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Band 1 |
Zu Ittmanns Werken
Band 2 |
Geistiger Volksbesitz
Einleitung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Band 3 |
Religion im v. Kamerun

Inhalt Kapitel 2

II. Teil: Der Mensch Mensch - ein Seelenwesen

II. Teil: Der Mensch Mensch - ein Seelenwesen

Allgemeines

In weiten Gebieten des Lebens ist der Primitive Herdenmensch, besser gesagt: Glied eines Verbandes; doch davon [mehr] auf S. 63ff. In anderen Lebensgebieten aber ist er durchaus Individuum mit Persönlichkeit Persönlichkeitsbewußtsein. Das drückt in den zur Bantu-Gruppe gehörigen Stämmen Kameruns schon die Klasseneinteilung der Hauptwörter aus S. 96 [aus]. In Klasse I und III finden wir Namen für Menschen; in Klassen der Substantive Klasse III aber gehen diese Bezeichnungen vom Kollektiv aus, bezeichnen eine Schaft: Mukusa „Witwenhof und einzelne Witwe“, mulamba „Ledigengruppe und Junggeselle“, mukoma „Kriegsgefangenschaft und Kriegsgefangener“, mukoa „Frauenschaft minderen Rechts und Unterfrau“, moedi „der Krankheitsstand und der Kranke“, mbwang „Reichtum und Reicher“, mboko „Lahmheit und Gelähmter“ u. a. Solche Wörter bezeichnen zunächst, was diese Menschengruppe von anderen abschließt, nämlich ein für sich bestehender Zustand, der jeweils aus dem gleichen Lebensgefühl, Seelenzustand erwächst. Erst auf dem Weg der Übertragung, des Konkretisierens werden diese Namen zur Bezeichnung des einzelnen Trägers verwendet, die man aber in dieser Klasse nur als Kollektivwesen denken kann. Dagegen meint man in Klasse I stets den einzelnen Menschen als Persönlichkeit, Individuum, das sich durch etwas von den anderen abhebt, daher auch die Nomina agentia. – Ebenso steht trotz allem Verbundenseins zur Horde die Individualität des Menschen auch dadurch fein säuberlich im Gegensatz zur Tier, -reich Tiermasse, daß man beim Menschenglied einer Gruppe betont: Er ist Mensch; z. B. mot’ a django „Mensch der Jagd“, d. h. Jäger; mot’ a mundi „Mensch der Siedlung“, d. h. Dorfbewohner; mot’ a mwemba 1. Jahresklassen, 2. Christengemeinde mwemba „Mensch der Gemeinde Gemeinde“, d. h. Gemeindeglied (das „Gemeindeglied“ als elong’a muembaKörperglied der Gemeinde“ zu bezeichnen ist europäisch gedacht und nicht afrikanisch). Außerhalb des Menschentums bezeichnet man das Einzelne einer Masse als diso „Auge“, z. B. diso la mbasi „Maiskorn“, diso la sono „einzelne Ameise“, diso la epese „Netzmasche“ u. ä.

Vom persönlichen Einzelwesen und seinem geistigen Besitz ist im Folgenden gehandelt, denn bei allem Gebundensein an den Verband lebt auch im Kameruner die Persönlichkeit Persönlichkeit als Ideal. Neben vielem anderen wird auch in der Emanzipation der Jugend gegenüber den Alten das Ich-Bewußtsein des Kameruners offenbar. Es löst zwei starke Gefühle in ihm aus: Stolz auf die Gaben und Eigenarten, die auch ihm geschenkt sind und die er entwickeln möchte, und neben diesen erhebenden das niederdrückende: Meine Persönlichkeit ist begrenzt durch die Umwelt und zuletzt durch das über mir schwebende Todesverhängnis.

A. Wie kann sich der Einzelne entwickeln?

Einleitendes

In dem Lebensalter, das wir Entwicklung „Entwicklungsalter“ nennen, und wo sich der junge Mensch seiner Eigenart allmählich bewußt wird, heißt der junge Bursche mpesa ma moto „Schmuck20von einem Menschen“. Er will seine Eigenart betonen, darum schmückt er sich in diesem Alter besonders und zeichnet sich dadurch von den anderen ab. Auch vom Mädchen sagt man in diesem Lebensalter gelegentlich a mapongo ngondedi „sie kehrt das Jungfrauhafte hervor“, d. h. sie läßt die ihr eigenen weiblichen Reize hervorstechen. Wie stark ist in dieser Zeit auch der Nachahmungstrieb selbst dem Europäer gegenüber. Da wird wahr: „Nur wie er räuspert, wie er spuckt, das haben sie ihm abgeguckt“. [aus: Schiller „Wallensteins Lager“] – Man beobachte nur ihre Bewegungen bei mimischen Spielen, ob sie nun die Tiere des erzählten Märchens darstellen oder die Eigenheiten gewisser Personen, etwa ihrer weißen Herrschaft, veranschaulichen wollen oder sie etwa auf der Kanufahrt besingen.

So sieht auch der Kameruner die Menschheit nicht nur als Masse, sondern auch in der Mannigfaltigkeit der Einzelnen. Und der Begriff Charakter „Charakter“ ist ihm nicht ganz fremd, wenn auch nur für das, was einer von seinem Vorfahren überkommen [hat] als geistiges Eigentum und Eigenart (und zwar fast nur im üblen Sinne), ein Wort vorliegt: edi „die von einem anderen ausgegangene Le- {26} bensseele“, die als Charakter im Empfänger Gestalt gewinnt. So gibt es für charakterliche Eigenart keine besondere Benennung, die Sache aber ist doch bekannt; z. B. meint dies das Sprichwort Sprichwort Njo e si yai njo „Der Leopard hat keinen Leoparden geboren“, d. h. keinen von gleicher Art und gleichen Charakters wie er selbst.

Was schwebt nun dem Kameruner als erstrebenswertes Ideal vor, d. h. was fordert er vom Menschen, damit er werde, was er sein soll?

1.  Charakter Charakterbildung

Zunächst nehmen wir hier den Menschen im allgemeinen und das, was jedem als Ziel gelten soll, während das, was vom Glied einer Gemeinschaft gefordert wird (Kind, Vater, Mutter, Untertan, Freund u. a.), in den bezüglichen Abschnitten des III. Teils gezeigt ist. Die Beispiele entnehmen wir der Volkspoesie in Sprichwort und Märchen.

a. Allgemein Menschliches

(1) Sei vorsichtig!

Unter den Mahnungen einer Kameruner Spruchsammlung haben die zur Vorsicht Vorsicht wohl die meisten Nummern:

Man kennt die Sache im Herzen eines anderen nicht.

Man wäscht das Innere einer Kalebasse nicht (erst die Leichenschau, vgl. S. 8, zeigt, ob einer über geheime Kräfte verfügte).

Die Nacht beschläft ihre Schwester, (die man im Dunkeln nicht erkennt).

Vertreibe nachts keinen aus deinem Haus, es könnte dein Bruder sein.

Vorsicht verdirbt nichts.

Was dir noch nichts Böses zugefügt, vor dem nimmst du dich nicht in Acht.

Wie du auf den Hinterkopf eines anderen schaust, so schaut ein anderer auf den Deinen.

Ein Messer ist nie stumpf am menschlichen Körper (darum gehe vorsichtig mit dem Messer um).

Wenn die Maus den Fuß eines Menschen benagen will, bläst sie zuerst darauf (sie macht ihn durch ihren Zauber unempfindlich).

Wie du mir, so ich dir.

Kann einer fallen, wenn er gut sitzt?

Der Wasserkrug zerbrach vor dem Hauseingang (als der schlüpfrige Weg hinter ihr lag, glaubte die Trägerin, der Vorsicht entraten zu können).

Schnippelst du Yamsknollen, so schau auf deine Finger.

Die Maus versucht den Ölbrei mit dem Schwanz (um sich nicht am heißen Brei die Schnauze zu verbrennen).

Eine Streitsache schläft vor dem Türspalt (man muß nur vor die eigene Tür treten und mit anderen zusammenkommen, so kann sich schon ein Streit entwickeln).

Hat man den Hundskopf gebraten gegessen, wie wird’s dann erst mit dem Kopf der (harmlosen) Ziege?

Wer ein Bündel hat, sucht nach einer Schnur (sonst kommt er zu Schaden).

Der Leopard fiel in eine Fanggrube, da bat er den Hundsaffen ihn zu retten (vgl. S. 101 und unser „dem Teufel den kleinen Finger geben“).

Der Leopard hat die Krallen verborgen.

Stoße mir nicht ins Auge; vieles gibt es auf dem Markte zu kaufen, aber keine Augen.

Beginnst du zu reden, so denke an deinen Tod.

Bist du auf Reisen und bist vorsichtig, so wirst du nicht geprellt.

Du begehrtest alles und hast alles verloren.

Wer von einer Schlange gebissen war, flieht, wenn er einen Regenwurm sieht.

An dem Tage, da du den räudigen Hund issest, wirst du nicht krank (aber danach).

Der (auf dem Baum sitzende) Aasgeier sagte zum Leopard: So bist du nun mit meiner Feder umgegangen, was hättest du wohl mit mir selbst gemacht? Vgl. S. 85.

{27} Hast du zu befehlen, so höre nicht auf jeden Vorschlag.

(2) Verschlossenheit ist nicht nur Fremden gegenüber am Platz

Der (im Märchen als taub gezeichnete) Leguan sagt: „Alles ruht im Herzen (bis es eines Tages hervorbricht).“

Anderer Leute Sachen zu ordnen, ist nicht gut.

Die Hexenkraft verzehrt ihren eigenen Herrn.

Die Hexenkraft spaziert keinem auf dem Körper herum (sie wirkt heimlich).

Die Maus kommt nicht an einem hellen Platz aus dem Loch.

Wen du nicht genau kennst, dem zeigst du dein Herz nicht.

(3) Sei nicht eigensinnig!

“Junger Hund, friß vom Blatt!“ Er aber sagt, er wolle von dem Boden auf fressen (darum muß er auch immer wieder die Erde von der Schnauze abputzen).

Durch das Scharren im Schutthaufen deckte das Huhn das Grab seiner Mutter auf (auf einen Leichnam stoßen, gilt als schweres Unglückszeichen, vgl. S. 135).

“Vater, ich habe zwei gefangen!“ – nicht einen; (ein Junge hatte zwei große Fische gefangen und rief dies voll Freude seinem Vater zu. Der riet ihm, einen Fisch und -fang Fisch zu lassen und den anderen um so fester zu halten. Der Junge befolgte den Rat seines Vaters nicht und schließlich rissen sich beide Fische los. Sein Eigensinn Eigensinn hatte ihn um alles gebracht).

(4) Meide den Streit Streit!

Spielst du nicht mit des Hundes Schwanz, so wird er dich auch nicht beißen.

Bringe keinem Feuer Feuer ins Herz (durch Reizen oder Kränken).

Du trägst Bohnen und willst zum Erraffen gehen? (Dabei wird er natürlich seiner Bohnen verlustig gehen.)

Er schürt das Feuer, daß der Topf koche.

Alte zanken sich nicht in der Trockenzeit (da kommen sie zum Palmweintrinken zusammen; in der Regenzeit sitzt jeder für sich und bläst Trübsal, da ist Zeit für Aufwiegler und Hetzer).

Beim Fischfang gab’s keinen Streit, beim Verteilen der Beute erwuchs Zwietracht.

Wer den Streit hervorruft, kämpft nicht (sondern bringt sich in Sicherheit).

Es ist nicht gut, eine Sache zwischen Brüdern mit langen Messern auszufechten.

Die Fliege läßt sich mit dem Fliegenwedel in keinen Streit ein.

Ein Huhn, das den Hauseingang kennt, verursacht kein Geschrei (beim Eintun. Darum lerne eine Sache erst kennen.).

Der Schildkröte kam das Feuer bis ins Herz (der kleinen Reizungen widerstand ihr Panzer, als es aber ins Herz ging, wurde sie wild).

Begehrst du eine Sache, so mußt du darum kämpfen.

Du streitest mit dem Unterkiefer und rettest dich vom Tode (Rat, eine Streitsache durch Aussprache zu erledigen). Streit

(5) Sei nicht undankbar!

Hat das Huhn gefressen, so wischt es den Schnabel ab und geht (als habe es nichts bekommen).

Die Lieblingsfrau pflegt ihren Mann nicht zu beweinen.

Wenn der Stößel mit Stampfen fertig ist, so stellt man ihn an den Pfosten (d. h. beiseite, er bekommt von dem gestoßenen Essen nichts).

Wenn der Topf mit Kochen fertig ist, wird der Teller berühmt.

Hast du einem jungen Hunde über den Bach geholfen, so läuft er dir nach.

Hast du einen Ngwa-Mann (die Bangwa wohnen um Fontem) über den Fluß geholfen, so ersticht er dich mit dem Speer.

{28}

(6) Sei nicht doppelzüngig!

Wegen seiner Doppelzüngigkeit tötete der Leopard den Nasenhornvogel (sein Ruf ist: „Kokokok_ok_ok_ok_o!“, also erst lang, dann kurz).

Liebe in den Augen, Haß im Herzen.

Sprich doch wie Kala (d. h. wie du es als Wahrheit weißt), nicht wie Mbela.

Ein Riemen rudert nicht zwei Boote vorwärts.

Keiner besteigt zugleich zwei Ölpalmen.

Lässest du den Tornado vom Hinterland daherbrausen, wenn du Salz im Kahn geladen hast?

Der kleine Krebs sagt: „Ich bin einmal weggegangen, ich kehre nicht wieder um.“

Ölbrei oben, Wasser unten (vgl. unser: Fett schwimmt immer oben).

(7) Sei bescheiden, sei kein Großmaul!

Er ist groß, er übertrifft jedes Maß (Spott gegen Wichtigtuer).

Die Arme der Schlankmücke umfassen nicht den Wollbaum.

Kleine Bäche bilden den großen Fluß (der ohne Zuflüsse nichts wäre).

Ein Elefant ist nicht von nichts groß geworden.

Wenn ein Wort wäre wie eine (weithintönende) Sprechtrommel, so würde es den ganzen Wald durchhallen.

Wenn ein Reicher es nicht vermag, wie willst du (Armer) dann genügen?

Die Sonne kann den Tausendfuß töten (groß und klein).

Ein Elefant stürzt keinen Baum um.

Eine Hand schlachtet keinen Elefanten aus.

Der Hahn kräht nicht auf dem Hofe anderer Leute.

Dem „Starken“ ist kein Ort gegeben, seine Kraft zu beweisen.

Das Kudu (große Antilope) war vorsichtig und bescheiden, darum wuchsen ihm im Walde lange Hörner.

Das ist der Wettlauf zwischen Schildkröte und Schirrantilope (bezieht sich auf ein Märchen parallel unserem „Wettlauf zwischen Hase und Swinegel“).

Wenn ein Hagestolz auf den Markt geht, so hat er immer in einem großen Gefäße gebadet (unter Fremden kann ein Habenichts groß tun; Wassertragen ist Sache der Frauen und der Hagestolz hat keine).

Du rauchst Tabak und hast noch nicht einmal eine Pfeife?

Nicht ein einziger ist bis jetzt geboren, der nicht gerne König wäre.

(8) Sei helfen, hilfsbereit sein hilfsbereit!

Der Kranke verlangt nach dem Arzt.

Eine Sache zweier Leute ist nicht schwierig (“ Einigkeit macht stark“).

Eine Hand schnürt kein Bündel.

Mit einem Stein schlägt man keinen Palmkern auf.

Wenn einer etwas tut, so tut es ihm der andere wieder.

Freundschaft ist schön mit zwei Rücken (gegenseitig).

Arbeitshilfe kommt, Arbeitshilfe kehrt zurück (bezieht sich auf Arbeitsgruppen von Nachbarfrauen, vgl. S. 81).

Messer zehrt am Wetzstein, Wetzstein zehrt am Messer.

b. Aus besonderen Gebieten des Lebens

(1) Aus dem Rechtswesen, -leben Rechtsleben21

Jeder darf sich verteidigen in aller Öffentlichkeit: Die Eidechse sagt zum Huhn: Verschlinge mich mitten im Hof (wo andere als Zuschauer und Zeugen zugegen sind).

Wenn ich ins Wasser geworfen werde (als Hexe), so laß mich doch zuvor mein Recht verteidigen.

{29}

Ein wahres Wort ist nicht frech.

Es ist nicht verboten, etwas zu finden (als Widerrede).

Das Blatt der Kolokasia sagt: Was nicht mir gehört, mag abfließen. (ist das tellerförmige Blatt voll geregnet, so wendet es sich und schüttet den Inhalt aus).

Nur Wiederholen eines Fehlers ist strafbar:

Ein Fehler bringt keinem den Tod.

Ein Schlag durchlöchert die Trommel nicht.

Die Wiederkehr auf den gleichen Platz brachte dem Fasanenmännchen den Tod.

Vorgehen des Richters: Willst du den Hund locken, so halte keinen Stock in der Hand.

Bei zartem Anfassen kann man die (als lecker beliebten) Palmengerlinge aus dem Loch ziehen.

Ist der Baumstamm noch nicht faul, so kommen auch noch keine Pilze daraus hervor (der Richter muß also zuwarten, bis genügend Zeugen einen Verdacht bestätigen).

Ebenso warnt einen voreiligen Richter das Wort: Du weißt nicht, was am Ursprung des Flusses ist und willst an der Mündung trinken?

Wenn der Elefant einen Menschen töten will, dann nimmt er ihn mit zum Baumstamm (wo er zupacken kann).

Es kann aber auch den Richtern der Geduldsfaden reißen und sie handeln nach dem Wort: Der Tausendfuß brachte ein stummes Kind zum Reden.

Zeugenschaft: Die Sprechtrommel wird nicht nur auf einer Backe getrommelt (Um verstanden zu werden, muß sie einen hohen und einen tiefen Ton hervorbringen, also auf beiden Bakken getrommelt werden).

Zeugenschaft auf Grund von Zugetragenem ist nicht gut.

Ohne daß ich Erbsen gegessen habe, wünscht man, daß ich sie von mir gebe.

Soll er träumen von einem Land, das er gar nicht kennt?

Manchmal wird auch die Unschuld bestraft: Wenn es in Ndogbele (flußabwärts) regnet, gibts dann in Bodiman (flußaufwärts) eine Überschwemmung?

Ist die Yamsknolle strohig geworden, so heißt es: Das Rebhuhn hat daran gepickt.

Wenn der Hund gestohlen hat, so stümpelt man der Ziege die Ohren (Strafe für Diebe).

Der Schuß verfehlte die Meerkatze und traf den Baum.

Gerechtigkeitsgefühl: Hast du Feuerholz geschlagen, so sitze auch dabei, bis es Asche geworden ist. (unser: Die eingebrockte Suppe selbst ausessen).

Hast du das Deine gebracht, so gehe mit ihm auch weiter.

Ein diebischer Hund ist nie ohne Wunde am Körper.

Ein diebischer Hund zittert immer.

Der Finger kehrt immer wieder zur schmerzenden Stelle hin.

Hast du deine Schuld bezahlt, so kannst du (mit gutem Gewissen) vorübergehen.

Zerbrochenes (Kanu) bringt Rotholz Rotholz ein (Kähne werden meist aus mwenge „Rotholzbaum“ geschnitzt).

Ein hartes Urteil kommt aus schlimmer Ursache.

Oft aber entzieht sich der Verbrecher der Strafe:

Der Regentropfen ist in den Fluß gefallen. – Er fiel in den Rachen des Regenbogens (der als ein großes Ungeheuer vorgestellt wird).

(2) Von der Arbeit Arbeit22

“Ich habe den Acker bestellt, den Acker bestellt“ bringt noch keine Erträge ein.

Faulheit und Armut, Mühe und Überfluß (entsprechen sich immer).

Wenn du nicht arbeitest, issest du auch nichts.

Die Arbeit wird nicht mit dem Mund geredet.

Das Huhn sagt: „Nimmst du nicht die Nässe der Regenzeit in Kauf, {30} so findest du auch keine großen Würmer.“

Das Huhn sagt: „Ich scharre mit beiden Füßen; finde ich nichts mit dem einen, so vielleicht mit dem anderen.“

Wer vom Fischfang heimkommt, kehrt dem Pfefferstrauch nicht den Rücken (Pfeffer macht den Fisch schmackhaft).

Das ist die Faulheit der Pisangstaude (die sich ihre „Kinder“, d. h. Schößlinge, nehmen läßt).

Durch die Trägheit kam die Krabbe um den Kopf (vgl. S. 146).

Der Tausendfuß spricht: „Die Reise sei gestät und stetig.“

Eilige Arbeit wird nicht reif.

Nicht die Eile hat den Ewandje das Spiel gelehrt.

Durch häufiges Probieren lernt der Affe vom Baum springen.

Daran herumschnuppern ist nicht Anbeißen (beim Angeln).

Der Palmbauer wird nicht müde, Wasser zu schöpfen (beim Kelter, Öl- Ölkeltern)23.

Der Topf wird nicht müde zu kochen.

Ein des Wassers Kundiger ertrinkt nicht.

“Ich habe gejätet, ich habe gejätet“, das bringt noch keine Nahrungsmittel.

(3) Vom Fisch und -fang Fischfang.

Wer an den Strand geht, dem geht das Geld nicht aus.

Die Turteltaube ruft: „Gehst du auf den Fischfang (=Erwerb), so wirst du nicht arm.“

Fischfang, auf den man Hoffnung setzt, bringt nichts ein (Enttäuschung).

Der Epa (Fisch) sagt: „Beim Einbringen bin ich zugegen, mit dem Verzehren habe ich nichts zu tun.“

Wenn das Fangen mittels Fischgift24

nicht imstande war, die Tierwelt im Wasser zu vernichten, soll dann das Suchen nach Fischen an einem einzigen Tag dazu imstande sein?

Was einmal in die Fischreuse geschlüpft ist, kommt nicht wieder heraus.

Der Wels stammt aus dem Wasser und das Wasser kocht den Wels (also ist auf Freundschaft kein Verlaß).

Wasser fließt nicht ab, ohne die Fische mitzunehmen.

Der rechte Fischer sucht nicht vom Bachesrand aus, sondern im Wasser.

Ein Waisenkind legt seine Fischreuse nicht in strömendes Wasser.

Das ist die Geschichte des Fischfangs im nächsten Jahr (= das Fell des unerlegten Bären verteilen).

Das Auge des Fischgiftes ist im Wasser (= das Auge des Gesetzes wacht).

(4) Vom Handel Handel

Nicht mit anderen zusammengebunden kauft man einen Armring.

Man kauft keine Schildkröte im Sack.

Ein Huhn wird nicht im Tragkorb gekauft.

Bevor du den Sklaven erwarbst, hast du ihn beschauen können; aber du warst erpicht auf ihn, nun mußt du ihn haben.

Durch Fristgeben25

gedeiht der Handel; aber auch: Versprechen26

sind Lügen.

Der Mungi (Femebund) frißt dort nicht, wo er es in Aussicht gestellt [hat] (d. h. Handel bringt oft nicht das Erwartete ein).

Wenn einer eine schöne Tochter hat und du hast eine häßliche, tauschest du doch nicht gern (man schätzt also Eigenwert).

Blut Blut verkauft man nicht (das Wertvollste ist einem nicht feil; das kann man u. U. nur verschenken, wie z. B. beim Blutbund, vgl. S. 78). Vgl. auch: Hat einer eine schöne Tochter und du eine häßliche, so tauschst du doch nicht gern.

{31}

(5) Zusammenhalt erforderlich

Wie Zusammenhalt und damit gegenseitige Unterstützung in allen menschlichen Bindungen gefordert wird, schildert ein Märchen von den „drei Frauen“ auf S. 33d.

Frißt der Elefant in der Farm deines Bruders, so verjage ihn.

Hat der Bauch eine Wunde empfangen, ist dann das Gedärme unverletzt?

Schlägst du den Kopf, so schmerzt das auch die Zähne.

Die Klugheit erbaut nicht nur ein Haus.

Eine Hand schnürt kein Bündel.

Ein Finger zerbricht keine Erdnußschale.

Einer allein trägt kein Dach (Wird ein Haus versetzt, so wird das Dach als ein Stück weggetragen).

Einer allein bespricht keinen Ehevertrag.

Man geht nicht als Einziger zur Kelter, Öl- Ölkelter27.

Eine Armspange klingt nicht an der Hand (es müssen mehrere sein).

Auf einem Herdstein kann kein Topf stehen (der primitive Herd Herd besteht aus 3 Steinen, auf denen der Topf ruht).

Das Geheimnis einer Heimstätte beendigt die Not (aber nur, wenn sie eine Sache geheimhalten kann, so daß sich nicht andere hineinmischen).

Die Sippe muß einer Dachhälfte gleichen (nicht zweiseitig sein wie ein Satteldach).

Zwei müssen sich nicht fürchten.

