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Band 1 |
Zu Ittmanns Werken
Band 2 |
Geistiger Volksbesitz
Einleitung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Band 3 |
Religion im v. Kamerun

Inhalt Kapitel 4

Teil IV: Der Mensch und die übersinnlichen Mächte

Teil IV: Der Mensch und die übersinnlichen Mächte

Einleitendes: Die geistige Haltung der Primitiven

Die vorhergehenden Abschnitte müssen den Eindruck erweckt haben, daß manches darin Gesagte einer längst vergangenen Periode abendländischen Geisteslebens ähnlich ist; Reste zeugen noch für das Ganze. Ebenso trat uns aber auch der große Unterschied zwischen der Geisteshaltung der Kameruner und unserer heutigen Zivilisation entgegen. Das Gesagte liefert auch die Unterlagen für die folgende Gesamtbetrachtung des primitiven Geisteslebens, es zeigt uns seinen Boden; wir sehen das mannigfaltige Geschlinge der Mangrovenwurzeln, die im Stamm zusammengefaßt sind.

Der moderne Mensch steht ganz unter dem Bann von Ursache und Wirkung und zwar so sehr, daß ein großer Teil der Modernen den letzten Ursächer überhaupt nicht sieht noch sehen will. Nicht alle wollen die Welt ganz entgöttern, aber Gott wird ihnen zu einem von der menschlichen Vernunft geforderten abstrakten Gebilde, das mit dem Weltgeschehen, noch weniger mit den Bezügen des Einzelnen etwas zu tun hat. Wer aber so nur das Sichtbare sehen will und in ihm aufgeht, dem bleibt die Welt des Glaubens verborgen.

Dies aber ist die Welt der Primitiven; das Gesetz von Ursache und Wirkung kennt er in seiner Absolutheit nicht; unsere „Ursachen“ sind ihm schon Wirkungen verborgener geistiger Mächte. Sichtbares und Unsichtbares sind ihm nichts durchaus Getrenntes, sondern die beiden Seiten der gleichen Sache, vgl. S. 1. Sinnenwelt und übersinnliche Welt sind dem Primitiven zwei parallele Linien, die nicht nur nebeneinander her- {127} laufen, sondern die in mannigfaltiger Wechselwirkung stehen und voneinander abhängig sind. Das äußere Geschehen ist Auswirkung geistiger Mächte, und diese wiederum können von der äußeren Welt her beeindruckt werden. Und der Weg, auf dem der Primitive zu dieser Haltung kommt, ist nicht das Denken, weder „prälogisches“ (Levy-Brühl) noch solches in unseren Kategorien, sondern Glauben.

Zum Wesen des Glaubens aber gehört auch auf der Stufe des Primitiven – und hier vielleicht erst recht –, daß er nicht zu ergründen ist; man kann ihn nur beobachten. So müssen wir uns schon jetzt sagen, daß wir bei Beurteilung von Wesen und Entstehungsweise dieses Glaubens nicht bis in die letzten Gründe werden vorstoßen können. Schon an vielen Stellen zeigte uns schon das Vorhergehende Objekte und Akte dieses Glaubens. Es bleibt uns nun vor allem, diese zerstreuten Beobachtungen unter bestimmten Gesichtspunkten zu ordnen. Diese Gruppierungen nimmt zwar der Eingeborene selbst nicht vor; er gibt nur weiter, was ererbt oder ihm aus gewissen Erfahrungen seines Lebens als nötig und folgerichtig erschienen ist. Die im folgenden angewandte Disposition ist europäisches Hilfsmittel, um die verwirrende Fülle kameruner religiöser Erscheinungen und Gebräuche zu überschauen.

Zunächst aber suchen wir noch Antwort auf die Frage: Hat nun der Kameruner – dem Primitiven soll ja das Abstrakte ganz fremd sein – die Möglichkeit, die geistige Tätigkeit des Glaubens auszudrücken? Ich beschränke mich in der Antwort auf die beiden Sprachen, in denen wir bislang in Kamerun unseren Auftrag auszurichten haben.

Im Duala und den Nachbarsprachen ähnlich haben wir das Zeitwort dubä mit der Bedeutung „sich vor jemand oder etwas in Acht nehmen, weil es einem überlegen ist“. So sagt man etwa: „Das Haumesser dubä nicht das Gras, aber den Stein“, es kann also mit dem Gras machen, was es will, nicht aber mit dem Stein; „Die Dorfbewohner dubä ihren Vorsteher“, d. h. sie ordnen sich ihm unter, achten ihn als ihnen überlegen. Darin ist eingeschlossen, daß sie auch sein Wort achten und befolgen. Indem sie so seine ihm gebührende Überordnung anerkennen (assensus) und seinem Worte „glauben“ und gehorsam sind und ihm „vertrauen“ (fiducia), „ehren“ sie ihn. So enthält das Wort wohl alle Elemente, die wir zum Vollausdruck des christlichen Glaubens (verbum) benötigen. Dagegen hat das von dem Verb gebildete Hauptwort edube ausschließlich die Bedeutung „Ehre, Achtung“; bola moto edube „einem Menschen Ehrenbezeugung erweisen“. Statt dieses nicht ganz zureichenden Nomens hat man nun den Infinitiv djemea von emea „einwilligen, zustimmen“ genommen, so daß [d]jemea „der Glaube“ zunächst nicht wie im Deutschen zusammenfaßt die innere Haltung des Glaubenden und das objektive Glaubensgut, sondern nur erstere meint: Einwilligung und Zustimmung zum objektiv Vorhandenen. Mit djema fügt man sich also dem vom anderen Ausgeführten oder Angeordneten, weil man es für wahr oder gut hält oder man keine Ursache oder Kraft hat, sich ihm zu widersetzen oder doch es abzulehnen. Beides, dubä „glauben“ und djemea „Glaube“, ist bezogen religiös auf geistige Mächte oder die Gottheit und deshalb auch in der religiösen Sprache heimisch.

Die gleiche Bedeutung hat auch das in unserer Graslandarbeit verwendete Bali bim „zugeben, zustimmen, für wahrhalten“. Für das mehr innerliche Glaubens-, Vertrauensverhältnis sagt man: „Das Herz auf jemand stellen, setzen.“

{128} So war der Evangelist in Kamerun von Anfang an bei Unterweisung und Predigt nicht in Verlegenheit um einen Ausdruck für die geistige Einstellung, die zum Verstehen und Annehmen des Evangeliums so wichtig ist.

Was ist aber nun – abgesehen vom irdischen Objekt – der Gegenstand des kameruner Glaubens? Der Schluß des vorigen Abschnitts zeigte uns, wie seine Naturverbundenheit den Kameruner stecken ließ auf dem Weg zur Gottesverehrung; „und haben gedient dem Geschöpf mehr als dem Schöpfer“. Nicht, daß sie von ihm nichts gewußt hätten: Alle kennen ein höchstes Wesen, dem zweierlei zugeschrieben wird und das bei vielen auch mit zwei, verschiedenen Vorstellungskreisen entwachsenen Namen genannt wird: Der Schöpfer, Wirker und der letzte Richter, Rächer (sachlich: die höchste Gerechtigkeit); das ist das Letzte im kameruner Wissen und Glauben. Dem Kameruner aber liegen näher die untergeordneten, in II, B. 2 und 4 besprochenen Mächte, die Ahnen und Dämonen.

Dem Objekt des Glaubens gegenüber steht nun der Mensch, und die Frage ist: Wie sucht er auf die geglaubte Wirklichkeit einzuwirken? Wie greift die sichtbare, menschliche Linie der angedeuteten Parallele hinüber zur anderen Linie der unsichtbaren Mächte? Diese beiden Parallellinien und ihre Beziehungen zueinander sind noch zu untersuchen. Was sind die geistigen Mächte, die dem kameruner Glauben Inhalt geben? Und wie betätigt der Kameruner seinen Glauben, wie greift er in das Gebiet der übersinnlichen Mächte ein? Oder welches sind nun die religiösen Vorstellungen und welches die kultischen Gebräuche des primitiven Kameruners?

A. Der Glaube an die Beseeltheit Beseeltheit der Welt und seine Konsequenz

Ist dem Kameruner unsere sichtbare Welt nur eine Art Auspuff oder Widerspiegelung der unsichtbaren Welt62

, so ist damit gegeben, daß beide in der Schau des Primitiven eine Einheit bilden und sich damit auch seine Glaubenshaltung nicht nur auf die unsichtbare Welt bezieht, sondern auch auf die sichtbare, denn die unsichtbaren Mächte wirken sich ja in den Ereignissen, Dingen und Menschen der Sichtbarkeit aus. So ganz fremd ist ja diese Haltung auch dem aufgeklärten Europäer Europäer nicht, denn bei wie vielen schließt ihr „absoluter Materialismus Materialismus“ doch nicht Maskottchen, Talisman Talismane, Amulette und dgl. aus, auch wenn man den Glauben daran in der Theorie mit vielen Worten leugnet.

Doch wie dem auch sei: Dem Kameruner ist die ganze Welt beseelt oder doch belebt; aus dem Macht- und Seelenglauben erwächst ihm eine Ahnung vom höchsten Wesen, dem letzten Ursächer und höchsten Richter. Aber sein Denken ist so sehr weltbefangen, daß er das höchste Wesen nicht außerhalb der Welt denken kann. Diesem Glaubensobjekt eignet nicht wesenhaft Transzendenz, sondern es wächst heraus aus dieser Welt; in Objekten dieser Welt sieht er sein Gottesbild. Glauben

1. Die Beseeltheit des Mensch Menschen

Vielleicht ist dem Primitiven am Todesvorgang der Glaube an die Beseeltheit des Menschen erwachsen. Er sieht: Der Leichnam ist der Mensch selbst; aber es fehlt ihm etwas, das, was aus ihm sprach, handelte; die Triebkraft der menschlichen Maschine war mit dem letzten Atemzug weg. Also mußte sie zuvor vorhanden gewesen sein. Und er faßt nun diese „Seele“ auf als etwas, was den ganzen Körper durchwallt und das auch in den einzelnen Körperteilen, ja selbst in dem, was der Körper abgibt bzw. abgeben kann, vorhanden ist: Nägel, Haare, Blut Blut, Speichel, Haut, Schweiß, Talg, Milch, Kot, Urin, Hauch, ja im Schatten. Besitz dieser „Seele“ bedeutet Leben, ihr Verlust Tod. Darum gilt auch der große Kampf des Primitiven, sein tiefstes Ringen und Fürchten der Erhaltung dieser Lebensseele „Lebensseele“.

{129} Sind so die einzelnen Teile des Körpers beseelt, so liegt nahe zu glauben, daß auch die abgetrennten Glieder beseelt sind, und darunter am meisten, was am längsten hält, die Knochen Knochen, und besonders der Schädel Schädel, dem in manchen Stämmen sogar ein besonderer Kult geweiht ist; vgl. S. 23f. Darum nimmt auch der magische Zauber, vgl. auch Magie Zauber seine stärksten Mittel von Leichenteilen; vgl. auch was auf S. 22f. von der Beseeltheit der Toten gesagt ist. Denn auch der „lebensseelen“-lose Tote bleibt belebt, daher der Gräberkult und der Glaube, daß Wiedergänger Wiedergänger vom Grab ausgehen und der Spuk mit Verbrennen der Leiche aufhört. Der auf S. 38ff. besprochene Ahnenkult und das Medienwesen, vgl. S. 158 setzt die Beseeltheit des Toten und das Weiterexistieren als „Schatten“ voraus.

So kann wohl nicht bezweifelt werden, daß der Glaube an das Beseeltsein des Sichtbaren vorliegt. Wie lange solches Beseeltsein dauert, danach fragt der Primitive nicht. Will er solche beseelten Gegenstände wegtun – meist läßt er sie verrotten – so wirft er sie in den Wald, dieses Reich der Geister und der Beseeltheit, oder in fließendes Wasser, das mit den Gegenständen auch ihre „Seele, Macht“ wegträgt. Für die Lebenden existieren die Ahnengeister, solange man ihnen auf Erden dient oder sie in wilden Tieren wesend fürchtet. Von bösen Verstorbenen nimmt man an, daß sie in der jenseitigen Welt zu Staub zerstoßen als Termitenhügel aus dem Boden wachsen oder daß sie im Hades abgewiesen als böse Tiere im Wald erscheinen und mit ihnen ihr Ende finden. Darin waltet schon eine letzte Gerechtigkeit. Die Schatten, die in den Hades eingehen, stehen dort im Verhältnis zum Ahnengott, vgl. S. 143, wie die Sippenglieder zum Sippenvorsteher. Es wird zwar nichts weiter von diesem Verhältnis ausgesagt, als daß die Ahnen die Vermittler zwischen den Lebendigen und der Ahnengottheit sind, die selbst für die Lebenden unerreichbar ist. Es liegt hier also eine Parallele zum Heiligenglauben der katholischen Kirche vor. Die Ahnen (ob des Blutes oder des Glaubens) sind Mittler. Mensch

2. Die Beseeltheit der Natur

Auf S. 123 wurde der Mensch im Schöpfungsverband gezeigt in seiner Verbundenheit mit Tier, -reich Tier und Pflanze, -nreich Pflanze; denn fällt ihm die sichtbare und die unsichtbare Welt zu einer zweiseitigen Einheit zusammen, so konnte der Grenzgraben zwischen den verschiedenen Naturreichen nicht allzutief gefühlt werden. Zwar ist dieser Graben nicht ganz verwischt; das Tier ist keine Person; das wurde auf S. 121f. schon an den Nominalklassen der Sprachen gezeigt; aber auch die Namen für Pflanzen, besonders Bäumen, sind in einer anderen Klasse als die der Tiere. So ist also neben einer gewissen Verschwommenheit und [einem] Zusammenfließen doch die Einzigartigkeit und Einzigkeit des Menschen gewahrt. Immerhin geht die Einheit von Tier und Mensch so eng zusammen, daß man glaubt, manche Menschen stammen von Tieren oder anderen Wesen ab, vgl. S. 53, oder ihr Vorvater habe mit einem Tierahnen einen Blutbund, vgl. S. 78 geschlossen (Totemismus) oder der Einzelne könne mit einem Einzeltier auf magische Weise solche Lebensgemeinschaft schließen, so daß ein Doppelwesen entsteht: Die Lebensseele eines Menschen kann hier hinüberwechseln in einen Tierleib ( Nagual, Nagualismus Nagualismus). Die Pflanze aber wird dem Primitiven als Machtmittel, vgl. auch Dynamismus Machtmittel (mana) gleichsam zu seinem verlängerten Arm, er wird durch das Pflanzenmittel erst zum mulondedi mulondedi „Vollmenschen“ oder mod e mba (Bakosi) „wirklichen Menschen“, der über alles verfügt und dem nichts unmöglich ist, solange diese Verbindungen intakt sind. So wird er sogar Herr über Himmelserscheinungen o. ä., z. B. Mond, einzelne Sterne, Regenbogen, Nebel, Sturm u. a.

Der Glaube, daß die Natur beseelt ist, geht soweit, daß man in mannigfacher Weise bei ihr wie bei Tier und Mensch zwischen Geschlechtern unterscheidet. Die beiden Kraterseen auf dem Manenguba heißen: der größere „Weib“, der kleinere „Mann“; aber auch sonst muß man bei vielen Bräuchen auf diese Polarität Antipolarität achten. Zum Opfer Opfer nimmt man, wenn man „erregen“ will, männliche Tiere, aber weibliche oder entmannte, wenn Friede und Ruhe gewährleistet werden soll, wie z. B. beim Eheschluß. So zerfallen auch die aus der Pflanzenwelt entnommenen Machtmittel in männliche und weibliche; diese haben weicheren Charakter, welken schnell und {130} sind milden Geschmacks, die männlichen sind rauh, hart, herbschmeckend. Man verwendet sie, je nachdem was man erreichen will. Männer sollen feurig, kampfbereit werden, Frauen mild und friedlich. Darum gibt man den kleinen Knaben Klistier Klistiere von Brennessel und den Mädchen von Melde. Frauen gebrauchen zum Spuckopfer eine milde, die Männer eine scharfe Ingwerart u. v. a. Bei Friedensschluß gebraucht man andere Drogen als bei der Ausstattung der Kriegsmannschaft oder beim Fluch Fluch.

Gewisse Machtmittel werden in Kochtöpfen vergraben ganz oder halb; ist das männliche Moment betont, so steht der Topf umgekehrt mit der Öffnung im Boden; der Topf steht mit der Öffnung oben und ist mit Stein oder Holz verdeckt, wenn weibliche Wirkungen beabsichtigt sind. Freilich liegt nicht in jedem Fall die Absicht der Darstellung vor, wo aber beide Arbeiten beisammenstehen, liegt diese Idee vor.

Auch bei Stöcken, den Emblemen von Bünden, kommt häufig diese Idee zur Darstellung: Läuft das obere Ende spitz zu und unterhalb der Spitze läuft eine Rille um den Stock, so ist das eine phallische Figur. Mit runder Spitze und zwei Parallelrillen etwa 2 Zoll darunter symbolisiert [er] eine weibliche Figur. Häufig aber sind diese Figuren auch körperlich dargestellt, sowohl an Stöcken als auch als besondere Figuren, z T. in Lebensgröße, z. T. klein, um [in] der Tasche getragen zu werden. Bis in die Arbeitsteilung Arbeitsteilung zwischen beiden Geschlechtern ragt dieser Gedanke hinein63. Pflanze, -nreich

a. Die Beseeltheit des Tieres

(1)  Totemismus Totemismus

In seinem Aufsatz „Totemismus in Afrika“ (Zeitschrift für Ethnologie 1915, S. ---) definiert B. Ankermann den Totemismus als „der Glaube, daß zwischen einer Gruppe von Blutsverwandten (Sippe) und einer Gattung von Tieren, Pflanzen und anderen Gegenständen ein spezifisches ewiges Verhältnis besteht, das zuweilen, aber nicht immer, als Verwandtschaft Verwandtschaft aufgefaßt wird und beiden Teilen gewisse Verpflichtungen auferlegt“. Im Unterschied zu diesem Sozialtotemismus bezeichnet G. van der Leeuw in seiner „Phänomenologie der Religion“, S. 60 den Nagualismus64 als Individualtotemismus, wo ein Einzelner für sich einen magischen Bund mit einem einzelnen Tier schließt zu dem Zweck, seine Lebensseele in diesem Tierindividuum zu deponieren und so eine nur durch den Tod lösliche Einheit (zwei Leiber und eine Seele) zu schaffen, die dem Menschen des Tieres Kraft und Geschicklichkeit verleiht. Diese beiden Arten von Totemismus kommen in Kamerun in einer schier unentwirrbaren Fülle vor und sind der Hauptnährboden des so tief gewurzelten Hexenglaubens.

