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Band 1 |
Zu Ittmanns Werken
Band 2 |
Geistiger Volksbesitz
Einleitung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Band 3 |
Religion im v. Kamerun

Einführung

Die folgenden Abschnitte sind im Kriegsgefangenenlager Jamaika geschrieben; in Jamaika, von wo vor fast 100 Jahren englische Missionare Negerchristen, befreite Sklaven, über Fernando Po nach Kamerun brachten in der Hoffnung, daß durch [sie] die Botschaft des Evangeliums und christliche Sitte am leichtesten den Eingeborenen Afrikas nahegebracht werden könnte. Dieser Versuch hatte seine positiven (besonders in den ersten Jahrzehnten) wie negativen Erfolge. Jedenfalls liegt auch heute noch die Verantwortung für die Missionsarbeit in Kamerun den weißen Sendboten auf, die nun zum zweiten Male von diesem Gebiet entfernt worden sind, während eine große Schar eingeborener Helfer ihr Wirken zu vervielfältigen trachtet. Der Rückblick auf die Verantwortung der weißen Boten war mit ein Anlaß, das Folgende zu schreiben.

Die deutschen Internierten in Jamaika, soweit sie aus Kamerun gekommen sind, alte und junge, sehen den Sinn ihrer Internierung darin, daß sie sich vorbereiten für ihre Wiederübersiedlung nach Kamerun; sie halten trotz Kummer der Internierung und Sorge um die Heimat und [ihre] seitherige Arbeit eine Art Rüstzeit, körperlich und geistig. Die mancherlei Kurse in Sprachen und anderen Wissensgebieten im Lager zeugen dafür. Da wird es auch nicht befremden, wenn ein Missionar versucht, im Rückschauen auf Erlebtes und Verarbeiten von Eindrücken und Erfahrungen aus drei Jahrzehnten sich und anderen ein Bild zu geben vom Geistesleben der Eingeborenen, die die Botschaft des Evangeliums erreichen sollte und auch erreichte. Es ist ja nicht nur einem gedienten Missionar interessant, sich einmal die mancherlei Eindrücke vom fremden Geistesleben in einer Art Gesamtschau zu vergegenwärtigen, es ist auch für junge Missionare wichtig, schon am Anfang ihres Wirkens oder in Vorbereitung darauf gleichsam im Bild zu sehen, was ihre Vorgänger in viel Einzelbeobachtungen gesammelt haben.

Außer ihnen gibt es aber auch andere, die vermuten, aus der Schilderung des inneren Erlebens primitiver Stämme mit ihrer einfachen, mehr geschlossenen Weltanschauung nicht nur Schlüsse auf die Vorgeschichte der Kulturvölker ziehen zu können, sondern daß sie auch Fingerzeige geben für manche uns noch nicht ganz geklärte Fragen, die der gewaltige Umbruch unseres heimatlichen Volkslebens im letzten Jahrzehnt uns gestellt [hat]. Welche Wechselbeziehungen da bestehen können, sieht der besonders, dem ein Einblick in den Mechanismus des fremden Volkslebens gegeben ist und der auch die Vorgänge in der Heimat mit pochendem Herzen verfolgt und miterlebt hat.

Dazu sind die Blicke vieler auf unsere einstigen Kolonien gerichtet in der bestimmten Erwartung, daß uns das Ende des gegenwärtigen Krieges wieder in den Besitz des verlorenen Landes setzt. Da dürfte es wesentlich sein, daß man sich klar wird über Denken, Fühlen, Empfinden, Glauben und Ringen der dortigen Bewohner, zu denen wir als Volk wieder ein neues Verhältnis finden müssen.