Zwei Steinen ist eine Nuß nicht zu hart.

(6) Mit europäischen gleichsinnige Sprichwörter

Viele solcher Sprüche haben den gleichen Sinn wie europäische Sprichwörter, nur verwenden sie ein anderes Bild; man vergleiche:

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm = Das Gras, das die Ziege fraß, frißt auch das Zicklein.

Wie die Alten sungen, so... = Singen Kinder ein Lied, so hat es ihre Mutter schon am Morgen zur Tanztrommel gesungen.

Steter Tropfen höhlt den Stein = Versuchen und Versuchen macht den Öltopf leer; oder: Tropfen und wieder ein Tropfen füllt den Topf.

Du siehst einem auf die Stirn, aber nicht ins Hirn = Die Lüge kann man nicht am Körper sehen.

Wenn die Katze aus dem Hause ist, so haben die Mäuse Kirmes = Die Schmetterlinge spielen mit dem Kot des Leoparden; oder: Ist der Leopard ausgegangen, so schleicht die Zibetkatze getrost in seine Wohnung.

Die Geschmäcker sind verschieden = Die Fledermaus und ihre Sache, der Flughund und seine Sache.

Wer nicht hören will, muß fühlen = Das Bächlein verachtete guten Rat und wurde daher krumm.

Gut Ding will Weile haben = Arbeit in der Eile wird nicht reif.

Morgenstund hat Gold im Mund = Der Tausendfuß sagt: Morgens muß man reisen.

Einigkeit macht stark = Eine Menge (von Wild) vermag das Jagdnetz zu durchbrechen.

Leere Gefäße machen am meisten Lärm = Geschwätziger Vogel baut kein Nest.

Wie du mir, so ich dir = Wie du diesen da ins Wasser wirfst, so wirst du auch der Krokodilen Speise, oder: Nseke bewirft den Mpako mit einem Stachelschwein und Mpako den Nseke mit einer stachligen Palmfrucht.

Der Knecht ist nicht größer als ein Herr = Die Schulter ragt nicht über den Kopf hinaus.

Einem geschenkten Gaul guckt man nicht ins Maul = Erbetteltes Wasser bringt den Kochtopf nicht zum Sieden (weil’s so wenig ist, kocht es schon vor dem Sieden ein).

{32} Lügen haben kurze Beine = Verlogenes Rotholz (=Boot) kommt nicht über zwei Anlegeplätze hinaus.

Vom Regen in die Traufe kommen = Du willst dem Tau entkommen und stürzest dich ins Wasser? oder: Auf dem Land ist er dem Leoparden entronnen und trifft im Wasser das Krokodil.

Den Bock nicht zum Gärtner machen = Man schickt den Elefanten nicht ins Feld, daß er den Acker bebaue.

Mit Speck fängt man Mäuse = Willst du den Hund locken, so habe keinen Stock in der Hand. [ kurze stenographische Zusätze]

Dummheit und Stolz wachsen auf einem Holz = Schönes Feuerholz ist oft voller (beißender) Ameisen. [kurze stenographische Zusätze]

Den Teufel bei seiner Großmutter verklagen = Setzest du dich unter die Palme, wenn du über ihre Blätter schiltst?

Gebrannte Kinder scheuen das Feuer = Ein Waisenkind fällt nicht zweimal ins Feuer; oder: Wenn dich eine Schlange gebissen hat, so erschrickst du, wenn du einen Regenwurm siehst; oder: Die Furt, an der dein Bruder umgekommen [ist], erregt dir Furcht.

Wer den Papst nicht zum Vetter hat, wird nicht Kardinal = Hast du keinen Angehörigen auf dem Gerichtsrasen, so trinkst du dort auch keinen Becher Palmweins.

= Geht der Leopard auf Reisen, so nimmt er auch seinen Schwanz mit.

[Folgende Sprichwörter sind nur im Original auf einem extra Blatt unter ]zu 32 eingefügt und bekräftigen damit das weiter unten Gesagte, daß diese Beispiele ]leicht zu vermehren sind. ]

Stille Wasser gründen tief = Der Abo-Fluß hat viele tiefe Stellen.

Ein Esel schimpft den anderen Langohr = Ein Hundsaffe schmäht den anderen wegen seiner Gesäßschwielen.

Der Bucklige sieht nur den Buckel des anderen = Die Kröte weiß nicht, daß ihre Haut warzig ist.

Kleine Ursachen, große Wirkungen = Ein Affe kann leicht ein europäisches Schiff in Brand setzen, oder: Ein Sklave bringt leicht ein Boot zum Kentern (Sklaven stammten meist aus dem Hinterland und kannten sich auf den Flüssen nicht aus).

Der Fuchs sagte: „Die Trauben sind mir viel zu sauer“ = Mißrät dir die Schildkrötensuppe, so sagst du: „Schildkröten seien nicht schmackhaft.“

Der Hahn kräht nicht auf fremden Mist = Der Hahn kräht nicht im Land der Menschen, d. h. in einem anderen Land. Freiheit ist nicht auf zwei Höfen (nur auf einem ist einer zu Hause).

Mit Geduld und Spucke fängt man eine Mucke = Behutsamkeit zog die Palmbohrmade aus dem Loch (sie gilt als Leckerbissen).

Kannst du nicht beißen, so zeig auch deine Zähne nicht = Wenn du nicht kämpfen (ringen) willst, so bleibe dem Kampfplatz fern.

Dem Weisen genügt ein Wort = Unterrichtest du eines Mannes Kind, so hört das Waisenkind zu.

Sag mir, mit wem du umgehst, und ich sage dir, wer du bist = Mit einem dummen Kerl ist’s nicht gut wandern.

Sie leben wie Hund und Katze = Sie sind wie Ordalgift und Hexe.

Ein Spatz in der Hand ist besser als eine Taube auf dem Dach =Eine starke Ladung zerreißt leicht das Gewehr (Hinterlader).

Nach dem Regen scheint die Sonne; oder: Ein Gewitter reinigt die Luft = Freundschaft, in der nicht gezankt wurde, gedeiht nicht recht; oder: Freunde, die sich nicht gestritten [haben], bleiben nicht beisammen; oder: Kummer schläft nicht in den Gliedern.

Brennt deines Nachbarn Haus, so hüte das deine = Was den Flughund tötet, tötet auch die (kleinere) Fledermaus; oder: Ging das Boot deines Bruders unter, so frohlocke nicht.

Gebrannte Kinder scheuen das Feuer = Hat dich einmal eine Schlange gebissen, so fliehst du, wenn du einen Regenwurm siehst; oder: Ein Küken fällt nicht zweimal ins Feuer.

Einem geschenkten Gaul... = Erbetteltes Wasser macht den Kochtopf nicht gar.

Kinder und Narren sagen die Wahrheit = Frau und Kinder verderben leicht eines Mannes Freundschaft.

Freunde in der Not geh’n hundert auf ein Lot = Das Verwundete (Tier) geht nicht mit dem Rudel.

Junge Leute können, alte müssen sterben = Die alten Ölpalmen sterben ab, die jungen treten an ihre Stelle.

Die Wände haben Ohren = Die Siedlung ist groß.

Ost und West, daheim ist’s am Best = Ein Mensch verleugnet seine Heimat Heimat nicht; oder: Das Baumblatt fällt wieder zur Erde.]

Schon diese kurzen, leicht zu vermehrenden Vergleiche zeigen, daß die kameruner Ideale nicht so weit von den unseren sind: Jeder soll die mit seiner Arbeit Arbeit verbundene Mühe auf sich nehmen und die Arbeit achten; Vorsicht üben und sich die Erfahrung zunutze machen, sich vor Selbstüberhebung hüten und aus Bindungen seinen Nutzen ziehen, aber auch die damit verbundenen Verpflichtungen erfüllen. Im Rechtsleben soll die Wahrheit die Norm sein und Prozesse nicht aus Streitlust geführt werden.

Daß diese geflügelten Worte, die Weisheit der Alten, nicht immer befolgt werden – ist’s bei uns anders? – Diese Sinnsprüche wollen ja gerade Mahnung sein. Wäre diese nicht mehr nötig, so wären auch die Sprüche bald vergessen; sie sind aber lebendiges Volksgut und geradezu die ungeschriebene Rechtsnorm. Sprichwort

2.  Märchen Märchen und Schwänke, die Einzelne charakterisieren

Gern erzählen die Schwarzen und greifen dabei z. T. in die alte Vergangenheit zurück; vgl. z. B. die Sündenfalls- und Sintflutmythe auf S. 145f. Doch wollen dies keine historischen Berichte sein, sondern [sie] sind Produkte der Phantasie, die Geschichte und Sage verschmilzt und eine Moral anschaulich und leicht behältlich vortragen will. Von Helden und Führern mit Kriegstaten und ähnlichen Leistungen wird wenig zu finden sein, doch vgl. S. 89f, das demokratische Denken der Waldländer ebnet alles Hervorragende ein. Und doch tritt auch in den folgenden komischen Szenen Individualität hervor, besonders auch, wenn die Ungleichheit von Frauen und Kindern gemalt wird.

Zunächst Schwänke von kameruner Schildbürgern:

a. Gegen Großmäulerei

Bosedi war einst eine große Stadt mit stolzen Einwohnern, die sich mehr als andere dünkten. Eines Tages waren die Dorfhäupter zusammengekommen und überlegten, wie [sie] sich einen unvergänglichen Namen machen könnten, daß das ganze Land noch in ferner Zukunft davon zu sagen hätte, welch starke Leute sie gewesen [waren].

Nun stand vor ihrem Dorf ein riesiger Wollbaum. Und einer der Stadtväter schlug vor, sie wollten den Waldriesen umhauen und den stürzenden Baum so auffangen, daß er nicht den Boden berührte. Das deuchte allen eine ihrer Stärke und Menge würdige Aufgabe; und bald forderte ein Rufer alle Mannschaft zum großen Werk für den kommenden Morgen auf.

Äxte und Haumesser wurden geschärft und in der Morgenfrühe zog[en alle] männiglich hinaus zum angegebenen Baum. Bald hämmerten die Eisen auf dem dicken Stamm und den breiten Wurzelwänden, und nach einigen Stunden tat es in {33a} dem Riesen den ersten Krach. Da sprangen sie alle auf die Seite, dahin sich der Baum neigte, und streckten die Arme aus. Rauschend fiel der Baum zu Boden, indem die dicken Äste barsten. Da lag aber auch das ganze Völkchen in und auf dem Boden, die Arme geknickt, der Rücken zerbrochen.

Von der ganzen großen Schar blieben ein paar übrig, die wehklagend nach Hause zogen. – So ging das Dorf an der Großtuerei zugrunde.

b. „Der Schaumstreifen brachte den Yansoki-Leuten das Verhängnis“

Yansoki war früher ein großes Fischerdorf. Aber warum ist es jetzt so geschrumpft? Eines Tages waren alle kräftigen Männer mit den Booten zum Wettrudern ausgefahren und hatten auch richtig gegen ihre Nachbardörfer abgesiegt. In ihrem Siegestaumel ruderten sie mit auflaufendem Wasser unter Trommelschlag und Gesang dem heimischen Gestade zu. Als Grenze zwischen dem einströmenden Salzwasser und dem Brackwasser der Küste bildet sich bei Flut ein Schaumstreifen, in dem Blätter, Holzabfälle und anderer Unrat treibt. Diesen Schaumstreifen hielten die siegestrunkenen Wettruderer für die beginnende Küste und sprangen aus den Booten. Alle kamen um bis auf die Steuermänner, die in den Booten geblieben waren. Diese sahen nun, wie „der Schein trügt“.

Nach Hecklinger überlieferten die an der Elungosi-Mündung wohnenden Yansoki die Mär so: Ihre Vorfahren wollten auswandern und hatten sich auf einer großen Sandbank niedergelassen. Die Männer fuhren in den Sungstwald, um Baumaterial zu holen, Frauen und Kinder waren auf der Sandbank zurückgeblieben und weil kein Kanu zu Händen war, ersäufte das auflaufende Wasser alle. Am Abend kamen die Männer zurück und trafen dort, wo die Sandbank war, nur noch einen Schaumstreifen. Seitdem ist vielen bei solchen Schaumstreifen nicht ganz geheuer.

c. Die ungleichen Brüder

Ein Mann hatte zwei Söhne, die er sorgsam aufzog. Der ältere war ein hochmütiger Junge, der seinen Vater viel ärgerte; der jüngere war folgsam und darum beliebt. Als die Söhne herangewachsen waren, ließen sie ihre Kindernamen und legten sich andere Namen zu. Der Ältere nannte sich: „Ich-höre-auf-niemand“ und der Jüngere: „Ich-erkundige-mich-gern“. Beide begannen nun einen Handel und reisten viel. Eines Tages rüstete ihr Vater sie wieder mit Waren aus, die sie in einem fremden Land verkaufen sollten. Sie machten sich auf den Weg. Mitten in einem großen Wald kamen sie auf einmal an eine Wegkreuzung. Der Jüngere sagte: Laß uns hier warten, bis jemand kommt, der uns den rechten Weg zeigen kann! Der Ältere aber sagte: Ich frage keinen, sondern gehe meinen eigenen Weg. So schlug er einen der Wege ein und ließ seinen jüngeren Bruder wartend zurück.

Nach einer Weile kam ein Mann des Weges daher, den fragte der junge Händler nach dem Weg zu dem Ort, da des Vaters Handelsfreunde wohnten. Der Mann warnte vor dem Weg, den der ältere Bruder gegangen war, und beschrieb ihm den rechten Weg. Den ging der jüngere der Söhne, erreichte noch vor Dunkelwerden den Ort, erledigte seine Geschäfte und kehrte nach einigen Tagen wieder heil zu seinem Vater zurück.

Der Ältere aber blieb verschollen, denn sein Weg hatte ihn mitten in der Nacht in das Dorf von Menschenfressern geführt, und er wurde noch in der gleichen Nacht umgebracht und aufgefressen.

Daher der Sinnspruch: „Guten Rat verachten ist tödlich“.

d. „Eitle Prahlerei macht einen zuschanden“

In alter Zeit fürchtete der Leopard die Ziegen sehr und schlug damals keine Ziegen, während er anderen Tieren nachstellte. Das Aussehen des Ziegenbocks, sein Bart, sein prahlendes Mekkern, seine Größe machten den Leoparden glauben, daß Ziegen sehr wilde Tiere seien. Wenn er damals eine Ziege nur von weitem sah, machte er sich davon – schnell wie der Wind.

Eines Tages pirschte sich nun der Leopard dicht zur Ziegenherde heran; und um sich zu vergewissern, ob der Bock wirklich so stark ist, fiel er plötzlich über eine Ziege her, packte sie und eilte mit ihr davon. Das geschah vor des Bockes Augen, der aber regte sich nicht, um der Ziege beizustehen.

Von der Zeit ab begann nur der Leopard auch über die Ziegen herzufallen und sie zu verzehren wie andere Tiere. Denn er wußte, daß der Bock nur so tat, als ob er stark wäre.

{33b}

e. Die beiden ungleichen Frauen

Es hatte einmal ein Mann zwei Frauen geheiratet, die oft in heftigem Streit miteinander lagen. Da ging eines Tages die eine Frau weg zu der alten Frau, die weit im Wald drin wohnte. Zu der sagte sie: „Mütterchen, ich bin ein armes Weib und du kannst mir helfen in all meinem Kummer.“ Die Alte aber litt sehr an eitrigen Geschwüren und sagte zu der anderen: „Bleib erst mal hier, bis meine Geschwüre geheilt sind!“ Da begann die Junge heilsame Kräuter zu suchen und die Alte zu pflegen, bis eines der Geschwüre ganz abgeheilt war.

Eines Tages hatte nun die Frau ein starkes Hungergefühl und sagte dies der Alten. Die erwiderte ihr: „Geh, hole Kuhdung und nimm auch Sand und tue das in einen Kochtopf!“ Und die Frau befolgte diese Anweisung. Aber als sie den Topf gefüllt hatte, da ward der Kuhdung zu Rindfleisch und der Sand zu Mais. Sie kochten und aßen und wurden satt.

Gesättigt sagte nun die Frau zu der Alten: „Mütterchen, dein Geschwür ist geheilt, nun muß ich an den Heimweg denken.“ Und die erwiderte: „Ja, aber erst will ich dir meinen Segen geben, den du von mir gewünscht [hast].“ Da sandte sie die Frau dahin, wo sie ihre Armringe verborgen hatte, und sagte: „Kommst du dorthin, so werden alle Ringe anfangen zu reden. Aber nimm dann keinen Ring, der sagt: Nimm mich, nimm mich! sondern erwähle dir einen, der spricht. Nimm mich nicht, nimm mich nicht!“

Die Frau machte sich auf den Weg und fand die Ringe, von denen die einen riefen: „Nimm mich!“ und die anderen: „Nimm mich nicht!“. Einen von den letzteren nahm die Frau an sich, ging und kam zu der Alten zurück, der diese sagte: „Ich habe einen von denen, die sagten: “Nimm mich nicht!“. Die Alte riet ihr: „Wenn du heim kommst, so sage deinem Mann, daß er dir einen Platz säubere. Ist das geschehen, so wirf den Ring auf den Boden und du wirst sehen, daß aus dem Ring ein großes schönes Haus entsteht“.

Die Frau ging dann nach Hause und tat dort, wie ihr die Alte geraten. Da wuchs mitten aus dem Ringe ein großes Haus heraus. Darob waren die Frau und ihr Mann hocherfreut und der Mann liebte die Frau noch mehr als zuvor.

Als das die andere Frau mitangesehen [hatte], machte auch sie sich auf den Weg zu der Alten und sagte alsbald zu ihr: „Ich kam auch, um von dir ein schönes Haus zu bekommen“. Die Alte sagte: „Ja, aber wasche mir erst das Eitergeschwür, das ich am Unterschenkel habe“. Das tat nun die Frau gar nicht gerne; mit Widerwillen wusch sie das Geschwür, reinigte es aber nicht sorgfältig. So oft sie daran wusch, spuckte sie voll Abscheu aus. Die Alte sah das alles, sagte aber nichts dazu.

Eines Tages sagte nun die Frau der Alten: „Ich bin sehr hungrig.“ und bekam zur Antwort: „Geh, hole Kuhdung und Sand und tue das in den Kochtopf!“ Die Frau wunderte sich sehr, wie man Kuhdung und Sand in den Kochtopf tun könne, denn sie ekelte sich vor dem Kuhdung. Sie scharrte ihn mit einem Krätzer zusammen und schüttete ihn samt dem Sand in den Topf. Der Alten mißfiel die Art, wie die Frau das alles machte; sie sagte aber nichts. Als der Topf gar war, wollte die Frau nichts davon essen und sagte: „Jetzt will ich heimgehen; ich kann nicht hierbleiben, bis mich der Hunger umbringt“. Die Alte erwiderte: „Ja, aber gehe erst dahin, wo meine Ringe liegen! Dort nimm einen der Ringe, die rufen: Nimm mich nicht! Nimm ja keinen von denen, die sagten: Nimm mich!“

Die Frau ging nun dahin, wo die Ringe lagen, und hörte alsbald die Ringe rufen; die einen: „Nimm mich nicht!“ und die anderen: „Nimm mich!“ Und sie nahm gerade einen, der ihr zurief: „Nimm mich!“ und kehrte zu der Alten zurück. Dort wollte sie aber den erwählten Ring nicht zeigen. Darum fragte sie die: „Warum willst du mir den Ring nicht zeigen?“ Sie achtete aber auf diese Frage gar nicht. Da sagte ihr die Alte: „Wie du alles in unguter Weise ausgeführt hast, so wirst du später auch Schlimmes erleben“.

{33c} Die Frau machte sich nun auf den Heimweg. Zu Hause angekommen, rief sie ihren Mann und sagte ihm: „Ich glaube, jetzt wirst du mich auch gern haben wie jene andere, denn auch ich habe jetzt die gleiche Sache wie sie. Nun kannst du Leute zusammenrufen, die einen ganz großen Platz reinigen!“ Der Platz wurde gereinigt und die Leute warteten, was weiter geschehen werde. Da nahm die Frau den Ring von ihrer Hand und schmiß ihn auf den Boden. Als er aber nun dalag, da kam doch kein Haus daraus hervor; was herauskam, das waren wilde Krieger. Die begannen nun sofort die Frau zu verprügeln und mit ihren Gewehren die ganze Stadt zu beschießen. Müde geworden, kehrten sie wieder in den Ring zurück.

Die Frau nahm den Ring auf und warf ihn wiederum hart auf den Boden; da kamen die Krieger wieder heraus und schossen mit ihren Gewehren wie wild um sich. Und so ging es fort sieben Tage lang; und die Krieger verwüsteten fast die ganze Siedlung und viele Leute kamen um.

Nur wenige Leute blieben übrig und die gingen zu der alten Frau und fragten sie: „Was für einen Ring hast du denn der Frau gegeben?“ Und die Alte erwiderte: „Diese Frau kam zu mir und war herausfordernd und sehr hochmütig; sie gehorchte mir nicht und tat alles mit Widerwillen. Auch bezüglich des Ringes handelte sie gerade meinem Rat entgegen und nahm den Ring, den sie gerne wollte. Aber ihr seid ja unschuldig. Darum gehet nun und wenn die wilden Krieger wieder kommen und euch schlagen wollen, so saget nur: ‘Alte Frau!’ so werden sie euch nichts weiter zuleide tun!“

Sie taten nach dem Rat der alten Frau. Der Mann aber verjagte seine Frau, die durch ihren Eigensinn Eigensinn so viel Leid über die Siedlung gebracht hatte.

Der Tonkrug zerbrach vor dem Hauseingang. ( Sprichwort Sprichwort)

[Folgende Sage liegt im Original ohne Seitenangabe zwischen den Seiten 33c und 33d. In der Kopie fehlt sie.]

Die Zikade tötete ihre Mutter wegen eines Topfes Gemüse.

Die Zikade hatte den Hof ihres Vaters nach dessen Tod geerbt. Anfangs fiel es ihr und der Mutter nicht schwer, dem Hof die rechte Pflege angedeihen zu lassen, aber nach einiger Zeit begann die Not, denn eine schwere Hungerzeit war ins Land gekommen. Alle Versuche der Zikade, die Leute auf der Heimstatt recht zu nähren, schlugen fehl. Da rief sie eines Tages der Mutter und sagte zu ihr: „Mütterchen, es ist böse Zeit; darum mach keine Spielerei; geh und pflücke für uns Blätter für Gemüse, das essen wir, auch wenn wir sonst nichts dazu haben. Die Mutter war mit den Worten ihres Kindes einverstanden, sie pflückte Gemüse und ging zum Herd, es zu kochen. Als sie das Gemüse aus dem Buschwald brachte, da war es ein ganzer Korb voll; aber als es gekocht war, da war es sehr wenig geworden. Das ärgerte die Zikade gar sehr, so daß sie nicht zufrieden war mit dem Gemüse, das ihr die Mutter darreichte. Sie dachte, die Mutter habe Gemüse entwendet und sie um einen Teil gebracht. Sie ließ sich von dieser Meinung auch nicht abbringen, obwohl ihr die Mutter erklärte, wie das zuging. Sie fiel die Mutter an wie ein Leopard und tötete sie mit Schlägen.

Nun war die Zikade allein auf der Heimstätte. Bald war ihr der Hunger zu arg und sie ging in den Wald, Blätter zu pflücken. Sie brachte einen Korb voll Gemüseblätter und begann, sie auf dem Herde zu kochen in der Hoffnung, sie werde diesmal mehr Gemüse essen können als vorher. Aber es war nicht so, als das Gemüse gar wurde, kochte es wieder ein. Da schüttete die Zikade den Gemüsetopf auf den Boden und begann ihre Mutter reuevoll zu beweinen; sie floh in den Wald, wo sie allabendlich bis auf den heutigen Tag noch ein großes Klagegeschrei erhebt wegen des Todes ihrer Mutter.

{33d}

f. Was die Zusammenarbeit dreier kluger Frauen erreichte

Ein Mann ging einmal auf eine weite Reise. Kaum war er in der fremden Gegend angekommen, da starb er. Wegen der weiten Entfernung erfuhr keiner seiner Verwandten etwas von seinem Tod. Man dachte, er sei noch am Leben, schicke nur keine Nachricht, und darum schalt man über ihn.