Unter den Bakosi zwischen Mongozug, Kupe und Manenguba ist der Glaube an nyo (Bakosi) Schlange nyo (Bantu: nyoku) Schlange „Schlange“ heimisch. Es ist aber nicht eine natürliche Schlange, sondern eine magische Vorstellung, die parallel der Staffelung des Stammes gedacht wird. Die große nyo haust auf dem Kupe, einem 2070 m hohen Berg in der Bakosi-Landschaft. In ihr sind gleichsam die Stammeskräfte verkörpert; daher man auch den Kupe den alin de mbuog „Wurzelstock der Heimat Heimat“ nennt. Jede der fünf großen Bakosi-Sippen hat nun wieder einen nyo für sich, die in einem See, einem Berg, einem Dickicht o. ä. ihres Gebietes wohnend gedacht wird. Jedes Dorf wiederum hat seine nyo, inkorporiert in einem Dickicht mit feuchtem Untergrund oder einem Baumriesen, besonders Wollbaum o. ä., und zuletzt hat jede Sippe ihre nyo und zwar als einen etwa zwei faustdicken länglichrunden Geröllstein, der vor dem Kulthaus, auf dem Ahnenkultplatz oder im Hof mit anderen Steinen zusammen unter einem Kraftmittelstrauch liegt. In dieser nyo glaubt man die magische Kraft der Familie, Sippe des Dorfes und Stammes gewährleistet. Unsichtbar ist eine nyo mit der nächsthöheren verbunden. Ein Verstoß gegen diese nyo oder eine ihr geltende Tabu-Regel zieht Verderben auf die durch sie geschützte Einheit herab. Man sagt nicht, diese Schlange selbst sei der Ahnherr, wenn es auch oft scheint, als sei sie die Verkörperung des Ahnengeistes, wie das im früheren Germanien der Fall war. Jedenfalls ist es das dem Stamm verbundene Tier, obwohl kein allgemeiner Schlangenkult geübt wird. Doch hat man nicht nur wie bei anderen Kameruner Stämmen ein eigenartiges Grauen vor Schlangen, das sich mit physischer Furcht allein nicht erklären läßt, sondern man bringt der magischen Schlange auch Opfer dar {131} und glaubt, daß sie Frevler magischerweise verschlinge, die dann unrettbar zugrunde gehen müssen.

Neben diesem allgemeinen Glauben gibt es dort aber auch gewisse Sippen, die bestimmte Tiere nicht essen; man weiß nicht recht warum, hält aber das Tabu streng; bei den einen ist es eine Antilopenart, bei anderen der Leopard oder Stachelschwein o. ä. Es sind das für die betreffenden Sippen Totemtiere, durch beyia (von ia, Bantu ..ika „sich enthalten“) „Tabu-Regeln“ geschützt.

Neben diesen für immer geltenden, Totemtiere schützenden beyia gibt es aber auch solche, die nur bestimmten Gruppen und auch oft nur für beschränkte Zeit auferlegt sind, so wenn z. B. in manchen Stämmen allgemein den Frauen das Essen von Hühnern und einigen anderen Fleischarten verboten ist, oder wenn hoffende Frauen (oft auch ihre Männer) gewisse Tiere, Vögel und Fische nicht genießen dürfen; oder wenn der Medizinmann bei manchen Krankheiten den Genuß von bestimmtem Fleisch untersagt u. ä. Es gibt Leute, besonders Jäger, die essen gewisse Wildarten nicht, weil es „Menschen“ seien; andere essen von gewissen Exemplaren nicht, weil ihr „zweites Gesicht“ ihnen zeigte, daß gerade das Menschen seien. Mögen die Leute auch mancherlei, oft rationalistisch anmutende Erklärungen für solche beyia haben, immer liegt der Glaube vor, daß zwischen Mensch und Tier bestimmte unsichtbare Fäden geknüpft sind oder werden, die ihre Wirkung haben und deren Übertreten sich am Frevler rächt.

Darum ist es ja auch nötig, daß sich der Töter eines Tieres, dem das Herz zufällt, gleichsam bei dem Tiere entschuldigt: er spaltet das Herz und spuckt hinein; poma „Hauch und Speichel, oft vermischt mit zerkauten Ingwerkörnern auf oder gegen jemand oder etwas ausspucken als Sühne und Abwehropfer“, vgl. S. 154.

Viel Kannabalismus ist sicherlich auf Fleischmangel zurückzuführen, besonders wo man auch Sippengenossen verzehrt. Sonstwo und besonders, wo man nicht den ganzen Menschen auffrißt, sondern etwa nur das Blut Blut des Getöteten am Haumesser ableckt (wie es die Krieger im Grasland taten und später sich wieder durch Brechmittel davon reinigten) oder wo man gewisse Körperteile mit Tierfleisch vermischt, um so den Ekel zu überwinden, aber liegt der Menschenfresserei der Gedanke zugrunde, sich durch den Genuß des Fleisches oder Blutes in den Besitz der Lebenskraft eines anderen zu bringen oder sie einem Abgeschiedenen darzubringen wie beim Kriegsopfer motio auf S. 12.

Auf der Vorstellung, daß man durch Menschenfresserei sich die Lebensseele eines anderen aneignen kann, beruht in Kamerun auch die Vorstellung, daß eine Hexe „einen Menschen frißt“, d. h. sich seine Lebensseele aneignet. Dieses magische „Menschenfressen“ liegt den meisten Vorwürfen des Kannibalismus in Kamerun zugrunde. Totemismus

(2)  Nagual, Nagualismus Nagualismus

Neben diesem Totemglauben ist in Kamerun vielmehr verbreitet der sogenannte Individualtotemismus oder Nagualismus (von einem indianischen Wort). Durch einen besonders ausgerüsteten nganga nganga „Wissenden“ läßt sich ein Geheimkultmitglied mittels der nötigen Machtmittel die Verbindung mit einem Tier herstellen. Man erklärt das in Kamerun so: Ein kleines Etwas, wie ein runder Stein, wird vom Wissenden geschaffen, mit bestimmten Kräuterabsuden beträufelt und dem Anwärter zum Verschlucken gegeben. Der gleiche Absud wird diesem in die Augen, in die Kniekehlen und Ellenbeugen geträufelt. Dadurch soll er Augen, vier „vier Augen“, d. h. eine Art zweites Gesicht bekommen; er kann nun in die unsinnliche Welt und besonders die magische Tierwelt schauen und unterscheiden, ob ein Wild ein reales oder ein „Seelentier“ ist. An den Gliedmaßen aber bewirkt der Absud, daß seinem „Ich“ die Fähigkeiten des betreffenden Tieres eignen sollen. Dieses Machtmittel muß nun der Betreffende bei all seinen geheimen Handlungen anwenden. Will der so mit magischen Kräften Ausgerüstete als Tier ausgehen, so erbricht er den verschluckten „Brocken“, d. h. aber seine Hexenseele, legt ihn auf ein Blatt auf dem Boden, träufelt vom dazugehörigen Machtmittel darauf, und der Brocken wächst sich aus zum Krokodil, Elefanten, Leoparden oder was sonst sich der Betreffende als Seelentier65 hat anfertigen lassen. Nun kann das „Tier“ ausgehen, der Mensch liegt in seiner Hütte und schläft, ist aber auch durch einen magischen Strick mit seinem Tier verbunden. Hat das Tier seinen Auftrag ausgeführt, so kehrt es hinter die Hütte des Menschen zurück, der nun mittels seiner {132} Medizin Medizin die umgekehrte Prozedur vollführt und zuletzt den „Brocken“ wieder verschluckt.

Oder der Wissende verbindet seinen Klienten auf Leben und Tod mit einem bestimmten Tier im Wald. Die Seele des so Befähigten verläßt den schlafenden Körper, geht ein in die Tierhülle im Wald und führt des Menschen Absichten aus.

Die so hergestellte Verbindung zwischen Tier und Mensch Mensch ist so groß, daß, was dem einen zustößt, auch der andere erleidet, es ist ja nur eine Lebensseele. Ein hinkender Alter im Dorf nach seinem Leiden gefragt antwortete: „Mein Elefant im Wald hat einen Schuß in den Schenkel bekommen, das Geschoß steckt noch drin; darum habe ich die Schmerzen im Bein.“ Der Tod des Tieres im Wald ist der Tod des Menschen zu Hause. Nur wenn es gelingt, bald nach des Tieres Tod ein Stück von ihm zu erhalten, kann man sich durch einen nganga ein „neues Tier“ machen lassen und entgeht so dem drohenden Schicksal.

Damit der Jäger nicht auf solches Seelentier schießt und damit einen Menschen tötet oder doch verletzt, gibt ihm das Tier ein Zeichen: Ein Wer-Elefant soll den rechten Vorderfuß heben u. ä. Dazu ist aber nötig, daß der Jäger „vier Augen“ und damit die Fähigkeit hat, in die magische Tierwelt, die Welt des Unsinnlichen zu sehen. Das nötigt den Jäger, auch Totemist zu werden, d. h. in einen Geheimbund einzutreten, denn dort übt man diese magischen Künste. Benützt er aber diese magische Kunst als schwarze Kunst, d. h. wird er Schädling an der Gruppe, so wird sie als Hexerei Hexerei mit dem Ordal belegt, vgl. S. ---.

Dem Totemtier ist kein besonderer Opfer- oder ähnlicher Kult, Kultbund (vgl. auch Ahnenkult und Geheimbünde) Kult gewidmet, der Mensch ist ja nicht von seinem Tier abhängig, sondern „besitzt“ es und kann es gebrauchen. Darum kennt der Totem- oder Nagualismus auch keine besonderen Riten außer den im Kultbund geübten. Ist einer einmal mit seinem Tier verbunden, so muß er nur gewisse Enthaltungs- oder Verhaltungsmaßregeln beobachten, will er nicht durch seine okkulte Kunst selbst zu Schaden kommen oder gar den Tod finden.

Diese Vorstellung, die den Menschen als ein Doppelwesen auffaßt, das zugleich an verschiedenen Orten sein kann (er schläft in der Hütte und treibt als Krokodil sein Unwesen im Fluß, er ruht im Haus und gesellt sich im Wald zu einer Herde Wildschweine als ihresgleichen u. ä.,) ist weit über die Grenzen Kameruns verbreitet. Darin fühlt man den Unterschied zwischen Mensch und Tier nicht recht; des Menschen Seele kann ja zwischen Menschen- und Tierleib wechseln. Damit empfindet sich aber der Mensch als über die Grenzen des Menschentums erhoben; was der ekale ekale-Tänzer im Geheimbund darstellen will in künstlicher Weise: den Dämon Dämon, das lebt der nagualistische Jäger im Wald. Hier erlebt der Primitive eine Art Selbstvergottung.

Wer im Kultbund diese Stufe erreicht hat, ist bei den Genossen angesehen und von den Außenstehenden geehrt und gefürchtet. Es ist alles gut, solange er im Ruf steht, daß er seine Kunst als weiße Magie Magie zu[m] Nutz[en] der Gruppe treibt. Kommt er aber in den Verdacht, daß er Neiding ist und seine Macht auf Kosten der anderen in der Gruppe eigensüchtig mehrt, daß er als Hexe „Menschen frißt“, vgl. S. 131, so muß er ausgemerzt werden, vgl. Ordale S. 133.

Gegen den als Hexe Verschrieenen ist die primitive Gesellschaft unnachsichtig, denn sie selbst kennt ja auch nichts Geschütztes; mulemba a mada mun’ ao mene „der Hexerich frißt sein eigen[es] Kind“; darum rettet den als Hexe Nachgewiesenen auch keine Verwandtschaft Verwandtschaft. Und die Doppelseitigkeit der Weltanschauung bringt es mit sich, daß der Aufnahme in einen Kultbund durch Leistung von Einzahlungen, vgl. S. 52, 56, 58, parallel geht die Aufnahme in einen Geheimbund der unsinnlichen Welt durch „Einzahlung“ eines nahen Verwandten, dessen Lebensseele der Anwärter verschaffen muß; und will er höhere Grade erreichen, so muß er auch mehr leisten. So muß ein solcher Angesehener nur durch etwas unbeliebt werden, und die Anklage auf „Menschenfresserei“ ist in aller Munde; vgl. S. 53. Immerhin leisten die nagualistischen Hexen Hexen auch etwas für die Gemeinschaft, aber es gibt daneben noch Hexen, die nur auf Verderb sinnen. Man traut zunächst niemandem zu, daß er willentlich und absichtlich solche Hexe im wahrsten Sinne des Wortes wird; man ererbt diese Fähigkeit entweder {133} oder zieht sie sich durch eine Unachtsamkeit zu, oder man läßt sich durch die oben beschriebenen Fähigkeiten verleiten, seine nagualistischen Kräfte als schwarze Magie unerlaubterweise zu gebrauchen.

In einer besonderen Weise tritt uns die Verbindung zwischen Mensch und Tier noch entgegen im Gebrauch der Vogelspinne Vogelspinne als Orakel Orakel. Dieses haarige Insekt wohnt in Erdlöchern, hat also nach kameruner Vorstellung Verbindung mit der Unterwelt der Geister und Teil an ihrem Wissen. Darum wird sie besonders dort, wo der Ahnenkult in Blüte steht, als Orakeltier gehegt und gebraucht, vgl. S. Tier, -reich 138f. Nagual, Nagualismus

b. Die Beseeltheit der Pflanze, -nreich Pflanze

Auf S. 124f. wurde hingewiesen, wie sich in Kamerun der Mensch mit der Pflanze verbunden fühlt, beide als Glieder der einen Schöpfung. Dieses Gefühl der Einheit ist möglich, weil auch Baum Baum und Pflanze draußen im Feld und Wald als beseelt geglaubt werden. Vor allem ist es der Baum, der als beseelt gilt; die Bäume sind in besonderer Nominalklasse zusammengeschlossen als etwas Besonderes. Im Baum fühlt man eine Macht, vermöge deren er sich zur Bereitung von „Machtmitteln“ (ethnologisch wird das aus dem Melanesischen stammende Wort mana gebraucht) eignet; vgl. das auf S. 125 über Baumkult Gesagte. Wie dort wird auch die Rinde anderer Bäume zur Bereitung von Drogen und anderen „Medizinen“ gebraucht. Freilich benützt man auch Kräuter zu solchen Mitteln, der Grundstock aber ist die Baumrinde oder -wurzel; daher heißen in vielen kameruner Sprachen solche aus Pflanzenstoffen bereiteten Mittel mit einem Namen vom gleichen Stamm wie „Baum“, wie auch in Duala male „ein Machtmittel als sachlicher Schwur bei Bundesschluß und dgl.“ mit bwele „Baum“ gleichen Stammes ist. Abgesehen von einigen allgemein bekannten Hausmitteln weiß nur der nganga die in Bäumen und anderen Pflanzen u. ä. schlummernden Kräfte zur Erhöhung der eigenen Kräfte und zum Schutz vor feindlichen Mächten zu gebrauchen; der n-ganga bereitet bw-anga „Machtmittel“, beides vom Wortstamm -kanga. Daß die meisten kameruner Heilmittel pflanzliche Drogen sind, ist untergeordnet; wichtig ist, daß sie von magischen Kräften erfüllt sind, die äußerlich und innerlich, offiziell und magisch, privat und kultisch angewendet werden. Nur muß es in der rechten Weise geschehen durch den nganga „Wissenden“ oder mot’ a bwanga Medizinmann „Medizinmann“.

Als besonders mana-geladen gelten gewisse Pflanzen, die sich die einzelnen Kultbünde als ihr „Kraut“ erwählt haben. Mit solchem Kraut heilt und schadet der Bund und gebraucht es ähnlich wie eine europäische Behörde ihr Amtssiegel.

Als Ordale (Gottesgericht) Ordal wurden auch Pflanzen oder Pflanzenteile genommen; es waren natürlich starke Gifte; doch nicht das Gift war es, das ihnen zum Ansehen verhalf, sondern man schrieb der betreffenden Pflanze die Fähigkeit zu, die Wahrheit ans Licht zu bringen, indem nach Genuß des Tranks ein Schuldiger betäubt wurde und dann zu Tode gebracht werden konnte, während ein Unschuldiger den Gifttrank wieder erbrach, ohne Schaden genommen zu haben. Die Pflanze konnte nur darum diesen Entscheid fällen, weil sie beseelt war und nicht als Pflanzengift, sondern als Machtmittel wirkte. In den meisten Gegenden Kameruns benützte man zu solchem kwa-Trinken die Wurzelrinde des Erythrophloeum guineese, gegen die nigerianische Grenze den Kern der Kalabarbohne Physostigman venenosum, vgl. auch die auf S. 24a beschriebenen Pflanze, -nreich Ordalien. Lebensseele

c. Die Beseeltheit der anorganischen Natur

Dort, wo man Ein- und Ausgangstor zu oder von der Unterwelt vermutet, ob es nun das Meer, ein See, der Wald, ein Berg, ein Hain ist, glaubt man dem Bereich der Ahnenschatten und überhaupt der übersinnlichen Welt {134} nahe zu sein. Dort ist alles beseelt, belebt, machtgeladen. Daneben glaubt man aber auch alle anderen auffälligen Wasser von besonderen Wesen, Nixen und Nymphen vergleichbar, belebt, vgl. die auf S. 53 ff. beschriebenen mengu. In Verkehr mit Menschen erscheinen sie weiblichen Geschlechts, für sich aber leben sie unter Wasser wie eine Sippe zusammen. Es gibt in Kamerun keinen See, keine Schlucht, um die nicht Geister weben, die nicht mystisch belebt sind, von denen man sich nichts Geheimnisvolles erzählt. Und ähnlich ist’s mit Bergen und großen Felsen; sie sind belebt. Kurz unterhalb des Dorfes Mbulä, Bakosi-Landschaft, liegt oberhalb eines Wasserfalls ein erratischer Block neben dem Weg. Im Dorf oberhalb des Felsens weiß man, daß in dem Felsen eine alte Frau west, die die von Gott aus Lehm geschaffenen und an der Luft getrockneten Kindlein vorübergehenden Frauen in den Leib „schießt“, so daß sie in Hoffnung kommen. Und wo gar Berg und See zusammenfallen, wie z. B. bei den Kraterseen auf dem Manenguba, vgl. S. 129, da muß es nicht wundernehmen, wenn dazu auch Geistwesen gehören, denen am Kraterrand auf einem Naturaltar, einem Findling, ala de ngum Stein „Stein der sieghaften Kraft“ genannt, alljährlich geopfert wird und wo man Orakel entgegennimmt.

Aber auch sonst gibt es in der anorganischen Natur Gegenstände, die des Eingeborenen Phantasie belebt denkt. Die bis zu 60 cm hohen, kelchartig schön geformten Bauten der Termiten sind den Kamerunern vernichtete Schattengeister, vgl. S. 129; andererseits kann sich ein mulondedi mulondedi in einen solchen Termitenbau verwandeln, um so unerkannt seinem Verfolger zu entgehen. Kein Wunder, daß man solche Machtmittel gelegentlich zur Stärkung seiner „Macht“ in die Nähe seines Hauses legt.

Der Ort, wo ein Blitz Blitz in den Boden geschlagen hat, ist tabu und kann nur durch einen nganga mittels Magie für gewöhnliche Menschen wieder zugänglich gemacht werden. Dabei gräbt der nganga den „Blitzstein“ aus und benützt ihn zerrieben zur Stärkung seiner Machtmittel.

Der Hausbauer macht seinen Hausplatz, der Ackerbauer sein Feld mit Machtmitteln fest; denn der Boden ist von kleinen Wesen besungu ba bato „Menschenstöpseln“ belebt, die wie Wichtelmännchen geheimnisvoll für den Besitzer fördernd und gefahrabwendend wirken, wenn sie durch das Machtmittel in des Menschen Besitz gebannt sind.

Daß Erscheinungen wie Regenbogen, gerötete Wolken, Blitz und Donner, der Mond Mond, die alle schnell oder weniger schnell aus der Unsichtbarkeit in die Sinnwelt auftauchen und wieder verschwinden, daß Sterne, besonders Sternschnuppen, Kometen u. ä. als belebt, beseelt gelten, ist nach dem Vorstehenden nur folgerichtig. Daß sich aber auch um sie nagualistischer Glaube schlingt, ist weniger bekannt. Besonders im Süden Kameruns zeigt das Erscheinen der Sterngruppe um den Orion an, daß es Zeit zur Feldbestellung ist. Diese Sternbilder sind aber nicht nur Zeichen, sondern gehören auch als Machtmittel zu einem gedeihlichen Beginn des Pflanzens.