Der Verfasser ist 1911 in die kameruner Missionsarbeit eingetreten und zwar in der Bankon-Landschaft (Abo-, richtiger Bo-Land), aus der ihn Ende 1914 der Weltkrieg riß. Im Laufe des folgenden Jahres hat jener Krieg die ganze Missionsarbeit in Kamerun stillgelegt; 1917 traten in den später französisch gewordenen Teil schweizer und französische Missionare unter der Leitung der Pariser Mission ein, während der England zugefallene Teil über zehn Jahre lang missionarisch verwaist blieb. Erst 1925 wurden die ersten Basler Boten wieder im englischen Teil zugelassen; der französische Teil blieb ihnen seither ganz verschlossen. Der Ver- {II} fasser war von Anfang 1927 wieder in Kamerun und zwar 1927/8 in der Bakosi-Landschaft, von 1929 ab in Buea und Viktoria unter den Bakwiri und anderen Stämmen. Als Schulinspektor und später Leiter der Mission kam er aber auf ausgedehnten Reisen weit über die Grenzen der genannten Gebiete hinaus. So sind die meisten der nachfolgenden Beobachtungen gesammelt in dem kameruner Gebiet, das begrenzt ist vom guineischen Meerbusen, vom Sanaga-Fluß, Aufstiegsgebiet und [der] nigerianischen Grenze. Doch auch über dieses Gebiet hinaus sind des Verfassers Blicke gegangen, und manche Mitteilung hat er erhalten von Angehörigen anderer Stämme und von Missionaren, die jenseits der angegebenen Grenzen gearbeitet und beobachtet haben. Soweit sich seine Kenntnis des kameruner Graslandes nicht auf eigene Beobachtungen stützt, dankt er besonders D. Adolf Vielhauer und der Missionarslehrerin Fräulein Adelheidt Hummel für manche Mitteilung.

Entsprechend seinem Beruf hat der Verfasser auch den Titel seines Buches gewählt. Damit mag für viele schon über das Folgende ein Urteil gefällt sein: Geschaut mit beschränktem und voreingenommenem Blick! Nun ist der Verfasser dankbar manchen Männern der Wissenschaft der Heimat, die durch sichtende Arbeit im Studierzimmer mancherlei Linien gefunden haben, auf denen sich primitives Leben entfaltet. Ihre Arbeit hat ihm für vieles den Blick geweitet und gerichtet, so daß er hofft, doch nicht allzu beschränkt geschaut zu haben und nun zu voreingenommen zu berichten. Nichtvoreingenommene Beobachter gibt es weder daheim noch draußen überhaupt nicht; jeder ist erfüllt von seiner Weltanschauung und betrachtet und beurteilt von diesem Standpunkt aus die Lebenserscheinungen um sich. Daß sich aber dem mit Hingebung unter einem Volk arbeitenden Missionar, der die Sprache seiner Pflegebefohlenen so beherrschen muß, daß er auch in geistigen Dingen versteht und verstanden wird, vieles erschließen muß, was anderen verborgen bleibt, bedarf wohl keines Beweises. „Der Fremde sieht nur, was auf der Dorfstraße ist.“ (Sprichwort); ihm wird nicht offenbar, was in und hinter den Häusern, auf den Kultplätzen und noch weniger, was in den Herzen vorgeht.

Darum glaubt der Verfasser mit dem Folgenden auch der ethnologischen Wissenschaft einen Gegendienst zu erweisen für viele Fingerzeige, die sie ihm gegeben hat, um so mehr als das Gebiet, von dem er handelt, ethnologisch noch sehr wenig erfaßt ist. Sein Herz und Werk aber gehört dem Dienst der Mission, und daß er jederzeit das Geistesleben aller Klassen der Bevölkerung als Bote des Evangeliums studiert hat, konnte ihm nur helfen, den Problemen der Eingeborenen verhältnismäßig vorurteilslos gegenüberzutreten und ihnen einigermaßen gerecht zu werden; und gerade darum wurde ihm auch mancher Einblick gewährt, der anderen verweigert wird. Er ist nicht Schwärmer für die von manchen so gepriesenen primitiven Verhältnisse, noch ist er Rassendünkel verfallen. Früher als irgendein anderer europäischer Stand in den Tropen hat die evangelische Mission erkannt, daß der Unterschied der Rasse im Zusammenleben mit den kameruner Eingeborenen zu beachten ist, und hat in ganz unerbittlicher Weise daraus die Konsequenzen gezogen; Konsequenzen, die zu ziehen auch der kommenden Kolonialverwaltung überaus viele Mühen bereiten wird. Mit den unverdorbenen Eingeborenen Kameruns weiß auch der Missionar, daß die Rasse des weißen Mannes, die nordische Rasse, der des Kameruners überlegen ist; aber gerade darum gilt es auch: Noblesse oblige!

Wie der Verfasser in Kamerun mit den Augen des Missionars beobachtet, {III} so hat er auch mit der Feder des Missionars geschrieben. Damit hängt zusammen, daß er gesucht [hat], sich von jeder poetischen Schilderung und von Vermutungen freizuhalten. Wir müssen uns bescheiden, wenn wir manche Zusammenhänge nicht oder noch nicht sehen, manche Tatsachen nicht begründen können. Wer in Afrika gelebt hat, konnte beobachten, daß i. a. jeder mit seinen Erfahrungen und Ansichten zurückhaltender, mit seinem Urteil vorsichtiger wird, je länger er draußen ist; denn jede gefundene Antwort schließt [ja] schon wieder neue Fragen in sich [ein]. Und sonderlich ist die kameruner Vergangenheit unwiederbringlich dahin und mit ihr vieles, was Voraussetzung für das Gegenwärtige und sein Verstehen ist.