Seine drei Frauen aber hatten keine Ruhe; bald entwarfen sie einen Plan, wie sie gehen und den Vermißten suchen wollten, wo er auch sei. Die erste hieß „Wegekennerin“, die zweite „Helferin beim Überqueren von großem Wasser“ und die andere „Menschenerweckerin“. Sie verabschiedeten sich zu Hause und wanderten immerzu. Nach und nach aber wurden sie unruhig und fragten sich: Wir wandern nun so dahin; wer aber mag uns den rechten Weg zeigen? Da sagte aber die „Wegekennerin“: Nur keine Sorge; ich führe euch schon recht! Wie sie nun weiterzogen, kamen sie auf einmal an ein großes Wasser. Das machte ihnen große Sorge, so daß eine die andere fragte: Wie stellen wir’s nur an, um über diesen tiefen Fluß zu kommen? Aber die „Helferin beim Überqueren“ nahm ihren Wanderstab, schlug in den Fluß und das Wasser teilte sich, so daß sie leicht auf die andere Seite gelangten. Zuletzt gelangten sie glücklich an den Ort, dahin ihr Mann gegangen war; doch trafen sie ihn nicht mehr am Leben an. Als sie von seinem Tod hörten, zerrissen sie ihr Kleid, wälzten sich im Staub und erhoben eine große Wehklage. Dann aber beruhigten sie sich und fragten sich, was mit dem Leichnam ihres Mannes zu machen sei, ob sie ihn nach Hause bringen oder im fremden Land beerdigen sollten. Aber „Menschenerwekkerin“ lehnte solche Erwägungen ab und sagte ihren Mitfrauen: Ihr habt eure Aufgaben schon gelöst; den Tod unseres Mannes lasset meine Sorge sein; schauet nur auf mich! Und sie machte sich auf in den Wald und pflückte heilsame Kräuter, die zauberkräftiger waren als alle anderen; dann formte sie einen Blattrichter, vgl. Note 1 auf S. 24b, und tröpfelte den Drogensaft dem Leichnam in die Augen und in die Nase und blies ihm ihren Hauch in Nase und Ohren. Da regte sich Leben in dem Leichnam und er erhob sich lebendig, so daß sich alle über das Werk dieser Frau verwunderten.

Der Wiedererstandene aber war voll großer Freude über seine treuen und verständigen Frauen und kehrte gern mit ihnen nach Hause zurück. Dort berichteten sie ihre Reiseerlebnisse und man wollte untersuchen, welchen der dreien das größte Lob wegen der Wiederkehr des Vermißten gebühre. Die einen lobten „Wegekennerin“, andere wieder „Helferin beim Überqueren“, aber die meisten priesen doch als wichtigstes das Werk der „Menschenerweckerin“. Und dies Lob der Menge hätte den Mann fast verleitet, seine beiden anderen Frauen wegzujagen. Die Landesältesten aber verhinderten das; sie sagten: Keine einzige darf weggeschickt werden, denn keiner Werk ist gering zu achten; ihr Mann soll sich zu allen gut stellen bis zu ihrem Tod.

Lehrspruch: Einigkeit läßt das größte Werk gelingen.

{33e}

g. Bosheit straft sich selbst, oder: Warum das Meer salzig ist

Von zwei Brüdern war der eine reich, der jüngere arm. Darum war er in den Augen seines Bruders verachtet, und wenn der eine Ziege schlachtete, ließ er dem anderen zu dessen Schmerz nur ein kleines Schnippelchen zukommen. Da kam eines Tages zu dem Armen ein Fremder. Der sagte ihm: Ich weiß eine Landschaft, da haben die Leute noch nie Ziegenfleisch gegessen und geben einem für ein kleines Stück davon, was er nur wünscht. Bekommst du wieder etwas Ziegenfleisch, so bring es dorthin, nimm aber nicht was, das sie dir gerade geben wollen, sondern verlange eine alte Menschenhand. Auf dem Rückweg kommst du zu mir, daß ich dir sage, was damit anzufangen ist.

Bei nächster Gelegenheit tat der jüngere Bruder nach des Fremden Rat, er brachte sein Stück Ziegenfleisch ins fremde Land und dort gab ihm der Landesherr für sein Ziegenfleisch eine verdorrte Menschenhand. Auf dem Rückweg besuchte er seinen fremden Freund, der ihm sagt: Kommst du heim und es wird Schlafenszeit, so laß deine Frau schlafen gehen, du aber sprich mit der verdorrten Hand; aber so, daß es niemand hört. Was du der Hand aufträgst, wird sie tun; nur mußt du ausdrücklich die Stückzahl nennen, die du begehrst.

Daheim angekommen, begrüßte er seine Frau und schickte sie zum Baden. Dann sagte er zur verdorrten Hand: Schaffe mir zwei Kisten voll Tücher und Kleider, daß ich sehe, ob mein Freund mich betrogen [hat] oder nicht. Kaum aber hatte er seinen Wunsch geäußert, da standen auch schon die Truhen voll schöner Kleider vor ihm. Wie staunte die Frau bei der Rückkehr ob dieses Reichtums. Sie durfte sogleich ihr altes Gewand ablegen und sich neu kleiden. Aber trotz aller Bitten der Frau verriet ihr der Mann sein Geheimnis doch nicht.

Bald darauf fing der ältere Bruder mit dem Armen Streit an und setzte ihn in den Augen der Umstehenden herunter. Der Jüngere erwiderte gar nichts. In der Nacht aber nahm er seinen Handstumpf vor und sagte ihm, daß er anderntags ein schönes, großes Haus außerhalb des Gehöftes seines Bruders sehen möchte. Und am nächsten Morgen stand jenseits der Straße ein neues Haus mit offenen Türen und Fenstern, in das der Besitzer samt seiner Frau sogleich einzog. Neugierig kam auch der ältere Bruder mit seinen Weibern, um das Haus zu besichtigen.

Als einmal der arme Bruder mit seiner Frau aufs Feld gegangen war, kam der ältere und zwang den Hausjungen mit vielen Schlägen, ihm den Schlüssel zu geben. Dann durchstöberte er das Haus und fand auch die verdorrte Hand. Er nahm sie an sich und verließ samt allen seinen Angehörigen den Platz, ehe sein Bruder zurück war.

Am Fluß bestieg er sein großes Boot und fuhr weg in ein ander[es] Land, um Handel zu treiben. Der Hausjunge erzählte aber seinem Herrn, was vorgefallen war, und die Striemen an seinem Körper zeigten, daß er unschuldig war.

Auf dem Fluß sagte der ältere Bruder seinen Frauen: O weh, nun hab ich ja vergessen, Salz mitzunehmen. Da machten ihm die Frauen unter wehklagen Wehklagen bittere Vorwürfe, weil sie jetzt keine Speise bereiten könnten. Er beruhigte sie aber und sagte: Schweigt nur, wir kommen schon zu Salz! Er öffnete seine Kiste, nahm die verdorrte Menschenhand heraus und sagte zu ihr: Ich will jetzt Salz und lauter Salz haben! Kaum gesprochen, da kam auch schon das Salz daher und noch einmal Salz ins Boot herein. Alles Zurufen, es sei jetzt genug, half nichts. Das Boot wurde schließlich so voll Salz, daß es unterging und alle Insassen jämmerlich umkamen. Denn der Mann wußte nicht, daß man bei seinem Wunsch Maß und Zahl angeben mußte.

So quillt noch immerfort Salz ins Wasser; darum ist das Meer salzig. Darum haben auch die Europäer so viel Salz und können damit handeln.

Das sind die Gedanken der Afrikaner über das Salz, aber auch darüber, wie Hartherzigkeit und Habgier gestraft werden.

[folgende Erzählung nur im Originaltyposkript]

Moralische Erzählungen

Ein Wanderer kam durch einen tiefen Wald. Dort traf er einen abgehackten Menschenkopf am Weg liegen. Erstaunt rief er da aus: Warum ist diesem Menschen wohl der Kopf abgeschlagen worden? Der Kopf antwortete: Mein Mund hat mir das angerichtet; auch der deinige wird dich töten. Da ging der Wanderer eilends davon und erreichte die vor ihm liegende Siedlung. Er fand Unterkunft und erzählte den Leuten, was er im Wald erlebt hatte. Die Zuhörer aber bezweifelten das und erzählten die Geschichte ihrem Häuptling. Der gab den Befehl, daß einige seiner Leute mit dem Mann in den Wald gehen und sich überzeugen sollten, ob der Wanderer die Wahrheit gesagt habe oder nicht; sollte es sich herausstellen, daß er Unwahres berichtet, so solle ihm sofort der Kopf abgeschlagen werden; habe er aber die Wahrheit gesagt, so solle er belohnt und geehrt werden. Die Gesandten des Häuptlings gingen nun mit dem Wanderer in den Wald und trafen richtig den Menschenkopf am Pfad liegen. Der Wanderer richtete die gleiche Frage an ihn wie vorher, aber auch auf wiederholtes Fragen äußerte der Kopf kein Wort. Da hieben die Dorfleute dem Wanderer den Kopf an Ort und Stelle ab. Kaum aber war sein Kopf zu Boden gefallen, da sprach der alte Kopf zu seinem Nachbarn: Hab ich dir nicht gesagt, daß mein Mund mich getötet hat und daß dich der deine auch umbringen werde? Warum hast du nicht auf guten Rat gehört?

Als die Leute das vernommen hatten, verwunderten sie sich und bedauerten, daß sie den Wandersmann unschuldig getötet hatten; denn nun merkten sie, daß er doch die Wahrheit gesprochen [hatte]. Aber so konnten sie die Sache nicht mehr ändern.

Lerne: Halte deine Zunge im Zaum; plaudere nicht alles aus, was du gesehen oder gehört [hast], sonst kommst du zu Schaden.

[darunter zwei Zeilen Stenographie]

{34a}

3. Was sagt der Missionar zum Charakter Charakter und der Charakterbildung der Kameruner?

Hört man unter den Europäer Europäern herum, die Urteile über die Art der Kameruner äußern, so muß man oft staunen ob der Gegensätzlichkeit solcher Urteile. Nach den einen müssen die Kameruner ursprünglich eine hochstehende Rasse gewesen sein, die z. B. das Stehlen erst gelernt haben durch das christliche Gebot: Du sollst nicht stehlen u. ä. Nach anderen ist es eine solche tiefstehende, auch sittlich tiefstehende Rasse, daß nur eine große Weisheit übrig bleibt: Sie sind auszurotten. Da schreiben Leute z. B. über die Duala als Deutschfeinde, obwohl sie mit Duala nicht gesprochen haben – wie könnte man auch! – und natürlich nichts davon wissen, daß der Nachfolger des gehenkten Rudolf Dual’ a Manga samt den Unterhäuptlingen 1918 an den Präsidenten Wilson unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker den Antrag gestellt [haben], daß sie unter deutschem Regiment zu bleiben wünschen. Auch 1939 wurde ein Teil der Duala-Häuptlinge von den Franzosen wegen Deutschfreundlichkeit gefangen gesetzt.

Nun ist es wohl kein Zweifel, daß der Charakter der Leute i. a. gesunken ist. Aber ist das anders zu erwarten, da sie in einem „Zusammenstoß der Farben“ stehen, daß Neues und durchaus nicht immer nur Gutes auf sie einströmt, daß absichtlich und unabsichtlich die alten Bindungen zerbrochen werden und die meisten der Neuerer keinen Ersatz wissen? Leute, die meinen, hinter Hamburg alle christliche Kultur und völkische Bindung abstreifen zu können, sind in Kamerun sehr ungeschickt zum Aufbauen und haben häufig ein gar geringes Recht, über den Charakter der Wilden zu urteilen.

Nehmen wir einen Stamm und sein Erleben in den letzten 50 Jahren und fragen: Trägt ein solches Auf und Ab der Behandlung dazu bei, einen Stamm offener, zutraulicher, ehrlicher zu machen?

Die Bali sind um den Anfang des vorigen Jahrhunderts in ihre jetzigen Wohnsitze eingedrungen, nachdem sie aus ihrer nördlichen Heimat Rifum (niemand weiß recht, wo das zu suchen ist) von den Fulani vertrieben worden waren. In wildem Kriegszug kamen sie durchs ganze Grasland, nahmen andere Völkersplitter in sich auf, wurden selbst dezimiert, änderten ihre Sprache und sicherlich viele Sitte Sitten und saßen an ihrem heutigen Platz, als der erste Deutsche zu ihnen kam.

1889 schloß Dr. Zintgraf mit dem Bali-Häuptling Garega Freundschaft zu gegenseitiger Hilfe; im Namen des deutschen Kaisers erklärte Zintgraf Garega zum König des ganzen Graslandes, schloß aber auch mit anderen Häuptlingen den Blutbund, vgl. S. 78, auf die die Bali in ihrem Streben, ihr Königtum zu realisieren, zuerst stoßen mußten. 1893 zogen sich die Deutschen aus dem Grasland wieder zurück. Vier Jahre später kamen sie wieder, aber mit anderer Politik. Sie bauten das 6 Stunden von Bali und in deren Feinde Gebiet gelegene Bamenda als Stützpunkt aus und behandelten die Bali nicht mehr als Bundesgenossen, sondern als Untertanen gleich den anderen Graslandstämmen. Außerdem mußten die Bali die ihnen von Zintgraf übergebenen Gewehre herausgeben, für die sie ja einige Leistungen als Bundesgeschenk gebracht [hatten]. Vom Königtum der Bali war natürlich keine Rede mehr, im Gegenteil: sie wurden gemindert. Trotzdem stellten sie in 1914/15 ein gutes Kontingent deutscher Askari, obwohl der Bali-Häuptling mißtrauischer sein mußte als der in allem vorgezogenen Ndjoya von Bamum, vgl. S. 86.

Ende 1915 besetzten die Engländer die Gegend und sind seitdem dort. Zunächst suchten die Engländer die Bali zu gewinnen und ihren Zwecken dienstbar zu machen. So befürworteten sie bis 1933 die Verbreitung der Bali-Sprache im ganzen Bamenda-Bezirk. Von da ab aber wird das Bali vernachlässigt. Ärgert man sich daran, daß die Bali auch heute noch die Deutschen als ihre ba „Herren, Väter“ betrachten trotz mancher erlebten Enttäuschung? Bis 1933 wurde die Ansprache des englischen Beamten am Empire Day für den ganzen Bezirk nur ins Bali übersetzt, heute in verschiedene andere Sprachen, um sie als dem Bali gleichwertig zu zeigen. Bezüglich Schule, Hospitalwerk u. ä., Wegebauten sind andere Häuptlingsschaften besser dran als Bali. Und weil in einer Landsache die Bali vom {34b} Bezirksbeamten an eine höhere Stelle appellierten und Recht bekamen, erklärte der Beamte Jeffreys: Von uns haben die Bali nichts zu hoffen.

Ohne ein Urteil über die Regierungsmaßnahmen fällen zu wollen, fragte man sich, ob nach solch widersprüchlicher Behandlung innert 50 Jahre ein Stamm allezeit seinen Herren das gleiche Gesicht zeigen kann? Gern nennt man heute die Bali Lügner; nur haben sie selbst nicht gerade eine gerade Linie bei ihren Herren gesehen. So sind ja auch die Duala als nichtsnutzig verschrien auch bei Leuten, die nie in Duala waren. In Duala aber gibt es solche und andere, wie überall.

Der Charakter der Kameruner zeigt auch manchen unguten Zug. Als den bedenklichsten halte ich, daß sie durch ihre Begabung in der Darstellung verleitet werden, den Schein für Sein zu halten, und was damit verwandt sein mag: eine leichte Begeisterungsfähigkeit, die nicht vorhält. Man vergleiche nur die Anfänge vieler Märchen: X und Y waren gute Freunde, aber ---. Und nun kommt, wie die Freundschaft zerbricht oder gar in Feindschaft umschlägt. Damit hängt auch zusammen ein Hang zur Freizügigkeit Freizügigkeit im Geschlechtsleben Geschlechtsleben: man will etwas Neues erleben. Es ist die Klage aller Einsichtigen beider Hautfarben, daß die allgemeine Freiheit und Freizügigkeit, auch Gleichmacherei, die die Europäer gebracht [haben] und die hergebrachten Bindungen zerreiben, sich gerade auf diesem Gebiet verheerend auswirken; auch nicht ohne persönliche Schuld vieler Glieder der weißen Rasse. Wenn die schwarzen Maitressen weißer Herren ein Leben in Bequemlichkeit und Fülle führen, wenn sie auch nach [dem] Scheiden ihres weißen Herren natürlich keine Lust haben, die Lasten des Ehestandes mit einem seßhaften Landsmann zu teilen, wenn die schwarzen „Damen“ erfahren, daß man sinnliche Lust haben kann ohne Kinder gebären und pflegen zu müssen, wenn die habgierigen Väter monatlichen Hurenlohn für ihre Töchter einziehen, so ist es schon Charakter, wenn viele Töchter und Väter dieser Versuchung widerstehen. – Eine gute Anzahl der Märchen schildert die Weisheit der Kleinen, die durch ihre List einen großen Starken besiegen. Das ist im Märchen ganz lustig zu hören und mag auch im praktischen Leben augenblicklichen Vorteil bringen. Läßt sich aber ein ganzes Volk auf diesen Weg drängen – und die Gefahr liegt bei der überlegenen Kultur der weißen Rasse immer für den Primitiven vor, so muß das nicht nur den Volkscharakter verderben, sondern auch jeden wahren Fortschritt durch Arbeiten, Können und Leisten hindern.

Daß aber trotzdem das Volk als Ganzes strebt, die Genossen und den Nachwuchs zu charakterlich gefestigten Menschen zu erziehen, soweit es in ihren Grenzen möglich ist, zeigen die vorstehend und sonstwo beigebrachten Sprichwörter und Märchen, die Allen eine Norm vorhalten. Freilich darf man auch von ihnen nicht zuviel erwarten; auch hier ist es leichter, ein Ideal darzustellen, als es in Schlichtheit und Wahrheit zu üben.

Es ist die Aufgabe des christlichen Unterrichts, auf die Winke zu achten, die die ungeschriebene Literatur der Stämme an guten Zügen zeigt, aber auch herauszustellen, daß das Ideal allein nicht genügt. Eine Erneuerung, die Charaktere schafft, wird nicht erreicht durch Vergleich mit den Bildern des Volkswitzes, sondern nur in einem Wandel vor dem wahrhaftigen Gott.

{34c} Die vorstehenden Stücke sind kleine Proben dafür, daß der Eingeborene Kameruns Freude hat an Humor und Scherz, an Lust und Lachen. Und doch lebt im Kameruner noch mehr Angst und Furcht, die aus dem Todesschrecken erwächst. Charakter

B. Die Grenze des Ichbewußtseins

1. Das Tod Todesgrauen

Die nordische Natur prägt ihren Kindern den Gegensatz von Finsternis und Licht ein und an der Überwindung des Winters durch die Frühlingssonne knüpfte ihre Mythologie an; hat doch unser Weihnachten seine natürliche Quelle in dieser Brunnenstube, bis diese Weissagung und völkische Ahnung sich erfüllten in dem, der gesagt [hat]: Ich bin das Licht der Welt.

Den im Norden vorliegenden Naturgegensatz kennt das sonnendurchglühte Land am guineischen Meerbusen nicht. Dort ist dem lebenshungrigen Menschen das Sterben, der Tod das große Problem. An Geburten fehlt es nicht und alle Bemühungen des Ahnen- und Fruchtbarkeitskult Fruchtbarkeitskultes, der eigentlichen kameruner Religion, zielen ja auf Geburten hin. Aber dünn ist das Land bevölkert und Sippe um Sippe, Stamm um Stamm stirbt aus; nicht erst heute. So ist der Ideal- nganga nganga nicht eine lichte Baldur-Gestalt, sondern der mulondedi mulondedi „Krafterfüllte, Magier“, der Mittel und Wege kennt, um aus der Welt der ndimsi „geheimnisvollen Unsichtbarkeit“ Leben zu schaffen und so den Tod zu überwinden.

Mit dieser Frage um Leben und Tod muß sich zwar jeder, der um eine Weltanschauung ringt, beschäftigen, sei er nun Materialist, Pessimist, Idealist oder Christ. – Der eine will vom Schöpfer und seinem Geist nichts wissen und leugnet darum das Jenseits. Ihm ist der Mensch, was er ißt, und er vergeht in Tod und Verwesung, wie ein Licht in der Nacht verlöscht. Der Tod ist ihm die alles auslöschende Katastrophe. – Dem anderen ist der Tod wiederholter Wagenwechsel vom Schlechten zum Schlechteren, bis der Mensch nach endlosen Wandlungen und Leiden im völligen Vergehen des Nirwana aufgeht. – Dem Dritten erscheint als Ideal die Befreiung der unsterblichen Seele aus dem Kerker des Leibes im Tode, der ihm den Eingang in ein besseres Jenseits schafft. – Dem Christen ist der Tod beides: Schrecken des Gerichts umlagern ihn, denn „der Tod ist der Sünde Sold“; aber ihm „ist der Tod auch der Eingang in das Leben“, und glaubend fragt er: „Lässet auch ein Haupt sein Glied, welches es nicht nach sich zieht?“

Zunächst ist der Kameruner weder Materialist noch Pessimist, weder Idealist noch Christ. Mit dem Tod ist ihm nicht alles aus, sondern der Tote lebt in anderer Form und anderem Dasein weiter. Er kennt keinen tückischen Dämon, der über dem All waltet; sondern wie sich das Firmament über alles spannt, so waltet das, was hinter dem Himmel ist, als höchster Richter über der Menschen Tun und Leben, vgl. S. 148f. Der Kameruner weiß auch nichts von einem ewig kreisenden Wechsel des Daseins der menschlichen Seele zu immer neuen Leiden. Er weiß nichts von der Unsterblichkeit der Seele im Sinne des Idealismus noch von einem besseren Jenseits. Die Toten sind die „Ausgelöschten“, denen das Wesentliche fehlt, das Leben; denn die Schatten führen im Jenseits ein Dasein ohne Leben, und darum sehnt der Primitive sich nie nach dem Schattendasein der Abgeschiedenen.

Zwar weiß auch der Schwarze von dem verzehrenden Bann Bann der Schuld, aber ihm fehlt doch die klare Erkenntnis, daß der Tod der Sünde Sold ist. Die Hoffnung Hoffnung der Auferstehung fehlt ihm so sehr, daß dieses christliche Lehrstück die kameruner Kirche füllt. Doch finden wir in den Überlieferungen und Bräuchen überall gewisse Ahnungen, die der christlichen Botschaft wie Fragen der Antwort entgegenkommen. Sitte, Mythe und Sprichwort beschäftigen sich in Kamerun mit dem Todesproblem. Wir suchen den Eindruck, den der Tod dem Kameruner macht, einzufangen und zu verstehen, wie daraus Ahnen- und Mysterienkulte wuchsen.

a. Das Todesgrauen in Sitte, Mythe und Sprichwort

{35} Bezüglich der Sitten sei hingewiesen auf das auf S. 7ff. Berichtete, besonders auf den Todeskampf der Bakwiri mit dem Dämon Mokase.

[folgen 8 leere Zeilen]

Hinter den Sitten stehen die Mythen, die den Tod als etwas Unnatürliches, dem Menschen zunächst nicht Zugedachtes schildern; vgl. z. B. das Ende der auf S. 145f. mitgeteilten Sündenfallgeschichten, die auf das Töten des Elefanten auch den Menschen Tierfeindschaft und damit den Tod ankündigt, oder die den Menschen um seines Hingegebenseins an das Irdische das Leben verlieren und ihn ein Raub des Todes werden läßt. Noch deutlicher drückt das Unerwartete und Widerspruchsvolle des Todes folgende Mythe aus:

In alter, alter Zeit waren sich die Menschen nicht klar, ob ein Gestorbener nach dem Tod wieder lebendig werden oder im Tod bleiben solle. Deshalb schickten sie um Auskunft zu dem „Alten“. Der rief als Boten Eidechse und Chamäleon Chamäleon und gab der ersteren den Auftrag: Bestelle dem Menschen, daß einer wieder lebendig werden soll, wenn er gestorben ist. Das letztere aber sollte ausrichten: Wer tot ist, bleibt tot und kehrt nicht wieder zurück. Welches Tier nun seine Botschaft zuerst ausrichten werde, dess[en] Auftrag solle gelten. So machten sich beide auf den Weg. Die schnelle Eidechse kehrte unterwegs bei Freunden ein und ließ es sich in deren Weinhütte gemütlich sein. Darum ward sie von dem langsamen Chamäleon überholt, das seinen Auftrag ausrichtet. Seitdem hat er nun grausame Gültigkeit. Darum hassen und fürchten die Menschen das Chamäleon, den Überbringer der Botschaft vom Todesschicksal.

Nach einer anderen Version (Banyangi) war das schnelle Tier der Hund, der unterwegs an eine Ölkelter kam und sie ausleckte, so daß er seine Botschaft vom Leben nicht zeitig ausrichten konnte. Die Todesbotschaft richtete der Frosch aus.

Die Bameta im Grasland überliefern diese Mythe so, daß Gott der Kröte Rotholzmehl als frohes Zeichen der Wiedererstehung vom Tod mitgab, dem Chamäleon aber Asche als düsteres Zeichen, daß die Menschen sterben und für immer weggehen müssen. Beide hatten den Auftrag, mit ihrem symbolischen Stoff die Wegkreuzung (=Ahnenopferplatz) zu bestreichen, bzw. zu bestreuen. Die Kröte traf unterwegs einige Insekten, sie blieb und verzehrte sie. So überholte sie das Chamäleon und dieses streute noch vor Ankunft der Kröte seine Asche auf den Opferplatz.