Die Menstruation einer Frau drücken die Bakwiri aus [mit:] A ene ngonde „Sie sieht (besucht) den Mond“. Und ist ein Kind geboren, so zeigt ihm die Mutter den ersten neuen Mond und sagt: Sieh, dies ist dein Großvater! Ist das nun eine Art Vergottung des Mondes, oder ist der Mond nicht vielmehr Nagual, mit dem eine Ahnfrau Verbindung hatte?

So ist dem Kameruner die ganze Natur – organische und anorganische – auf geheimnisvolle Weise mit Kräften belebt, mit Wesen beseelt, die er ehrfürchtig behandelt und deren „Gesetze“ er hält. Sie gehören aber nicht zur Linie, die zum Schöpfer hinführt, sondern ihr Dienst öffnet okkulten Mächten die Tür zu den Herzen.

d.  Vorzeichen Vorzeichen und Unglückszeichen

Ist die ganze organische und anorganische Natur belebt, so wundert uns nicht, daß sich das primitive Gemüt durch sie angesprochen fühlt. Die geheimnisvolle Macht des Unsinnlichen, die in der Natur webt und west, gibt dem Menschen Zeichen zu seiner Leitung oder zu seinem Schrecken und zwar durch Boten, etwa Schlangen, Vögel, Bienen o. ä., die sie sendet. Der Primitive kann sich nicht vorstellen, woher diese Geschöpfe {135} plötzlich auftauchen und meint, sie treten geheimnisvoll aus dem Reich übersinnlicher Mächte ins menschliche Blickfeld. Denn wie der kultische Geheimbund oder nach primitiver Meinung vielmehr sein Dämon einem in der Nacht ein Zeichen vor die Tür legt, etwa um anzuzeigen, daß der Hausbewohner etwas mit ihm zu ordnen hat, so tun es die geheimen Mächte aus der übersinnlichen Welt auch.

Man kennt einmal neutrale Zeichen, genannt edidi, pl. bedidi Vorzeichen „Vorzeichen“, etwa Vögel oder andere Tiere, die, je nachdem sie von rechts nach links oder umgekehrt oder von hinten nach vorne fliegen oder kriechen, ob der Vogel Vogel rechts oder links vom Weg pfeift oder ein Tier schreit, anzeigen, ob der Ausgang Erfolg oder Mißerfolg bringt, ob Glück oder Schaden des Wandernden wartet. Die ums Ohr summende Biene ist ein Herold des kommenden Gastfreundes. Ein sehr wichtiges Zeichen wird dem Menschen auch durch seinen Fuß [gegeben]. Stolpert ein Mann beim Ausgang rechts, so bedeutet das Glück; stolpert er links, so kehrt er vor drohendem Unheil um. In manchen Gegenden gilt der Frau gerade das umgekehrte Zeichen. Geht einer in den Wald, um das auf S. 133 genannte Ordalmittel Erythrophloeum guineese zu holen, so muß er die Pflanze aus dem Boden ziehen. Reißt die Wurzel ab und er fällt auf den Rücken, so ist ihm das ein Zeichen, daß ihm das Ordale (Gottesgericht) Ordaltrinken schlecht bekommen wird; gelingt es ihm stehend die Wurzel aus dem Boden zu ziehen, so wird er dem Gifttrunk mit Zuversicht entgegensehen. Denn in solchem Zeichen schatten sich die von geheimnisvollen Kräften geleiteten Ereignisse im Voraus ab. Die Zeichen sind Signale unsichtbarer Mächte, die nicht nur die Zeichen leiten, sondern auch die Sache selbst.

Nun weiß man aber nicht nur von solchen harmlosen Vorzeichen; andere zeigen dem Menschen an, daß es mit seiner Lebensseele schlecht bestellt, sie in Schwachheits-, Gefahrenzustand geraten ist. Es sind bedim „Unglückszeichen“, vgl. S. 20f. Nach europäischem Ausdruck zeigen sie kommendes Unglück an; nach kameruner Anschauung aber wollen sie sagen: dadurch, daß deiner Lebensseele magischerweise ein Schaden zugestoßen oder sie gar abhanden gekommen ist, ist die mystische Vorbedingung für eintretendes Verhängnis erfüllt. Auch hier sind die Anzeichen mannigfaltig. Sieht man ein Nachttier (Fledermaus, gewisse Raubtiere, große Tausendfüße u. ä.) am Tag oder Tagtiere, z. B. die Gottesanbeterin (daher dikele la lamba „Hexenheuschrecke“) u. ä. in der Nacht, begegnet man einem Mörder (auch Jäger von Großwild, der noch nicht entsühnt ist, vgl. S. 123f.), mißrät einem der Hieb, der des Opfertieres Kopf vom Rumpf trennen soll, vgl. S. 13, u. v. a., so wird offenbar, daß der Mensch in solch schlimmen Zustand geraten ist und zugrunde gehen muß, wenn ihm nicht der Eingriff eines nganga mit seinen magischen Mitteln und mystischen Kräften hilft und den Körper aus dem Schaden herausbringt, vgl. Note zu S. 40.

Eulen- und Ziegenmelkerrufe auf einem Dach oder Baum in der Nähe eines Gehöftes sind Zeichen einer Hexenversammlung. Will man nicht unangenehmen nächtlichen Besuch haben, so muß man in den Vögeln die Hexen verjagen. Sitzt eine solche Gruppe auf einem Baum zusammen, so schießt man in die Krone oder legt unter dem Baum ein Feuer an und verbrennt Pfeffer und andere Drogen, die beißenden Rauch erzeugen. Der Schuß schreckt, der Rauch reizt zum Husten. Dadurch sollen die Hexenmenschen durch einen Herzschlag oder an der Schwindsucht zugrunde gehen.

Nicht nur die Primitiven Afrikas und die Völker des Altertums achten oder achteten auf solche Vorzeichen, auch unter hochkultivierten Völkern der Neuzeit glauben viele ihnen Aufmerksamkeit schenken zu müssen: Wer ist der Erste, der einem begegnet: alte Frau oder Kind? Wer läuft über den Weg: Hase oder Katze? Kreuzt eine Schafherde von rechts oder links den Weg? Und welche Rolle spielt bei vielen die Zahl 13 oder der Freitag!

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3. Die praktische Verwertung der beseelten Mittel

Glaubt man an die Beseeltheit der vorstehend genannten Mittel, so liegt nah, daß man sie zur Mehrung seiner eigenen Macht benützt. Was dem modernen Menschen Waffen sind, das sind dem Primitiven solche aus beseelten Dingen vom nganga hergestellte Machtmittel. Dies sind auch die Dinge der heidnischen Religion, die dem Fremden am ehesten auffallen, obwohl manche von ihnen geheimgehalten, zum Teil vergraben werden müssen. Zumeist wird nicht ein einzelnes Mittel verwendet, sondern eine Kombination verschiedener, und wäre es etwa ein als Talisman getragener Ring, nur mit einem Pflanzenabsud oder mit Blut abgewaschen oder darin gekocht. Alle diese Mittel sind bwanga Medizin „Medizin“, vgl. S. 170, 133, und haben, eingeschlossen die von uns als wirkliche Heilmedizin angesehenen, den Doppelzweck: Glück und Förderung zu bringen und Schaden und Verderben abzuwenden. Wir besprechen diese Mittel in vier Gruppen; der Mittel selbst aber sind Legion.

a.  Talisman Talismane und Amulette

Talismane sind einfache Gegenstände, die am menschlichen Körper getragen werden, etwa Armringe (magische Fingerringe sind erst durch die Hausa-Händler in Kamerun eingeführt oder werden aus Europa bezogen) oder Baumrindenstücke, Schoten von Ingwerarten (mbongolo, eine mildere Art für Frauen; ndong’ a munda, eine scharfe Art für Männer), Schenkelknöchlein von Zwergantilopen und Schildkröten, Hörnchen von Antilopen u. a. Sie werden am Hand-, Hüft- oder Fußgelenk, an Schnüren um Hals, Brust oder Hüfte oder auch in der Schultertasche der Männer getragen; ja zum Teil werden sie in die Haut eingeritzt. Solcher Talisman wirkt auch auf die Umgebung ein, stimmt das Gegenüber milde oder macht es willfährig oder schlägt einen Gegner mit Blindheit oder Starrheit, den Träger selbst aber kann es unsichtbar machen oder ihn geheimnisvoll verschwinden lassen. Hierher gehören auch die kleineren Embleme der kultischen Geheimbünde vgl. S. 49, 140.

Von den Talismanen unterscheiden sich die Amulette nicht wesentlich, nur sind sie aus mehreren Mitteln kombiniert. Ein Teil von ihnen ist in Beutelchen eingenäht oder in eine Kaurimuschel o. ä. eingepreßt, vgl. esisa auf S. 72. Sie werden z. T. auch wie Talismane getragen. Sie enthalten vielfach Haare, Nägel, Zähne, Klauen, Federn und andere Teile menschlichen oder tierischen Körpers, dazu Pflanzenteile und sind deshalb Träger von Lebenskraft und machthaltig. Sie sind, besonders wo sie an Häusern, Äckern, Wegkreuzungen, Dorfeingängen angebracht sind, oft zu einem Strauß zusammengebunden oder in einem Topf vergraben, vgl. auch mbonde beim elielie auf S. 158. Ihr Grundelement haben diese Amulette von Bäumen, vgl. S. 133. Auf Kreuzwegen, Dorfeingängen, Äckern, aber auch unter den Feuerstätten und Türschwellen werden solche kombinierten Machtmittel vergraben, um die Naturmacht des Bodens zu bändigen und böse Einflüsse aus anderen Gegenden abzuhalten. Regenmacher und -vertreiber und Kultbünde haben sie an einen Stock gebunden und schwingen sie auf ihren Gängen oder bei ihren Tänzen vor sich herum.

Da diesen letztgenannten Gegenständen oft eine gewisse Verehrung zuteil wird, indem man ihnen etwa opfert, d. h. Blut, Öl, Eier oder Pflanzenabsude über sie gießt, um ihre Macht zu erhöhen, bilden sie den Übergang zur nächsten Gruppe der

b.  Fetischismus Fetische

zu denen in gewissem Sinn auch manche der schon genannten Embleme der Geheimkult Geheimkulte gehören. Ebenso sind die Medizintöpfe schon genannt. In manchen Gegenden spielen die madale ma madale ma mbando mbando Stein „Steine des Niederdrückens, d. h. der Beruhigung“ im dörflichen Kult eine wichtige Rolle. Sie wurden schon bei Gründung des Dorfes an den Ortszugang gesetzt und sind der eigentliche Altar einer Siedlung. Der Opferdienst an ihnen hat den Zweck, die im Boden wirkenden geheimnisvollen Mächte niederzuhalten, die der Siedlung gefährlich werden können. Darum muß das Opfer Opfer immer wieder wiederholt werden, {137} wenn es sich zeigt, daß das Dorfleben in Unordnung geraten ist oder ihm eine Gefahr droht. Streit im Dorf oder Mißwachs oder Unfruchtbarkeit in Haus und Hof oder ein Unglücksfall sind Zeichen, daß schädigende Mächte der unsinnlichen Welt die Überhand gewonnen [haben] gegenüber der magischen Hilfsquelle der Siedlung, vgl. S. 130 die nyo der Bakosi; man sagt: „Das Dorf ist in Aufruhr“, meint damit aber die magische Seite der Siedlung. Durch der Sippenvorsteher Opfer bei den „Niederdrücksteinen“ werden nun die schädigenden Gewalten durch Stärkung des „Grundstocks der Heimat“ geschwächt, niedergedrückt. Man hat dabei auch die Empfindung, daß durch ungute Taten der Bewohner, durch Überhandnehmen von Hexerei, aber auch durch die vielen Toten, die im Dorf beerdigt wurden, die magischen Kräfte des Dorfes in „Aufruhr“ geraten seien, daß also eine gewisse Schuld der Bewohner vorliegt; und so wird das „Unterdrückungsopfer“ zugleich auch eine Art Sühneopfer, es soll wiedergutgemacht werden. Manchmal ist mit solchem Opfer auch eine Art Beichte der Gruppe verbunden, vgl. S. 156.

Als Fetisch sind viele Mittel der Geheimbünde anzusprechen, besonders aber auch der Stein Phallusstein, der in vielen Kulthütten vor dem Hauptpfosten im Boden steckt; allerlei Mittel, die um ihn herumliegen oder um ihn geschlungen sind, sind Zeichen und zugleich Mehrung seiner Macht. Auch an ihm wird geopfert. Wo er fehlt, gilt der Hauptpfosten selbst als solcher Fetisch und in manchem Dorf, wo Kult und Hütte zerfallen sind, ragt als einziges Überbleibsel ein solcher Hauptpfosten noch in die Luft, denn niemand wagt ihn hinwegzutun. Vielfach ist dieser Pfosten mit Machtmitteln behangen oder es sind plastische Figuren in ihn geschnitzt; vielfach ist es eine Eidechse, das Sinnbild der Zeugung und des Lebens, vgl. S. 35, oder es sind menschliche Figuren, die deutlich Zeichen an sich tragen, daß sie dem Fruchtbarkeitskult Fruchtbarkeitskult dienen.

In Bakwiri-Gehöften findet man häufig im Hof ein kleines, aus fünf harten Brettstücken errichteten Häuschen, nur etwa 60 cm hoch, darin steht eine aus Holz geschnitzte Janusfigur Janusfigur, Mann und Frau darstellend, es ist ikumu dj’ ewoka, der „Hoffetisch“ zum Schutz der ganzen Hofstatt. In der Haupthütte ist ndab’ a yowo „Viehschutzmittelhäuschen“, ein mit Mitteln gefülltes und mit allerlei Symbolen umstecktes Töpfchen, das von drei Brettern umrahmt dem Haupteingang gegenüber an der Wand vergraben und für Schutz und Gedeihen des Viehs verantwortlich ist. Eingehüllt in ein Stück Rinde hängt unterm Dach ein Ring, der auf einem Acker von nganga gefunden und unter allerlei Brauchtum eingebracht worden ist. Dieser mowondo garantiert nun die Mehrung der Sippe, während er draußen auf dem Acker sie zum Aussterben gebracht hätte. – So hat jeder Stamm seine besonderen Fetische, die mit der einzelnen Familie verwachsen scheint’s lebenskräftiger sind als die nun zu besprechenden Großfetische.

Diese Großfetische erringen immer wieder von Zeit zu Zeit ein besonderes Ansehen und Macht im Land, weil sie mit dem Anspruch auftreten, das Dorf oder die Landschaft von aller Hexerei Hexerei zu befreien und ihm damit Leben zu spenden. Sie sind nicht von den Ahnen ererbt, wie die eben besprochenen Bakwiri-Fetische u. a., sondern entstehen in einem Stamm, dessen Männer sie nun an andere Stämme und Ortschaften verkaufen66, und dort einen in die Tabu-Regeln des Großfetischs einweihen, d. h. ihn zum Priester machen. Meistens bestehen sie aus einem großen Topf, gefüllt mit Machtmitteln, oft auch nur mit Wasser; der Topf ist entweder in den Boden eingelassen oder steht auf einer Astgabel. Er ist zugedeckt oder überdacht, denn der Regen würde ihn „beruhigen“, d. h. seine Kraft mindern. Um den Topf stecken Speere und Haumesser im Boden als Zeichen seiner Gewalt über Leben und Tod; andere Mittel hängen um ihn herum. Oft liegt bei dem Topf ein Ei, das soll durch Platzen einen gerade Vorübergehenden als Hexe kennzeichnen. Beim Einführen eines solchen Großfetischs ins Dorf müssen alle Leute zu einer Art Beichte erscheinen. Durch die Dorfstraße ist ein Graben gezogen, in dem allerlei magische Mittel liegen. Die Versammlung wird nun von dem als Priester wirkenden nganga aufgefordert, vor Überschreiten des Grabens zu bekennen bekennen, ob sie böse Gedanken gegen Einzelne oder die ganze Gemeinschaft hege oder gar über Hexen- {138} kraft verfüge; wer leugne und doch schuldig sei, den werde der Großfetisch und sein Mittel, das jeder bei Übertritt über den Graben zu trinken habe, „ergreifen“, krank machen und töten. Beim Graben muß nun jedes eine in Wasser aufgelöste Droge trinken und beichten. Wer geständig ist, muß zur Seite treten und sich später durch besonderes Brauchtum von seiner „Macht“ befreien lassen und hat meist noch Sühne zu leisten. Zugleich werden die „Gesetze“, die Tabu-Regeln des Großfetischs bekannt gegeben, die nun von allen zu halten seien. Sie sind oft im Volksbewußtsein lebende, sittliche Forderungen, oft aber ist es sinnloses Zeug, das nur die Sache besonders wichtig machen will.

Solange diese Sache noch in Blüte ist, wird ein im Dorf Angeklagter vor den Fetisch gebracht und muß nun schwören schwören bei ihm, ob er sich des ihm zu Last Gelegten schuldig bekennt oder nicht. Er hat dabei ein Abzeichen des Fetischs an seinen Bauch zu halten, ans Auge oder auf den Kopf zu stellen und dabei zu sagen, der Fetisch solle ihn „ergreifen“, d. h. krank machen (meist ist an Wassersucht gedacht) oder töten, wenn es nicht so sei, wie er aussagt. Wird er nun krank, so ist erwiesen, daß ihn der Fetisch wegen seiner Lüge „gepackt“ hat. Will er wieder gesund und frei werden, so muß er sich den von Fetisch vorgeschriebenen Sühneregeln unterziehen. – Es kann aber auch einer, der krank geworden ist, in den Verdacht kommen oder gar selbst vermuten, daß er von dem Fetisch „ergriffen“ ist. Der Fetischpriester weiß dann Mittel, die ihn wieder frei machen, nachdem das Orakel den Grund festgestellt hat, warum der Betreffende „ergriffen“ worden ist.

Diese Fetische spielen auch heute noch in der eingeborenen Rechtswesen, -leben Rechtspflege ganz in den Händen der Eingeborenen eine große Rolle und sind eine beständige Versuchung auch für die Christen, wenn sie von heidnischen Richtern nicht „wegen Eidesverweigerung“ ohne weiteres für schuldig gesprochen werden wollen.

Die Macht eines Fetischs währt oft länger, oft ist sie auch nur von kurzer Dauer; in den letzten Jahrzehnten sind als Großfetische im Waldland bekannt geworden: ndjom, epuma, mfam, alem und ebasinyom.

c. Das Orakelwesen

Das angesehenste Orakelgerät des Waldgebiets ist das Schüttelorakel; es besteht aus einem Bergkristall, allerlei Knöchlein u. ä. von Tieren, Vögeln und Fischen und einem Körbchen mit 60 – 80 Schuppen vom Schuppentier, in die verschiedene Zeichen eingeschnitten sind und die von Zeit zu Zeit mit Blut Blut u. ä. gestärkt werden. Beim Orakeln legt der Wissende den Kristall als „Kopf“ des Ganzen auf den Boden; in seinem Glanz stellt der Stein das erleuchtete Gesicht dar. Drumherum finden die Knöchlein ihren Platz; sie sind aus den drei Bereichen genommen, in denen geheime Kräfte und Mächte wesen: Luft, Erde und unter der Erde. Durch Vermittlung dieser Mittel kann der Kristall in all diese, dem Menschen verschlossenen Geisterorte, die Welt des ndimsi ndimsi, leuchten und Unbekanntes und Zukünftiges kundtun. Der Orakler trägt nun dem Kristall und seinem Trabanten das Anliegen seines Klienten vor und bittet um Offenbarung Offenbarung. Darauf schüttelt er die Schuppen in dem Körbchen und schüttet sie aus. Lage und Mischung der Schuppen, deren Einschnitte ihre besondere Bedeutung haben, lassen ihn die mitgeteilte Antwort ablesen.

