass er überall ganz von selber auch das Deutschtum pflegen werde, schon dadurch, dass das von ihm gepflanzte Christentum deutsche Art an sich trage“. (nach Hoekendijk 1967, S. 40)
38 Da schon an anderer Stelle ausführlich über das Verhältnis Gutmann - Ittmann geschrieben wurde (Selignow 1996), möchte ich hier aus Platzgründen nicht näher darauf eingehen, zumal Ittmann in RVK einen anderen Schwerpunkt setzt.
39 Allerdings forschte Gutmann bei den Dschagga, die in wesentlich undifferenzierteren und spannungsfreieren Verhältnissen als die Stämme Kameruns lebten, so dass Gutmann von daher eher einer Verklärung anheimfallen konnte (vgl. Balz 1993, S. 262f.). Ittmann dagegen versteigt sich teilweise zu einem etwas sehr abfälligen Blick, wenn er vom „Herdentum der Kameruner“ spricht (Ittmann 1936, S. 20), die „Lüge...[als] das Wesen des Heidentums...“ ansieht (Ebd. S. 23) und den Kamerunern bescheinigt, „...keine Ehrfurcht vor dem Leben“ zu haben (Ebd., S. 26).
40 Wenn allerdings auch „...Gott noch nicht der allmächtige und barmherzige König [ist], der sich zum Menschen als Vater tun will“. (Ebd.)
41 Der u. a. mit Loba der Duala identisch ist. (Ebd., S. 357)
42 Fast als dessen Gegenspieler schildert er dafür den Mokase, der in der „Himmelsstadt...den Raum...für die Bösen...“ bewohnt, den Ittmann als „Reich Mokase’s“ bezeichnet (Ebd., S. 358). Er ist aber kein „...Widersacher, sondern Knecht, der Gottes Strafgerechtigkeit ausübt“ und als ein herausgebrochenes „Stück aus Gottes Bild...“ zu verstehen. (Ebd., S. 369) Dies diskutiert Ittmann in RVK nicht mehr, sondern zählt Mokase zu den Dämonen, wobei diese Figur nur bei den Bakwiri zu finden ist. (RVK, S. 111)
43 In Ittmann 1940, S. 140, seinem wichtigen Aufsatz über die „Gottesvorstellung und Gottesnamen im vorderen Kamerun“, übersetzt er die besprochene Wendung wie in RVK und verweist dabei auf den Aufsatz von 1935, ohne auf die widersprüchliche Übersetzung einzugehen.
44 Vgl. Balz 1993, S. 266 Note 32.
45 In RVK, S. 119 verweist er auch explizit auf diesen Aufsatz. Und er betont auch hier, „...dass trotz der jeweils vorhandenen beiden Gottesnamen und der beiden Ideenreihen, die zu ihnen gehören, das Volk ursprünglich monotheistisch dachte und noch denkt“ (Ebd., S. 147). Ittmann diskutiert auch hier wie in RVK (S. 127) das Problem der Mission, sich für einen Namen entscheiden zu müssen, da „...von Haus aus keinem der Gottesnamen der Vollinhalt der christlichen Botschaft“ eignet (Ebd., S.148) und gibt auch hier seinen Vorgängern recht, die sich für Loba entschieden hatten. Ittmann räumt zum Schluss ein, dass dieser Name letztlich unzulänglich ist, aber dies „...will uns allezeit zweierlei vor Augen halten: All unser Wissen ist Stückwerk und: Werdet nicht müde, diesen Namen und noch mehr die Herzen der Kameruner zu füllen mit der Erkenntnis des Vaters unseres Herrn Jesus Christus, der durch ihn auch unser und des schwarzen Volkes Vater ist“ (Ebd., S. 150) Diese Schlussbemerkung fehlt in dem Aufsatz von 1955, „...wohl der distanzierten Wissenschaftlichkeit zuliebe...“ (Balz 1993, S. 274).
46 Vgl. Balz 1993, S. 266.
47 Vgl. Selignow 1996.
48 Die folgenden Äußerungen von Ngum III. auf dem Podiumsgespräch am 26. 09. 99 im Völkerkundemuseum Berlin-Dahlem habe ich eigenen Mitschriften entnommen.
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