Darum kehrt nun der Mensch nach dem Tod nicht wieder.

Vergleiche auch die Überlieferung von Eleu auf S. 147.

Eine Überlieferung der Basa im Süden schildert den Einbruch des Todes in die Menschenwelt folgendermaßen:

Lande, erster Mensch der Basa Lande war der erste Mensch und Vater Aller. Eines Tages brachte er ein erlegtes Schwein von der Treibjagd und trug es in seinen Vorratsschuppen. Dort lagen schon allerlei Ackerfrüchte, die sein Weib nach Hause gebracht [hatte]. Voller Freude stand nun Lande und betrachtete den reichlichen Essensvorrat. Langsam legte er ein Stück nach dem anderen herum und suchte aus, was seine Frau zunächst kochen sollte. Er war davon so hingenommen, daß er alles andere um sich her vergaß. Er sah nichts mehr und hörte nichts mehr, nur das eine erfüllte sein Herz: Welch schönen Lebtag kann ich mir nun machen. Um diese Zeit war es, daß ein Mann durch sein Gehöft schritt namens „Leben“. Er kam von weit her, um den Lande zu suchen, Freundschaft mit ihm zu schließen und ihm unvergängliches Leben zu verheißen. Wie er nun durch das Gehöft des Lande kam, rief er laut: Lande, Lande komm doch mal! Aber Lande hörte nichts. Alle seine Gedanken waren bei seinem Essensvorrat. So bekam „Leben“ keine Antwort, durchschritt den Hof und ging weiter ohne {36} dem Lande sein wertvolles Geschenk zu hinterlassen.

Es dauerte gar nicht lange, da kam Lande aus seinem Vorratsraum heraus, um seine Frau zu fragen, ob sie trockenes Feuerholz bereit gelegt habe. Während er so stand, trat plötzlich ein anderer Mann in seinen Hof herein, der hieß: „Tod“. Kaum hatte er den Lande erblickt, da fiel er über ihn her, packte ihn und eilte mit ihm davon.

Keiner hat Lande je wieder gesehen, und man sagte, er sei halt gestorben.

So kam die Menschheit um das Leben bis auf den heutigen Tag, weil ihr Anfänger so ganz im Irdischen aufgegangen war28.

Die vorstehenden Mythen zeigen jedenfalls auch, daß das höchste Wesen als von den Vorfahren getrennt gedacht wird.

Ausgiebig beschäftigt sich auch das Sprichwort Sprichwort mit dem Tod; und zwar drücken alle der Menschen Grauen vor ihm aus; man würde ihm gerne entrinnen, wenn man könnte:

Der Weg, auf dem der Tod kommt, ist unsichtbar.

Wenn die Menschen den Tod sehen würden, könnten sie ihm schnell entlaufen.

Der Tod nimmt nicht den Wanderstab weg, aber den leibhaftigen Menschen.

Der Tod fürchtet sich vor keinem.

Der Tod ist stärker als eine Hexe.

Auch wenn du einen lieb hast, wird er doch eines Tages sterben.

So ist der Tod unentrinnbar:

Du warst einmal im Mutterleibe und bist herausgekommen; aus dem Grabe kehrst du nicht wieder.

Wenn du auch auswanderst, stirbst du doch auf der Reise.

Der Tod verschmäht keinen Menschen.

Alle Nasen schauen nach unten (d. h. nach dem Grab).

Der Regen näßt alle Dächer.

Alle Flüsse strömen dem Meere zu.

Der Mensch kann den Weg der Schattengeister nicht meiden.

Ein Jahr stirbt nicht (es erneuert sich ja immer wieder), aber der Mensch.

Der Mensch kennt seinen Todestag nicht.

Nicht nur ein Einziger stirbt, seine Kameraden folgen ihm nach.

Die aussterbende Sippe achtet nicht auf magische Kraftmittel (= wider den Tod ist kein Kraut gewachsen).

Ob du gut warst oder schlecht, du mußt doch einmal sterben.

Und ist einmal einer tot, so ist das nicht mehr zu ändern.

Das Gesicht der Leiche: dorthin, wohin es einmal schaut.

Wehklage und Mitleidsbezeugung bringt keinen Toten wieder.

Der Tod kommt an dem Tage, da ihn der Mensch nicht begehrt.

Darum ist es auch einerlei, wie jemand stirbt:

Tot ist halt tot.

So gebührt es dem Mann, dem Tode tapfer ins Auge zu schauen:

Ein Mann pflegt nur einmal zu sterben.

Der Tod des Mannes ist nur an einem Tage.

Das Traurigste aber ist, daß mancher seinen Tod selbst verursacht:

Die Grille gräbt sich selbst ihr Grab (an dem kleinen Erdaufwurf über ihrem Loch entdecken sie die Kinder, graben sie aus und verzehren sie).

Den Hinterbliebenen aber schlägt der Tod Wunden:

Die Angehörigen können sich des Todesgeruchs nicht entziehen.

Wenn du einen Leichnam öffnest (vgl. S. 8), bedeckst du dein Gesicht mit dibokuboku‑Blättern (ein magisches Abwehrmittel). Sprichwort

{37}

b. Das Rätsel des Todes

Das ganze Leben der Kameruner ist ein Kampf gegen den Tod. Das natürliche Ringen im Erwerbsleben und alles Mühen auf kultischem und magischem Weg bezeugt dies. Es muß doch eine eigentümliche Lebenserfahrung hinter dem Ausdruck wo ntu „sich anstrengen“ stehen, wenn es wörtlich heißt „sterben in bezug auf Mühsal“. Das Höchste, was man vom Orakel Orakel sagen kann, ist: Es weiß den Ort, wo das Leben wohnt; und des Schamanen Kampf gilt letztlich dem Tod, der den Menschen auf allerlei Wegen umlauert. Wo der Tod erscheint, befällt das Geschöpf Entsetzen. Der Tod bringt die Nacht, wie er auch in der natürlichen Nacht seine Hauptstärke offenbart.

Und ist es nicht tragisch, daß [in den] Märchen vielfach die Frau (die doch dem Kind das Leben schenkt) mit den unsichtbaren Mächten in Verbindung steht, die Tod und Verderben bringen?

So unsympathisch uns auch der Gedanke berühren mag, daß die mit übernatürlichen Kräften Geladenen, die Hexen, die „Starken“ vom Hades ausgeschlossen sind und in den Himmel Himmel eingehen, so liegt darin vielleicht auch doch der Gedanke, daß der Tod auf Erden herrscht und die „Himmelsmenschen“, vgl. S. 47, 148, darüber erhaben sind.

Wer die Schwarzen nur oberflächlich kennt, mag durch ihre vielen Tänze (auch bei Totenfesten) verleitet werden zu meinen, daß sie nur von kindlicher Daseinsfreude erfüllt seien, daß sie sich unangefochten von schweren Gedanken nur dem Augenblick hingeben. Ein solcher weiß nicht, wieviel Seufzer um Lebenserhaltung auch in Kamerun laut werden und wieviel Opferblut von Menschen und Tieren die tropische Erde schon in sich aufgenommen hat. Weil die Kameruner wissen, daß dem Todesschicksal keiner entrinnt und aus der Todesstadt keiner wiederkehrt, darum tragen sie ihr Leben in zitternden Händen; „mit dem Auge (d. h. etwas Wertvollem) spielt man nicht“ gilt ihm auch bezüglich des Lebens. Der Schöpfer, der das Leben schenkt, schickt auch den Tod.

Ob ihre Gebetszeit beim ersten Erscheinen des jungen Mond Mondes, vgl. S. 143, nicht auch darum so gelegt ist, weil der Mond neu geworden ist, und sich darum auch ihre Lebenskraft erneuern soll. Denn das Menschenleben wird mit dem Mond in Verbindung gebracht; darum sagt man bei der weiblichen Regel: „Die Frau ist in den Mond gegangen“; und war der Gang erfolgreich und hört die Regel auf, so entsteht im Frauenleib junges Leben. Darum gehen die Frauen auch am Neulichtabend gerne zur Schöpfstelle, „um sich ein Kind zu schöpfen“. – Die Bakundu-Kinder tanzen im Mondschein, werfen dem Mond ihre ausgefallenen Erstlingzähnchen zu und rufen: Nimm den alten und gib mir einen neuen Zahn! Dem liegt doch auch die magische Vorstellung der Erneuerung zugrunde. Darum auch die vielen Bitten an den Mond, daß in der neuen Mondphase Krankheiten fern bleiben mögen. – Und doch: Der Mond kehrt immer wieder, aber der Mensch geht dahin und kehrt nicht mehr.

Klingt nicht aus dem Spruch der Bakundu: „Die Jetztzeit ist nicht für die Ewigkeit“ der klagende Schmerz über die Vergänglichkeit des Lebens: „Wir haben hier keine bleibende Stadt“? und diese Erkenntnis macht auch in Kamerun viele willig, auf die Aufforderung zu horchen: „aber die zukünftige suchen wir!“ (Hebr 13, 14)

So zeigen vorstehende Sprüche, Erzählungen und Sitten, daß dem Kameruner der Tod nicht nur als etwas Unnatürliches vorkommt, sondern als das, was Grauen und Entsetzen erregt, dem aber trotz aller Abneigung doch keiner entrinnen kann; und dabei das Bitterste ist, daß dieses Sklaventum nicht zu lösen ist, auch nicht durch noch so hohes Lösegeld oder Können, vgl. den Spruch der Bakwiri: „Auch im Hause des angesehenen nganga sterben Kinder.“ und ihre Formel beim Opfer Opfer für einen Schwerkranken:

Ziege Ziegenkind, stirb,

damit das Menschenkind lebe!“

Des sterbenden Bakosi-Mannes letzter Trost ist, daß ihm eine „Ziege, die er an der Hand führt“, ans Sterbebett gebunden wird, auf daß er sich selbst damit in der unsichtbaren Welt lösen könne. Denn dort, wo das Grauen wohnt, {38} im Waldesdickicht, auf Bergen, im Wasser ist [der] Bereich der Schatten, und dadurch führt der Weg zum Hades Hades in die Tiefen der Erde.

Wie der Tod den Lebenden verunreinigt und ihn in Gefahr bringt, ist schon auf S. 8ff. gezeigt.

Was hat nun der Eindruck des Todes an dem Kameruner bewirkt? War er auch ihm zum Erziehen? Und ist sein Lebenshunger zu vertiefen zum Hungern und Dürsten nach Gerechtigkeit, so daß der Tod letztlich auch ihm ein Zuchtmeister auf Christus werde?

Ohne Zweifel hat die Todeserfahrung auch dem Kameruner den Gedanken an ein Fortleben nach dem Tod nahegelegt und damit auch ihm den Unterschied zwischen sich selbst und der Tier- und Pflanzenwelt, mit der er sich in mancher Hinsicht verbunden weiß, vgl. S. 123ff., gezeigt. Diese Begrenztheit der menschlichen Kraft und des Ichbewußtseins entzündet den Brand der Angst und Furcht, der in ganz Kamerun schwelt, die Angst vor dem unsichtbaren Gegenüber. Das Verlangen, diese Furcht zu überwinden, führte zum jetzt zu besprechenden Ahnenkult, weckte aber zugleich auch das Verlangen nach einem höheren Dasein durch Steigerung in ein überlegeneres Lebensgefühl.

Dieser Wunsch schuf die mystischen Kulte der Geheimbünde, die von Totemismus und Nagual, Nagualismus Nagualismus nicht zu trennen sind. So weckte auch hier die Todeserfahrung das Streben nach einer höheren Lebensstufe. Tod

2. Der Ahnenkult Ahnenkult

a. Das Weiterleben der Toten

Daß der Leichnam in gewissem Sinne noch lebt, beseelt ist, ist schon auf S. 7ff., 22ff. gezeigt.

Von hier aus ist es nicht schwer sich auszumalen, daß der Mensch zu dem Schluß kam, auch außerhalb des Leichnams müsse etwas vom Menschen, und zwar das Wesentliche, weiterleben. Denn das, was das Leben ausmacht, was den Menschen zum Ich machte, ist ja von der Leiche gegangen. Wo ist es geblieben?

Irgendwie hat zur Lösung dieser Frage dem Kameruner wohl auch das Traumleben geholfen, obwohl es auch ihm klar ist, daß uns im Traum Traum vielfach nur das vorkommt (wenn auch meist verzerrt), was wir im Tagesbewußtsein erlebten. Andererseits ist es doch selbstverständlich, daß etwa Witwen vom dahingegangenen Gatten träumen, und die Übung in Kamerun, daß Witwen ihren Schlafraum „bespucken“, vgl. S. 8f., und dabei sprechen: Komme heute nacht nicht! oder wenn sie sogar spezielle nganga aufsuchen, die ihnen Mittel geben, um das zu lösen, was ihren Mann an sie bindet, so spielt dabei ohne Zweifel heute der Traum noch eine große Rolle. Warum sollte er’s nicht auch getan haben bei Entstehung des allgemeinen Glaubens an die Weiterexistenz Verstorbener? Ob dieser Glaube besonderer Gründe bedurfte? Glaube fragt nicht nach Gründen.

Die Beobachtung, daß Kinder Eigenschaften von Eltern, Enkel die von Großeltern haben, läßt ja manche vermuten, daß Großeltern in Enkeln wiederkehren. Diesen Gedanken symbolisiert man ja auch dadurch, daß man Kindern der verstorbenen Vorfahren Name Namen gibt. Wird auch nicht allgemein geglaubt, daß damit der in den Hades aufgenommene Verstorbene persönlich aufhört zu existieren, so sucht man doch die eines unguten Todes Verstorbenen und darum nicht mit den vorgeschriebenen Gebräuchen Beerdigten und im Hades Abgewiesenen als nicht mehr existierend zu betrachten und sie gleichsam auf Erden in einem Ersatzmenschen weiterleben zu lassen. Darauf beruht ja die Sitte, daß, wenn die Frau, die als Sühneleistung für einen Erschlagenen in eine Sippe gegeben war, ein Kind geboren hatte, man diesem Kind den Namen des Erschlagenen gab und man dann den Verstorbenen nicht mehr erwähnen durfte, wollte man seinen „Ersatz“ nicht in Lebensgefahr bringen.

Ekese, der Vater unseres Pastors Litumbe, benannt Ekese, war im Streit mit dem Nachbarort Likombe erschlagen worden. Etwa zwanzig Jahre später kam der junge Litumbe als Lehrer in jenes Dorf. Um nun diese Dorfbewohner zu ärgern, nannten die heidnischen Landsleute den jungen Litumbe nicht {39} mehr mit seinem Namen, sondern mit dem seines Vaters Ekese und wollten damit eine stete Bedrohung gegen das Dorf Likombe aussprechen.

In Kamerun hat man die Vorstellung, daß den Menschenkörper die Lebensseele „Lebensseele“ durchwaltet (Du. mudi; andere Stämme -dinge, welch letzterer Wortstamm im Du. als 1. Wahrsagekraft, 2. verdoppelt: edingedinge „Schatten, Bild“ vorkommt). Die Lebensseele ist nicht zu verwechseln mit edimo „Schattengeist“, vgl. unten. Die Lebensseele kann den Körper verlassen, entweder absichtlich, etwa im Traum, aber auch in totemistischen Praktiken, vgl. S. 131ff., oder infolge eines zugefügten Schadens. Ist so der Mensch an seiner Lebensseele Lebensseele geschädigt oder ist er gar um die Lebensseele gebracht, so sagt man: A mbeu nyolo „er ist in schlimmem Zustand in bezug auf seinen Körper“; und kann dem nicht abgeholfen werden, so geht der Mensch zugrunde. Auch wenn die Lebensseele absichtlich weggegangen [ist], können feindliche Mächte, etwa Schattengeister, sich ihrer unterwegs bemächtigen und so den Menschen in Gefahr bringen. Wer seiner Lebensseele verlustig gegangen ist für immer, ist seelenmäßig schon gestorben. Wurde oben von „lebenden Toten“ gesprochen, so würde hier „toter Lebender“ passen. Es braucht nur wenig, ihn zur Leiche zu machen; ohne magische Hilfe kommt er nicht mehr zu rechtem Leben. Die balemba „Neidinge, Hexen Hexen“, vgl. S. 156, ziehen aus dem Körper die Lebensseele, so daß nur noch die Körperhülle mit der Schatten-, Körperseele, vgl. auch edimo Schattenseele bleibt; daher auch der sehr verpönte Schmähname edim’a moto „menschliches Gespenst“, vgl. S. 156f.

Der Tod setzt voraus, daß die Lebensseele bereits vom Menschen geschieden ist; und ist der Tod einmal eingetreten und die Lebensseele hat keine Gelegenheit mehr, in den Körper zurückzukommen, so existiert sie selbst auch nicht mehr. Sie ist weg, wie für uns im Tod das Leben weg ist, und keiner weiß, wohin. – Gleichsam als mudi „Hauch“ scheidet mudi „Lebensseele“ vom Menschen. Ob man vermuten kann, diese beiden Wörter gehen auf den gleichen Wortstamm zurück und die Tonänderung ist erst eingetreten, als man die beiden Bedeutungen unterscheiden wollte?

Im Tode selbst löst sich etwas anderes vom Körper. Das war seither schon irgendwie im Körper oder mit ihm verbunden, aber man hat nichts davon gemerkt. Es ist -dimo „die Schattenseele“, vielleicht von dima „auslöschen“ (intransitiv), verlöschen“; vielleicht auch nur zufällig gleichen Wortstammes. In diesem -dimo existiert nun der Mensch in fein materieller Weise weiter, während sein Leichnam verwest. Es kann gesehen, aber nicht ergriffen werden; es ist gleichsam ein Schatten. Bildet das dimo gewissermaßen noch eine Einheit mit dem toten Menschenkörper, so ist es in Wortklasse 3, vgl. S. 96, mudimo „der Verstorbene“, vgl. unser „der selige Soundso“ oder das englische the late Mister... Ist es aber eingegangen in den Hades Hades, dann entbehrt es der animistischen Kraft und wird in Klasse 7 edimo edimo „Schatten-, Ahnengeist, Gespenst“, gleichsam zur lebenskraftlosen Sache. Als edimo wird dem Verstorbenen im Ahnenkult gedient. Die verschiedenen Totengebräuche S. 7ff. zeigten uns, wie die Hinterbliebenen ihm beim Scheiden von der Erde und zum Eingang in den Hades helfen. Von dort aus können noch Wechselwirkungen zwischen ihm und den Nachkommen getätigt werden.

Wo der Schädel Schädel des Menschen ist, glaubt man auch[, sich] seinem Schattengeist nahen zu können. Und während es Stämme gibt, die den Schädel der Häuptlinge und anderer Großen besonders aufbewahren, zeigen Sitten und Vorstellungen bei anderen, daß auch sie früher solchem Schädelkult gehuldigt [haben]; vgl. S. 23f. Auch die eigentümliche Scheu, die man heute noch überall vor Menschenschädeln hat, deutet darauf hin, daß sie in besonderer Weise noch mit ihren als bedimo weiterexistierenden Besitzern in Verbindung stehen. – In manchen Stämmen hat man in Steinen oder anderem ein Substitut für den Schädel; z. B. heißt man im Bagam einen bestimmten Lianenring Kopf, über den man bei gewissen Gelegenheiten des Ahnenkultes Opfergaben gießt. Andernorts im Grasland und bei den Bakosi hat man doppelfaustgroße Geröllsteine, die ein Sterbender behaucht und mit denen der Sohn des toten Vaters Kopf beklopft hat, damit etwas Geistiges von dem Vater in den Stein übergehe. Diese Steine sind überaus geschätzt und werden im Kult verwendet.

{40} Überall aber ist das Grab Grab der Ort, wo man mit dem Verstorbenen in Verbindung tritt, ihn anruft, ihm opfert, während man für die Gesamtheit der Sippen und Dorfahnen dem Totenkult auf einen besonderen Platz am Weg vor dem Ort huldigt. Duala: dibala dibala „Ahnenkultplatz“, Bakosi: ndie „Opferplatz (für die Ahnen)“, Bali: lü’ Nyikob „Gottesplatz“. Zu solchen Totenopfern werden die Ahnen herbeigerufen, während man die Nahrungsmittel auf den Boden ausschüttet; und es ist tabu, beim Weggehen zurückzusehen, weil durch der Menschen Blick Blick gekränkt, sich die gierig äsenden Schatten zürnend und auf Strafe sinnend zurückziehen. Es könnte auch sein, das man einem solchen Schatten ins Gesicht schaute, was des Menschen Tod nach sich ziehen würde29. Die Schatten aber suchen auch Plätze auf, wo sie früher gewohnt [haben], etwa um sich den Hinterbliebenen im Traum Traum zu offenbaren; sie können sich auch in Gestalt von Schlangen und kleinem kriechenden Getier zeigen; und daß sie sich zu Totenfeiern u. ä. einstellen, ist allgemeiner Glaube.

Zweierlei ist allen kameruner Stämmen trotz der Verschiedenheit des Brauchtums im einzelnen bezüglich der Ahnen gemein: 1. Die Ahnen sind in einem Stand, da sie der Opfer ihrer Hinterbliebenen bedürfen. „Die kinderlose Frau hat kein Totenfest“, sagt der Spruch. Wenn die Hinterbliebenen nicht zum Wohlbefinden ihrer Ahnengeister beitragen, ziehen sie deren Zorn und Strafe auf sich. So ist es auch die Sorge manches heidnischen Vaters, dessen Kinder sich dem Christentum zuwenden, daß wenigstens ein Sohn Heide bleibe, damit er ihm später die nötigen Ahnenopfer bringe. 2. Dafür senden nun die Verstorbenen den Nachkommen allerlei Güter; das Vorwärtskommen in seinem Stande, besonders wenn es zur Erhaltung der Sippe beiträgt, geht auf solchen geheimen Segen zurück. Undankbaren Kindern schicken die Schatten Krankheit und andere Not. Sie wachen auch über den Zusammenhalt der hinterlassenen Sippe.

So entsteht zwischen Verstorbenen und Lebenden ein geheimnisvolles Hin- und Herüber, das aber nicht nur Gutes bringt. Diese Gemeinschaft Gemeinschaft muß aber ideell bleiben, denn die Toten sollen nicht „umgehen“, sondern ruhen. Die Gemeinschaft geht ja nicht so weit, daß die Toten mit einem essen; man muß sich ja bei ihrem Mahl entfernen; als gemeinsame Speise weist sie sich aus, wenn sie aus einem Topf genommen ist. – Spuk ist das Schlimmste, was die Schatten einem antun können. Darum werden die Leichen von Wiedergänger Wiedergängern vernichtet, um Ruhe vor ihnen zu haben.

Das religiöse Leben, soweit es im Ahnenkult pulsiert, läßt uns immer wieder stoßen auf den Familie Familienverband, gipfelnd im mutudu „Sippenältesten“. [Als] Priester für den lebenden Teil der Sippe ist er gleichsam das Bindeglied zwischen diesen und denen, die zu den Abgeschiedenen eingegangen sind. Denn wie eine lange Kette reicht die mbia (von bia „folgen“) „Geschlechterfolge“ vom bekannten ältesten Vorfahren bis zu dem jüngsten gegenwärtigen Geschlecht Geschlecht. Von den Vorfahren bleiben wohl nicht alle, aber doch die wichtigeren Namen im Gedächtnis der Nachlebenden und jedem sind stets etwa zehn bis zwölf Namen seiner Geschlechterfolge gegenwärtig, die er beim Ahnenkult anrufen muß. In dieser Kette reicht ein Glied dem anderen die religiösen Überlieferungen. Von der rechten Anwendung der Überlieferungen in Sitten und Gebräuchen hängt das Wohlergehen der diesseitigen und jenseitigen mbia-Hälfte ab. Verantwortlich dafür ist in dem patriarchalischen System der genannte Sippenälteste. Religion, wenigstens der Ahnenkult, ist also nicht Sache des Einzelnen, sondern der durch den mutudu „Ältesten“ vertretenen Sippe. Er ist ja auch in weltlichen Dingen der Mundwalt seiner Gesippten.