Noch vielerlei andere Orakelgeräte sind im Gebrauch. In ihnen allen wird deutlich, wie dem Kameruner die ganze Welt in ihren Teilen beseelt ist und wie er mittels seiner Geräte durch die unsichtbaren Mächte glaubt, Licht in das Dunkel des Lebens bringen zu können. Vor jedem Unternehmen, in jeder Notlage, in Krankheits- und Todesfällen zieht er das Orakel zu Rate, um Antwort auf die ihn bedrängenden Fragen zu bekommen.

Daß auch die Vogelspinne Vogelspinne als Orakel Orakel gebraucht wird, ist auf S. 133 erwähnt. Sie lebt in einem Loch [in] der Erde; vor ihrem Erdloch wird sie auf zweierlei Art befragt. Die kompliziertere Art ist: Man legt Blätter {139} des Baumes Pachylobus edulis, in die ähnliche Figuren geschnitten sind wie oben in die Schuppen, am Abend vor das Loch des Insekts, nachdem man ihm den Fall vorgetragen und es gebeten hat, die Antwort in der Nacht zu geben. Am nächsten Morgen liest der Orakler diese Antwort aus der Lage der Blätter ab. Eine einfachere Art gibt nur die Antwort „ja“ oder „nein“. Dazu legt man Bohnenhäute vor das Loch. Liegen am Morgen die Schalen „auf dem Rücken“, d. h. die Öffnung nach oben, so wird das Vorhaben widerraten, „stehen alle auf den Füßen“, d. h. ist die Wölbung nach oben, so ist die Sache mit Gefahr verknüpft und darum nicht empfehlenswert. Liegt aber die Hälfte auf dem Rücken, die andere Hälfte auf den Füßen, so ist die Sache gut ausgeglichen und kann ausgeführt werden.

Dieser Art ähnelt das Orakel mit Kolakernen, die eine flache und eine gewölbte Seite haben und in der gleichen Weise antworten können wie die Bohnenhäute. Nur ist dabei die Erdspinne nicht nötig; man wirft die Kolakerne einfach wie Würfel auf den Boden.

Selbst über sein Gebet Gebet zur Gottheit, vgl. S. 148, sucht sich der Heide mittels Orakels Klarheit zu verschaffen. Hat ein Alter unter den Bakwiri sein Gebet bei Neulicht gerufen, so legt er auf Daumen und Zeigefinger der geballten Linken ein Blatt und schlägt mit der Rechten darauf. Zerplatzt das Blatt mit lautem Knall, so war das Gebet angenehm; zerreißt es ohne Geräusch, so war es umsonst. Ein Banyangi-Alter hält sein Morgengebet während des Waschens (daher „sich waschen“ auch die Bedeutung hat „anbeten“, z. B. oä Loba „sich waschen in bezug auf Gott“ oder „Gott anrufen“). Ist er fertig, so schüttet er den Rest des Wassers auf den Boden. Fällt es platschend auf, so war das Gebet recht; fällt es geräuschlos auf die Erde, so ist bei ihm etwas nicht in Ordnung und er muß sich vom rechten Orakel den Grund sagen lassen, vgl. S. 153d.

Es führt zu weit, all die verschiedenen Arten von Orakeln aufzuführen. Ohne Zweifel verfügt mancher gewerbsmäßige Orakler auch über das „zweite Gesicht“, wodurch seine Auskünfte nicht immer Betrug sind. Im übrigen ist er geübt in Listen und Schlichen, ist oft ein guter Beobachter und Psychologe und weiß auch bei Nichteintreffen seiner Aussage immer einen Ausweg, der geglaubt wird.

Obwohl mancher Orakler vor seinem Geschäft die Hilfe der Gottheit oder der Ahnen oder seines verstorbenen Lehrmeisters anruft, ist doch nach Meinung der Kameruner das Orakel selbständig tätig und man redet es vor Gebrauch an, als besitze es persönliches Leben. Es ist ein Mittel eigner Macht, mittels dessen der nganga die übersinnliche Welt zwingt, ihre Pforte aufzutun und ihm ihre Geheimnisse zu enthüllen.

Das auf S. 133 besprochene Ordal ist sowohl offenbarendes Orakel als auch strafendes Machtmittel.

d. Die beseelten Mittel in den geheimen Kult, Kultbund (vgl. auch Ahnenkult und Geheimbünde) Kultbünden

Nach den Ausführungen auf S. 49ff. sind die Kultbünde die Zusammenfassung aller Kulte in den Dörfern einer Landschaft. Ihre verschiedenen Abteilungen sind zusammengefaßt in einer Dachorganisation, deren Leiter in gewissem Sinne das religiöse Oberhaupt der Gruppe (in bezug auf die magischen Mächte und mystischen Kräfte) ist über dem politischen Leiter, dem ausführenden sango a mundi „Ortsvorsteher“. Die Geheimbünde sind in ihrem Wesen eine komplizierte, für uns Europäer schwer verständliche Organisation, die sich in den Ahnenkult der Sippen nicht einmischt, sondern in der Querverbindung der einzelnen Sippen und Stämme die Anfänge des modernen Staates darstellt. Vermöge ihrer vielerlei Machtmittel beherrschen die Bünde das ganze öffentliche Leben der Landschaft und vermitteln ihren Mitgliedern durch ihre verschiedenen Weihen, vgl. auch Kultbund Mysterienweihen ein entsprechend höheres Lebensgefühl. Machtmittel, vgl. auch Dynamismus

Hier interessieren uns nur die verschiedenen Embleme, die jeder Bund besitzt und mittels deren und der Weihen, vgl. auch Kultbund Weihen der Bund den von ihm verehrten Dämon „besitzt“. Darum sind solche Embleme für jeden Nichteingeweihten tabu; er hat sie nicht „kennengelernt“. Es ist nicht möglich, die Embleme aller Bünde hier aufzuführen; wir lassen uns genügen an denen des

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Ngue-Bundes der Bakosi

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4. Was sieht der Missionar in diesem Glauben an die Beseeltheit der Welt?

Der Primitive unterscheidet sich vom materialistischen Zivilisierten dadurch, daß er ein gläubiger Mensch ist. Wenn der Missionar seine Botschaft vom unsichtbaren, überweltlichen Gott vorträgt, darf er wissen, daß seine primitiven Zuhörer das Organ haben, seine Botschaft aufzunehmen und zu fassen. Denn auch der Kameruner weiß von einer unsichtbaren Welt, die ihm erfüllt ist von geheimnisvollen Mächten. Ihm ist das All durchwaltet von göttlichen Kräften, und der nächste Abschnitt soll uns zeigen, daß von dort aus eine ganz dünne Linie zur wahren Gottheit führt. Das ist die Freude des Missionars an dem, was er im religiösen Leben der Kameruner vorfindet.

Das Vorstehende aber zeigte uns auch, wie dem Kameruner ein ganz breiter Streifen hinabführt in die Tier-, Pflanzen-, Welt- und Selbstvergötterung. Überall ahnt er Kräfte und Mächte, gleichsam Zerrbilder der göttlichen Schöpfungsmächte im All. Sie führen ihn nicht zum Dienst des lebendigen Gottes, sondern zu Götze Götzen und vergötzten Kräften. Er hält die Erhabenheit Gottes nicht in preisendem und anbetendem Dienst fest, sondern sucht in gottlosem Wesen und Ungerechtigkeit Gottes Schöpfung Schöpfung und Gottes Wahrheit zu vergewaltigen; Röm 1, 21–25. Aber in diesem Suchen nach Macht ist der Kameruner zum Knecht geworden. Die Natur und ihre Erscheinungen sind ihm nicht Offenbarungen Gottes, seiner Schönheit und Macht geworden, sondern voller Schreckgestalten und böser Mächte sind sie ihm Ursache von Schrecken und Angst.

Für den Kameruner hat sich Gott aus seiner Werkstatt zurückgezogen und die Schöpfung sich selbst überlassen. In seinem Wahn als mulondedi und mome, vgl. S. 50, greift der Mensch in das Reich der übersinnlichen Mächte ein, bleibt aber in Ungewißheit, ob er einmal tatsächlich auf diese Weise die gegnerischen Mächte überwinden kann und dann, ob sich die angezogenen Kräfte nicht gegen ihn selbst wenden, wenn ihm ein Versehen passiert oder er eine Tabu-Regel nicht hält.

B. Der Glaube an den Urheber (Wirker) und Gott Richter

Einleitendes

Wohl in allen Stämmen Kameruns gibt es zwei Name Namen, die man für den höchsten Gott gebrauchen kann. Beide Namen gelten nicht der gleichen „Persönlichkeit“, und doch ist der Kameruner nicht Polytheist, sondern Monotheist. „Um die Mittagszeit kann einer an die Wegtrennung (Opferplatz) gehen und seine Not und Herzenswunsch in die leere Luft hinaufrufen, aber er glaubt dabei, daß es ein Wesen gibt, das auf ihn hört“, so schreibt ein Graslandlehrer.

Wir sprechen auf S. 126f. davon, wie unsere irdische Sichtbarkeit korrespondiert mit der unsichtbaren übersinnlichen Welt und wie auf beiden Linien eines dem anderen entspricht. Dieser Doppelseitigkeit in der Einheit entspricht es auch, wenn in dem ursprünglichen Dorf der primitiven Kameruner zwei Persönlichkeiten als Führer galten, die zusammenwirken mußten, wenn das Gemeinwesen gedeihen sollte. Es waren das

1. eine Person, die durch die Mysterien Mysterien der Kult, Kultbund (vgl. auch Ahnenkult und Geheimbünde) Kultbünde mit magischen Kräften ausgerüstet ist, um diese zu Nutz und Gunsten der Gemeinschaft zu gebrauchen. Diese Person ist sakrosankt und sein Rat oder [seine] Entscheidung in bezug auf Ernte, Jagd, Viehzucht, Handel, Geburten und den Verwaltungsbetrieb wird befolgt. Er ist mulondedi mulondedi und der Führer oder doch das geistige Haupt des obersten Kultbundes; mit ihm stehen Medizinmänner, Orakler und andere mit magischen Kräften Geladene in Verbindung. Wurde sein unter höherer Leitung gegebener Rat befolgt, so stellten sich Fruchtbarkeit und Glück ein; wurde er in den Wind geschlagen, so befiel Unglück die Gruppe. Er steht mit der unsichtbaren übersinnlichen Welt in Verbindung und seine Bestimmungen und Gesetze gelten als von dort her inspiriert und stehen dementsprechend in Ansehen. Ordnete er etwas an, etwa eine Strafe zur Wiedergutmachung eines Vergehens und dies wurde abgelehnt, so bedeutete das Auflehnung gegen die Gottheit, was die {142} ganze Gruppe in Gefahr bringt. Indem diese Person die religiösen und magischen Betätigungen der Gruppe kontrolliert, wacht sie über deren Gedeihen. Ihre Aufgabe ist also, das Gemeinwesen in voller Kraft aufrecht zu halten und dessen musango musango Friede „Frieden, Wohlfahrt“ zu fördern; bei ihrer Installierung auf dem Wege der Mysterien hat sie Eid Eide in Gegenwart der batudu ba mundi „Sippenältesten der Siedlung“ geschworen, daß sie ihre Aufgabe erfüllt mittels der zum Kultbund gehörigen Machtmittel, vgl. z. B. S. 140, bei denen zu schwören schwören und denen Achtung zu erweisen ist, die also in hohen Maße tabu sind: „Wenn ich das Dorf zerstöre, soll mich der isango isango-Dämon verderben.“ So ist er der geistige Anführer gegen die Verderber der Gemeinschaft, die Hexen, Neidinge. Anklagen gegen Personen auf Hexerei Hexerei hatte er durch Verabreichung des kwa-Ordals, vgl. S. 133, zu entscheiden und bei Feststellung der Schuld den Verderber aus der Welt oder doch aus dem Stamm zu schaffen. Seine ausführende Hand dabei war der Femebund, vgl. S. 41f.

2. Neben diesem religiösen Haupt, dem sango a isango „Kultbundvorsteher“ hatte die Gruppe noch ein ziviles, den sango a mundi „Siedlungsvorsteher“. Dieser wird von den Ältesten der einzelnen Sippen als primus inter pares gewählt und wurde in seinen Handlungen von ihnen beraten. Er ist der Sprecher der Gruppe in äußeren Dingen und nach außen hin in Ausführung der Anordnungen der vorhin beschriebenen Persönlichkeiten. Von den Europäern67 wird er Häuptling „Häuptling“ genannt, weil sie hauptsächlich mit ihm zu tun haben. Vielfach [wird] das Amt in der gleichen Familie weiter[vererbt]; kann sie aber keinen passenden Nachfolger stellen, so wählt man das Haupt einer anderen Familie als Wort- und Anführer der Gruppe. Ein solcher hat richterliche Funktionen, soweit sie das äußerliche Rechtswesen, -leben Recht betreffen, spricht Urteil und verhängt Strafen in Zusammenarbeit mit den anderen Sippenältesten entsprechend der vom isango-Häuptling festgelegten Bestimmungen und Gesetze. Er ist also um die bürgerliche Wohlfahrt besorgt, hat innere und äußere Streitigkeiten zu schlichten, muß versuchen, Kriege zu verhindern, und wenn das nicht möglich war, einen Kriegsführer bestimmen und die Gruppen in allen Angelegenheiten vertreten, die mit Fremden zu regeln sind. Er muß nicht unbedingt aus dem leitenden Kreis der Geheimbünde stammen, muß aber mit ihnen zusammenarbeiten und hat notfalls einen Vertrauensmann in diesem Kreis. Irgendwie muß sich ein solcher schon vor den anderen auszeichnen; und qualifiziert für seine Pflichten ist, wer einen großen Weiberhof und fruchtbare Äcker, viele Verwandte und eine große Kinderschar hat, er muß also reich sein. Der nghon der Bakosi, mfo im Kreuzflußgebiet, mfon der Bankon und im Grasland, mbwang im vorderen Gebiet ist ein „Reicher“, d. h. der Reichste und daher auch Dorfhäuptling. Es kann freilich auch einer, der durch seine Redlichkeit Ansehen genießt oder durch seine Persönlichkeit die anderen überragt, Dorfhäuptling werden, auch wenn er nicht mit solchem Reichtum gesegnet ist.

Heute sind in den meisten Verhältnissen diese beiden Persönlichkeiten nicht immer klar zu bestimmen; die europäischen Landesverwaltungen haben schon zu häufig in den sozialen Aufbau der Stämme und Dörfer störend eingegriffen, und auch der magische Nimbus der Kultbünde und ihrer Vorsteher ist fast ganz geschwunden; was früher Kult war, ist heute play, Maskerade, Fastnacht geworden. – Aber auch früher wird zwischen den beiden Personen nicht immer klar unterschieden worden sein. Je nach der Persönlichkeit hat wohl bald der eine, bald der andere eine größere Rolle im Dorf und Stamm gespielt, und der Mangel an Subordination bei den Schwarzen verursacht nicht nur viel Uneinigkeit und Streit innerhalb der Gruppe, sondern brachte auch viele Trennungen mit sich und oft kam [es] vor, daß der sango a mundi zugleich auch sango a isango war. In den mehr monarchisch geordneten Gemeinwesen des Graslandes hat sich überhaupt eine Person durchgesetzt, die dann beider Funktionen in sich vereinigt, die auch als Führer der magisch geladenen „Vollmenschen“ im Kultbund galt, weil er selbst als solcher auftritt. Kult, Kultbund (vgl. auch Ahnenkult und Geheimbünde)

Hat im Waldland wenigstens idealiter jedes kameruner Gemeinwesen einen doppelten Kopf, so muß es nicht Wunder nehmen, wenn man das {143} große Gebiet der übersinnlichen Mächte ähnlich verwaltet glaubt: Der eine mehr mit allem Kultwesen (Ahnen- und Fruchtbarkeitskult Fruchtbarkeitskult) verbundene Nyambe Nyambe, der andere mehr über allem als Richter waltende Loba Himmel „Himmel“, dem ein eigentlicher Kult nicht gewidmet ist. Ist es nicht merkwürdig, daß wo – wie z. B. im Grasland – Kult und Regierung in einer Hand vereinigt sind, man eigentlich auch nur einen Gottesnamen hat, und daß dort, wo das Geheimbundwesen keine Macht im öffentlichen Leben war – wie z. B. bei den Bakwiri – eine Verschmelzung der Ahnengottheit und des Himmelsgottes stattgefunden hat? Doch schauen wir uns die beiden Linien näher an:

1. Der Urheberglaube

a. Des Urhebers Kult

Die Duala haben heute noch einen Gruß Gruß aus sehr alter Zeit. Der Ankommende fragt: Ndj’ e tusä? „Was regt an, treibt um, wirkt hinter allem (was geschieht)?“ Antwort: Nyambe. „Der Urheber, Wirker, Schöpfer.“. In umgekehrter Reihenfolge geht der alte Bakwiri-Gruß. Begegnen sich dort zwei Alte, so ruft der erste: Mbamb’ a lova! „Himmelsgroßvater!“ der andere antwortet: E si wä tä owase, oma i sa änänä. „Wenn der Wirker nicht wäre, hätten wir uns nicht gesehen.“ – Eine ihrer beliebten Rätselfragen ist: „Mein Vater hinterließ mir eine Frage, die ich nicht beantworten kann (welches ist die?)“. Antwort: Ndja nu weki nyambe? „Wer schuf den Wirker?“ Die Etymologie dieses in weitem Gebiete Afrikas verbreiteten Gottesnamens (Urbantu –yambi) ist noch nicht bekannt und wird wohl auch unbekannt bleiben. Vorstehende Sätze aber deuten jedenfalls an, daß Nyambe als treibende Kraft hinter allem Geschehen auf Erden steht: Werden, leben und vergehen; er ist auch der Anfänger, denn niemand kann sagen, wer den, aus dem alles hervorkommt, geschaffen hat. Weil man ihm nicht Persönlichkeit zuschreibt (in Kamerun gehört sein Name der 9. (Tier-)klasse an), hat man auch keine Überlieferung bezüglich Schöpfung Schöpfung und ähnliches von ihm. Aber man führt auf ihn das Leben zurück, das der Gruppe jeweils geschenkt ist. Darum wird er mit den Ahnenschatten beim Fruchtbarkeitskult angerufen, und man sagt, daß die einfachen Menschen (im Gegensatz zu solchen, die mit üblen Kräften ausgerüstet sind) zu ihm in den Hades Hades kommen. Dort hat er sein Wesen, ist aber, wie schon sein Name zeigt, nicht eins mit den bedimo oder midimo „Ahnengeistern“. Er ist auch nicht der Urahne, sondern steht auch über ihm, ist auch von ihm wesenhaft unterschieden. Sein Wesen ist das Bleibende, Unabänderliche; europäisch gedacht könnte man ihn als die immerwirkende Naturkraft bezeichnen, die gibt und im Tod nimmt. In seinen Hades gehen nicht nur die Schatten, sondern von dorther kommt auch alles, was im Fruchtbarkeitskult Fruchtbarkeitskult erstrebt wird. Mit den Schatten, die gleichsam seine Mittelsleute zu den Lebenden sind, wird er auf dem Ahnenopferplatz, oder wo man sonst die Ahnen anruft, genannt; doch ist seine Nennung im Anruf nicht erforderlich, man hat ja seine Mittler, die Ahnen, wie man auch vom Tod spricht, als sei das ein selbständig Handelnder. Doch im Hintergrund von dem allem steht dem menschlichen Gemüte Nyambe „der Wirker“.