Der Mann der Erfahrung sieht diese Schwierigkeiten deutlicher, vor die der Europäer bei Beurteilung der Primitiven im allgemeinen und erst recht bei Beurteilung ihres Glaubenslebens gestellt ist. Der Erfahrene hat im Lauf der Zeit gemerkt, wie Handlungen, soziale und religiöse Einrichtungen und die Weltanschauung der Kameruner beeinflußt, geboten oder verboten sind durch einen Glauben, den er oft nicht recht versteht, auch wenn er selbst ein religiöser Mensch ist und religiöse Phänomene beurteilen kann. Denn meint der Europäer Europäer „Wissen ist Macht“, so zeugen alle Handlungen der Kameruner „Glauben ist Macht“. Der erfahrene Europäer merkt in Kamerun etwas davon, daß sein Denken und Urteilen nicht alles das zusammenfassen kann, was sich an Kräften in der heidnischen Welt regt.

Kausalität und Entwicklung sind die beiden Pole, um die alles europäische Denken kreist, und sie kennt der kameruner Eingeborene in seinem primitiven Glauben nicht. Daher, wem das Übersinnliche und Geistige nur ein Gebilde menschlichen Denkens ist, der wird sich auch zu dem Geistesleben des Primitiven anders verhalten als einer, der bei aller europäischen Schulung selbst mit der unsichtbaren Welt rechnet. Nur wer selbst ein Glaubensleben führt, kann – bei aller wesenhaften Unterscheidung – auch über die Haltung des Kameruners den geheimnisvollen, unsinnlichen Mächten gegenüber, die sein Denken erfüllen, richtig beobachten und über die Gründe ihrer Irrwege urteilen.

Diese Voraussetzung beim Missionar fordert weiter, daß er unermüdlich bestrebt sein muß, mit den Augen eines Freundes zu beobachten, der auch dort verstehend sieht, wo andere schnell ablehnen und verwerfen. Mag ihm die vorliegende Lebensäußerung auch albern und töricht vorkommen, er fragt sich doch, ob daraus nicht ein Diamant oder doch ein Goldstäubchen hervorschimmert. Diese Haltung merkt auch die eingeborene Umgebung bald und wird willig, vor ihm die seither wie ein Tabu geheimgehaltenen Güter und Glaubensstücke zu zeigen und zu entfalten.

Es mag dem einen oder anderen scheinen, daß der Verfasser zu viel „Edelsteine im heidnischen Urgestein“ finden wollte und darum auch fand; daß dagegen die Realität des völkischen Lebens in Kamerun doch wenig davon zeige. Das, was sich an Gutem und vielleicht Brauchbarem zeige, sei so sehr von heidnischem Wust und sittlichem Schmutz überlagert, daß von da aus zur „Klarheit im Angesicht Jesu Christi“, wie sie im Evangelium erstrahle, keine Verbindungsfäden gezogen werden können, noch weniger naturhaft bestehen. Was ist darauf zu antworten?

Man kann natürlich nicht mehr Edelsteine finden, als in dem Urgestein vorhanden sind. Doch gilt auch in diesem Punkt: „Suchet, so werdet ihr finden“ und umgekehrt: „Wer nicht suchet, findet auch nicht“. Wer meint, mit einer Predigt, wie sie einer europäischen Großstadtgemeinde verständlich {IV} werden kann oder die sich für eine vermeintlich „reine Gemeinde“ schickt, den Primitiven oder doch den Geschulten unter ihnen das Evangelium verständlich sagen zu können und sie zu christlichen Kamerunern zu erziehen, irrt. Wenn es gut geht, wird er Leute ihrem Volkstum entfremden und sie bewußt oder unbewußt zu „schwarzen Europäern“ machen, wie es nicht anders sein konnte von den anfangs erwähnten Rückwanderern aus der westlichen Hemisphäre. Rechter evangelischer Missionsarbeit dürfte doch als Ziel „christliche Schwarze“, nicht „schwarze Christen“ vorschweben. Will er aber dies, so wird ein verständiger Evangeliumsprediger ebenso wenig am Volkstum seiner Zuhörer vorbeigehen, als es des Menschen Sohn beim jüdischen Volk getan [hat]. Er wird an Vorhandenem anknüpfen, positiv und negativ.