So ist die Familie durch ihre Verbindung mit der Ahnenwelt zusammengeschweißt, und einer ist für den anderen verantwortlich.

b. Von den Opfer Ahnenopfern

Bei allen Opfern handelt es sich um Abwendung von Schaden und Herbeiführung von Segen Segen; auch kann man bei manchen etwas wie Dank heraushören; andere sind als Schuld- oder Bittopfer zu betrachten (denn gewisse Gebet Gebete enthalten diesbezügliche Äußerungen). So ist das Opfer im tiefsten Grunde zauberhafte Handlung, opus operatum, um Unheil hinweg und Segen {41} herbeizubannen. Denn im allgemeinen – vielleicht vom regelmäßig wiederkehrenden Fruchtbarkeitskult, vgl. unten, abgesehen, kümmert man sich erst wirklich um das Übersinnliche, wenn man durch etwas in Schrecken versetzt ist, vgl. Vorzeichen auf S. 134. Sonst spielt man eine Art Verstecken und hält als hohe Lebensweisheit: Gehe nicht zu deinem Fürst, wenn du nicht gerufen wirst. Hat einer gegen eine Pflicht, etwa Tabu-Regel u. ä. verstoßen oder eine gefürchtete Macht verletzt oder ein bedim „schlimmes Vorzeichen Vorzeichen“ gesehen, so ist sein Opfer nicht etwa ein Sündopfer, das Herzensbuße30 in sich schließt, sondern ein Abwehrmittel gegen drohendes Unheil.

Bezüglich der Totenopfer sei hingewiesen auf das auf S. 7ff. von den Bakwiri Berichteten. Hier sei einiges vom Fruchtbarkeitskult Fruchtbarkeitskult der Bakosi auf dem Ahnenopferplatz berichtet:

“Wir Bakosi glauben, daß all unser Glück von der ndie, der Kirche für uns Heiden, kommt; darum haben wir sie eingerichtet“, erklärte mir ein Heide. Dort ruft man die Ahnengeister an, tritt mit ihnen in Verbindung und trägt die Glücksgüter von dort nach Hause. Kann der Einzelne oder die einzelne Familie jederzeit dort ihren Ahnen opfern, so sind für die größere Dorfgemeinschaft hauptsächlich zwei Gelegenheiten gegeben:

(1) Das große Saatfest

Am Ende der Regenzeit gibt die rote Blütenpracht des Tulpenbaumes das Zeichen, daß die Ernte beginnen kann. Die Alten der Siedlung geben einigen alten Frauen den Auftrag, ein Vorzeichen zu veranlassen. Sie gehen auf die ndie, graben an einer Ecke ein Stückchen um und legen einige Maiskörner und Erdnüsse hinein. Sprießen diese nach einigen Tagen, so ist es für die Aussaat ein günstiges Zeichen. Keimen sie aus einem Grunde nicht, so zeigt das an, daß die Ahnen zürnen, und das Orakel muß den Grund feststellen und der nganga ihn beseitigen. Dann setzen die Alten den Termin des Saatfestes fest und ein Ältester macht im Dorf bekannt: Se ka song Mwanyame a hag ndiet ate! „Wir wollen dem Herrn Mwanyame (Wirker, vgl. S. 143) ein Speiseopfer bringen! Er soll uns Speise geben und sorgen, daß Kinder geboren werden. In neun neun Tagen beginnt das Saatfest. Jeder richte sich, daß er dazu etwas beisteuern kann.“

Nun wird die ndie und der Weg dahin gut gesäubert und die Siedlungsgenossen bereiten sich zum Fest. Der festgesetzte Tag ist tabu und keiner darf an ihm das Dorf verlassen. Jeder soll auch Beschäftigungen mit Eisen- oder anderen gefährlichen Geräten unterlassen, damit kein Unheil passiert. Die Kochtöpfe werden gefüllt und auf das Feuer gesetzt, so daß sie gegen Abend gar sind. Wenn es dunkelt, ziehen die Frauen und Kinder mit diesen Töpfen auf den ndie, bringen aber auch rohe Feldfrüchte, Holzscheite, Feuersglut und Schlafmatten mit. Beeilt sich eine Frau nicht oder weigert sie sich zu gehen, so werden ihr Strafen des Mwankum31

angedroht. Draußen warten sie auf die Männer und singen und tanzen unterdessen.

Die Männer verweilen noch in der Stadt, denn im Kulthaus muß sich der Darsteller des Mwankum richten. Nur einige Männer sind bei der ndie, um neben ihr einen Zaun zu erstellen, in dem sich der Mwankum offenbaren soll. Von Zeit zu Zeit erschallt die große Trommel durchs Dorf in den Wald, um „den Mwankum zu rufen“, wie man die Nichteingeweihten glauben macht. Hat er sich „eingestellt“, so zieht er den Männern voraus zur ndie, wo die Frauen sich ängstlich verstecken, bis er sich in seinen Zaun zurückzieht, wo er tobt und brüllt und seine dämonische Gewalt kundtut.

Bald ruft er eine der angesehenen Frauen des Dorfes vor seinen Zaun und bespricht mit ihr, wie die Sachen im Dorf stehen: Ehestreit, Weiberpalaver und was ihm sonst über die Frauenschaft des Dorfes zugetragen worden ist. Denn der Mwankum weiß alles; in lautloser Stille horchen alle Frauen mit angstvollem Herzen zu. Zwischendrein werden einzelne Frauen, die etwas auf dem Kerbholz haben, vorgerufen und mit allen möglichen Strafen bedroht, wenn sie sich nicht bessern. Voller Angst verspricht eine solche alles; und mancher Mann lacht sich ob der schlotternden Angst seines Ehegespons’ ins Fäust- {42} chen. Stundenlang kann diese Unterhandlung mit den Frauen sich hinziehen. Dann heißt der Dämon die Frauen zu seiner Ehre singen und tanzen, und Männlein und Weiblein bewegen sich im Kreis auf der runden ndie, während Kinder und Alte die Schlafmatten aufsuchen.

Ehe der Tag graut, verzieht sich der Mwankum wieder; er scheut das Licht des Tages. Darum unterbricht er bei Zeit die Trommler, die bei ihm im Zaun sind und mit ihren Fell- und Schlitztrommeln zum Tanz den Takt schlagen. Der Lärm verstummt und der horchenden Menge tut er die Gesetze kund, über deren Einhalten er wacht; z. B. niemand soll einen anderen „essen“, d. h. ihm durch Hexerei die Lebensseele rauben; niemand soll einen anderen bestehlen, niemand soll ehebrechen, morden oder beneiden, alle sollen dem Mwankum und seinen Anordnungen folgen, vgl. S. 114ff.

Dann verabschiedet er sich mit: „So, nun gehe ich weg!“ und mit Freudenrufen grüßen grüßt ihn die Menge: danken „Dank sei dir, Dank sei dir, unserem Herrn Mwankum! Denn du bist es, der uns Kinder und Nahrung, Vieh und alle Habe von unseren Ahnen bringt. Nnam ne mbon se mbong Segens und Glücks werden wir uns erfreuen“. Und wenn er dann seinem Gefolge voran wieder wegzieht, singt er:

Dje ndule? Dje ndule?

Ndula adjad, ndule medied, ndule ngab!

“Was ziehe ich herbei, was ziehe ich herbei?

Ich ziehe Geburten, ziehe Nahrung, ziehe Vermögen herbei!“

Dann ruft ein alter Sippenvorsteher die Ahnen der Siedlung an. Er nimmt dazu eine gefüllte Weinkalebasse und hebt mit beiden Händen32

ihren Wergpfropfen hoch, indem er „sch“ macht, d. h. den Schatten sein Hauch- und Speichelopfer, vgl. S. 154, bringt, und schüttelt den in dem Pfropfen hängenden Palmweinschaum als Gabe an die Geister auf den Boden. Er trinkt, und die anderen Alten halten auch ihre kleinen Trinkkalebassen hin, um ihren Anteil zu bekommen. Die mitgebrachten Speisen werden so geteilt, daß die Sippenglieder dieser und jener Welt ihre Portion bekommen. Die mitgebrachte Ziege wird rituell, vgl. S. 12f., getötet und ihr Blut rinnt in den Boden; ihr Fleisch wird zerlegt, und die Sippenhäupter bekommen ihr Teil; das andere wird zum Ahnenopfer gelegt.

Oberhalb der ndie liegt die „kleine ndie“. Dorthin tragen nun einige Männer das Ahnenopfer und schütten es aus, während die Übrigen nun ihr Morgenmahl halten können, d. h. ihren Anteil an dem Gemeinschaftsmahl Gemeinschaftsmahl mit den Ahnen verzehren. Mit Gesang und Tanz werden später die empfangen, die „bei den Schatten“ waren.

Jungfrau Jungfrauen und Frauen, die in Hoffnung kommen sollten, waren auf die ndie gezogen auch in der Absicht, an sich den Fruchtbarkeitszauber vollziehen zu lassen, denn: Be kag ban a kob a ndie „Sie gingen zur ndie, um Kinder zu empfangen“. Am Rande der ndie steht ein großer Baum Baum. An dessen Wurzelhals liegt ein runder Geröllstein, vgl. S. 39 bei „Schädel“ und S. 130, in ihm ruht die ganze magische Kraft, von der die Siedlung lebt. Daneben steht ein alter Kochtopf gefüllt mit körnigem Sand, denn so zahlreich wie diese Körner soll auch der Überfluß im Dorf werden. Eine alte Frau bestreicht nun die Frauen, die in Hoffnung kommen sollen, von oben bis unten mit Rotholzbrei. Eine andere Alte bestreicht eine gleiche Anzahl von Bananenfingern mit der nämlichen Farbe der Freude. Ein Alter führt die bestrichenen Frauen einzeln an den Stein und Sandtopf; die Frau hält ihre Arme, wie wenn sie ein Kind wiegen wolle. Der Alte zählt auf „neun“ und legt ihr dann eine der bestrichenen Bananenfinger auf die Unterarme, dazu einen Stengel Meldekraut und heißt sie, nun „mit dem Kind“ still nach Hause [zu] gehen und es hinters Bett [zu] legen. Auf dem Weg darf sie sich nicht umschauen, noch mit jemanden sprechen, bis sie „ihr Kind“ abgelegt [hat]. Unterwegs singt sie: Ich habe {43} ein Kind empfangen! Daß bei dem „Kind“ auch Melde liegt, bedeutet, daß die Geburt leicht und ohne viel Blutverlust vonstatten gehen möge, vgl. S. 130. Manche Frauen lassen „das Kind“ nun hinter ihrem Bett liegen, bis die ersten Anzeichen für ein wirkliches Kind offenbar werden; andere bereiten sich den Bananenfinger am nächsten Tag und verzehren ihn, ohne jemand anderem davon zu geben; die Mutter muß ein Kind ja in sich tragen. Heimgekommen, legt sich die Frau 2 – 3 Stunden aufs Bett ohne aufzustehen, denn so wird sie schnell zu einem Kind von den Ahnengeistern kommen.

Haben so die Frauen „ihre Kinder“ bekommen, so bringt man Kinder im Alter von 2 – 3 Jahren auf die ndie und setzt sie auf einen daliegenden Klotz. Dann ruft ein Alter für die Kinder an: „Du Mwanyame und ihr Ahnen, wachet über diesen Kindern, daß sie nicht krank werden, und lasset sie gedeihen.“

Auch andere Bitten werden noch vorgebracht entsprechend der Not, die gerade eine Sippe oder die Gemeinschaft bedrückt; etwa:

Ihr Ahnen; das Wild frißt uns die Ackerfrüchte weg; bringt doch diese Schirrantilopen, Stachelschweine (oder was gerade sonst den Schaden verursacht) wieder in euren Stall zurück (vgl. Note 2, S. 24d). Oder umgekehrt:

Bitte, ihr Schatten, öffnet doch eure Hürden und schickt uns einige eurer Ziegen oder Schafe oder Schweine, daß wir sie als Wild im Wald erlegen können. Uns aber gebet offene Augen, wenn wir jagen!

Ein anderer wieder lobt seinen Ahnherrn und dankt: Mein Mwanyame hat den Stall geöffnet und mir ein Stück gegeben; ich danke ihm dafür.

Die bekannten Ahnen werden namentlich gerufen; aber man weiß, daß man die Ahnenreihe nicht bis zum Anfang kennt, will auch „Schatten“ aus anderen Sippen des Dorfes nicht kränken. Darum spricht man auch sie an: „Auch ihr sollt kommen und euch an meinem Opfer laben, ihr, die ich nicht kenne oder genannt habe, weil ich euren Namen nicht weiß. Laßt es euch nicht kränken, daß ich euch nicht genannt [habe].“

Ist die Sonne schon am Steigen, so geht man nach Hause, Freude und Hoffnung im Herzen, Gesänge auf den Lippen:

“Wir haben unsere Heimstätte festgemacht.

Nun werden die Webervögel und Affen nicht mehr unseren Mais stehlen.

Nun werden die Wildsäue nicht mehr unsere Knollenfrüchte verderben.“

Alle wissen: Sie hatten jetzt mit ihren Ahnen in der unsichtbaren Welt Gemeinschaft gehabt; haben ihnen gegeben, damit sie es wiedererstatten; denn es geht nach der Regel: Do, ut des. – Als sichtbaren Segen „Segen“ der Ahnen nehmen die Frauen in Körben mit nach Hause, was bei Reinigung der ndie an Gras, Erde und anderem auf Haufen gescharrt wurde. Man wirft mit diesem Unrat eine Gabe der Ahnen auf die Bananenpflanzung und die Knollenfruchtäcker nicht als Dung, sondern als ein magisches Mittel des Segens. – Unterwegs schaut niemand zurück, denn man darf die Schatten nicht stören; man darf aber auch niemand unterwegs grüßen grüßen, denn der Betreffende könnte einem den empfangenen Segen rauben.

(2) Die Erntefeier

ist dem eben beschriebenen Bittgang ähnlich: Sie findet bei Beginn der Ernte statt, am Tage, und ohne Mwankum; besonders bei reicher Ernte und wenn Frauen in Hoffnung gekommen sind. Neun Tage zuvor ist der Termin ausgerufen worden, die ndie ist wieder gereinigt und Mittel zum Gemeinschaftsmahl sind bereitgestellt. Wenn am festgesetzten Tage die Mittagshitze etwas nachläßt, zieht man (besonders die Frauen und die älteren Männer) auf die ndie hinaus, trägt Speisen und Palmwein und singt: „Laßt uns die Heimstatt in Ordnung bringen, daß sie gut sei!“ Beim Öffnen der Weinkalebasse werden die Ahnen angerufen; die Speisen werden geteilt; ihren Teil verzehren die Irdischen; den der Jenseitigen legt man aus, das feste auf große Blätter, die flüssigen Tunken werden in kleine Gruben gegossen. Diese sind mit der Hand gegraben, denn Eisen darf auf der ndie nicht gebraucht werden. Beim Auslegen der Speisen sagt ein Alter etwa: „Wir danken danken euch, ihr Ahnen, daß ihr uns gehört und uns gegeben [habt], was wir wünschten. Darum bringen wir euch hier unseres Dankes Gabe. Laßt euch nachher hier in Frieden nieder, labt euch und verzehrt, was wir euch gebracht [haben]!“

Wenn es nach gut zwei Stunden dunkel wird, geht man wieder nach Hause. Nicht immer wird das Erntefest so offiziell gefeiert; aber von ge- {44} wissen Ackerfrüchten legt dann die Frau eine Frucht aus ihrem Korb auf der ndie nieder.

(3) Andere Opfergelegenheiten

Viele andere Gelegenheiten gibt es, wo den Ahnen in der Hütte, auf dem Abfallhaufen hinter dem Haus, auf dem Grab Grab oder der ndie geopfert wird. Meistens aber hat man es dabei aber nur mit einem Ahnen zu tun. Zum Beispiel da ist eine Tochter, die hat ihren Vater so gereizt, indem sie sich von einem Mann in Raubehe nehmen ließ, daß der Alte sie verwünschte und bestimmte: „Zu meiner Totenfeier darf sie nicht zugelassen, mein Leichnam ihr nicht gezeigt werden; mein Krieg wird erst beginnen, wenn ich gestorben bin“. Jedermann glaubt, daß sich ein solcher Fluch Fluch eines Betagten im Leben des Kindes auswirken wird. Der Vater geht zu den „Schatten“ ein. Und der Tochter stirbt ein Kindlein nach dem anderen weg. Da wird die Tochter stutzig und die Leute sagen ihr: Song a kobe we hin. „Dein Vater hat dich ordentlich gepackt.“ Des Orakels Auskunft deutet natürlich in gleiche Richtung. Da bleibt dann nichts anderes übrig, als mit dem Nachfolger des verstorbenen Vaters ein Gemeinschaftsmahl zu vereinbaren. Ein nganga wird bestellt; der spät ke mbodi „die Ziege schneidet“, d. h. ihr rituell den Kopf abschneidet. Das Blut Blut rinnt z. T. für die Geister in den Boden, z. T. wird es der Tochter mit anderen Mitteln an den Körper gestrichen, und sie schwemmt später am Bach alles von sich ab. Die älteren Verwandten stellen sich ein zum Mahl, dann zieht man mit einem Teil der Speise hinaus aufs Grab des Zürnenden. Speise und etwas Wein wird auf das Grab geschüttet und der Sippenvorsteher ruft den Verstorbenen an und sagt ihm: „In rechtem Zorn hast du seinerzeit deine Tochter verstoßen, denn sie hat dich gekränkt. Heute ist sie nun gekommen, um dich zu bestechen; sie hatte dir Labung und Speise gebracht, nachdem wir hier auf Erden die Sache besprochen und in Ordnung gebracht haben. Der Schwiegersohn hat jetzt die Tochter rechtmäßig erworben. So vergiß nun, was dir angetan wurde, und tue deinen Grimm hinweg. Sorge nun dafür, daß die Kinder deiner Tochter nicht wieder sterben, sondern gib ihr und dem Schwiegersohn Nachkommen“. – „Hilf[t] nun Gott“, so wird die Frau bald eines gesunden Kindes genesen.

Noch mehr als beim Fruchtbarkeitskult und Ahnendienst werden Tier-; früher auch Menschenopfer dargebracht in Verbindung mit Krankenheilungen durch den nganga.

Es sind da zweierlei Opfer zu unterscheiden: Eines, da in seinem Blut Blut das Opfer zur Lösung des Menschen dahingegeben wird; sei es, daß das Blut in die Erde fließt, den unsinnlichen Mächten zur Gabe, oder daß aus dem Blut ein Mittel für den Kranken bereitet wird, das er ißt oder das ihm klistiert wird oder womit man ihm den Körper bestreicht; sei es, daß man einem Tier die Schuld auflädt und es mit ihr weggehen läßt.

Von ersterer Art ist schon verschiedentlich geredet [worden]; darum hier nur zwei Beispiele für die letztere Art:

Wenn in einer Sippe festgestellt ist, daß eine Art Bann Bann auf ihr lastet, fängt man zu einer Bekenntnisversammlung, vgl. S. 156, einen dem Kolibri ähnlichen Vogel „Honigsauger“; ihn streicht man den Versammelten über den Körper und nach einigen anderen Manipulationen läßt man ihn frei davon fliegen; er nimmt auch den Bann mit sich fort. So bei den Elungasi-Leuten.

Hat bei den Bakosi einer das Verwandtschafts-Tabu verletzt und Verkehr mit einer Verwandten gehabt, wodurch „man das Blut verdirbt“, so wird die Sippe zusammengerufen, die Sache besprochen und nach einigen anderen Bräuchen bindet man einen schwarzen Bock ans Fußende eines Bettes; aufs Bett legt sich das straffällige Paar und strampelt nun mit aller Macht auf den Bock los. Nach einer Weile, da ein Alter oder ein nganga noch Machtmittel über das Tier gesprengt [hat], läßt man es frei laufen; es nimmt die Verfehlung mit sich hinaus in den Wald oder aufs Feld. Das Paar ist nun frei, und der Sippe droht nun auch keine Gefahr mehr.

Niemand aber weiß, wer die nun so weggetragene Schuld auflesen wird. – Auch eine Quelle der Furcht der Kameruner!

Das als Sühnopfer hingegebene Tier soll die Mißstimmung zwischen den Schatten oder anderen unsichtbaren Mächten hinwegtun und einen Zustand gedeihlicher Harmonie schaffen. Das ist nur möglich, wenn alle mittun und wenn die {45} Teilnehmer an der Handlung wirklich „einen Rücken haben“, d. h. einmütig sind. Nicht dringend erforderlich bei der Handlung ist Andacht und Hingebung, religiöse Stimmung und Weihe; nur die wirklich Handelnden müssen wirklich dabei sein, vgl. S. 12f., 153a. Die anderen, die Zuschauer, müssen nur zustimmen, freilich auch innerlich33

. Denn wer durch innerlichen Widerstand den Erfolg der Handlung in Frage stellt, muß durchs Orakel herausgefunden werden und muß Buße leisten, vgl. S. 41, Note 1.

Tanz, Opferlied und Opfer zeigen, daß die Handlung vielfach einen gewissen liturgischen Charakter hat, der auch durch Schwatzen, Lachen und Unaufmerksamkeit der Mitgenossen nicht gestört wird, vgl. z. B. den Verlauf der auf S. 11ff. und S. 41f. kurz geschilderten Feiern.

Bei allen Opferfesten und anderen religiösen Feiern spielt der Tanz als Einzelreigen und Gemeinschaftstanz eine große Rolle. Er dient nicht nur dem Rhythmus der Feier, sondern schafft die zum Kult nötige gesteigerte seelische Spannung, ein höheres Lebensgefühl. In der durch den Tanz geweckten Ekstase fühlt man sich der unsinnlichen Welt näher als sonst; man erlebt sie. So sagt man vom Einzeltanz des nganga, daß er durch ihn kolise bwanga bao „sein Machtmittel vergrößere, stärke“. Er tritt durch ihn in Gemeinschaft mit seinem verstorbenen Lehrmeister und seinen Genossen und den eigenen Ahnen und macht ihre Hilfe dadurch so wirksam, daß er nur noch der Ausführende ihrer Eingebungen ist. – Die Trommel ruft die Geister der Toten, vgl. S. 10f.; der Tanz, dem sie zuschauen, bewirkt zugleich eine Verbindung mit ihnen, so daß sich die Tänzer eins fühlen mit den „Schatten“. Noch mehr aber ist dies Gefühl vorhanden bei den ekale, be- ekale „Dämonendarstellern der Kultbünde“, vgl. S. 50. In Opfer- und anderen Tänzen erweisen sich die Ahnen als Lebende, Handelnde, Mitgenießer. Und doch ja nicht zu nahe! Spürte einer der Feiernden die Hand eines „Schatten“, so wäre das ein bedim „etwas, das höchsten Gefahrenzustand anzeigt“, vgl. S. 128, 135.

Nach Vorstehendem stellt also persönliche Gemeinschaft mit den Ahnengeistern her: 1. Das Gebet Gebet, mit dem sie gerufen werden, verbunden mit Trommelschlag und Signalruf und gestärkt durch Tanz. 2. Gemeinsames Opfermahl; der Ahnen Teil dabei ist ja oft fadenscheinig genug: vom Opfertier das Blut, ein Schnipfelchen Fleisch, so groß wie ein Finger, einige Hühnerfedern, vom Wein der oberste Schaum und der unterste Satz, oder überhaupt statt Wein Wasser. Freilich darf man diese ungleiche Teilung nicht für reinen Betrug der einzelnen Opfergruppe halten; es sind ja alles nur „Zeichen“ und auch hier gilt: pars pro toto. Übrigens gehört auch beim profanen Weintrinken die Hefe [d.h. den untersten Satz, vgl. Ps 75,9 Lutherbibel] als Zeichen der Ehre dem Hausherrn oder dem Ältesten. 3. Der Ort: Die Opfermahlzeit wird gehalten, wo sich die Ahnen früher aufhielten und jetzt vermutlich aufhalten: im Haus, hinter dem Haus, am Grab oder auf dem Ahnenkultplatz. Opfer

c. Rückblick auf den Ahnenkult

Der Ahnenkult unterscheidet sich von dem Kult zur Abwehr störender Schatten-geister, mit denen der nganga für seinen Klienten zu kämpfen hat. Ahnenkult hat die verstorbenen Sippenältesten als Gegenstand der Verehrung und kann in der hierarchisch geordneten Sippe nur von ihrem Mundwalt, dem Ältesten dargebracht werden. Die Frage, wie es vom Glauben an die Fortexistenz der Seele zum Ahnenkult kam, von wo eine Linie zum Gottesglauben führt, soll auf S. 141ff. besprochen werden. Hier ist nur nochmals darauf hinzuweisen, daß die Opfer des Ahnenkultes Schaden, und den Tod als größten Schaden, von den Gesippten fernhalten und Segen in allerlei Form herbeiziehen sollen. Wie sich die einzelnen Zeremonien Zeremonien gebildet haben, ist {46} wohl nicht mehr festzustellen. Wahrscheinlich hat man sie nicht künstlich durch Nachdenken geschaffen, sondern sie sind geworden, indem intuitiv geschaute Übungen nach und nach in die Tat umgesetzt und so Tradition wurden. So sind wohl auch die alttestamentlichen Zeremonien geworden, die den Späteren als Schattenbilder erschienen, die auf kommendes Vollkommenes hinweisen.

So manche Mythen und Märchen enthalten auch den Gedanken an einen „Durchbrecher aller Bande“, Heilbringer, Todesüberwinder; und mancher volkstümliche Prediger in Kamerun verwendet diese Gedanken als Gleichnis in seiner christlichen Predigt.