Der Mongo-Fluß ist diesem Namen eine Grenze. Er wird nur südöstlich des Flusses genannt; bei den Stämmen auf dem anderen Ufer bis nach Nigerien hinein ist der Name der mit dem Fruchtbarkeitskult verbundenen Gottheit Obase, was ins Duala als das Fremdwort ebasi „Gottessache, Missionswerk“68 eingegangen ist. Nach der Überlieferung der Efik um Kalabar schuf Obase das erste Menschenpaar..., die Ureltern der Menschheit; aber auch den ihnen benachbarten Stämmen Kameruns erzählt man von einem solchen ersten Menschenpaar, während die weiter weg wohnenden Stämme nicht von einem Urpaar reden; sie kennen nur einen Stammvater, ein Zeichen alten Erbrecht Männererbrechtes.

{144} Im Grasland ist weithin der Gottesname Nyikob, Gottesname im Grasland Nyikob in Gebrauch. Der eigentliche Gottesname ist Nyi, während kob (von nkob) „Buschfeld, Wald“ bedeutet. Dies und manches andere69 zeigt deutlich, daß auch Nyikob ursprünglich nicht eine Gottheit im Himmel ist, sondern daß er mit den Ahnen verbunden gedacht ist und im „Wald“, der Pforte zum Hades und Aufenthalt der übersinnlichen Mächte, haust, daß er also Ahnengottheit ist.

Bei den Stämmen des Kreuzflußgebietes ist Mandem, Gottesname der Banyangi Mandem als Gottesname gebräuchlich. Was die Vorsilbe ma sagen will, ist nicht recht aufgehellt. Es ist möglich, daß es verwandt ist mit ma „Mutter“ und würde dann wohl auf altes Erbrecht Muttererbrecht deuten; es könnte aber auch verwandt sein mit dem mwa anderer Stämme, was „Sippe“ bedeutet. – Ndem aber ist sicherlich mit dem Bantu ‑limo identisch, das uns im schon öfters genannten edimo edimo, pl. bedimo „Schattenseele, Totengeist“ begegnete und in manchen afrikanischen Sprachen auch für „Gott“ gebraucht ist. Vgl. im Banyangi noch

ndem

ngo-ndem

mbogo-ndem.

In den Überlieferungen, die vom Schöpfer und den Menschen handeln, wird aber Nyambe namentlich kaum einmal genannt, sondern man spricht dann vom „Schöpfer“. Dieses Wort wird abgeleitet vom Verb weka, entstanden aus *peya „schaffen, erfinden, herstellen“, wobei weniger an handwerkliche Tätigkeit gedacht wird als an geistige Betätigung. So ist es im Duala neben dem Sinn von „erschaffen“ hauptsächlich in den Verbindungen weka muano „einen Plan ausdenken“ und weka musomba „eine List aushecken“ gebräuchlich. Die Bankon reden von mfega-bod „Menschenschöpfer“, die Basa von peg, die Duala von muwekedi „dem Schöpfer“ (Personenklasse) und haben dafür auch das mehr deistisch gefärbte muwekipeki „Schöpfergeist, Schöpferkraft“ (Klasse der Träger animistischer Lebenskraft). Und der Mukwiri antwortet unter Erhebung der rechten Hand zum Himmel auf die Frage nach dem Ergehen: Na eki Maeke. „Ich grüße den ( danken danke [dem]) Schöpfer.“

Auch in den Überlieferungen von Sündenfall und Sintflut auf S. 145 und der Todesbotschaft auf S. 35 ist von dem „Schöpfer“ oder „Alten“ die Rede und nicht ist Nyambe oder Loba namentlich genannt. Die Bakosi erzählen, daß der „Schöpfer“ nächtens Menschenkinder aus Erde formt und trocknet und die Ahnengeister sorgen dafür, vgl. S. 134, daß sie in den Leib von Frauen kommen, die guter Hoffnung werden sollen. Damit hört deren Mensis Mensis auf, weil sich magischerweise das Blut Blut analog dem Lehmfötus zum Menschenkind zusammenballt und ausreift.

Der Schrei des Flughundes klingt wie der Hammerschlag eines Schmiedes. Die Bakwiri sagen, der Schöpfer forme die Kinder, die geboren werden sollen, wie ein Schmied sein Eisen. Hört man nun am Abend den Flughund in der Nähe eines Gehöftes bellen, so weiß man: Dort wird eine Frau guter Hoffnung werden. Das Hämmern des Schöpfers in der unsichtbaren Welt klingt wider im Bellen des Tieres in dieser Sinnenwelt. Man sagt: Iwonde i wonde vana. „Der iwonde Former formt Kinder.“; mythologisch nennt man auch den Flughund iwonde, er ist dann gleichsam die sichtbare Seite des unsichtbaren Formers. Nyambe

{145}

b. Des Urhebers Erfahrung mit den Menschen

Wie die Menschen und die Welt im einzelnen gebildet wurden, wird nicht in überlieferten Mythen geschildert. Das erleichtert die Botschaft: Gott hat geschaffen; das läßt Raum auch für die Einzelheiten des biblischen Berichts und mindert die Gefahr, daß Mißverständnisse und Zerrbilder entstehen.

Es gibt aber mancherlei Überlieferungen über die Ursache, warum das zuerst gute Verhältnis zwischen Schöpfer und Menschheit später sich verschlechterte. Und in jeder Mythe wird dem Menschen und seiner Begehrlichkeit oder seiner Abneigung die Schuld zugeschoben.

(1)  Sündenfall Sündenfall

Der Menschen Fall oder: Warum Feindschaft und Tod zwischen Mensch und Tier [bestehen] und woher die Gottesferne [kommt]? (Basa-Überlieferung)

Der Wirker schuf das All und „begann“ auch die Menschheit. Man sagt, es wurden zwei Kinder geboren, ein Knabe und ein Mädchen. Der Wirker pflegte die Kinder aufs Feld zu schicken zur Arbeit, er aber blieb zurück und kochte für sie. Sie selbst kannten das Feuer Feuer nicht.

Eines Tages sandte der Mann das Weib vom Feld ins Haus zurück, daß sie beobachte, wie Gott die Speisen kochte. Hinterm Haus versteckt beobachtete die Frau, wie der Wirker einen kleinen Stein und ein Stück Eisen nahm und das zusammenschlug. Ein kleiner Funken fuhr heraus und mit dem zündete der Wirker Feuer an und kochte die Speise. Als er die Frau im Versteck beobachtete, ward er zornig, schalt sie und schickte sie hinaus aufs Feld. So hatten denn die Menschen das Feuer gestohlen.

Zu jener Zeit lebten Mensch und Tier noch in Freundschaft Freundschaft, und keines tat dem anderen etwas zuleide. Eines Tages aber gruben die beiden Menschen eine tiefe Grube, obwohl ihnen das Gebot bekannt war: Ihr sollt kein Tier töten. Eines Morgens fanden sie nun einen Elefanten in die Fanggrube gestürzt, und sie brachten seinen Rüssel mit nach Hause. Als der Wirker das sah, ward er noch zorniger als das erste Mal und sagte: Jetzt wohn’ ich nicht mehr mit euch zusammen, denn ihr gehorcht mir ja nicht!

Er packte also all seine Sachen in einen Sack zusammen und ging meerwärts. Er kam an das große Wasser, wo der Flußschlamm ist, blieb stehen und schalt die Menschen mit Verwünschungen und sagte: Jetzt gehe ich von euch, ihr Menschen und alle Tiere; bleibet zurück in eurer Torheit und tötet euch gegenseitig! Und er machte den Schlangen und Leoparden und Elefanten und anderen Tieren „böse“ Zähne, um die Menschen zu töten, und erregte zwischen ihnen Feindschaft.

Da er nun so im Schlamm stand, sagte er noch, der Schlamm solle hart werden wie Stein; und es geschah so. Dann ging der Wirker von der Erde weg, niemand weiß, wohin? Er ist aber nicht gestorben, sondern bis auf den heutigen Tag geblieben. Und wo er im Schlamm gestanden [hat], sind seine Fußstapfen bis heute in jenem Stein noch zu sehen.

(2) Sintflutsage

Die Sintflut am Manenguba (Bakosi-Überlieferung)

Unsere Väter haben uns berichtet, daß die Gegend um den Manenguba in alter Zeit dicht besiedelt gewesen sei; aber es seien rauhe und unbarmherzige Leute gewesen, obwohl doch Gott will, daß sich die Menschen gegenseitig helfen sollen.

Da kam eines Tages die alte Ngote Nkang den Berg herunter. Sie war voller Eiterpusteln, ihr Haar zusammengeklebt und der Körper strotzte von Schmutz, so daß man sich ekelte, sie nur anzusehen. Mit ihrem kleinen Rückenkorb ging sie von Haus zu Haus und bat, daß man sie aufnehme, schere und reinige. Aber jedermann wies sie ab und verjagte sie mit groben Worten von seinem Hauseingang. So kam die Alte zuletzt zu einem kleinen Häuschen am Ortsausgang, darin ein Mann und seine Frau mit einigen Kindern lebte. Sie hörten Ngote Nkangs Bitte und {146} nahmen sie auf, reinigten und schoren sie, speisten sie und wollten sie zum Nächtigen veranlassen. Ngote Ngang aber lehnte ab und rüstete sich nach einiger Rast zum Scheiden. Ihre Gastfreunde gaben ihr das Geleit bis zum nächsten Kreuzweg, wie es die Sitte bei einem begehrten Gast fordert. Dort blieb die Alte stehen und sagte zu ihren Freunden: Ich gehe nun, ihr aber kehret zu eurem Heim zurück. Macht die Kinder und alle Habe zurecht, denn ihr müßt heute Nacht noch auswandern. Ich, Ngote Nkang selbst, werde kommen und euch zu einem sicheren Ort bringen. Denn der Bergsee wird überlaufen und das Wasser wird alle Bergbewohner wegreißen. Ihr aber sollt das Leben behalten, weil ihr mitleidig seid und armen Leuten helfet.

In der Nacht traf nun alles ein, wie Ngote Nkang vorausgesagt [hatte]. Sie selbst kam und rief ihre Freunde. Ihr Weg ging durch die Niederung von Mwangem hinüber aufs jenseitige Gebirge und die Alte verbarg die Guten auf dem hohen Stein zwischen Mwaku und Ntehog, der noch heute zu sehen ist. Kaum waren sie in Sicherheit, da brach das Unglück herein über alle, die auf dem Berg wohnten. Das Wasser riß sie weg und alle kamen um, denn sie waren mit Leidenden nicht mitleidig gewesen.

Aber die menschliche Nachkommenschaft stammt her von der einen Herdstelle jener Leute, die Ngote Nkang vom Manenguba rettete.

Der Erzählung wird die Mahnung angehängt, daß man sich an der unangenehmen Seite der Menschen, auch der Fremden nicht stoßen solle; Kranke und Verachtete sind menschlicher Hilfe bedürftig. Wer wie die arme Familie Hilfe erweist, wird seinen Lohn finden, auch wenn keiner in unmittelbarer Aussicht besteht und wenn auch nicht in Absicht auf Lohn geholfen wird.

(3) Wie die Krabben um ihre Köpfe kamen

Dieses Märchen Märchen zeigt, wie trotz Vorsorge des Wirkers leichtsinnige und gleichgültige Menschen um dessen Segen kommen können.

Es war einmal eine Zeit, da schuf der Schöpfer alle Geschöpfe, die Tiere hatten damals aber keine Köpfe. Darum bestellte er alle Tiere zu sich und versprach ihnen: In drei Tagen könnt ihr kommen, eure Köpfe zu holen. Der Schöpfer hatte diese Köpfe in einem großen Vorratshaus, so groß daß ein Mensch Jahre brauchte, bis er alles betrachtet hat.

Zum festgesetzten Tag ließ der Schöpfer alle Köpfe durch seine Arbeiter heraus auf den Hof bringen, damit jeder, der da kommt, schnell einen passenden Kopf finde. Zur rechten Zeit stellten sich alle ein, damit aber keiner Köpfe stehle, war der ganze Platz von Wächtern umstellt. Und so bekam auch jeder einen ihm passenden Kopf nach des Schöpfers Willen.

Der Schöpfer merkte, daß Dikako, die Krabbe, sich nicht eingestellt hatte. Er sandte nach ihr, aber sie wollte nicht kommen und sagte: Es paßt mir jetzt nicht; der Köpfe sind ja so viele, ich werde schon einen rechten Kopf bekommen. Die Schöpfer schickte wieder nach der Krabbe, aber sie kam nicht. Da wurde er zornig und sagte: Nun habe ich sie schon zweimal rufen lassen; wahrhaftig, sie soll keinen Kopf bekommen.

Als die Krabbe nun die Tiere mit den schönen Köpfen sah, bekam sie doch auch Lust nach einem solchen Kopfe und langsam machte sie sich auf den Weg. Auf dem großen Hof lag aber kein Kopf mehr, denn die Tiere hatten alle genommen. Da war Dikako doch enttäuscht. Bei ihrem Suchen fand sie zwei kleine Dingerchen, die setzte sie sich auf ihre Brust wie zwei bewegliche Stäbchen. Die nennt man nun ihre „Augen“, denn ein Kopf ist das nicht.

Da schämte sie sich nun vor den anderen Tieren, und um deren Gelächter zu entgehen, grub sie sich in der Nähe des Wassers ein Loch, in das sie jedesmal verschwindet, wenn sich jemand naht. Und aus lauter Kummer {147} ist Dikako, die Krabbe, ganz zusammengeschrumpft und ihr Körper gleicht einem Stein. Sie ist um ihren Kopf gekommen, weil sie sich gleichgültig herumgedrückt hat, als sie hätte eilig gehen sollen.

Auf S. 35f. ist schon geschildert, wie die Überlieferung Antwort auf die Frage nach dem Grund des Sterbens gibt; wie die Erzählung von Lande dem Menschen die Schuld zuweist, so auch die folgende Überlieferung:

(4) „Womit man sündigt, wird man gestraft“

Ngule, die farbige Eidechse, und Eleu, der Haftzeher, waren gegangen zu Epas’ a moto (jenem geheimnisvollen Wesen, das der sinnlichen und der übersinnlichen Welt angehört, vgl. S. 1. Sie wollten ihn nur besuchen. Epas’ a moto sagte zu Ngule: Gehe in die Siedlung, wo die Menschen wohnen, dort sollst du deine Nahrung haben! Ngule aber hatte dazu keine Lust. Da sagte Eleu zu ihr: Freund, es wäre doch gut, wenn du tätest, wie Epas’ a moto will, und in der Menschen Wohnungen gingest. Gehest du nicht, so gehe ich! Und Eleu machte sich auf und ging zu den Menschen. Der Dorfvorsteher saß vor seinem Haus und sah Eleu daherkommen. Da rief er seinen Sohn und hieß ihn „das schlimme Ding“ töten. Der tat nach des Alten Worten; dabei tropfte ihm das Blut des Eleu auf die Füße; infolgedessen starb dieser Sohn. Der Vater sah dies und rief alle Dorfbewohner zusammen. Die riefen erschrocken aus: Dieses böse Ding kam da plötzlich in unsere Siedlung herein und bringt uns alle in Gefahr! Und man fürchtet sich vor ihm bis auf den heutigen Tag.70

Epas’ a moto wartete auf Eleus Rückkehr. Dann aber fragte er Ngule, ob Eleu noch nicht gekommen sei. Ngule antwortete ihm, wie die Menschen im Dorf seinen Freund getötet hätten. Da sagte Epas’ a moto: Weil Menschenblut auf Erden vergossen worden ist, so sollen von jetzt an alle Menschen sterben! – Auf diese Weise kam der Tod in diese Welt.

Wie Gehorsam geprüft und belohnt, Unverträglichkeit und Ungehorsam bestraft wird, zeigt manches Märchen, z. B. das von „den ungleichen Brüdern“ auf S. 33, von den Frauen auf S. 33b u. v. a.

[5 Leerzeilen]

Was an sittlichen Gesetzen in den Märchen und Sprichwörtern enthalten ist, gilt in der Menschenwelt und vom großen Geber aller Gesetze und gibt uns auch Züge aus des Wirkers und Richters Bild, das sich im Herzen der Kameruner abgezeichnet [hat]. Von diesem Richter, in dessen Hand das höchste Gericht und letzte Zuflucht ist, kurz das Folgende:

{148}

2. Der Glaube an den höchsten und letzten Richter

Auf S. 114 ist schon gesagt, wie „das Auge des Himmel Himmels (loba)“ über das Tun der Menschen wacht und deshalb niemand einen anderen bei Tageslicht zu Unrecht bedrängen soll; bei Nacht aber tun dieses nur die Neidinge, Hexen.– Am Manenguba tritt eine Frau, die in ihres Mannes Sippe ungerecht leiden muß und keinen Beistand findet, bei aufgehender Sonne hinaus auf den Hof und ruft sie um Hilfe in ihrer Not an. Es ist das eine ganz außergewöhnliche Handlung und verfehlt meistens ihren Eindruck bei der Männersippe nicht.

Allgemeine Sitte im Lande war es, daß beim ersten Erscheinen des neuen Mond Mondes der Sippenälteste auf dem Hof auf- und abgeht, während nach Tabu-Regel in seinen Hütten Stille walten muß; denn nun wendet er sich im Gebet Gebet zum „Himmel“ und ruft ihn an um Hilfe wider offenbare und vermutete Feinde, besonders Hexen. Aber auch zu anderer Zeit, wenn man sich gerade von großer Not bedrückt fühlt und keinen menschlichen Helfer sieht, wendet man sich an ihn als den Richter und Rächer. Das ist besonders der Fall, wenn der Gegner nicht bei einem zuständigen Gericht belangt werden kann oder man den Erweis seines Rechtes nicht führen kann. Das Gebet eines Heiden, der um eine Frau betrogen worden war, lautete: Du Himmel, ich habe einen Anlaß! Der Soundso kam von der Küste hierher in Arbeit; er sagte uns viel von der Gottessache an der Küste, aber nun hat er sie selbst verleugnet und die von mir bezahlte Braut meines Sohnes an sich genommen. Himmel, das ist mein Anlaß! Aber du, Himmel, widerstehst allem Bösen und rächest alles Böse; du bist der Himmel, den schon unsere Väter kannten; räche auch meine Sache an ihm! Himmel, das ist mein Anlaß!, vgl. auch S.139.