Viel ist um diesen Punkt in der deutschen Theologie der letzten Jahre gekämpft worden, viel auch aneinander vorbeigeredet. Wem klar ist, daß sich Gott Gott auch an den Primitiven nicht unbezeugt gelassen hat und noch mit ihnen redet, und sei es nur durch den Hunger nach Leben, Reinheit und Güte, und zwar einen Hunger, den sie auf dem Weg ihrer Bemühungen nicht haben stillen können, der betrachtet dieses göttliche Sichbezeugen wie eine Art Verheißung für das, was der Missionar bringt. Gott weckt keinen Hunger, ohne auch Mittel bereit zu haben, ihn zu stillen. Freilich, dem unberührten Primitiven kommt sein Sehnen und Bemühen nicht wie eine Verheißung vor, sondern er sucht ja selbst die Erfüllung zu schaffen, eine Fata morgana, mit der er sich immer wieder selbst betrügt. Erst von der wahren Erfüllung in Christo her erscheinen die „Schatten“ im alten Bund Israels als das, was sie sind, nämlich nicht als das von sadduzäischen Priestern und pharisäischen Heiligen gemeinte Wesen, sondern als Schatten. Als die gleichen „Schatten“ muß der verständige und nicht europäisierte Kameruner so vieles ansehen, was ihm seine Väter überliefert haben. Es gehört mit zu den Übeln der „neuen Zeit“, daß viel zu viel vorgeschattetes Gute weggeworfen und das Schlechte behalten wird.

Wenn ich mich bei Gliederung der folgenden Abschnitte von dem Gedanken leiten ließ: Vom Nahen zum Entfernten, vom Sichtbaren zum Übersinnlichen, so tritt ja an allen Stellen des Buches hervor, wie das einzelne Menschenleben für sich allein nicht gedacht werden kann ohne die Bindungen und Verbindungen, in denen es verläuft. Doch war eine stufenmäßige Anordnung des Stoffes nötig, der in allen Teilen reich hätte vermehrt werden können.

Wir folgen dem Gedankengang:

1. Der Primitive erlebt den Menschen als ein Leib-Geistwesen. Schon der sichtbare Leib ist ihm ein Geheimnis, obwohl er dessen Anatomie nicht besser versteht, wie sie vor 200 Jahren der durchschnittliche Mitteleuropäer verstanden haben mag; in seinem Wachstum, seinen Kräften und Funktionen, Krankheiten und Vergehen ist ihm der Körper ein Rätsel. Und wie das Ganze, so sind es auch die einzelnen Teile; der Primitive denkt sie sich beseelt und muß sie deshalb vor fremdem Zugriff schützen. An seinem Leib erlebt er die Schrecken des Todes; und ein Geheimnis ist ihm, wie der zerfallende Leib doch noch „lebt“ und man daher dem Toten (nicht nur seiner Seele) noch opfern muß.

2. Ist nun der Leib beseelt, so muß die Seele, die Geistigkeit des Menschen, beachtet werden. Denn durch sie hebt er sich von anderen, auch der gesamten Sippe ab als Persönlichkeit. Die so wertvolle Seele ist auf alle mögliche Weise zu schützen, denn ihr Verlust ruft dem Todesverhängnis, ihre {V} Beschädigung und Hinderung bringt den ganzen menschlichen Organismus in Gefahr. Darum beachtet der Primitive vor allem auch die Zeiten, da sich am Körper gewisse Veränderungen zeigen (Übergangsperioden) und sucht besonders in diesen Übergangszeiten sich und seine Umgebung durch besondere Mittel und Beachtung von Regeln zu schützen.

3. Der leib-geistige Mensch kann aber für sich allein nicht existieren; niemand in Kamerun erlebt sich allein. Einsiedlertum ist unbekannt; von der Wiege bis zum Grabe und darüber hinaus steht man in seiner Gruppe Gruppe. Und selbst wenn einer zeitweise sich zurückzieht, sei es etwa als Jäger, Pflanzer, Medizinmann o. a. zwecks Erwerbs, oder sei es in Krankheitszeit, um bösem Einfluß nicht ausgesetzt zu sein, so geschieht das gerade im Blick auf und aus Rücksicht auf die Gruppe, und nie werden diese Verbindungen ganz gelöst. Weil der Mensch so gar nicht außerhalb der Verbände existieren kann, wurden die Bindungen auch schon im Vorhergehenden gestreift. – Das Ich erfordert ein Du in allen Lebenslagen; so fühlt sich jeder verbunden mit seiner Sippe durch gemeinsames Blut; mit dem Stamm durch gemeinsamen Boden, Sprache, Schicksal, Überlieferung, Kult, Recht, Wirtschaftsform; mit der Rasse durch die Hautfarbe, gemeinsame Anschauungen, ähnliches Verhalten gegenüber den Problemen des Lebens; mit der Menschheit durch Empfinden der Gemeinsamkeit allen Menschentums gegenüber den anderen Reichen der Natur; er empfindet sich als ein Glied der Gesamtschöpfung, weil er von dorther sich angesprochen und angegriffen fühlt, aber auch von dort die Mittel und Kräfte bezieht, mittels deren er den Lebenskampf bestehen zu können glaubt.