3. Ahnendes Dichten vom Todesüberwinder

a. Vom Mbam e toe „Sackohr“ oder Etoe ‘hog „Einohr“ der Bakosi34

[Folgende Sage nur im Original.]

Die Bakosi erzählen von einer Gestalt „Einohr“ oder „Sackohr“ genannt, weil ihr Ohr (oder eines ihrer Ohren) groß wie eine Tasche sei. Die wird aus dem fernen Hinterland erwartet und soll Segens die Fülle bringen: Vermögen, Geburten bei Mensch und Vieh, Fruchtbarkeit der Erde und das wichtigste: Leben. Am Beginn der Trockenzeit bereitete man sich auf sein Kommen vor: Die Erwachsenen legten eine Schnur Kaurimuscheln um die Hüften, die Kinder um die Handgelenke. Die Gestalt sei schreckhaft und weil die Kinder sich vor ihr erschrecken, solle sie die Muschel alsbald an den Kinderarmen erblicken. Die Alten dagegen würden den Sackohr alsbald erkennen und ihm die Muscheln zeigen als Ausweis, daß sie ihn erwartet [hätten] und bereit seien, die mancherlei Gaben zu empfangen, die er ihnen bringe. Träfe der „Einohr“ einen ohne Muschelschnur, so bringe er ihn um, weil er sich auf das Kommen des Helfers nicht bereitet habe. – Auch heute noch macht man ungehorsame Kinder fürchten mit der Drohung: Paß auf, gleich kommt der „Ohrsack“ und bringt dich um! Das auffällige Ohr soll andeuten, daß er kein gewöhnlicher Mensch, sondern etwas Besonderes ist.

{47a}

b. Der Held, der die Menschheit vom Verderben erlöste

Das Verschlingemärchen menschenverschlingende Ungeheuer, ein Symbol für die alles verschlingende Totenwelt, findet sich in verschiedenen Märchen aller Stämme, wie auch der Held, der durch Mut, Kraft und List das Ungeheuer überwindet. Ich gebe hier ein Märchen Märchen der Bakwiri gekürzt wieder:

[Folgendes Märchen nur im Original.]

Früher war die ganze Erde voller Menschen. Da kam ein Ungeheuer und fraß jede Nacht einen auf, so daß der Menschen immer weniger wurden. Zuletzt war nur eine Frau mit ihren zwei Söhnen übrig, denn sie konnten sich auf einen hohen Seidenwollbaum retten und dort verstekken.

Allnächtlich kam der Unhold, denn er roch die Menschen, und suchte die Übriggebliebenen, fand sie aber nicht. Da ging der älteste Sohn weg, um Waffen zu holen, er wollte den Yoma ’ndene „das große Ding“ oder Ekola „Großhand“ töten. Der jüngere Sohn achtete die Vorsichtsregeln nicht, da kam in der Nacht der Verschlinger und ließ Mutter und Kind in seinem großen Bauch verschwinden. So traf der ältere Sohn niemand mehr auf dem Baum und sein Entschluß war gefaßt: Neben den Baum Baum grub er eine große Wolfsgrube und spiekte sie mit scharfen Eisen, in der Baumkrone befestigte er eine starke Liane, die bis zum Boden reichte, in die Hand nahm er seine neun35 Speere und das Haumesser. Nun lockte er das Ungeheuer an. Es kam und kletterte an der Liane hoch. Es hatte fast die Baumkrone erreicht, da hieb der Tapfere die Liane durch, und hinunter stürzte Yoma ’ndene in die Wolfsgrube und stak in den Speerspitzen fest. Der Jüngling kam herab, tötete Yoma ’ndene und schnitt ihm seinen dicken Bauch auf. Da kamen nun alle Menschen heraus, die er schon verschluckt hatte. Sie stellten sich in zwei Reihen, hier die Blonden, dort die Dunklen. Als es nun donnerte, erhoben sich die Blonden in den Himmel Himmel, die Dunkelhäutigen aber blieben auf der Erde. Die Blassen sind die „Weißen“, die Dunkelhäutigen die Neger. Diese bauten ihrem Retter eine große Hütte und siedelten sich bei ihm an und er ward ihr Häuptling. Weil aber die Weißen sich in den Himmel erhoben – so sagen nun unsere Alten –, darum haben sie nun die Herrschaft bis auf den heutigen Tag. (Dies ist ein moderner Schluß. Die alte Vorstellung ist die, daß im Himmel Menschen leben, die hellhäutig sind, wie das Nächste zeigt.)

Vergleiche [dazu] Ittmann, Verschlingemärchen im vorderen Kamerun, AuÜ XXXVI, S. 178–81 [Afrika und Übersee 36, 1951/52, S. 17–30.115–135.173–189]

{47b}

[Nur im Original.]

Warum der Weg zum Himmel Himmel versperrt ist.

Früher führte eine Leiter (andernorts ist es eine Kette oder Liane) von [der] Erde zum Himmel. So konnten die Menschen in den Himmel steigen und mit den Himmelsbewohnern verkehren und wieder auf die Erde zurückkommen. Es bestand aber eine Regel, daß man nur während der Regenzeit in den Himmel kommen könne, denn in der Trockenzeit sterben die Himmelsmenschen und ihre Knochen Knochen liegen herum, bis sie der Regen wieder belebt. Einmal aber achtete einer diese Regel nicht und stieg in der Trockenzeit in den Himmel, um seine Frau zu besuchen. Er fand aber nur Knochen, die lagen in der Siedlung herum. Da nahm er einen Schenkelknochen und machte sich eine Flöte daraus und kehrte zur Erde zurück. Als zur Zeit der Regen die Knochen sich wieder belebten, vermißte einer der Himmelsmenschen seinen Schenkelknochen und konnte nicht mehr stehen. Im Ärger über diesen Diebstahl Diebstahl und Mißachtung ihrer Regel nahmen nun die Himmelsleute die Leiter zur Erde weg und somit hörte der Verkehr zwischen den „unteren Menschen“ und den „oberen Menschen“ auf. Und man sagt: Wäre jener Mann nicht gewesen, wir könnten heute noch in den Himmel (den Ort des Reichtums) steigen und wieder zurückkommen.

{48}

4. Was sagt der Missionar zum begrenzten Ich-Bewußtsein?

Mit dem Opferlied der Bakwiri: Ziege „Ziegenkind stirb, damit das Menschenkind lebe!“ ist schon eine kurze Antwort auf die Frage gegeben, ob der Opferdienst der Stämme dem Einzelnen helfen kann, die Bedeutung von Christi Tod und Auferstehung zu verstehen. Wer solche heidnischen Feiern mitgemacht hat, merkt, daß die Darbringung der Opfer der Mittelpunkt des Feiern ist und daß der Tod des Opfertieres stellvertretenden Charakter hat; vgl. der Bakosi (S.37): „Die Ziege, die der Sterbende an der Hand führt“, das heißt doch, die ihm (dem Blinden) den Weg bahnen soll. Diese Tatsache läßt auf manche Aussage über den Opfertod Christi in den Evangelien und Briefen des N[neuen] T[estaments], besonders [im] Hebräerbrief, erklärendes Licht fallen, sobald dem Kameruner die einzigartige Erscheinung des Gekreuzigten eindrücklich geworden ist. Wem noch nicht das Licht im Angesicht Christi aufgeleuchtet ist, dem bleiben sowohl die Aussagen des A[lten] T[estaments] wie auch der Opferdienst der Kameruner verdeckt. Es kommt zunächst nicht darauf an, wem in Kamerun das Opfer dargebracht wird; doch ist es den Eingeborenen im allgemeinen klar, daß das Opfertier zum Besten eines Menschen oder einer Gruppe gegeben wird. Wie vieles bei den Primitiven wird auch die Handlung des Opfers als ererbter Brauch gedankenlos vollzogen von vielen und von noch mehreren gedankenlos miterlebt; andererseits aber sind auch viele mit dem Gedanken der Stellvertretung vertraut auch ohne christliche Unterweisung; vgl. obiges Bakwiri-Wort. Freilich ist der Opferdienst den Kamerunern im Großen [und] Ganzen trotz allem Herkommen ein verschlossenes Buch, und erst seine Erfüllung in Christo öffnet auch dem schwarzen Mann hier die Augen, wie dem, der nur durch das Alte Testament geschult ist. Wo aber die Sonne Christi aufgegangen, da lassen ihre Strahlen etwas erkennen von der Herrlichkeit Gottes auch in den armseligen und oft schmutzigen Opfergebräuchen der Kameruner, und sie wirft ihnen auch Licht auf Christi Opfertod.

Viele Opferbräuche endigen mit der Versicherung des Handelnden an die Anwesenden, daß sie nun hingehen sollen gleichsam in einem neuen Leben, weil das Böse, das sie belastete, hinweggetan sei und sie somit in einen neuen Lebensstand gekommen seien.

Es ist nicht zu verwundern, daß der Christ in diesen Opferhandlungen mehr sehen kann als der Heide, wie ja auch bezüglich des Verständnisses der Gebräuche im Alten Testament der im Vorteil ist, der die Erfüllung erlebte. Nur von der Auferstehung Christi her ist einem auch der Sinn all der symbolischen Handlungen der Gebet Gebete und Lieder im kameruner Kult verständlich, der dem Heiden trotz aller Hingabe verschlossen bleiben muß. Zugleich wird ihm aber auch die Überwindung seines Unglaubens gegenüber dem ihm unverständlichen und anstößigen Wunder der Auferstehung möglich durch seine christlich erklärten Gebräuche. So kann dem Kameruner sein ererbter Opferkult eine Vorbereitung auf Christo sein.

C.  Mysterien Mysterien in den Kultbünden

1. Vom Mythus Mythus

Weitverbreitet in Kamerun ist der Mythus vom Tub’ a Mbange, vgl. S. 89. Es wird seine wunderbare Geburt geschildert, wie er gleich einem erwachsenen Menschen schon im Mutterleib mit seiner Mutter spricht, wie er von seinem Säuglingslager aufsteht und große Taten tut, wie er als Heros sein Leben führt, wie er durch Vertrauen den Frauen gegenüber ums Leben kommt und wie er durch seine Schwester wieder zum Leben erweckt wird, indem sie seine Knochen in eine magisch starke Rindenbüchse legt. So ist also auch dem Kameruner der Gedanke an eine Wiederbelebung oder Auferstehung eines Toten, von der eben die Rede war, nicht ganz fremd. Allein ein eigentlicher Kult scheint dem Tub’ a Mbange nie gewidmet gewesen zu sein.

{49}

2. Die Kult, Kultbund (vgl. auch Ahnenkult und Geheimbünde) Kultbünde

a. Äußerliches in den Bünden

Die Sippen haben die Tendenz, sich von anderen Sippen zu sondern: Ihr Hang steht nicht dahin, nach und nach zu einem Volk zusammenzuwachsen. Auch das Wort ndando (wohl von anda

„trennen, spalten“), oft mit „Stammbaum“ wiedergegeben, bedeutet sippische oder stammliche „Absonderung“ von anderen. Um dem gegenseitigen Sich-Aufreiben der Sippen durch Totschlag, Blutrache, Kriege u. a. entgegenzuwirken, war Querverbindung der Sippen nötig. Wie war diese in den primitiven Stämmen Kameruns möglich gemacht?

Die Vorstellung des Dynamismus Dynamismus, wonach in der ganzen Natur eine latente, magische Kraft ruht (gleichsam die unsinnliche Kehrseite der Sichtbarkeit), die vom Menschen bei mancher Gelegenheit und manchen Dingen gegenüber besonders erlebt36 wird, ließ die verschiedenen Gruppen gewisse Fetischismus Fetische anfertigen, die von den Gruppen beschworen wurden und als ihr Mittel galten. Diese Fetische wachten über die Einhaltung eines solchen Schwurs, dessen Inhalt der Schutz der Gruppe gegenüber den einzelnen Mitgliedern war, und straften jeden, der gegen sie frevelte, indem sie ihn „ergriffen“, d. h. ihn krank machten und – wenn er nicht gelöst wurde – umbrachten. Von den Fetischen i. a. ist auf S. 136f. zu lesen; hier handelt sich um solche, die von mehreren gleichgeordneten Gruppen beschworen wurden. Das waren meist kleine Gegenstände, die in einer Tasche oder [einem] Sack getragen werden konnten: Kleine menschliche Gestalten, oft Janusfigur Janusfiguren, eine Waldfrucht mit Löchern, ein Stück Baumrinde, ein besonderer Stein und dgl., aber auch ein Stab mit einer Figur oder Einkerbungen (männliche oder weibliche Symbole S. 20) am oberen Ende. Solche Stöcke wurden dorthin gesteckt, wo die Gruppengemeinschaft etwas unter ihre Macht stellen wollte. Solche Figuren mußten die Parteien nun im Rechtsstreit schwören beschwören, d. h. sie mußten solche Fetischismus Fetische unter Beteuerung ihrer Aussage entweder an den Bauch halten oder auf den Kopf stellen oder damit das Auge berühren in der Erwartung, daß der Frevler an diesen Körperteilen von der Krankheit befallen werde. Zwischen zwei streitenden Parteien solcher Schwurgruppe wurden diese kleinen Fetische „geschüttet“, gelegt oder geworfen; und sofort mußten sie vom Streit absehen und unter dem Vorsitz der Führer der Schwurgruppe zu Verhandlungen übergehen, wollten sie nicht die Gesamtgruppe gegen sich haben. Die Absicht dieses Eingreifens der übergeordneten Gruppe war ein friedlicher Ausgleich der Parteien. Weil ein solcher Friede Friede durch das „Ausschütten der Fetische“ eingeleitet wurde, spricht man von koma musango „Frieden ausschütten“.

musango Musango „Frieden“, der 3., Bezeichnungen von dynami[sti]sch-animistisch geladenen Gegenständen enthaltende Wortklasse angehörig, ist gleichen Stammes mit isango isango, lo-, der Bezeichnung für die eben beschriebenen kleinen Fetische. So ist also musango „der mittels losango Kleinfetische herbeigeführte Zustand“, über den die Macht wacht, die hinter solchen Fetischen steht. Man nennt nun aber nicht nur diese „Kleinfetische“ isango, lo-, sondern alles, was damit zusammenhängt: die in ihnen wirkende Macht, den Dämon Dämon; die Gruppe, die solche Fetische besitzt, den kultischen Geheimbund; dessen Kult; und das einzelne Mitglied. Die einzelnen Kultbünde und ihre speziellen Dämonen haben zwar noch ihre besonderen Namen, z. B. djengu, ngua, koso, ekongolo, nyati, dio, elong, mgbaya u. v. a.37; sie gehören aber zur Gattung der losango „kultischen Geheimbünde“.

Der in solchem Kultbund verehrte Dämon konnte sich nun auch offenbaren und zwar in halbverhüllter Heimlichkeit, d. h. es trat einer der Kultmitglieder verkleidet als solcher Dämon auf und wirkte so auf die Nichteingeweihten. Für den Primitiven ist Bekleidung = Verkleidung, Verkleidung aber = Verwandlung. Der in der Maske des Dämon auftretende Mensch, genannt ekale, gilt also als der Dämon selbst.

Das Wesentliche an solcher Maskierung war die Kopfmaske, meist geschnitzt und auf dem Kopfe getragen. Nach solcher Kopfmaske unterscheidet man in der ganzen Welt den anthropomorphen und den theriomorphen Typ der Kultbünde. Je nachdem die Maske ein geschnitzter oder wirklicher Totenkopf oder ein Tierkopf ist, stellt sie einen aus dem Totenreich stammenden Menschen o- {50} der ein Tier dar (Totemismus, Nagualismus; vgl. S. 130ff.). Beide Formen sind in Kamerun gebräuchlich, z. B. hat der Femedämon Mwankum, vgl. S. 41f., eine Totenmaske, der Tänzer tambimbe des male-Bundes eine Elefantenmaske.

Ekale, von uns als ekale „Dämonendarsteller“ zu bezeichnen, ist dem primitiven Gemüt der Dämon selbst, und deshalb stark tabu. In Umzug und Tanz stellt er sich den anderen vor; Frauen und andere Nichteingeweihte haben sich, vertrieben von dem vor ihm hintanzenden „Eckhard“, dem Warner zu verstecken. Durch diese halbaufgedeckte Heimlichkeit stärkt er den Glauben an die dämonischen Kräfte des ihn besitzenden Kultbundes.

Wie nun der Hauptkultbund als solcher das ganze bürgerliche und religiöse Leben der Gruppe beherrscht und durch – notfalls erzwungenen Ausgleich zwischen den Interessen der Einzelnen und einzelner Sippen und Stämme den Frieden in der Gemeinschaft verwaltet, so schafft er als Dachorganisation sich in anderen Bünden noch Unterorganisationen. Diese Mannigfaltigkeit der Bünde in jedem Dorf verwirrt zunächst den Fremden.

Aber wie im Generalstab die Einheit des aus verschiedenen Waffengattungen und Heeresgruppen bestehenden Heeres gewährleistet ist, so im Hauptkultbund mit seinen Unterbünden die primitive Ordnung, primitive [Organisation] Organisation. – Diese Bünde enthalten in nuce den Staat: Das Gesamtministerium ist der Hauptbund, dessen Vorsitzender zugleich Kultminister ist; die kleineren Bünde sind die Einzelministerien; das Gesamte ist ein durch mysteriöse Weihen, vgl. auch Kultbund Weihen verschworener Orden; auch die Mitglieder, die keine besonderen Funktionen haben, können in die Bundesgemeinde nur durch magische Übungen und Weihen aufgenommen werden. Durch diese Übungen und Weihen glaubt man in Verbindung mit der übersinnlichen Welt zu kommen und dadurch besondere Kräfte zu erlangen. In dem ekale sieht man ja solche Verbindung Wirklichkeit geworden. Aufgenommen in solchen Bund ist man mulondedi mulondedi, mit magischen Kräften der unsichtbaren Welt „Erfüllter“ und ist nach der nötigen Spezialschulung nganga, Orakler, Kultwart und dgl.

Wer alle in der Gruppe bekannten Übungen und Weihen durchlaufen und daher alle übersinnlichen Mächte zur Verfügung hat, ist mome, pl. myome38 „Hauptkerl, Tausendsassa“ (aber ohne die komische Note, die diesem Ausdruck bei uns eignet). – Beides, mulondedi und mome, ist nicht Amtstitel für eine besondere Aufgabe im primitiven Betrieb; ein solcher bekleidet nicht notwendigerweise ein Amt, er ist nur geistig der Träger und Ermöglicher dieses Betriebes, er erschließt der Gemeinschaft die magischen Kraftquellen. Natürlich müssen die Vorsteher der Kultbünde als balondedi und myome gelten, denn sie vorzüglich verkehren ja mit der übersinnlichen Welt, kämpfen dort den geistigen Kampf, sind deshalb die banedi, sing. mwanedi „Vorkämpfer, Häuptling Häuptlinge“ des Volks, zu dessen Gedeihen sie die nötigen Verhaltungs- und Enthaltsamkeitsregeln, Verordnungen und Gesetze finden; dagegen muß der sango a mundi „Dorfvater, Siedlungsvorsteher“ nicht notwendig mulondedi oder mome, auch nicht Mitglied eines der Bünde sein; er ist ja nur der weltliche Ausführer der Intentionen des Bundes. In dem Dorfrat der batudu „Sippenältesten“ ist er der die anderen aus irgendeinem Grund überragende primus inter pares.

Bezüglich der Initial- oder Mannbarkeitsschulen vgl. S. 18 und 158.

{51}

b. Die Hauptzüge des Mysterischen in den Kultbünden

Es mögen wohl besonders die Härten des Lebenskampfes, das Grauen vor dem Unsichtbaren, die Furcht vor dem Tod und den Toten sein, die dem kameruner Primitiven die Begrenztheit seines Ichs immer wieder zum Bewußtsein bringen; und diese Furcht und das Todesgrauen führten zu den Bräuchen des Totendienstes und Ahnenkults. In Kamerun suchte man aber dieser Furcht auf noch andere Weise Herr zu werden in Kulten, die nicht nur Mittel boten, die Todesansteckung zu verhindern, sondern die etwas Positives schaffen wollten, die Hoffnung Hoffnung auf eine höhere Stufe des Daseins diesseits und jenseits des Todes.

Während die antiken Mysterien die Vereinigung und Vereinheitlichung mit einem persönlich gedachten Helden, Halbgott oder einer Gottheit anstrebten, ist in Kamerun die Verkörperung des Dämons des Kultbundes zwar auch persönlich aufgefaßt, aber der Dämon selbst ist nicht eine Person, sondern die Darstellung der unsinnlichen Tierwelt oder der im Ahnenkult gedienten Totenwelt; vgl. oben die anthropomorphen und theriomorphen Typen der Masken Masken. Welches spezielle Glied jener geheimnisvollen Welt der eskale [wahrscheinlich Falschschreibung von „ekale“] „vermummter Dämonendarsteller des Kultbundes“ ist, weiß man nicht. Im Darsteller ist der durch die Weihen mächtig gemachte Mensch und der aus der übersinnlichen Welt stammende Dämon magisch eins geworden.

Die Mysteriengemeinde besteht aus Angehörigen der verschiedenen Sippen, sie ist – wie schon gezeigt – deren Querverbindung. Die Sippe Sippe hat ein Interesse daran, in jedem der Bünde möglichst eines ihrer Glieder zu haben, damit sie weiß, was dort „gespielt“ wird, und bei Beschlüssen auch ihr Wort in die Waagschale werfen kann. Mit dem Ahnenkult der Einzelsippen haben diese Bünde und ihre Gemeinde Gemeinde nichts zu tun; wo aber dieser zum Fruchtbarkeitskult Fruchtbarkeitskult der Gruppe wird, der allen zugute kommt, liegt er in der Hand der Bünde, vgl.dazu das auf S. 41ff. vom Mwankum Gesagte.

Der Mysterienkult strebt eine Vereinigung, Verbindung mit dem verehrten Dämon an, denn sie hebt auf eine höhere Lebensstufe auf Erden und im Jenseits. Die den Kult Übenden sind hier die Starken und auch im anderen Leben die Herren. Auf Erden wird die Verbindung vollzogen, indem man an dem von ekale, der Verkörperung des Dämons, geführten Umzug und Tanz teilnimmt und das Kulthaus, wo die zur Darstellung des Dämons gebrauchten Masken, seine Insignien und anderen magischen Mittel, vgl. S. 139f. aufbewahrt werden, zu seinem Aufenthalt macht, wenn sonst keine Pflicht abhält.

In diese Mysteriengemeinde wird man nicht hineingeboren, wenn auch Kindern von Mitgliedern der Eintritt in die Gemeinde in manchem Stück erleichtert ist. Aber auch sie sind nicht enthoben der mit mancherlei Reinigungsakten und magischen Übungen verbundenen und vorbereiteten Weihen, deren Kosten es verunmöglichen, daß alle zu allen Bünden und innerhalb der Bünde zu allen Stufen Zutritt haben. Die Übungen und Weihen verhelfen durch allerlei Erleben zu dem stufenmäßigen Aufstieg in die höheren Grade des Lebensgefühls: Aus Besessenen werden Besitzende.

Dieses Schreiten von einer Stufe zur höheren gleicht einem Sterben auf der einen Stufe und dem Auferstehen zur höheren Stufe. Bei dem einen Stufenschritt tritt dieser Gedanke deutlicher hervor als bei einem anderen, vgl. a wede a e’bale auf S. 20f., zugrunde liegt er aber allen. Beim Eintritt in den Kultbund wird der Novize gleichsam in eine neue Familie (obwohl eine Bezeichnung dafür nicht besteht) aufgenommen; auf S. 54, 158 ist gezeigt, wie er neue Verwandten, einen neuen Namen erhält, eine neue Sprache lernt, ja wie er als ein neues Wesen dargestellt wird.

{52} Der Mysterienbund will seine Glieder nicht durch Belehren, sondern wie es besonders der primitiven Stufe der menschlichen Entwicklung eigen zu sein scheint, durch Erlebenlassen weiterführen. Erlebter Furcht und Entsetzen folgen Freude und Hoffnung. Das zeigt sich nicht nur bei den werdenden Mitgliedern, denen auf die mit mancherlei schwer zu ertragenden Übungen und Riten erfüllten Einführungszeit die öffentliche Darstellung mit kultischem Tanz und frohem Gelage folgt, die das Gefühl weckt, nun wirklich eine höhere Stufe des Daseins erklommen zu haben. Das zeigt selbst das Erleben der nicht eingeweihten Zuschauer einer solchen kultischen Darstellung: Die Umzüge der „Dämonen“, ihre besonderen Plätze, die Novizen während ihrer Initialzeit haben die Nichteingeweihten bei schwerer Strafe und Gefahr an ihrem Leben zu meiden, aber als Zuschauer zu den kultischen Tänzen sind sie nicht [nur] zugelassen, sondern oft sogar befohlen.