“Himmel“ ist hier aber nicht das „Himmelsgewölbe, das leuchtende“, sondern das Sichtbarwerden der übersinnlichen Macht, die dahinter west, „Gott“. So haben wir zu unterscheiden zwischen Loba „Gott“ und loba „Himmel“. Ein Heide erklärte: „Loba ist etwas, das überaus groß und alles überragend ist; er hat alles in seiner Hand; ohne ihn kann gar nichts, es sei gut oder böse, einen Menschen antasten“; und ein Christ sagte: „Unsere Väter haben zu Loba gebetet, wie wir Christen es heute tun; sie wußten aber nicht, daß er der Vater ist, er war ihnen die über alles waltende Macht. Und eines fehlte ihrem Gebet zu Loba: die Bitte um Vergebung und die um Heiligung; sie baten vornehmlich um Segen und Schutz und Rache.“ Dem primitiven Kameruner war schon Loba die höchste Macht, die es gab, es fehlte ihm nur der rechte Ausdruck dafür. Er stand auch ihm über allem, auch über Nyambe Nyambe, dessen Macht in den einzelnen Sippen und Stämmen ihren Wirkungskreis hat, während Loba über die Grenzen der Gruppen hinausragte, wohin kein irdisch Gericht reichen konnte; er kennt keine Grenze. So ist Loba der höchste Richter und letzte Richter; dem irdischen Richter sagt der Volksmund: „Loba haßt falsche Rechtswesen, -leben Rechtssprechung“; und wem vom Richter Unrecht geschehen ist, der erhebt die Hand zum „Himmel“ und spricht: Loba weiß es; d. h. ihm befehle ich die Rache; an ihn appelliere ich. Und wenn einer versichert, daß seine Aussage wahr ist und man ihn fragt: Wahrheit in bezug auf wen? so kann er antworten: Mbal’ a Loba „Wahrheit in bezug auf Gott“, den höchsten Richter. Bei den Bankon lebt die Überlieferung, daß vor diesem Gott die Menschen zu erscheinen hätten. Sind sie Neidinge, so stößt er sie von sich und sie fallen in eine Grube, aus deren Boden Speere herausstarren wie bei einer Wolfsgrube, und der Neiding speert sich darin auf und geht zugrunde. Auch ein guter Mensch wird in diese Grube geworfen; vor ihm aber tun sich die Speere auseinander, und er kommt an einen „guten Ort“ zu liegen.

{149} Früher war der „Himmel“ nach Überlieferung der Stämme verbunden mit der Erde und die Menschen konnten an einer Leiter oder Seil hinaufsteigen und dort genießen. Denn der Himmel ist die Fülle, die außergewöhnliche Kraft, das Außerordentliche.71Die Bakosi haben das Wort: Etane e de ngan „Die Himmelsgottheit ist ein Märchen“, d. h. sie ist unberechenbar, läßt nicht mit sich spielen, man steht mit dieser Macht nicht so auf Du und Du wie mit den Ahnen und der Ahnengottheit; vor ihm gibt es auch keine Vermittlung durch den Mund der Ahnen.

Das Wort l-oba, vom alten Bantu -yuva, bedeutet wohl das „Himmelsgewölbe“ und zwar das strahlende, beglückende und gehört deshalb nicht der Personenklasse an, sondern der, welche symmetrisch Teilbares enthält. Nach dieser Klasse wird das Wort für die von ihm abhängigen Wortarten behandelt, wenn man vom „Himmelsgewölbe“ redet. Aber nicht nur im Mund von Christen geht das Wort, wenn es die „Gottheit“ bezeichnet, mit den abhängigen Wortarten nach der Personenklasse, auch wenn man ihm die Herkunft noch anmerkt. Freilich reden im allgemeinen nur die Christen vom ‘sango’ Loba „’Herr’Gott“.

3. Obas’ a Loba72

ist die von heidnischen Bakwiri gebräuchliche Anrede Gottes gewesen. In diesem „Ahnengott nämlich der Himmel“ schaut der Mukwiri die beiden Linien, die aus Ahnenkult und Machtglauben heraus auf ein letztes persönliches Wesen zielen, vereint. Das wäre eigentlich der ideale Gottesname in Kamerun, und müßte dann südöstlich des Mongo Nyamb’ a Loba heißen. Allein in diesem Gebiet trafen die Missionare diese Zusammenschau nicht vor, und später ist sie nicht versucht worden. Der Weg ist anders gegangen. Während sich im Süden des Landes wie in anderen Teilen Bantu-Afrikas unter dem Einfluß der vom Kongo her arbeitenden amerikanischen Missionare der Name Nyambe durchgesetzt hat für „Gott“, den Vater unseres Herrn Jesu Christi, so im mittleren Kamerun, von welchem Teil wir hier hauptsächlich berichten, Loba, dem der Beiname nyangum „der von sieghafter Kraft“, d. h. der Allmächtige, wesenhaft von Anfang an eignet; dazu ist er der Unbestechliche, Reine.

Wir sehen darin eine providentielle Fügung, auch wenn bei Loba das Personenhafte nicht im Vordergrund steht wie bei Nyambe. Als die ersten Missionare auf der Suche nach dem Gottesnamen waren, hörten sie Nyambe besonders beim Fruchtbarkeitskult Fruchtbarkeitskult nennen. Weil dieser Kult aber mit viel Schmutz und anderem, was gegen christliche Sittlichkeit Sittlichkeit streitet, verbunden war, verzichteten sie auf diesen Namen bei ihrer Verkündigung. Mit Loba verbindet sich jedenfalls die Vorstellung, daß alles, jeder letzte Entscheid in seiner Hand liegt. Wie über der Zahl der griechischen Götter, auch größer als Zeus, eine Macht waltet, etwa Nemesis als Rächer und vergeltende Gerechtigkeit, so auch Loba über Nyambe Nyambe, dem Wirker. Himmel

{150}

4. Was sieht der Missionar im Glauben Glauben der Kameruner an den Wirker und Richter?

Wer die Aussagen der Kameruner über Wirker und Richter auf sich wirken läßt, steht in der Beantwortung der Frage über Herkunft dieses Glaubens vor der Entscheidung, ob aus animistischem Ahnenglauben und aus manistischem Machtglauben sich entwickelt hat, was in Nyambe und Loba geschaut wird, oder ob wir in beidem Reste von altem Monotheismus zu sehen haben, die das kameruner Denken als Zusammenfassung aller „Schattengeister“73 und im größten „Machtmittel“, dem Himmelsgewölbe mit dem Sonnenauge, festgehalten hat. Aber ob auf diese Frage je eine bestimmte Antwort erfolgen kann? Es ist jedenfalls kein religiöses Gebäu[de] vorhanden, das diese Ahnungen umgibt; und dieser Gottesglaube bestand neben Animismus, Ahnenkult, Machtglauben u. a., und die von hier aus geschaute übersinnliche Welt mit ihren Mächten, Dämonen und Geisterwesen erfüllte wohl stets mehr als der erkannte Schöpfergott und höchste Richter Phantasie und Denken, Glauben und Handeln des Kameruners.

Andererseits ist es verwunderlich zu meinen, daß der Neger mit seinem angeblich prälogischen Geistesleben das kausale Bedürfnis empfunden habe, sich nach und nach durch logische Schlüsse einen Gottesbegriff, wie wir ihn in Nyambe und Loba kennen, zu schaffen. Auch der primitive Glaube wird nun einmal nicht durch logisches Denken gefunden, sondern aus tiefem Gefühl der Abhängigkeit. Die Gottesvorstellung der Kameruner ist nicht eine Behauptung der Vernunft, sondern der Niederschlag von Gottes Selbstbezeugung im Geistesleben und Gemüt der Stämme und Einzelner; „er hat sich selbst nicht unbezeugt gelassen“, Apg 14, 17. Wie sonstwo ist freilich auch in Kamerun diese reine Erkenntnis, die nicht nur an den Anfang zu setzen ist, unter den primitiven Stämmen immer wieder einmal in einem Strahl prophetischen Lichtes durchgebrochen, nicht ungetrübt, sondern verdunkelt durch den großen Fall, der sich im fortgesetzten Abirren von der erkannten Wahrheit äußert.

Wer selbst im Gottesglauben seine geistige Heimat gefunden und Gottes Zeugnis im eigenen Herzen empfunden [hat], merkt auch etwas von Gottes Zeugnis an die Völker und von der Reaktion darauf in ihrer Geschichte, so auch im Geistesleben der Kameruner. Wer das nicht hat und kann, wird auf obige Frage eine andere Antwort suchen, die dann aber auch nicht vorurteilslos ist, sondern beeinflußt vom eigenen materialistisch, pessimistisch oder idealistisch ausgerichteten Denken.

Wer sich aus praktischer Arbeit heraus vor dieses Problem gestellt sieht, wird es gering achten gegenüber der festzustellenden Tatsache, daß die in den Überlieferungen der Stämme sich spiegelnde Gottesvorstellung nicht nur den Namen für den christlichen Gottesbegriff gibt, sondern daß er in den Überlieferungen Züge findet, die dem Inhalt der christlichen Botschaft wenigstens nicht zuwider laufen. Er begrüßt die Einfachheit kameruner Vorstellungen, die weder von viel verwirrenden Mythologien umrankt, noch in genauer philosophischer Präzision umschrieben sind. Wenn die Gottheit auch nicht ganz als Persönlichkeit erkannt ist, offenbart sie doch einen Willen und wacht über dessen Ausführung, ist selbst die Güte und haßt das Unrecht und erwartet beides auch vom Menschen. Diese Gottesvorstellung ist – wie kaum eine andere in der kameruner Religion – frei von abergläubigen Vorstellungen und magischem Dienst, vergleichbar einem leeren Gefäße, das nur auf den rechten Inhalt zum Füllen wartet. Wer diese Zusammenhänge geschaut, wundert sich nicht mehr, daß der primitive Kameruner bereitwillig die christliche Botschaft von Gott annimmt; es ist ja, als habe er darauf gewartet. Wir freuen uns, daß in einem weiten Teil des Landes Loba statt Nyambe christlicher Gottesname geworden ist. Aber auch dort, wo der mit dem Ahnenglauben verbundene Nyambe, Obase, Ma-ndem, Nyikob, Gottesname im Grasland Nyikob o. ä. sich durchsetzt, ist in ihm, dem Wirker, gegeben der Gegensatz zu dem, was dem Primitiven die Quelle alles Bösen, Unrechts und Verderbens ist, lemba, der finsteren Macht. Ihr gegenüber verkündigt die christliche Botschaft den in Gebet und Brauchtum schon lang gesuchten Durchbrecher aller Bande, und als solcher wird er von den Kamerunern aufgenommen. Gott

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C. Der Mensch Mensch und seine mystischen Kräfte

Allgemeines

Die beiden vorangehenden Abschnitte vermittelten uns einen Blick in die Welt der übersinnlichen Mächte, wie sie die Natur und ihre Erscheinungen durchwalten als Seelenkräfte, Ahnengeister, Dämonen u. a. Schrecken und Zuversicht wecken sie im Primitiven, je nachdem sie ihm feindlich oder freundlich gegenüberstehen. Doch fühlt er sich nicht so ganz und absolut in ihrer Hand; er sucht in ihr Gebiet einzugreifen, sich einen Teil von ihnen untertan zu machen und sie zu seinem Schutz und Vorteil und zur Abwehr böser Mächte aus dieser und der unsichtbaren Welt zu gebrauchen74Auch von Gottes Selbstbezeugung in ihrem Leben fanden wir Spuren: ein gütiger Urheber alles Geschaffenen und Geschehens wacht als Letzter über Geburt und Tod, schaut den Erdenwandel der Menschen und waltet als letzter Richter über allen. Ihm naht man nicht mit magischer Opferhandlung, zu ihm kann man nur in der Not schreien.

Von solch menschlichem Bemühen um magische Kräfte und mystischen Beistand handelt unser Schlußabschnitt.

Wer übt nun solche Handlungen aus, in denen man die Kräfte der unsinnlichen Welt für dieses Erdenleben und über das Grab hinaus nutzbar zu machen sucht?

Einmal ist es der mutudu, der Älteste der patriarchalisch gestaffelten Gruppe in Sippe, Großsippe und Stamm. Er tut es kraft seiner Stellung; nicht notwendigerweise, aber meist tatsächlich ist er ausgerüstet mit besonderen Machtmitteln, er verwaltet ja die der Gruppe gehörigen.

Im Vollsinn ist aber dafür zuständig der nganga nganga, der um die magischen Mittel Wissende und sie als Medizinmann Medizinmann und Orakler Übende. Durch mysterische Weihen, vgl. auch Kultbund Weihen ist er mulondedi mulondedi, Gefüllter, Vollmensch geworden, der sein Wesen nicht nur in der Sichtbarkeit hat, sondern dem auch der Zutritt in die übersinnliche Welt offen steht. Als solcher ist er momä, der Männliche, dessen Mannestum sich aber nicht über eine polygyne Sippe erstreckt, sondern „Mann“, Herr ist im Reiche des ndimsi ndimsi, der unsinnlichen Welt75.

Berührt es da nicht als ein Zeichen der Reinheit der mit Loba verbundenen Vorstellung, daß zu ihm auch die unwissende Frau schreien kann ohne magische Ausrüstung, ohne mysterischen Kult, ohne Opfer? Hier bricht doch etwas von wahrhaftiger Ursprünglichkeit hervor inmitten des Wustes verlogenen Okkultismus’!

Werfen wir noch einen Blick auf einige Gebräuche, in denen der Mensch seine mystischen Kräfte versucht.

1.  Segen Segen, Fluch Fluch und Wegnahme des Fluches

Dem Menschen fällt auf, daß ihm im Wort ein Mittel gegeben ist, das ihn über die ganze Natur stellt; denn wenn er auch von einem klingenden Gegenstand, Trommel, Glocke, Donner u. a. sagt, er „rede“, so ist ihm das doch nur ein „tönendes Erz oder eine klingende Schelle“. Die menschliche Stimme kommt aber nicht von einem unbelebten Ding, sondern von einem beseelten Wesen. Darum ist ja auch der Name Name eines Menschen im Grunde ein Geheimnis, das man schützen muß. Freilich legt man nicht jeder menschlichen Rede solche magische Macht bei, sondern nur dann, wenn sie in der Absicht zum Nutzen oder zum Schaden gebraucht wird. Und auch da ist es natürlich ein Unterschied, ob ein gewöhnlicher Mensch oder ein Alter oder „Vollmensch“ spricht, ob er unbeabsichtigt, harmlos oder im Affekt oder gar in magischer Absicht und liturgischer Form symbolisiert durch Handlung spricht. Vor allem sind es die Alten, „deren Wort nicht auf den Boden

{152a}

[S. 152b ist Einschub in S. 152a]

fällt, wie das Sprichwort Sprichwort sagt, deshalb freut man sich ihres Segens und fürchtet ihren Fluch. Denn „die Stimme eines Alten – Zähne der großen (schmerzhaft beißenden) Ameise“; Sprichwort.

Einigungs- oder Segensfeier in einer Bakosi-Sippe: Eine alte, angesehene Frau ist gestorben. Auf Einladung hin kommen ihre Töchter und die eingeheirateten Frauen der Sippe zusammen. Die älteste von ihnen nimmt einige Kräuter, darunter auch milde Melde, vgl. S. 129f., und durchknetet alles mit Palmfett. Sind am Morgen alle Frauen und ihre Männer beisammen, so stellen sich die Frauen in eine Reihe hintereinander [auf] und die älteste, die damit ihr Haupt wird anstelle der Verstorbenen, bestreicht mit dem geölten Kräuterbündel jeder einzelnen die Herzgrube, denn dort vermutet man den Sitz des Herzens. Dabei spricht sie etwa: „Das Herz im Leib sei euch mild und weich wie diese Medizin (d. h. im Verkehr untereinander seid rücksichtsvoll). Darum, was immer ihr habet, das gedeihe und gehe voran, z. B. euer Vieh und Äcker und Kinder. Habt ihr von einem etwas zu fordern, so möge er es auf Verlangen in Frieden zurückgeben. Gott gebe euch allezeit Frieden und Kinder.“ Nach Anrufen der männlichen und weiblichen Vorfahren fährt sie fort: „Sie, die früher diesen Platz besaßen, aber nun gestorben sind, mögen euch Gutes schaffen. Und was ein Verstorbener nicht weiß und kann, das schenke euch Gott reichlich und in Segen! Pyopyo!“ Und alle fallen mit ein: „Dee!76 So ist auch für ein in die Ehe tretendes Paar nichts erwünschter als der elterliche Segen, besonders des Brautvaters; vgl. die Übung beim Auszug der Bräute auf S. 68ff.

Die Bakosi schicken oft Kinder mit einer kleinen Gabe, etwas Tabak o. ä., zu einem Alten in der Erwartung, daß er ihnen ein Segenswort sage; etwa: Gott sei mit dir auf allen deinen Wegen, die du gehst. Er gebe dir, was du nicht hast! Dabei spuckt er dem Kind auf die Herzgrube.

{152b} Will bei den Basa ein Alter einem Kind etwas Gutes tun, so zerkaut er eine Kolanuß und spuckt sie dem Kind auf Brust und Rücken und spricht dabei: „Du sollst alt werden wie ich, Kinder und Wohlstand bekommen; es soll dir gut gehen und [du] sollst gesund bleiben. Was du beginnst, möge dir gelingen. Überall sollst du gut gelitten sein; alle, mit denen du zusammenkommst, sollen dich lieben!“

Bausegen bei den Bakwiri: Zur Hausweihe wird ein Tier geschlachtet und das Blut Blut auf die Erde für die Geisterwelt gegossen. Dabei ruft der Sippenälteste die Geister an und sucht ihren Segen auf die Hausbewohner herbeizuziehen, damit das Leben im Haus in Glück und Frieden verlaufe. Auch an die Feuerstelle, die ja durch verschiedene Mittel festzumachen ist, wird von dem Blut geschüttet, und die Hausfrau „segnet“ den Platz, ruft die Geister an und bittet: „Wenn ich auf diesen Herd Herd Nahrungsmittel stelle, so lasset das Essen gesegnet sein. Allezeit sei es friedlich in den Bäuchen, damit durchs Essen nie Leibschmerzen oder andere Bauchkrankheiten entstehen.“

Ein solcher Segen ist auch das auf S. 72 beschriebene somele la musoso „Anwünschen der Fruchtbarkeit“.

{152a} Eine noch größere Rolle als der Segen spielt im Leben des Kameruners (ob wohl nur hier?) der Fluch. Schon daß man dafür so vielerlei Namen hat, ist bezeichnend z. B.

loa „schelten, lästern, verfluchen, entweihen“, lou pl. malou „Fluch“;

djo „durch mit Zauberei verbundenen Fluch krank machen“, mudjon „Verhexung“,

bena „hassen, grollen“, dibena „Fluch“, topo dibena „lästern“, mbena Vorzeichen „Vorzeichen, das den Fluch und seine Wirkung anzeigt“.

yema „verwünschen“, muyema „Verwünschung“;

tama moto nyama „einen lästern, als sei er ein Tier; einem fluchen, daß er wie ein Tier eingehen soll“.

eboma „Wort, mit dem man einem Unheil anwünscht“.

mbomba „Fluch und Lästerung“, schlimmer als lou und dibena.

Allen diesen Ausdrücken liegt der Glaube zugrunde, daß mit Aussprechen der in den Worten verborgenen Vorstellung das Gegenüber geschädigt werde. Man schreibt eben dem Menschen geheimnisvolle Seelenkräfte zu, durch die er auf das Geschick des anderen einwirken kann. Man glaubt, daß man mit solcher Verwünschung oder Fluchwort den, dem es gilt, in einen Gefahrenzustand versetzt, vgl. S. ---, der so lange anhält, bis das Wort wieder zurückgenommen ist, das [= die Zurücknahme] meist mit einer Handlung verbunden sein muß.

Ein Fluch ist um so mehr gefürchtet, wenn er mit einer Fluchhandlung verbunden ist. Dazu gehören z. B. das Klopfen auf den Boden mit einem Reibestein (wahrscheinlich ist es ursprünglich der auf S. 130 beschriebene nyo-Stein), wodurch die „Schatten“ im Hades gleichsam als Zeugen und Eideshelfer angerufen werden.