4. Damit aber stehen wir auf dem Gebiet des Glaubens, d. h. des eigentümlichen Verhältnisses zur unsinnlichen und übersinnlichen Welt, zu Dingen, Geistern, Dämonen und Kräften, aber auch zur Gottheit als Schöpfer und Richter aller. Hier enthüllt sich uns ein Bild dessen, was den Kameruner innerlich beschäftigt, was den Kampf seines Lebens ausmacht, das, was wir an Vorstellungen zusammenfassen in den Ideen des Dynamismus, Totemismus, Animismus, Dämonismus, aber auch die Frage nach dem Gottesbewußtsein; es zeigen sich aber auch die sich aus diesen Anschauungen ergebenden Gebräuche in Magie und Kult.

Die Frage mag noch offen sein, woher der hier verarbeitete Stoff stammt, da ja das Volk bis zur Ankunft des weißen Mannes keine Literatur besaß und deshalb auch nicht den Versuch gemacht hat, sich selbst im geschriebenen Wort darzustellen.

Der Versuch des intelligenten Häuptlings Fon Ndjoya von Fumban in Bamum, eine Art Wort-Zeichenschrift zu schaffen und einzuführen, ist zwar eine kulturelle Tat; seine Schrift konnte sich aber gegenüber der von Europa propagierten Buchstabenschrift nicht durchsetzen. – Und die Zeichen, die früher in Stöcke und Bretter gekerbt wurden, waren doch nur lose Stützen des Gedächtnisses im „Kassenbuche“. Von ähnlichen „Brettchen“ mit Memorierzeichen für die Unterweisung in den Initialschulen des djengu-Kultes wurde mir von Eingeborenen berichtet; sie sind, wenn sie überhaupt etwas mehr als ein mnemotechnisch-magisches Mittel waren, längst verschwunden. Es gibt aber in Kamerun eine ungeschriebene Literatur, die sich dem nach und nach erschließt, der die Sprache kennt: Die Lebensweisheit des Volkes ist gekleidet in eine Fülle von Sprichwörtern und eine Menge von Märchen; auch andere Erzählungen: Sagen und Überlieferungen schließen dem, der hören kann, Denken und Empfinden, Sinnen und Sagen des Volkes auf; an ihrem sozialen Leben wird stückweise in Pflichten und Rechten mitbeteiligt, wer unter ihnen lebt; ihr religiöses Brauchtum, ihr Weltbild, ihr Verhältnis {VI} zur Umgebung und den übersinnlichen Mächten enthüllt sich dem Beobachter ihres Kultes und mancherlei Gebräuchen im Einzelleben, der Gruppe und des Stammes. Am dunkelsten bleibt uns Heutigen das Gebiet der Mysterien. Das liegt einmal am Wesen der sie übenden Geheimbünde und auch daran, daß diese sehr bald zerbrechen und von den Teilnehmern und Mitgliedern selbst in ihrem tieferen Wesen nicht mehr recht verstanden werden. Man erlebt in diesen Kultbünden, ohne daß man sich verstandesmäßig über den Zusammenhang und die Gründe der einzelnen Handlungen und Gebräuche klar zu werden sucht.

Immerhin öffnen sich dem Blicke genug ins Denken und Empfinden des uns so fremden Volkes dem, der will und der sich jahrzehntelang der Mühe des Sprachelernens und Achtens auf Lebensäußerungen eines primitiven Volkes unterzieht und den Eingeborenen Gelegenheit gibt, selbst zu Wort zu kommen. Von ihm darf erwartet werden, daß er von dem geistigen Volksbesitz der Kameruner nicht in vorgefaßter Meinung berichtet, sondern so, wie dieses [Volk] mit seinen Inkonsequenzen und Vermengungen in Wirklichkeit ist.

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