Während der Initiation gelten die Novizen als von den Dämonen der unsinnlichen Welt besessen und geknechtet, so daß sie einen Gefahrenzustand durchleben, der durch allerlei Tabu-Regeln zu dämpfen ist. Durch die mit öffentlicher Darstellung verbundene Weihe werden sie dieser Gefahr ledig und stehen nun mit dem Dämon gleichsam in vertrautem Verhältnis, ihr Bund „besitzt“ ja den Dämon, durch Maskierung können sie selbst zum Dämon, können vergottet werden; sie sind nun Übermenschen, vgl. S. 50. Die Weihe selbst verläuft in einer Stufenfolge von Einzelakten, die nachstehend für einen der kameruner Bünde kurz geschildert werden soll. Die verwandelnde Weihe verleiht einen Charakter indelebilis und gewährleistet den Eingeführten ein höheres Dasein, das schon rein äußerlich dadurch veranschaulicht wird, daß sie nach erfolgter Darstellung eine Art Freizeit haben, wo sie oft monatelang im Land hin und her Besuche machen, um besonders von Freunden und Gönnern, aber auch Unbekannten freigehalten und beschenkt zu werden. Diese mit magischer Kraft geladenen „Vollmenschen“ sind besonders im Tode tabu. Sie werden deshalb vor dem Sterben womöglich in ein Kulthaus gebracht, um andere nicht in Gefahr zu bringen, haben einen besonderen Begräbnisplatz, und weil sie ja voller, aus der übersinnlichen Welt stammenden Kräfte sind, finden sie auch allen Widerständen auf dem „Todesweg“ zum Trotz leichter Aufnahme im Totenreich als gewöhnliche Sterbliche. Freilich ist im Volksglauben dieser Machtfülle auch die Kehrseite verknüpft, daß sie am ehesten Hexen Hexen auf Erden und nach dem Tode Wiedergänger Wiedergänger werden können. Vgl. Religion S. 14 [?] a, b [Ittmann, Die Religion im vorderen Kamerun]

Den kameruner Kultbünden ist noch dies eigentümlich, daß man außer Durchlaufen der Initialzeit und der Riten zwecks Aufnahme in den Bund oder Erlangen eines Grades darin gewisse Vermögenswerte in den Bund zu leisten hat, je nach dem Ansehen des Bundes mehr oder weniger. Diese Einzahlungen verteilt der Bund unter seinen Mitgliedern und verzehrt sie. Damit haben die leistungskräftigen Reichen immer einen Vorteil gegenüber dem ärmeren Volksgenossen.

{53}

c. Aufbau des djengu djengu-Bundes und Stufenfolge in seinen Mysterien

Allgemeines: Aufbau des Bundes

In den Stämmen an der Küste Kameruns war und ist z. T. noch die schon angedeutete Dachorganisation der Kultbünde der djengu-Bund, dessen dämonischer Hintergrund ihm diesen Namen gab; Mehrzahl mengu. Die Kameruner stellen sich diese Dämonen (das sind nach Goethe Namen für Wesen, die man sich nicht vernünftig erklären kann) vor als „Wassergeister“, die Meer, Seen, Flüsse besonders auch Wasserfälle beleben. Solche Plätze nennen die Eingeborenen in Neger-Englisch mammy-water, d. h. mammy of the water, worin ausgedrückt ist, daß man sich diese weiblich denkt, obwohl man auch von ganzen mengu-Sippen spricht, die an verrufenen Stellen im Wasser dorfweise ihr Wesen treiben.

Diese Nixen und Nymphen werden beschrieben als von kleiner, ganz behaarter Gestalt, [mit] dickem Kopf mit Wangen, die vom Mund [ab] gespalten sind bis zu den Ohren, und großen Glotzaugen „wie ein Rind“; ihre Füße, deren Abdrücke viele im Sand des Strandes gesehen haben wollen, sind „verdreht“, die Zehen hinten, die Fersen vorn. Daher sagt man von Kindern, die mit abnormen Füßen geboren werden, ihre Mutter habe sich seinerzeit an der Fußspur eines djengu „gestoßen“.

Ihre Mächtigkeit überragt natürlich die des Menschen bei weitem. Das Meer und alles Wasser ist ihr Bereich, und was darin lebt, ihr Eigentum; darum sind die Fischer auf ihre Gunst angewiesen. Aber auch aller Verlust auf dem Wasser, den sie ja selbst verursachen, fällt ihnen zu. Man schreibt ihnen nicht nur Allgewalt, sondern auch an Allgegenwart grenzende Schnelligkeit der Bewegung und die Fähigkeit [zu], sich untereinander zu verständigen, als hätten sie schon das Radio gekannt.

Mit diesen Meerweibchen konnten nun solche Männer in Verbindung treten, die in dem djengu-Kultbund aufgenommen waren. Einmal war das eine allgemeine Verbindung, die allen galt; der Bund „besaß“ den Dämon, so konnten sich seine Mitglieder dieser Verbindung in mancherlei Weise erfreuen, kannten jedenfalls Mittel, um die von ihnen drohenden Gefahren sich fernzuhalten. Zum anderen aber gab es noch eine innigere Verbindung, die nur Einzelne als besonderes Glücksgut aus einer Art Ehe mit einer Wassernixe erhielten. In den Stranddörfern am Meer leiten manche der angesehenen Sippen ihre Herkunft und damit gewisse Vorrechte anderen gegenüber ab von der Verbindung eines ihrer Vorfahren mit einer solchen Nymphe ( Totemismus Totemismus).

Was die Nordgermanen von Wodan sagten: „Man kann sich diesem unheimlichen und weisen Wesen fürs Leben verschreiben, das einen hoch erhebt und fördert; doch nur um den ihm Verfallenen im letzten Augenblick hinterrücks zu überfallen“, das gilt ganz wörtlich auch von der Verbindung, die ein Mensch in besonderer Weise mit einem djengu eingeht. Das will auch das Sprichwort Sprichwort sagen: „Die Nixe hat keine zwei Glücksgüter“, d. h. trägt sie einem eine Verbindung an und man lehnt sie ab, weil einem die gebotene Gabe nicht paßt oder wird später [der] Sache müde (eine solche Gabe kann z. B. Geschicklichkeit im Stehlen sein; wenn einer aber zusammengestohlen hat, will er es auch genießen und sich nicht weiterhin den Gefahren des „Berufes“ aussetzen) oder es unterläuft ihm ein Versehen bei den nötigen Tabu-Vorschriften der Nixe, so reißt sie ihn erbarmungslos ins Verderben.

Der Bund suchte nun seine okkulte Verbindung auf mancherlei Weise für sich und die Gruppe zu nützen. Dazu waren aber auch Opfer Opfer an die mengu nötig, wie wir das im Ahnendienst für die Ahnen gesehen haben. Solche Opfer wurden draußen an den verrufenen, als mengu‑Sitze geltenden Plätzen ins Meer geworfen, nachdem an Land durch kultische Tänze die nötigen magischen Vorbedingungen geschaffen waren. Wie beim Ahnenkult, so deuten auch manche Züge und Überlieferungen bezüglich des mengu-Dienstes darauf hin, daß die Meerweibchen auch Menschenopfern nicht abgeneigt waren. Fanden diese größeren Speisungen der mengu hauptsächlich statt vor Beginn der Hauptfangzeit oder nach einem großen Unglück, das auf die Nixen zurückgeführt wurde, so pflegte jeder, der an einer solchen verrufenen Stelle, besonders bei bewegtem Wasser vorbeikam, jedesmal eine kleine Gabe an Nahrung, Getränk, Tabak, Salz oder dgl. den unberechenbaren Meergeistern zuzuwerfen. djengu

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(1) Grade und Feiern im Bund

Der Bund war Zusammenschluß der Freien des Stammes; Sklaven und ihre Nachkommen waren nicht zugelassen, Halbfreie nur unter gewissen Bedingungen und waren auch dann minderen Rechts. Der Bund hat auch eine Frauenabteilung, denn zu manchen Übungen, z. B. elielie, vgl. S. 158, brauchte man Frauen. Die Staffelung im Bund war nun so:

1. Vorbereitungsgruppen: Die heranwachsende Jugend beiderlei Geschlechts wurde zur Initialvorschule in der famba, dem Kulthaus, gesammelt, wo diese moemba 3, pl. myemba von weisen Männern und Frauen Unterricht in Bräuchen des Familien- und Stammeslebens erhielten und an Gehorsam gewöhnt wurden. Während dieses etwa einjährigen Kurses sammelten die Väter, was zu weiterer Schulung und Darstellung ihrer Kinder nötig war. Klistier Klistiere, Waschungen, Umhängen von „Mitteln“ als Weihen, vgl. auch Kultbund Weihen beendeten diesen Kurs, wenn es die Bundesleiter für zeitgemäß hielten.

Dem schloß sich ein weiterer Kurs an; die Novizen wohnten nach Geschlechtern getrennt in zwei Hütten vor den beiden gegenüberliegenden Ortsausgängen. Sie hießen nun mukuku, plur. mikuku. Nun waren sie ganz von den Dämonen besessen, waren in einem Gefahrenzustand und bildeten für die anderen eine Gefahr. Darum wohnten sie vor dem Dorf und bei Meidung von Gefahren und schweren Strafen mußten Unberufene sich fernhalten. Wer zu ihnen kommen wollte, mußte von einem Topf einen Schluck tun, der jedem Nichteingeweihten den Tod brachte. Auch Vater und Mutter waren ihnen in dieser Zeit Fremde und war es doch einmal nötig, daß etwas zwischen Eltern und Kind gesprochen werden mußte, dann nur in gebückter Haltung, keines durfte des anderen Gesicht sehen. So mußten auch Novizen, die etwa um Essen zu bestellen und dgl. einmal durchs Dorf gingen, dies in gebückter Haltung tun, um ein Machterlebnis zu vermeiden, vgl. Note auf S. 49 und S. 158. Nur die dazu bestimmten und darum auf magische Weise geschützten Führer, Lehrer und nganga konnten wie ihresgleichen mit den in der übersinnlichen Welt lebenden Novizen verkehren. Sie wurden dort in die Rechte und Pflichten des freien Bürgers und in die magischen Künste eines Bundesmitgliedes eingeführt nicht in trockener Belehrung, sondern sie sollten erleben und zwar nicht gewöhnliches irdisches Geschehen, sondern magische Kniffe und Kunstgriffe des okkulten Gebietes. Die Mädchen, die manchmal auch zu zweien und dreien, wie heute noch bei den Bakwiri, in einer besonderen Hütte hinter dem väterlichen Gehöft lebten, sind nur bekleidet mit dem esinga „kleinen Schamschürzchen aus Bananenfasern“, während die männliche Jugend völlig nackt geht. Sie sind mit weißer Erde, der Farbe der anderen Welt, bestrichen und mit allerlei schützenden Machtmitteln behangen. Das Haar wird nicht geschnitten, der Körper nicht viel gepflegt, die Nahrung Nahrung ist oft mit nicht sehr appetitanregenden Beigaben gemischt. Dagegen wird andere Körperkultur getrieben: Die Jungen werden beschnitten, beide Geschlechter tätowiert und ihnen die Zähne verstümmelt. Bei ihren nicht immer züchtigen Tänzen – das Geschlechtliche sollte ja geweckt und gefördert, wenn auch nicht befriedigt werden – trugen alle einen Lendenumhang aus Farnblättern (eine gewisse Farnart heißt daher sendj’ a djengu).

Mit dem Tod sühnte, wer Geheimnisse verriet oder mit dem anderen Geschlecht verkehrte, und mancher Junge oder Mädchen kehrte aus der famba nicht wieder heim. Die Eltern und Kind Eltern sollten den Tod eines initiierenden Kindes erst erfahren, wenn es am Schluß der Schulung nicht mit den anderen vorgestellt wurde. Erfuhren sie doch von dem Tod, so durfte es nicht beklagt werden; es gehörte ja zu dieser Zeit nicht der Sippe.

Das Ziel all dieser nicht leicht zu bestehenden Übungen war einmal, die Jugend des Stammes zu disziplinieren, sie zu Gehorsam, Ausdauer, Leidensmut und Tapferkeit anzuhalten, und dann, sie auszurüsten mit allen magischen Mitteln des Bundes, die ihrer Stufe entsprachen.

Wer nicht durch diese Jugendschulung den Weg in den Kultbund fand, hatte später noch Gelegenheit, in den Bund einzutreten. Nur ging er dann der eigentlichen Ausbildung verlustig und hatte weniger an der Aktivseite als an der Passivseite des Bundes Anteil.

Diese passive Seite war, daß man um Aufnahme in den Bund zu finden, sich gleichsam in ihn einkaufen mußte. Solche Einzahlung mußten {56} die eben beschriebenen mikuku leisten, aber noch mehr die milongo, sing. mulongo, „solche, die erst in späteren Jahren mit dem Bund in Verbindung traten und noch nicht aufgenommen waren“. Letztere erlernten auch die geheime Kultsprache nicht, hatten keinen Kultnamen39

u. a. und konnten darum auch keinen besonderen Grad im Bund erwerben; sie waren also nur zahlende Mitglieder. Um zu diesen Zahlungen zu kommen, hatte der Bund genug Mittel, um wohlhabende Leute zum Eintritt willig zu machen.

Diese Eintrittsgelder waren zwar auch nicht ganz unnütz gegeben. Der primitive Kameruner erachtet den Bund als eine Art Bank: Man zahlt ein, hat aber auch nachher Anteil an den Einzahlungen später Eintretender und an den Strafgeldern, die der Bund einzubringen wußte.

Hatten die Väter aller, die zur öffentlichen Darstellung kommen wollten, die Zahlungsbedingungen erfüllt und die Mittel für die große Feier bereitgestellt, so wurde von den Bundesleitern der Tag festgesetzt. Am Morgen dieses Tages brachen nun die Novizen aus ihrem Lager aus und rannten wie besessen durch das Dorf. Bei diesem Rasen mußten sie von ihren mütterlichen Oheimen eingefangen, gefesselt und wieder zum Lager zurückgebracht werden. Dort hatte sich unterdessen die Kultgemeinde mit den Angehörigen der Novizen eingefunden und einen wilden Tanz begonnen. Die Jungen wurden von ihren Fesseln befreit und nahmen nackt an diesem Tanz teil, bei dem Dinge vorkamen, die sonst als unzüchtig im Volk verpönt waren. Nach einer Weile ordnete man sich zum Zug und bewegte sich zum Festplatze im Dorf. Dort verschwanden die Novizen und wer sich von den Älteren zum Eintritt gemeldet hatte in Laubhütten, die für andere tabu waren; sie wurden nun von den Kultleitern vermummt, um als richtige mengu dargestellt zu werden.

Weil man sich die darzustellenden Dämonen als lebenden Menschen ähnliche Wesen denkt, ist hier eine Toten- oder Tiermaske nicht nötig., vgl. S. 49. Die Vermummung besteht aus einem eigenartigen Aufbau von Schnüren und Federn auf dem Kopf, dessen geflochtenes Haar in langen Strähnen auf die Schulter fällt. Der Halsschmuck ist eine Schnur mit einigen Glasperlen und den erbsengroßen schwarzen Samen der Musa religiosa (wilden Banane). Diese Samen gelten aber nicht als solche, sondern sie wurden – so glaubt man – von den Betreffenden auf das Mittel eines nganga hin erbrochen. Über den Oberkörper sind kreuz und quer Schnüre gezogen, die früher mit den großen „Häusern“ der Achatinaschnecke, heute mit aus Europa stammenden kleinen Glöckchen behängt sind. Die Hüften umschließt palakan „ein feines Geflecht aus Raphiabast“. Darüber sind eine Menge Farnblätter an einer Schnur gebunden, von der hinten ein echter oder imitierter Leopardenschwanz herabhängt. Das Gesicht zeigt außer der blauen Tätowierung noch eine oft mit Geschmack ausgeführte Zeichnung in Strichen mit weißer Erde.

In diesem Aufzug stellen sich die Neuaufgenommenen nun dem Volk vor, indem sie die im Lager geübten Tänze zum Schlag der Trommel ausführen. Erst am frühen Morgen endigt der Tanz der Einzelnen und der Gruppen, um sich nach Nacht- und Morgenruhe und einem rechten Festessen am nächsten Tag fortzusetzen: Je länger eine Gruppe ein solches Fest, zu dem die Bundesgenossen aus den Nachbarstämmen gekommen sind, hinzieht, desto angesehener ist sie im ganzen Land.

Die so in die Kultgemeinschaft der Gruppe Aufgenommenen sind nun nicht mehr von den Dämonen besessen, sondern als Glieder des Bundes besitzen sie mit diesem die Dämonen. Dämon

2. Als solche haben sie nun auch die Möglichkeit, sich in den verschiedenen Graden des Bundes emporzuarbeiten, d. h. besondere Funktionen zu üben, die nur den balondedi, „den magisch Gefüllten“, vgl. S. 50, möglich sind. Schon während ihrer Ausbildungszeit haben die Führer gefunden, zu welchem Posten sich der oder jener besonders eignet und für ihn sucht sich nun der Betreffende noch besonders zu üben, um sich dafür die fachlichen Vorbedingungen zu erwerben.

Statt vieler solcher Berufsweihen sei nur die zum Harpunier Wahlharpunier bei den Bobe-Leuten in der Nähe Victorias geschildert. Sein Werk ist mit {57} physischen und magischen Gefahren verknüpft; so wundert es nicht, daß er dazu besonders auszurüsten ist.

Die Bobe bestehen aus den drei Großsippen Wondjumá, Wondjómbe und Wolúndà. Die erste Sippe hat bei der Waljagd Waljagd den Vortritt, ihr gebührt die erste und zweite Harpune. Eine Waljagd ist vorzubereiten. Ist nach der bewegten Regenzeit die See wieder ruhiger geworden (Sept/Okt), so hält man Ausschau nach dem großen Säugetier des Meeres. Hat man Anzeichen von seiner Anwesenheit, so treffen die Vorsteher des djengu djengu-Bundes Anstalten, um den mengu das nötige Opfer zu bringen. Die verschiedenen Sippen kochen Töpfe voll Nahrungsmitteln und bringen sie ins Kulthaus und dann fahren die Alten hinaus aufs Meer mit den Eßtöpfen und einer Ziege und einem Huhn im Kanu. Sie fahren dorthin, wo die Jagd Jagd gewöhnlich stattfindet, singen ihre djengu-Weisen und, wenn sie am rechten Platz sind, ruft ein Alter die mengu an und bittet sie, ihnen einen Walfang zu gönnen und bei der Jagd alles Unglück fern zu halten. Dann werden die beiden Tiere getötet und ihr Blut Blut fließt ins weite Meer. Ein Stück der zerlegten Tiere und ein Topf mit Essen versinkt in der Tiefe. Dann geht es zur nächsten Untiefe40

, die „von mengu bewohnt“, als nicht geheuer gilt; Anruf und Auswerfen von Speisen folgen sich, und so von einem Platze zum andern. Die Frauen, die am Morgen unter Glückwünschen das Boot vom Strand haben abfahren lassen, nehmen es am Nachmittag dort wieder in Empfang. Dreimal stoßen sie das Boot, das landen will, wieder in die See hinaus; dann aber ergreifen sie es, lassen die Alten aussteigen und tragen das Boot den Strand hinauf. Mit dem Rest der Opferspeise gehen die Alten ins Kulthaus und halten dort ihr Mahl.

Zum Abend rufen die Dorfältesten Männer und Frauen auf einem freien Platz zusammen, während die Männer die Plätze auf dem Jagdkanu verteilen und für jedes der drei Jagdboote den Harpunier bestimmen. Die Harpuniere sitzen dann in der Versammlung in der Mitte, wo sie das Ziel grober Vorwürfe sind. Es ist die Pflicht eines jeden, der gegen einen Harpunier etwas auf dem Herzen hat, es nun diesem an den Kopf zu werfen, damit er sich rechtfertige. Durch diese Tadelversammlung „Tadelversammlung“, vgl. S. 156, soll bewirkt werden, daß der Betreffende seiner schweren Aufgabe entgegenfahren kann, ohne durch Groll oder Fluch Fluch eines anderen magisch belastet zu sein. Denn allzuleicht trifft ihn auf See ein Unheil. Haben sich die Gekränkten beruhigt, so wird den Harpunieren von einer alten Frau Wasser über Füße und Hände gegossen als Zeichen, daß sie nun „rein“ seien. Und von nun an stehen die Jäger und besonders die Harpuniere und ihre Angehörigen unter besonderen Enthaltsamkeitsgebot Enthaltsamkeitsvorschriften. Besonders müssen sie sich aller geschlechtlichen Erregungen enthalten; aller Streit ist zu unterlassen, ja jede heftige Bewegung, sogar das unschuldige Spiel der Kinder mit Meerschnecken als Kreiseln oder Bällen. Denn Unruhe in des Jägers Familie überträgt sich auf das zu erlegende Tier und macht es wild. Darum kehren die Männer auch gar nicht in ihre Häuser zurück, sondern übernachten am Strand; ihr Essen darf nur von einer alten Frau oder einem jungen Mädchen gekocht sein und ein Kind bringt es den Jägern.

Am Morgen machen die Männer ihre Boote startbereit. Zur Abfahrt kommen nur alte Frauen an den Strand und schieben die bemannten Boote in die See. Den Abfahrenden ruft eine Alte, die Vollmitglied des djengu-Bundes sein muß nach: Yo dimea nano mänä e, yo dimeye si swalele swa; yo yofaneye e lifoko, li be [le ?]! „Die ihr so ausfahret, fahret im Segen Segen; bringet uns Wohlleben, damit wir essen!“ [am Rand:] (zu: nimele)]

Selten wird schon am ersten Tag ein Wal erlegt; die Männer kehren zurück, bleiben über Nacht am Strand, erhalten auf die angegebene Weise Nahrung und ziehen am Morgen wieder los.

Hat sich aber ein Wal an den Harpunen totgeblutet, so wird er zwischen zwei der Boote gebunden und gegen das Land gerudert. Die auf der Insel auf Auslug stehen, sehen, was vor sich gegangen [ist]. Nun wird von alten Männern, Mitgliedern des Bundes, ein kleineres Kanu bemannt und sie fahren den erfolgreichen Jägern entgegen, um den betreffenden Harpunier aufzunehmen. Denn er darf nicht mit den anderen vom ganzen Dorf am Strand bejubelt werden, sondern wie ein Mord, Mörder Mörder muß er mit verhülltem Gesicht und gebeugtem Oberkörper, möglichst von {58} niemand gesehen und noch weniger jemand anschauend, zum Kulthaus eilen. Er ist mbaki‑behaftet.

Mbaki ist eine eigentümliche Kraft, die nach primitivem Glauben von einem getöteten Menschen, Großtier oder gewaltigem Baum Baum auf den „Frevler“ übergeht, um an ihm den Mord, Mörder Mord zu rächen, wenn er nicht durch magische Mittel dieses Verderben von sich abwenden läßt. Diese unheimliche Macht wirkt aber auch auf andere ungesicherte Personen, die mit dem Belasteten zu tun haben und sei es nur, daß sich ihre Blick Blicke beim Begegnen treffen.

Von diesem Bann Bann muß sich nun der Harpunier reinigen lassen. Es geschieht mittels Klistier Klistieren und Abwaschungen durch einen angesehenen nganga nganga im Kultbund41

. In ganz besonderer Weise muß das geschehen bei einem, der seinen ersten Wal erlegt hat und deshalb nun den Grad eines anerkannten Harpuniers bekommt. Die verschiedenen Zeremonien Zeremonien kosten Geld, weil sie aber der ganzen Sippe Ansehen verschaffen, helfen ihm diese, das Nötige zu beschaffen. Ist eine Sippe aber arm, so sagt man heute noch von ihm: „Er hat seiner Sippe einen Fluch auferlegt“; denn in früherer Zeit mußte er einen seiner Angehörigen opfern. Man weiß nicht mehr recht, wie das geschah, aber wahrscheinlich mußte ein Mensch sein Leben lassen, um sein Blut für die nötige Reinigungszeremonie zu geben. So konnte der Harpunier den höheren Grad im djengu-Bund erlangen. Denn die Vorstellung war: Durch seine Tat hatte er sich gleichsam einen Besitztitel auf den höheren Grad erzwungen und muß nun für dies[es] Vergehen Sühne leisten. Während dieser Zeremonien sangen und tanzten die Kultmitglieder. Wie die meisten Lieder Tanzlieder bei uns sind auch die im mengu-Orden eine Art Schlager. Ein solcher lautet:

Vorsänger: Vandjä va tä ebua, vandjä va tä ebua wo mele?

Chor: Vandjä va tä ebua?

V: Wovi42

va tä ebua, Wovi va tä ebua wo mele!

Ch: Wovi va tä ebua.

V: Ndame va tä ebua, Ndame va tä ebua wo mele!