{153a}

[S. 153 ist in a – d unterteilt, wobei b – d Einschübe in a darstellen]

[Fußnote, nicht einzuordnen: ] In diesem Falle heißt das Kraut ehud-nsöl „das den Mund, d. h. den Fluch, wegnimmt“.]

Wird im Zorn ein Kochtopf auf dem Boden zerschmettert oder ein Haushaltsgegenstand in den Hof geworfen, so ist das ein schwerer Fluch, den der Hausvater seiner ganzen Familie auflädt. In diesem Sinne gilt auch, wenn ein Mann die Herdsteine seiner Frau aus dem Boden reißt; er löst damit das Eheverhältnis auf. Das Spalten einer Kolokasia begleitet die Auflösung eines Sippenverhältnisses, vgl. auch S. 44.

{153b} Vom Fluch auf einen anderen ist eine Art Selbstverfluchung zu unterscheiden; es ist eine Art Beteuerung, schwören Schwören, wo man sich etwas Schreckliches anwünscht, falls man das oder jenes getan habe oder tun werde; z. B. „dann will ich, daß mein letztes Kind dahin gehe, wohin die anderen gegangen [sind]“, oder „dann soll mich ein Baum erschlagen“, oder „bei den Beinen der männlichen Fliege“, die nämlich auf meinem Leichnam herumkriecht; oder „dann will ich meinen verstorbenen Vater sehen“, oder „dann soll meine Mutter aus dem Grab kommen“ o. v. ä. Diese letzteren Arten sind häufig und gaben dem Brauch den Namen: Kana songo „schwören (in bezug aufs) Grab Grab“; deutlicher noch ist das Bakosi-Wort: Tubä song „das Grab durchstoßen oder aufbrechen“. Die Vorstellung dabei ist, daß er etwas, das als bedim „Unglückszeichen“, vgl. S. 135, angesehen wird, erleben soll, daß er sich also ein Unheil anwünscht oder anflucht, falls er nicht zu seiner Sache steht.

Ein anderes wird mit nyo male „ein Machtmittel, vgl. auch Dynamismus Machtmittel trinken“ bezeichnet. Das ist aber eine doppelseitige Handlung. Es muß sich nicht immer um ein eigentliches „Trinken“ handeln, sondern das wesentliche ist, daß sich beide Parteien unter die Macht des gleichen magischen Mittels stellen, es sei nun ein einfaches Machtmittel oder ein Großfetisch oder das Emblem eines Kultbundes u. a. Da sich dadurch beide Parteien gleichmäßig binden (hierher gehört z. B. auch der auf S. 78 besprochene Blutbund), heißt nyo male übertragen auch „Bund schließen“ und mit der Intensivendung am Verb nyose male „losen“; es soll bei diesem Brauch sofort ein Entscheid erzwungen werden; daher diese Endung.

Wenn nun z. B. die beiden Teile der Heiligen Schrift mit „Altes male male“ und „Neues male“ wiedergegeben werden, so paßt das nur in sehr übertragenem Sinn, denn male ist zunächst nicht „Bund, Testament“, sondern „ein besonderes Machtmittel, das zum Schwören gebraucht wird“, d. h. unter dessen Gewalt man sich stellt, indem man seinen Absud oder Abspülwasser trinkt. Das tertium comparationis ist, daß durch das male etwas festgemacht wird, Hebr 6, 16.

{153a} Die angeführten Beispiele zeigen dunkelstes Gebiet kameruner Volkslebens; sie könnten reichlich vermehrt werden.

Wie ein Fluch das harmonische Verhältnis zu einem anderen aufhebt, so kann dies wieder erneuert werden durch Rücknahme des Fluches. Da hat z. B. eine Bakosi-Frau den Jagdhund ihres Mannes „gescholten“. Darauf führt der Jäger zurück, daß ihm das Jagdglück nicht mehr hold ist. Er muß seine Frau bewegen, ihren Fluch zurückzunehmen. Sie holt im Wald das milde Melde- oder Balsaminenkraut, legt es in Wasser, schlägt es sich auf den Mund und um die Schultern, dann beißt sie davon ein Blatt ab und spuckt es über die Schulter nach rückwärts aus mit den Worten: „Was der Mund gesprochen [hat], das tut der Mund auch wieder weg. Was immer ich gesagt [habe], das tue ich nun aus meinem Herzen weg“. Man erwartet nun, daß der Hund wieder auf der Jagd taugt.

Brüder sind uneins geworden und leiden nun am Unsegen durch die Ahnen. Wenn sie den Grund der Uneinigkeit beseitigt haben, gehen sie an das väterliche Grab, und der Sippenälteste trägt dem Verstorbenen etwa vor: „Deine Kinder waren uneins und verfeindet; du hast ihnen darum deinen Segen vorenthalten. Nun haben sie sich wieder ausgesöhnt und bitten dich, du mögest ihnen auch wieder gut sein. Darum nimm auch die Gabe, die wir hier dir darbringen und verzehre sie mit deinen Genossen“. Dabei schüttet er etwas Wasser oder Palmwein, etwas Speise und Schnupftabak aufs Grab, und die Gesellschaft geht nach Hause, um im gemeinsamen Mahl die Aussöhnung offen zu bekräftigen.

{153c} Es ist ein Brauch, daß jede Versöhnungsfeier mit einem Gemeinschaftsmahl Gemeinschaftsmahl schließt. Es ist das ein Zeichen, daß zwischen beiden nichts Böses mehr besteht; solange eine Partei zu solchem Mahl nicht bereit ist, ist auch die Sache nicht erledigt.

Auch ein Fluch oder [ein] Schwur kann nur gelöst werden, wenn die Sühnehandlung durch ein solches Mahl beendet wird. Andernfalls wirkt der Fluch an dem, dem er galt, die Beteuerung an dem, der sie aussprach, wie eine unheimlich fressende Macht. Wurde Fluch oder Beteuerung öffentlich ausgesprochen, so muß auch die Zurücknahme unter Beteiligung der Öffentlichkeit erfolgen. Das Mahl ist gleichsam ein Versöhnungsopfer und bringen muß es der, dem an Zurücknahme der Sache gelegen sein muß. Die Größe der Leistung aber bestimmt zumeist nicht er, sondern ein Ältester oder der Kultbund u. ä.

{153a} Wenn einer oder eine Gruppe etwas Großes vorhat (Jagd, Reise, Ringspiel, Wettrudern, Krieg u. ä.), versammeln sich zuvor die Angehörigen und Nachbarn, und man bespricht die Unstimmigkeiten mit ihnen, vgl. S. 156; zum Zeichen, daß alles in Ordnung ist, schüttet man dem Betreffenden Wasser über Hände und Füße. So tun sie ihre mabena „Lästerungen“ von ihm; denn maliba ma mbingo a ndabo a si membene lambo „dem Wasser am Hauspfosten (wo die Versöhnung gehalten wird) ist nichts zu schwer“, sagt ein Bakwiri-Spruch. Segen

2.  Gebet Gebet und Opfer Opfer

Seither wurde schon an verschiedenen Stellen vom Gebet gesprochen: Ahnen-, Fetisch-, Dämonen-, Orakel Orakel- und Loba-Anrufung. Doch auch sonst äußert sich des Primitiven Glauben im Gebet, und auf S. 139 ist gezeigt, wie er darauf auch gleichsam eine vorläufige Bestätigung erwartet. Es gehört mit zu den Vorzügen unseres Gebietes, daß wir dort auch Gebete zum Schöpfer- und Richtergott, nicht nur zu Ahnen oder Naturkräften antreffen. Nur Opfer und Gelübde erhält die höchste Gottheit nicht.

Gebete werden dargebracht in Not, um Verderben, Krankheit und anderen Schaden jeder Art abzuwenden und um Glück, Frieden und Gedeihen anzuziehen. Das Beten des Primitiven ist zumeist aber nicht nur geistige Betätigung, sondern wird z. T. auch als Magie empfunden.

{153d}

Einige Beispiele von Gebeten der Bayangi:

Bei langanhaltenden Krankheiten Krankheiten kann sich einer an den Vollmond wenden und spricht etwa: „Du, Mond Mond, der du nun wieder weggehst! Nimm du meine vielen Eiterpusteln und geh mit ihnen weg!“ – Wenn sich in der Trockenzeit der Abendhimmel rötet oder dunkelt, erfüllt Angst vor ungewissem Kommendem die Seele, und man schaut ins Abendrot und spricht: „Herr Mandem, Gottesname der Banyangi Mandem (Gott), hilf du selbst mir und den Meinen zu dieser Zeit, denn wir wissen nicht, was uns bevorsteht.“

Morgens nimmt der Hausvater eine Kalebasse mit Wasser, tritt unter die Haustür, gießt mit der linken Hand etwas Wasser auf die Erde und spricht: „Gott, nimm dieses wenige Wasser an. Schlief ich heute Nacht nicht und ging (als Hexe) aus, meinen Nachbarn in der Dunkelheit zu (essen), so soll dies Wasser meine böse Tat strafen und das Unrecht auf sich zurückbringen.“ Dann schüttet er das Wasser mit der rechten Hand aus und spricht: „Wie dieses Wasser, so sei mein Tag! Es ist rein; so sei mein Handel auf allen meinen Wegen rein von allem Bösen!“ (Dieser Wunsch schließt beides ein: Sein Tun soll sittlich einwandfrei sein, und es soll ihm keine schlimmen Folgen eintragen.) Dann wäscht er Hände, Gesicht und Füße und schüttet den Wasserrest aus. Fällt das Wasser platschend auf, so ist das ein Zeichen, daß er in einem guten Stand gebetet hat. Vgl. dazu Ittmann, Nyang‑Grammatik [Kenyan, die Sprache der Nyang. Zeitschrift für Eingeborenensprache 26, 1935/36], S. 124f.

{153a}Die Opfer, vgl. auch S. 40f., 53, sind mit Gebeten, manchmal auch mit Gelübden verbunden. In Zeiten, wo alles gut und seinen geregelten Gang geht, wird selten geopfert oder gebetet. Immerhin denkt man auch an den Geber, wenn einem ein besonderes Glück begegnete; so ruft z. B. der Grasländer im Glück aus, wenn ihm ein Kind geboren ist: danken Dank sei dem Ahnengott, der uns besucht und froh gemacht hat! Und die Basa wollen einen, dessen Feld wohl getragen [hat], mit dem Gruß Gruß: Schau, wie dir Djob (= Loba, vgl. S. 148) schön scheint! hinweisen auf den Geber aller guten Gaben.

{154a}

[S. 154b stellt Einschub in S. 154a dar]

Gewisse Gebete können auch von Einzelnen gesprochen werden, wie auf S. 148, 151 gezeigt [wurde]; im allgemeinen, besonders aber beim Ahnendienst entspricht es dem patriarchalischen Aufbau von Sippen und Stamm, daß der Älteste, gleichsam als Priester die festgelegten Gebete oder vom Orakel bestimmten Opfer darbringt, z. B. beim Neumond. Für andere wären solche Gebete oder Opfer ein Vergehen, das wieder gesühnt werden muß.

Obwohl die Opfer nach den verschiedenen Anlässen verschieden sind, gibt es eine strenge Unterscheidung nach Dank-, Schuld- und Sühneopfer u. ä. nicht.

{154b} Spucken geschieht in verschiedener Bedeutung. Vielfach ist es bedeutungsloses to malodi „Speichel austropfen lassen, wegspritzen“; und für die Zahnverstümmelung Zahnverstümmelung wird auch angegeben, „damit man schön spucken kann“. Spucken kann aber auch Ausdruck des Ekels und Abscheus sein. Darum ist auch verboten, vor einer essenden Person auszuspucken; solches Spucken kann scharfe Zurechtweisung nach sich ziehen.

Davon unterscheidet sich aber poma „rituell spucken“. Es ist gleichsam eine persönliche Gabe des Spuckenden, ein Hauchspeichelopfer „Hauchspeichelopfer“, oft vermischt mit zerkauten Ingwerkörnern. Es ist vielleicht das primitivste und ursprünglichste Opfer, das wir kennen. Es hat zweierlei Bedeutung: 1. Abwehren einer unheimlichen Macht, z. B. auf S. 9f., 23, 61, 125 und sonst; 2. Ihr ein Stück von sich selbst geben, z. B. S. 152af. Meist aber ist es beides zugleich: Gabe und Abwehr, indem pars pro toto gilt.

Auch das zustimmende „sch“ auf eine Aufforderung zur Zustimmung hin bei einer Versammlung, ist nicht unser einfaches „ja“, sondern eine Art kultisches oder ritueller Akt der Zustimmung.

Das Vorstehende zeigt schon, daß man das Opfer dort bringt, wo man das Machterlebnis hat oder hatte, vgl. auch S. 11, 40f., 44. Daneben gibt es natürlich auch noch durch Herkommen und Einrichtung festgelegte Stätten des Opfers: der schon genannte Ahnenopferplatz, der Abfallhaufen hinterm Haus, der Groß- oder Hoffetisch, S. 137, die Beschwichtigungssteine, S. 136, der Herd, S. 152b, die nyo-Plätze, S. 130 u. a.

{154a} Ohne Zweifel muß das Evangelium auch im Gebetsleben der kameruner Christen ein Neues pflügen; daß aber dem Primitiven Formen des Gebetes, Opferns und Gelobens bekannt sind, daß sich dafür Namen und Zeitwörter in der Sprache finden, ist dem Boten des Evangeliums eine Verheißung: Also wird auch dein Wort vom Anrufen im Geist und in der Wahrheit ein Echo finden; vgl. auch das auf S. 48 über den Opferdienst Opfer Gesagte. Gebet

3.  Magie Magie

In seinem Buch Religion „Religion und Magie“ (bei B.G. Teubner, Leipzig–Berlin 1927) weist Karl Beth die alte These der Entwicklungstheorie zurück, daß Magie die Mutter der Religion sei und weist nach, wie zwar beide ein Verhältnis zu dem Übersinnlichen ausdrücken, sich aber ganz verschieden zu diesem Gebiet verhalten. Magie führt nicht zur Religion, sondern tötet sie. In der Magie will der Mensch Gott Gott sein, indem er als Herr und Könner das Übersinnliche zu seinem Nutzen und anderer Schaden wirken macht. Die Magie ist das Mittel, mit dem der Mensch seinen Willen und Absicht gegenüber Gott durchsetzen will.

In der Religion aber steht das Übersinnliche, Göttliche als etwas Selbständiges, Überlegenes, Andersartiges dem Menschen gegenüber. Gegenüber Gottes Macht erkennt der Mensch seine Ohnmacht. Darum schafft auch nicht intellektuelles Erwägen den religiösen Gottesdienst; nicht der Verstand findet den Gegensatz zwischen menschlicher Armut und der geheimnisvollen Kraft des Unsichtbaren. Nicht durch Überlegen und Grübeln findet sich der Mensch durch zum Unendlichen und erschafft Gott; sondern Gott spricht den Menschen an; vielleicht nicht jeden, jedenfalls bringt nicht jeder Mensch das gleiche Hörgerät mit. Prophetische Menschen aber gab’s und gibt’s auch unter den Heiden, die der anderen Gewissen sind, und Gott bezeugt sich durch sie an den anderen. Ohne Offenbarung keine Gotteserkenntnis. Nur durchs Aufleuchten der Sonne kann das sonnenhafte Auge des Menschen schauen.

So sind beide, Religion und Magie, ganz verschiedene Geistesrichtungen von Grund auf.

Die Magie will die menschliche Ohnmacht verdecken, indem sie dem Menschen Kräfte vortäuscht, die ihm zur Verfügung stehen, sobald er nur das rechte Wort gesagt, den rechten Handgriff gemacht [hat]. Mit der magischen Kraft ausgestattet will der Zauberer nicht {155} nur die Naturkräfte zwingen, sondern er dringt ein in den Bereich des Übersinnlichen und verfügt über die dort wesenden mystischen Mächte, ob es nun Kräfte, Geister, Dämonen, Götter sind oder der Allmächtige selbst. Dem Magier steht alles zu Gebote.

Die Ethnologie führt alle Magie auf folgende Grundlinien zurück:

1. Nachahmende Magie: Gleiches bringt Gleiches hervor, z. B. Unruhe und unordentliches Wesen im Heim des Jägers u. ä. erregt die Wildheit des Wildes, vgl. S. 57, 123; oder ähnlich: Eine Wirkung gleicht ihrer Ursache; z. B. der Regenvertreiber bewegt seinen Büschel und so vertreibt der Wind die Wolken.

Einer hoffenden Frau ist [es] verboten, vom Fleisch der großen Streifenantilope zu genießen. Man sagt, daß sie verwundet stark blutet und will bei der bevorstehenden Geburt großen Blutverlust verhindern. – Im Wunsch, den Gehaßten an der Lebensseele zu verletzen und ihn siechen zu machen, bläst man vergiftete Nudeln durch eine Röhre, Beinknochen o. ä. in der Richtung und mit einer Verwünschung auf ihn ab. Dieses ngad’ a mudumbu „Gewehr des Mundes“ ist ein sehr gefürchteter Zauber, vgl. auch Magie Zauber und nicht wenige Krankheiten Krankheiten werden auf ihn zurückgeführt. Auch Tiere können vermöge innewohnender Kraft zaubern, z. B. sind Hunde mit Augen, vier „vier Augen“ sehr beliebt; sie haben über oder unter den Augen je einen Flecken; oder sie bellen nachts viel ohne ersichtlichen Grund, „sie sehen Hexen“. Auch andere Tiere können zaubern, z. B. Ziegen, Hühner u. a.

Der Zauberer glaubt, daß, wenn er die erwünschte Wirkung in seiner Handlung vorbildet oder nachahmt, er diese Wirkung hervorbringe.

2. Übertragungsmagie handelt des Glaubens, daß Objekte, die einmal in Beziehung zueinander gestanden, gegenseitig auf sich fortwirken, auch wenn die physische Berührung nicht mehr besteht. Der Zauberer ist überzeugt, daß, was mit dem geschieht, das mit einem Menschen in Verbindung stand (Kleidungsstück, Urin, Stuhl, Fußabdruck, Haar, Nägel u. ä.), dem Eigentümer selbst geschieht; z. B. kann man dem Huhn eines Angeklagten statt diesem selbst den Ordale (Gottesgericht) Ordaltrank geben, vgl. S. 133; geht es infolge des Giftes zugrunde, so ist der Besitzer schuldig.

Ein Mensch soll an Schwindsucht (Leopardenhusten) zugrunde gehen, wenn er ein Schnurrhaar von einem Leoparden verschluckte oder zerrieben in seiner Nahrung zu sich genommen hat.

Wir sahen, daß ein Zusammenhang besteht zwischen Mord, Mörder Mörder und Gemordeten, auch getötetem Großwild. Dem Mörder hängt das mbaki vom Getöteten an als eine Gefahr für ihn und seine Umgebung, vgl. S. 58. So sind auch die Waffe und der Verwundete magisch miteinander verbunden. Man salbt den Speer mit Öl oder gibt ihm einen Verband, um die Heilung der Speerwunde zu fördern; wer die Wunde verschlimmern will, macht die Waffe glühend. – Vgl. auch die Übertragung eines Übels auf ein Tier S. 44.