Ch: Ndame va tä ebua.

V: Mondoli va tä ebua, Mondoli v a tä ebua wo mele!

Ch: Mondoli va tä ebua.

V: Lisuwu va tä ebua, Lisuwu va tä ebua wo mele!

Ch: Lisuwu va tä ebua.

V: Yayo e!

Ch: Hoo!

Vorsänger: „Wer richtet einen Fischgrund her, wer richtet einen Fischgrund mit Baumstämmen her?“

Chor: „Wer stellt einen Fischgrund her?“

V: „Die Bobe-Leute (die von Ndamä, Mondoli, die Subu-Leute) stellen einen Fischgrund her; stellen einen Fischgrund mit Baumstämmen her!“

Ch: „(Die Genannten) stellen einen Fischgrund her“.

(Bobe ist der kleine Stamm bei Victoria, von dem dieser Abschnitt handelt; Ndamä und Mondoli sind die beiden größten der sogenannten Räuberinseln; jetzt unbewohnt, früher von den Bobe besiedelt; Subu ist der kleine östliche Nachbarstamm der Bobe, auf deren Boden Victoria liegt). Das schließende Yayo e! ist ein abschließender Jubelruf, dem die Anwesenden mit Hoo! ihre Zustimmung geben. Darauf tritt immer Stille ein, in der einer etwas vorbringen kann.

Am frühen Morgen erst enden diese Zeremonien Zeremonien. Nach kurzer Rast geht es nun zur Verteilung des Wales. Ist der Harpunier ein Neuling, so muß er dem Volk in seinem neuen Grad vorgestellt werden. Der Wal lag die Nacht über an dem flachen Strand der steil aus dem Meer emporragenden Insel Eyonda, die noch bewohnt ist. Neben dem Sandstrand liegen einige gewaltige Steine, auf den die Bobe-Leute ihre Wettruderkähne legen, um sie dem Spiel der Wellen zu entziehen. Den größten dieser Felsblöcke heißen sie ilale la mofema „Stein der Darstellung des Harpuniers“. Die Ältesten des Felsendorfes geleiten nun den Neugeweihten in feierlichem Zug zu diesem Felsen, auf dem er Platz zu nehmen hat. Er ist mit neuem Lendentuch bekleidet und der Oberkörper ist eingeschmiert mit Rotholzbrei und dem gelben Saft der {59} Rinde des Baumes Alstonia congensis. Ein kleines Mädchen aus seiner Verwandtschaft dreht einen aufgespannten Schirm über ihn und ein anderes verjagt mit einem Tüchlein die lästigen Mücken; er selbst sitzt still und stumm, wie geistesabwesend auf dem Stein, während die mengu‑Leute ihren Umzug um den Stein halten, geführt von einem mit einer Harpune in der Hand. Das ganze Völkchen ist auf den Beinen und schaut und jubelt.

Dann schickt sich die Menge an, dem Walfisch aufzuwarten. Er wird mit einem großen Tuch umspannt, denn noch darf das gewöhnliche Volk ihn nicht sehen, soll nicht auch auf einen Ungeschützten das mbaki mbaki überspringen. Außerhalb des Tuches geht nur der Reigen des Volkes; es ist gleichsam eine Triumphfeier gegen den Gewaltigen des Wassers. Nach einer Weile schlupfen einige „starke“ Männer durchs Tuch zum Walfisch. Einer greift die Hautbeule unterm Kinn des Tieres und trennt sie mit scharfem Schnitt ab, während die anderen ein Feuer entzünden. Die Beule zerlegt der Alte in Scheiben, bestreut sie mit Salz und läßt sie im Feuer schmoren. Dann zerkaut er eine Scheibe mit allerlei Kräutern, reißt des Wals Nüstern auf und spuckt das Zerkaute als Sühnegabe an den toten Gegner in dessen Nasenlöchern, wodurch dem alle böse Macht genommen ist. Jeder der Alten ißt nun von dem geschmorten fetten Fleisch und zum Zeichen, daß das Tier nun ganz ungefährlich ist, kommen kleine Jungen und jeder sucht sich eine der Beulen des Tieres abzuschneiden. Während dann das Tier zerlegt wird, (Kopf und Schwanz, gewaltige Stücke, ist die besondere Gabe an die Führer und Führerinnen des djengu-Bundes, das Mittelstück fällt den drei Sippen zu, jede erhält die gleiche Länge. Weil aber der Wal nach hinten konisch zuläuft, haben die Wondjuma doch mehr als die Wolunda), sitzt der Harpunier auf seinem Felsen und ist den Scherzen und dem Gefoppe der Jugend und der Alten ausgesetzt. Er darf sich dadurch aber nicht zum Lachen oder Erwiderungen hinreißen lassen. Hält er diese Regel nicht ein, so wird ihm das als großes Vergehen angerechnet und dieweil alle ihn verlachen, schleicht er davon wie einer, dem ein böses Unglückszeichen geworden. Er ist seiner Lebensseele verlustig gegangen und muß sterben, kann ihm nicht durch einen nganga des Bundes magische Hilfe werden.

Ist das Fleisch glücklich verteilt und wird weggetragen, so kann auch der junge Harpunier von seinem Felsen steigen. Wenn er das nächste Mal wieder ein Tier harpuniert, muß er sich zwar wieder vom mbaki befreien lassen, aber nicht mehr die Bewährungsprobe auf dem Felsen bestehen.

Auf S. 20 und 86 ist eine andere mystische Beförderung zu einem besonderen Grad innerhalb eines Kultbundes mitgeteilt, ebenso auf S. 131 bei Nagualismus. – Vielfach sind solche Weihen mit anderen Gelegenheiten verbunden, wie hier mit dem Ausschlachten des Wals oder mit der Entschuldungsfeier für einen, der Menschen-Blut vergossen [hat]. Dadurch verteilen sich die Kosten einer Sache etwas. Denn diese Weihen sind kostspielig. Nach einer rechten Feier in einem Dorf, zu der oft der ganze Stamm erscheint, sind die Gärten und Äcker des Dorfes geplündert und die Bewohner müssen das Wort umkehren: Saure Wochen, frohe Feste! Harpunier

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(2) Der Bund als Regierungsgewalt und ihr Niedergang

Da der kultische Geheimbund die eigentliche Regierung des Landes war (denn er verfügte über die magischen Mittel des Bundes, die dem Primitiven das gleiche bedeuten wie Maschinengewehre, Tank und Flugzeuge einer modernen Macht), lag alle Gewalt bei ihm; die magisch Starken gehörten zu ihm; die Sippen- und Dorfväter als solche waren nur seine ausführenden Organe und meist Mitglieder. Wer sich gegen den Bund auflehnte, mußte Raub, Krankheit, Verbannung, Gift, Mord fürchten, auch wenn er ein Bundesglied war. Gegen wen der Boykott Boykott, eine beliebte Waffe der Bünde, ausgesprochen wurde, war ein vernichteter Mann. Konnte er seine Sache nicht noch irgendwie einrenken lassen, oder mit einigen, die zu ihm hielten, auswandern, so zog solcher Boykott den Zerfall der Sippe und den Tod nach sich. In einer handschriftlich mir vorliegenden Beschreibung seines Heimatstammes Subu erzählt Peter Luma Nganda von einem solchen liwukuwuku „Boykottbann“ auf einen angesehenen Mann:

Bile a Losenge, der Gründer des Dorfes BonabileBilä-Sippe’, war ein sehr gefürchteter Mann; er drang in andere Gegenden ein, tötete Leute und vergrub ihre Köpfe unter den Kokospalmen des heimischen Strandes, um sie später bei den Tänzen und Weihen, vgl. auch Kultbund Weihen zu zeigen. Er galt als mome ‘Hauptkerl’ (vgl. S. 50), an den sich keiner wagte. War eines seiner Kinder irgendwo auswärts gestorben, so war nach seiner Meinung der betreffende Ort an dem Unglück schuld, und er mußte sich rächen. Er drang mit seinen Leuten in ein solches Dorf ein und tötete alle Jungen, die mit seinem verstorbenen Sohn gleichaltrig waren. Man erzählt von ihm, daß er auch Weiße getötet habe, die als Händler in seine Siedlung gekommen waren. Weil sich jeder einzelne vor ihm fürchtete, war es nur möglich, als Gesamtheit an ihn heranzukommen. Das ergab sich bei besonderer Gelegenheit. Sein Sohn Mwia war zur Initialweihe in der famba und wurde dort beim Ringkampf geworfen von einem Jungen des Ngomb’ a Kombe, eines angesehenen Kultbundmitgliedes. Die Nachricht davon ergrimmt den Bile so sehr, daß er in die famba eindrang und den Ringkampfsieger mit einem Prügel erschlug. Damit hatte er die Regeln des Kultbundes aufs gröblichste verletzt und brachte den ganzen Stamm gegen sich, den mächtigen Dorfhäuptling, auf. Die Kulttrommel rief alle mengu-Leute zusammen und vermummt zogen sie, gefolgt von groß und klein, zur Siedlung des Bile, um die Verwünschung gegen ihn auszusprechen. Nachdem die Sache verhandelt und Bile nicht zur Sühneleistung bereit war, fragte der Bundesvorsteher: ‘Ist nicht jedes Kind des Bile sterblich?’ Der Chor der mengu und der ganze Haufe antwortete: ‘Es ist sterblich’. Nach dieser Zustimmung des ganzen Stammes wurde der Boykott gegen den Gefürchteten ausgesprochen und öffentlich ausgerufen; die Menge beantwortete ihn mit lautem ‘Hoo!’ Darauf zerstreuten sich alle, die mengu gingen in ihr Kulthaus, entmummten sich und gingen nach Hause.

Von da an wurde Bile ‘geschnitten’; seine Kinder starben eines nach dem anderen, seine vielen Weiber liefen ihm davon. Zuletzt starb auch er als ein verlassener Mann. Er war von schwerer Krankheit befallen und sein letzter Ruf im Hunger soll seiner Schwester gegolten haben: ‘Ach Ebänyä, der Hunger bringt mich um!’ So ging er am Fluch des Kultbundes zugrunde.“

Es konnte solche Gerichtssitzung natürlich auch zur Reinigung, rituelle „Reinigungsversammlung“, vgl. esa auf S. 156, werden, wenn sich der Angeklagte zu Abbitte und Gutmachung bereitfand und sich zu den für ihn nicht billigen Reinigungsbräuchen hergab. Verhandlung und Brauchtum lag in den Händen des Kultbundes, aber öffentliche Zustimmung war dazu nötig, um den Beschluß allgültig zu machen. Denn mit des Angeklagten Schuld mußten auch die Verwünschungen gegen ihn weggetan werden. Ein Vogel oder Tier wurde gefangen und auf dies[es] wurde durch Handauflegen oder Streichen des Tieres über die Körper Schuld und Verwünschung gelegt; der Vorsitzende rief in die Menge: „Soll der ganze Streit in den Buschwald gebannt sein?“ und diese antwortete: „Ja, völlig!“ Dann wiederholt: „In den Buschwald?“ und wieder: „Ja, völlig!“ und während dann das Tier oder der Vogel alles Ungute aus der Menschenwelt hinausträgt, bricht die Menge aus in den Beifall: „Ho, ho, ho, ho!“

Dies nur einige Stücke aus dem reichen Brauchtum der Bünde.

{61} Abgesehen von allerlei restlichem Aberglauben und Maskeraden (vgl. unsere auf Kultbünde zurückgehende Fastnacht und ähnliche Bräuche) sind die kameruner Geheimbünde als öffentliche Macht verschwunden. Als mit der Verkündigung des Evangeliums ein anderes Wahrheitsempfinden unter die Leute kam, brachen die inneren Grundlagen und Verstrebungen der Dämonenbünde. Dieser Zusammenbruch begann schon, als noch keine europäische Macht im Land war und das demokratische Wesen der Bünde das ganze öffentliche und private Leben im Land beherrschte. Nicht die Kanonen und Bajonette, sondern die Predigt des Evangeliums erschütterte die offiziellen Kulte. Der Häuptling Mikano von Bonaberi mit seinen Stammesältesten wagte dazu wohl den ersten Schritt. Am 22. Oktober 1879 löste er den mächtigsten Bund in seinem Bereich, den djengu-Orden, auf; die Kultgeräte wurden beschlagnahmt und im breiten Duala-Fluß versenkt. Was damals in Bonaberi begonnen [hatte], setzte sich in den folgenden Jahrzehnten im ganzen Land fort bis auf den heutigen Tag. Als die indirect rule der Engländer verklungene Kulte in einigen Stämmen zwecks Rechtspflege wieder beleben wollten (1932), mußte die Sache scheitern, denn ihr fehlte der alte okkulte Hintergrund.

In seinem Preisschreiben für die „Society for African languages and cultures“ schrieb 193- ein Duala bezüglich der Geheimbünde:

„Heute sind die mengu-Sagen leeres Geschwätz im Mund von Fischern und Seeleuten, die mit ihren Hexengeschichten renommieren und andere Leuten gruselig machen wollen. I. a. zieht der Fischer und Händler an den verrufenen Orten vorüber und wirft nichts als Opfer und Besänftigungsmittel der Dämonen in die gurgelnde Flut. Tongo a Djebale (ein verrufener Ort im Duala-Fluß) ist nicht mehr gefürchtet, denn bei Nacht und Tag fahren dort Boote und Pinassen vorbei. Der Kum-Strudel bei Bonaberi liegt einsam wie die Strandplätze vor Subu und Bobe; kein Opferfest wird mehr dort gefeiert und der sandige Strand hallt nicht mehr wider vom Stampfen tanzender Füße. Die timbo a mengu ‘von Dämonen ins Wasser gepflanzte Bäume’ sind längst gefällt, ohne daß daraus die geringste Not entstand.

Nur wenn ihn die Wellen wirklich einmal in Not bringen, mag der eine oder andere der tükkischen Nixen gedenken und als Zauber, vgl. auch Magie Zauber ein zerkautes Ingwerkorn in die Flut spucken. Selbst die Alten in Bota und Kolé, die noch alljährlich an gewissen Stellen den Wassergeistern opfern und dann still nach Hause fahren, sterben allmählich aus.“

d. Was sagt der Missionar zu dieser höchst merkwürdigen Erscheinung der geheimen Kultbünde im Geistesleben der Kameruner?

Es sei dahingestellt, ob es ganz zutreffend war, im Neuen Testament „die Götze Götzen“ mit dem vieldeutigen Wort losango „Kultbünde, Kultdämonen“ wiederzugeben. Diese Bünde waren ja nicht nur eine kultisch-religiöse Einrichtung, sie schlossen auch politische, soziale, gewerbliche, sportliche Organisationen ein. Weil aber der Kern, der Zusammenhalt von diesem allen, die treibende Macht der Dämon Dämon und sein Kult ist, ist dieser Übersetzung die Berechtigung nicht zu bestreiten, auch wenn man die Empfindung des Unzureichenden nicht los wird. Alle Übungen der genannten Organisationen sind dem primitiven Empfinden Kult der Dämonen.

Das Wort ndjimbidí, sonstwo mit „Götze“ wiedergegeben, bezeichnet nur die geschnitzte Figur, auch wenn sie keinen religiösen Sinn mehr hatte. Nur der hinter ihr stehend geglaubte Dämon verleiht ihr dämonische Macht.

Die Kultbünde suchten das ganze Leben der Primitiven zu dämonisieren. Obwohl sie über die Moral Moral in der Gruppe wachen wollten, konnten sie doch nicht moralisch, nicht veredelnd wirken. Sie waren auf Selbstbetrug und Betrug und Unterdrückung anderer gegründet. Dem Bund war alles erlaubt: Diebstahl Diebstahl, Gewalt und Mord; Magie und Gift standen ihm zur Verfügung.

Einsichtige Leute, nicht nur Christen sehen in den Bünden, die immer mehr jeden innerlichen Gehalts entbehren, den Zusammenschluß von {62} Leuten, die auf nicht ehrliche Weise – Bünde und finsterer Aberglaube fördern sich gegenseitig – auf Kosten anderer Gewalt üben. Sie erzeugen die Hexen Hexen, denn sie sind Träger des Totemismus Totemismus und Nagualismus, vgl. S. 130ff., und geben sich als die einzigen Schützer vor ihnen und ihre Überwinder aus. Volksmeinung ist, daß der Einzelne in den Bund eintritt, um äußeren Vorteil aus dieser Verbindung zu ziehen, und nicht zu Unrecht pflegen die Christen die Geheimbündler zu bezeichnen als Leute, „denen der Bauch ihr Gott ist“, die ihre Macht nur durch Verbreitung des Glaubens an ihre übersinnliche Verbindung mit dem Dämon halten können. So sind sie allen Nichtmitgliedern verleidet, auch wenn sie heute nicht mehr so öffentlich „gezehntet“ werden können. Es ist doch bezeichnend, wenn der schon angeführte Luma in seiner Subu-Geschichte schreibt: „Das Treiben des djengu-Bundes hat das Subu-Land zugrunde gerichtet.“

Weil die Bünde die Regierung des primitiven Gemeinwesens waren, die über Eigentum Eigentum und Leben der Volksgenossen waltete, mußte ihre äußere Gewalt von der europäischen Kolonialverwaltung gebrochen werden, ihre innerliche Überwindung aber ist Sache des Evangeliums und der Christengemeinde.

So sehr sich im Geheimkult Geheimkultwesen die ganze Macht des altbösen Feindes wider das Evangelium zusammenballte und -ballt, mußten doch die damit verknüpften Vorstellungen den Weg zum Verständnis des Evangeliums bereiten helfen. Die Botschaft vom Spender ewigen Lebens, vom Geber göttlichen Geistes, von der durch ihn zu erlangenden Gotteskindschaft, von der Erneuerung, die nur durch ein Sterben und eine tiefgehende Reinigung, rituelle Reinigung und Änderung des Lebens erreicht werden kann, ist doch in den oft so schmutzigen und verlogenen Brauchtümern der Bünde vorgebildet; sie sind Hinweise auf etwas Höheres, Besseres. So ist es wohl auch kein Zufall, daß Heiden gelegentlich das Christentum und seine Gebräuche: Christbaum, die Elemente von Taufe und Abendmahl, als losango bezeichnen. Sollte auf diesen Stamm heidnischer Religiosität nicht doch das Edelreis evangelischer Lebenshoffnung gepflanzt werden können? Mindestens muß der Evangeliumsbote die den Gebräuchen der Bünde zugrunde liegenden Linien kennen und sei es nur zur Abwehr falschen Brauchtums in den Mysterien Gemeinden.

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Fußnoten:

20 Vgl. unser „Gigerl“.
21 Vgl. auch S. 113ff.
22 Bei den vatererbrechtlich gebauten Stämmen ist die Arbeit zwischen den beiden Geschlechtern klarer geteilt als unterm Matriarchat.
23 Einer stampft das Öl von den Kernen, der andere schwenkt es durch Zugießen von Wasser ab.
24 Dabei werden giftige Akazienblätter in abgedämpfte Gewässer gelegt.
25 dikaki „Frist“ und „Versprechen“.
26 [Dieselbe Fußnote wie oben.]
27 Einer stampft das Öl von den Kernen, der andere schwenkt es durch Zugießen von Wasser ab.
28 In Ostafrika wird erzählt, die Menschen hätten sich aus Unachtsamkeit bzw. aus Ungehorsam gegen die Gottheit um die Aussicht gebracht, sich im Alter verjüngen zu können. Der Mensch hat die Stunde verschlafen, da ihm die frohe Botschaft hatte zugerufen werden sollen. Die Schlange sei wach geblieben, habe sich die Botschaft angeeignet und könne sich nun im Alter häuten und weiterleben.
29 An vielen Stellen ist angegeben, daß man gewisse Dinge nicht direkt ansehen dürfe; z. B. die nicht in einen Kultbund Eingeweihten dürfen den „Dämon“ nicht sehen und wenn sie sich nicht anders vor ihm verstecken können, müssen sie ihm den Rücken zukehren; oder an den Stellen, wo man Ahnengeister vermutet, darf man nicht zurücksehen; wer einen „Schatten“ von vorne sieht, muß sterben; gewisse Übungen darf man nur hinter sich verrichten; man darf erlegtes Großwild u. ä. nicht sehen, bevor es nicht gefahrlos gemacht ist. Diese Tabu-Regeln sollen ein bedim, vgl. S. 135, verhindern; vgl. außer Note auf S. 49 auch 2. Mose 33, 20–23 und 1. Könige 19,13.
30 Beim Opfer kommt es nicht auf rechte Herzensbereitung an; wesentlich ist nur, daß es rituell in der richtigen Form ausgeführt wird und dargebracht nach des Orakels Anweisung.
31 Mwankum ist im Betrieb der primitiven Organisation der „Feme-Orden“, der die Aufträge der Leiter ausführt, um die Gemeinschaft in Disziplin zu halten. Er ist ausschließlich Männerbund und sein Dämon (Darsteller) für Frauen und Kinder stark tabu; er haust im Wald und keine Frau darf seinen Darsteller sehen. Der Dämon pflegt zu behaupten, er sei ein aus dem Hades wiedergekommener Großer. Sein Brüllen und Springen erregt bei Nichteingeweihten Furcht.
32 Eine Gabe mit beiden Händen empfangen oder geben drückt die Wertschätzung der Gabe aus. Wer eine Gabe mit beiden Händen empfängt, muß nicht noch „Danke schön“ sagen. Wer dieses Symbol der Wertschätzung und des Dankes versteht, schilt nicht über die „undankbaren Schwarzen“, die kein Dankeswort kennen.
33 Gegen die Untugend, eine religiöse Handlung nur über sich ergehen zu lassen, muß auch oft im christlichen Gottesdienst gekämpft werden. Manche Frauen, besonders Spätkommer, begnügen sich damit, vor dem Lokal so zu sitzen, daß sie zwar zur Versammlung gehören, aber vom Gesprochenen doch nichts hören können.
34 Vergleiche dazu das auf S. 1 vom Epas’ a moto Gesagte.
35 „Neun“ ist die wichtige, um nicht zu sagen „heilige“ Zahl der Kameruner und geht vielleicht zurück auf die menschliche Schwangerschaftsperiode von 9 Monaten. Daß in manchen Verschlingemärchen das Ungeheuer beim neunten Mal mit neun Speeren erledigt wird und die Menschen befreit werden können, steht doch auch in Parallele zur Geburt, da das junge, neun Monate lang im Mutterleib verschlossene Leben ans Tageslicht kommt, vgl. auch Ittmann, Neun, wichtige Zahl in Kamerun / Ev. Missionsmagazin 1931 s. S. 11[?] [„Neun, die wichtige Zahl im vorderen Kamerun“, in: Evangelisches Missionsmagazin - Neue Folge 1931, S. 184– 89].
36 Wie man einem solchen Machterlebnis entgehen kann, ist z. B. auf S. 6 (Doppelbanane) gezeigt. Oder will jemand die Rindenschachtel einer fremden Frau öffnen, die etwa über Hexenkraft verfügt und sie in der Schachtel aufbewahren könnte, so muß das im Rücken geschehen, will man sich nicht die Hexerei aufladen, vgl. auch Note S. 40.
37 Vgl. Wurm, Religion der Küstenstämme Kameruns, Basler Missionsverlag 19... und Ittmann, [Kameruner Geheimbünde] Missionsmagazin, 193[6] S. ---ff.
38 Wie mom 3 „Männchen, die Hauptsache“ und mome 1 „Ehemann“ vom Bantu-Wortstamm -luma. Statt mome 3 wird oft auch gesagt mombale (aus mom ma mbale) „Hauptkerl, der wirkliche Mann“ oder auch ndjomnyam (aus ndjam (= mom) ma nyama) wörtlich „das männliche Tier“ mit der vorhergehenden Bedeutung. Diese Bezeichnungen wollen die „Krafterfüllten“ über alle anderen Menschen hinausheben, denn von ihnen wird geglaubt: Ihr Geist beherrscht zweier Welten Schlachtgebiet. [wohl Bezug auf C.F.Meyer „Huttens letzte Tage“, wo es über Luther heißt: „Sein Geist ist zweier Zeiten Schlachtgebiet.“]
39 Diese Kultnamen wurden den Novizen in den Initialschulen gegeben; ihr seitheriger Name wird nun tabu. Wird er doch von anderen genannt, so macht man dem Betreffenden den Vorwurf, er wolle den Initianten „umbringen“ und oft hatte er eine Wiedergutmachung zu leisten.
40 Das Meer ist ja nicht gleich tief. Stellen, die nicht tief sind und wo daher das Wasser unruhig ist, oder wo Felsen aus dem Wasser ragen, gelten als Sitze der mengu.
41 Vgl. auch S. 50.
42 Wovi = Bobe (so noch auf Fernando Po, von den Engländern zu Bobea verunstaltet, wie Bimbia aus dem Namen Mbimbi – und die Deutschen sprachen diesen wie manchen anderen englischen Irrtum nach.
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