{156}

[Im Original auf Rückseite von S. 155: ] Die Rp. besprechen sich vor jeder großen Aufgabe, um reinen Tisch zu machen, z.B. vor Kriegen [?], Reisen etc. Wer mit dem anderen etwas hat, der soll sich mit ihm Aussöhnen. (Der Alte) nimmt nach der Aussprache Wasser, stellt sich unter die Tür, schüttet Wasser aus und wäscht seine Hände und Füße (damit er nicht stolpere) oder +++. Ferner ein eingeklebter Zettel, teilweise Stenoschrift: ] lemba le bowan ba ndombi epukepuke, esukudu, mwea ma ngokolo +++ mulemba + o ndabo o da mba +++]

Wir verzichten auf weitere Beispiele des Zaubers. An vielen Stellen dieses Buches sind ja Beispiele gezeigt, siehe besonders S. ---.

Wer so zum Nutzen der Gruppe Magie üben kann, er sei mulondedi, mome, nganga oder mot’ a ngambi, ist ein angesehener Mann. Aber die Angesehenen der anderen Sippen, ja die Zauberer unter den „Schatten“ sind auch da, und wer kann auf die Dauer den eigenen Zauberern trauen? Muß nicht jeder von ihnen einen Menschen opfern, um zu seinen magischen Kräften zu gelangen? Hier ist eine andere Quelle des Hexenglaubens, der Angst und Grausamkeit gebiert.

An verschiedenen Stellen ist schon von einer Versammlung die Rede gewesen, die zur Beseitigung von unguten Verhältnissen zusammen gerufen wird, z. B. S. 19a, 44, 57, 129. Man nennt das topo besa „Tadel aussprechen“, von sa „tadeln“. Man glaubt, daß Streit, Haß, Fluch, Verwünschung, Sünde unheilbringend auf den Einzelnen und die Gruppe wirken; wie ein verborgener Bann Bann lähmt es die Wohlfahrt der Sippe Sippe oder des Stammes und zehrt an der Lebenskraft des Einzelnen. bekennen Bekennen solcher Schuld und Gutmachen schafft die Quelle des Unheils weg. Stehen große Aufgaben bevor, wo alle heilbringenden Kräfte frei wirken sollten, oder steht man im Unheil und wünscht davon frei zu werden, so ist die Gefahrenquelle zu verstopfen durch Aussprache in der Gruppe. Dabei legt der Führer der Gruppe oder [ein] anderer Einrufer der Gruppe das Anliegen dar, bittet um Aussprache dessen, was man gegen den hat, der sich in Gefahr befindet oder begibt. Nun bringt jeder vor, was er gegen ihn hat; er schilt oder „tadelt“ ihn und bekennt dabei, was er gegen ihn im Herzen hegt oder sich auch durch eine Verwünschung vom Herzen geredet hat. In vielen Fällen sind dann Gutmachungen nötig, bis einer erklären kann, daß er nichts mehr gegen den Betreffenden hat. Ist auf diese Weise alles geordnet, so wird zumeist durch irgendein magisches und nicht ganz appetitliches Brauchtum, das z. B. die Bakosi Schmutz (Zubehör, Abfall) „Schmutz“ nennen, eine Art Gleichschaltung aller vorgenommen; etwa: In Wasser ist Mäusekot, Euphorbiensaft und ähnliches aufgelöst, darin wäscht jedes Mitglied seine Hände und trinkt etwas davon; oder der Kranke wird abgewaschen (weil er tabu ist, hat er sich vielleicht wochenlang nicht mehr gewaschen!) und von dem Wasser trinkt nun jeder. Wer trotzdem durch seinen Fluch oder als Hexe oder sonst weiterhin an dem Kranken zehrt, geht an dem Getrunkenen zugrunde, vgl. auch S. 24a.

Dann stellt der Leiter der Versammlung laut die Frage, ob alle mit Gelingen des Vorhabens oder mit Beseitigung des vorliegenden Unheils einig seien, worauf laut die Zustimmung erfolgen muß, wenn die Sache einen Zweck haben soll; vgl. S. 153c. Mit dieser Zustimmung ist die Tadelversammlung Tadelversammlung aufgehoben, ein Gemeinschaftsmahl hält die Gesellschaft noch etwas beisammen, dann zerstreuen sie sich in der Erwartung, daß alles gut gehen wird.

Vereint eine solche Versammlung einen ganzen Stamm, so heißt sie bwambo bondene „große Aussprache“, vgl. S. 6.

Bei manchen Stämmen ist diese Versammlung nicht nur mit „Schmutztrinken“, sondern auch mit sinnigem Brauchtum verbunden. So überreichen bei den Basa alle Ankommer dem Einlader Blätter eines gewissen Baumes und zwar in feierlicher Weise, vgl. Note S. 42. Diese Blätter werden auf eine Schnur gereiht und dem Einlader um die Hüften gebunden. Ist dann das Anliegen erledigt und die Versammlung erhebt ein Freudengeschrei, so durchschneidet einer die Schnur, die Blätter fallen zu Boden und von der symbolisch auf ihn gelegten Last befreit eilt der Einlader davon.

Vgl. S. 44. Andere Stämme drücken die Befreiung von der seitherigen Belastung durch andere Symbole aus. So gebrauchen die Elongasi östlich von Duala den kleinen munjole „Honigsauger“ gleichsam als „Sündenbock“. Am Schluß solcher Tadelversammlung streicht man allen Anwesenden dieses Vöglein über Rücken und Bauch und läßt es dann fliegen unter dem lauten Zuruf: A hune nemb. „Er trägt den Tod mit sich weg“.

Die Basler Missionare haben sich schon oft besonnen, ob man diesen ganzen Brauch nicht in der Gemeinde verwerten könnte. Denn die hinter ihm stehende Erkenntnis, daß Feindschaft, Unrecht und Schuld wie ein Bann Einzelne und Gemeinschaft belasten und daß solche Last durch Bekenntnis und Wiedergutmachung beseitigt werden kann und Friede und Freude den Bann ablöst, ist ja auch christliche Erkenntnis. Allein das damit verbundene Brauchtum ist so sehr mit magischen Vorstellungen verknüpft und alles ist so sehr auf das magische Können des Menschen abgestellt, daß in Seelsorge, Wortverkündigung und Kultus nur ein indirektes Eingehen auf diesen alten Brauch möglich ist. Der diesem Brauchtum zugrunde liegende Exorzismus, geübt von der Gruppe, ist mit dem Evangelium nicht gut zu vereinen.

{157} Als Beispiel wie Hexen Hexenglauben und magische Abwehr aufeinander wirken, gebe ich den Bericht eines Schülers, der sich wegen Schulschwänzens entschuldigt:

Ich kam dieser Tage nicht zur Schule, weil unser Sklave gestorben war und beerdigt wurde. Auf Befragen erzählte er weiter, der Sklave habe eine Angel verschluckt, und diese Sache sei so gewesen: Der Händler X in unserm Dorf hatte gemerkt, daß ihm immer wieder Waren in seinem Laden fehlten. Seine Aufmerksamkeit hatte keinen Erfolg, also mußte hier der Diebstahl Diebstahl auf unsinnliche Weise, d. h. durch Hexenkunst vor sich gehen. Dagegen konnte nur das Mittel eines mit magischen Kräften Ausgestatteten helfen. Ein solcher Hexenbanner wurde gerufen; er vergrub seine Machtmittel in dem Laden und hängte unters Dach einen Medizintopf, in dem auch ein Angelhaken lag. Und nun mußte sich der heimliche Dieb selbst fangen, denn das Mittel sollte die Wirkung haben, daß die Hexe beim Verschlucken der Waren auch den Angelhaken verschlang, der ihr im Schlund haften blieb. So war „er“, d. h. das übersinnliche Ich gefangen; der in Schwachheitszustand versetzte Körper lebte weiter. Nach einigen Tagen ging der Händler zum Orakel; das fand heraus, daß unser Sklave die Angel geschluckt habe und deshalb daran glauben müsse. Händler und Orakler sorgten dafür, daß diese Auskunft unter die Leute kam. Die Auskunft des Orakels läßt ja keinen Zweifel zu; das ganze Dorf glaubt es, auch der Sklave glaubte es. Denn was kann der nur im Sinnlichen Befangene wissen, was seine Lebensseele Lebensseele während des Schlafs in der unsinnlichen Welt treibt? Der Sklave floh in den Wald, um allen Einflüssen entronnen zu sein. Aber weil er selbst die Auskunft des Orakels glaubte, hatte das magische Mittel Gewalt über ihn; es dauerte nicht lange und man fand ihn als Leiche. Da war erst recht jedermann klar, warum er gestorben ist; und hätte man ihn fragen können nach seiner Todesursache, so hätte auch er nichts anderes zu sagen gewußt. Er starb an seinem Aberglauben.

So sehen wir, wie die Magie an der Wirklichkeit und Wahrheit vorbeigeht und zur Lüge wird. Kein Wunder, wenn die Verbindung mit ihr unsicher, verlogen und grausam macht. Sie untergräbt das Denken, und schon darum kann nicht durch Denkprozeß aus der Magie die Religion erwachsen sein. Magie schaltet alles sittliche Empfinden aus, und macht die Menschen zu Quälern und Mördern. Ob das Verharren des Kameruners auf seiner niedrigen Kulturstufe nicht veranlaßt ist durch seinen Glauben an die Magie? Sie macht nie frei, sondern hält in sklavischer Furcht. Magie

[ca. 7 Leerzeilen]

4.  Schamanen Schamanentum und Mantik Mantik

Ist nach dem Glauben der Kameruner der Menschengeist (Lebensseele) fähig, den Körper zu verlassen, sei es absichtlich (Totemismus), sei es unbewußt (Traum), sei es gezwungenermaßen (durch Hexen Hexen u. ä.) oder durch ein Versehen (vgl. mbeu a nyolo S. 39), sind die Totembesitzer imstande, in das Reich der übersinnlichen Mächte, den Hades und den Himmel, einzudringen, so ist es nur natürlich, daß auch die Wesen der unsichtbaren Welt hereingreifen in unsere Welt, ja daß solche kraftgeladene Menschen diese Mächte in unsere Welt hereinziehen können. Man glaubt, daß hier zweierlei Möglichkeiten vorliegen: einmal, daß der im Kultbund verehrte Dämon oder die hinter einem Machtmittel, vgl. auch Dynamismus Machtmittel wirkende Kraft u. ä. einen Menschen alea „festnimmt, ergreift“; zum anderen, daß die Geister, „Schatten“ zwecks Verkehr mit ihren Nachkommen und umgekehrt sich Medien erwählen. Wir geben einige Beispiele dafür:

Der djengu djengu-Dämon „ergreift“ ein Mädchen oder Frau, so daß sie krank wird und abzehrt. Ist durch das Singen eines nganga festgestellt, welcher Art der Dämon ist (die Bakwiri kennen vier verschie- {158} dene djengu-Dämonen), so stimmt die Patientin in den Gesang ein und springt dann in den Wald als „Ergriffene“ und hält sich versteckt, bis sie gefunden wird. Eingeweihte des Kultes geführt vom nganga des Bundes holen sie unter Gesang nach Hause. Durch das Ergriffensein vom Dämon gehört sie nicht mehr in diese Sinnenwelt. Darum gelten der nganga und ihre Kultmutter (meist eine ihrer Tanten väterlicher- oder mütterlicherseits, jedenfalls eine ältere Frau, die die Kultweihe erhalten hat) als ihre Eltern. Zu Hause bewohnt sie einen besonderen Raum oder Hütte, ist nur mit einem primitiven Schamschürzchen bekleidet und steht unter Aufsicht ihrer neuen Eltern. Die „Mutter“ führt sie in Riten, Tänze, Kultsprache u. a. ein, während der “Vater“ die nötigen Klistier Klistiere und Medizinen überwacht und ausführt. Die so „Ergriffene“ gilt als ein anderes Wesen und muß sich vor anderen, besonders Fremden versteckt halten. Auch ihre leiblichen Eltern sind nicht mehr ihre Nächsten; kommen sie in die Hütte ihrer Tochter, so versteckt sich diese hinter die Tür und spricht mit den Eltern, indem sie ihnen den Rücken zukehrt, diese aber stehen gebeugt, um die Ergriffene nicht anzuschauen, denn das könnte verhängnisvoll für sie werden, vgl. S. 54, in diesem Zustand gilt die Besessene nun als mit allerlei kleinem Getier verheiratet und nennt eine Maus, Eidechse, Zwergantilope und dgl. „ihren Mann“, erhebt Wehklage, wenn sie ein solches Tier getötet sieht. Wer ein solches Tier absichtlich tötet und wird dabei von einer Kultangehörigen gesehen, muß dem Bund Sühne leisten.

Diese Abgeschlossenheit teilt eine solche Jungfrau Jungfrau oft mit noch einer oder einigen anderen „Ergriffenen“, bis ihre Väter oder Männer das für das Großfest der Initiantinnen Nötige beisammen haben, was 1 – 2 Jahre dauern kann. Ist dieser Tag gekommen, so treten die Novizinnen mit ihrer älteren Ordensschwester in Reigen und Tänzen auf; ba busi mengu „sie kommen heraus als djengu djengu-Dämonen“. Mit dieser Vorstellung sind sie aus dem Übergangsstadium, während dessen sie in einem Gefahrenzustand lebten und auch für die Gruppe gefährlich werden konnten, gelöst und werden in den Bund als Vollmitglieder aufgenommen. Sie haben eine höhere Lebensstufe erreicht, können jederzeit Dämon Dämon werden. Nun kehren sie als solche in das bürgerliche Leben zurück. Sie sind vorbereitet für das, was von Frauen an schamanistischen Übungen gefordert werden kann, vgl. auch S. 18f.

Ähnlich sind ja auch die Initialweihen der männlichen Jugend, vgl. S. 49ff.; auch die magischen Mittel der heilenden nganga sind durch schamanische Tänze „zu vergrößern“; vgl. S. 45.

Anderer Art ist das “Ergriffenwerden“, wenn die in einem Machtmittel wohnende magische Macht, seien es nun Mächte oder Dämonen oder „Schatten“ o. ä., einen als Feind und Frevler ergreifen, weil er die von ihnen aufgestellten Regeln nicht beobachtete oder gar gegen sie gehandelt hat. Sie machen ihn krank und quälen ihn zu Tode, wenn es nicht gelingt, diese Mächte wieder zu versöhnen oder durch ein noch stärkeres Machtmittel den angerichteten Schaden beheben zu lassen.

Die Geister können aber auch ein Medium Medium zum Kundtun ihres Willens „ergreifen“. Da sind hauptsächlich zwei Arten bekannt; die eine geht auf menschliche Initiative zurück, bei der anderen brechen sich die Geister selbst Bahn:

a. Fundorakel

Elielie „das Finden, Fundorakel“ lag in den Händen der Frauen an der Küste und war ein Mittel der Gemeinschaft, um Auskunft aus der unsichtbaren Welt zu erhalten. War man über eine Sache, die die Öffentlichkeit anging, besorgt, so konnte der Kultbundvorsteher oder der Dorfhäuptling die Frauenführerin veranlassen, durch das elielie die Geister um Auskunft zu fragen. Die Alte rief eine Frauenversammlung für den nächsten Morgen ein und bestimmte einige, die sich des Beischlafs zu enthalten hatten. Am Morgen zog nun die Alte mit einigen Begleiterinnen durchs Dorf; sie sangen: „Auf, ihr Mütter, kommt, daß wir uns versammeln!“ Am Strand kamen die Frauen zusammen. Dort bildeten sie einen Kreis, in dem die Alte trat. In der Hand hielt sie {159} eine der Kokosnußschale ähnliche Fruchthülle mbonde. Die war gefüllt mit allerlei Mitteln, z. B. Schamhaaren von Frauen u. ä. Die Alte begann Sang und Tanz und die Frauen stimmten mit ein: „Kopf voller Wahrsagegeist, werde leicht und licht, eija, klare Sicht, klare Sicht! Eija, eija, klare Sicht, klare Sicht, hallo, hallo, klare Sicht!“ Die Alte kannte nun schon eine Frau, die einen „Wahrsagerkopf“ hatte, und mißriet die Sache bei der einen, so wählte sie eine andere. Hatte der Tanz zu einer gewissen Ekstase geführt, so übergab die Alte die Schale einer solchen Frau, die dann in den Kreis trat. Die Frau mußte nun die „Schale“ ganz „ergreifen“; das zeigte sich darin, daß sie die Schale so krampfhaft hielt, daß man sie ihr nicht mehr entwinden konnte. Der Tanz steigerte sich, und die Frau wurde schließlich wie von unsichtbaren Gewalten hin und hergezerrt, bis sie zuletzt umfiel und von Krämpfen geschüttelt sich in heftigen Zuckungen im Sand wälzte. A wam o mulopo „Sie ist leicht geworden im Kopf“, sagte man dann von ihr. Sie wurde dann von ihren Genossinnen aufgehoben und in eine Hütte gebracht, wo sie nun als Medium Medium redete, Aufträge der Geister ausrichtete und gestellte Fragen als Mund der Geister beantwortete. Zuletzt gab sie noch ein Kraut an, das man ihr um die Schläfen schlagen mußte, damit sie wieder zu sich kam, ganz erschöpft und mit starkem Kältegefühl. Die Frauenschaft zog nun singend durchs Dorf und verkündigte, daß das Dorf und viele Einzelne Bescheid auf ihre Anliegen bekommen haben.

b. Somnambule Anfälle

Bedjongo „hysterische oder somnambule Anfälle“ können auch Frauen befallen, die in keinen Dämonenkult eingeweiht sind; meistens sollen es junge verheiratete Frauen sein. Eine solche wird zunächst vom Fieber geschüttelt und sitzt dann meist am Feuer, ohne zu wissen, daß ihr Zustand zum bedjongo führen könnte. Schlägt sie gegen Abend um sich und wird später starr, dann weiß man, daß sie in einen anderen Zustand verfallen ist. Sie wird dann von einigen Leuten gehalten, oft in eine Decke eingewickelt, damit sie durch die Konvulsionen keinen Schaden erleide. Sie schreit, daß sie von Schatten gequält werde, die ihr allerlei Aufträge geben wollen. Sie läßt nun gewisse Leute rufen, um ihnen solche Aufträge auszurichten. Ist der Gerufene nicht alsbald zur Stelle, so schreit die Befallene wild auf und wirft dem Abwesenden vor, daß er Ahnen habe und nicht für sie sorge. Man kann durch sie auch Auskunft der Ahnen erbitten oder sich von ihnen Heilmittel für Kranke sagen lassen. Ist sie ihrer Aufträge ledig, so gibt sie ein Kraut an, dessen Saft man ihr in die Augen träufelt. Daraufhin wacht sie wieder auf, ohne zu wissen, was mit ihr vorgegangen [ist]. Langsam erholt sie sich und das Fieber verläßt sie.

Bei den Küstenstämmen glaubt man, daß an Tagen, da eine Frau von bedjongo befallen wird, das Meer still ist; die Geister können nicht zugleich Meer und Frau befallen. Das Geheimnis des bedjongo führt man auf den Einfluß von Magiern zurück, die die Frau heimlich in diesen Zustand versetzen.

c. Beständiger Verkehr alter Frauen mit Ahnengeistern

Während die vorstehenden beschriebenen „Sitzungen“ sich bei der betreffenden Person nicht wiederholen müssen, also nicht Dauerzustand sind, behaupten einzelne alte Frauen, daß sie in beständigem Verkehr mit Ahnengeistern stehen, die sie stets umgeben und ihnen Mitteilungen an die Lebenden zuraunen. Es ist, als sei bei diesen Alten die Scheidewand zwischen unserer Sinnenwelt und der Übersinnlichkeit dünner geworden, und man nennt mancherorts solche Alten mit dem gleichen Namen wie die Ahnengottheit.77Mit keiner Art dieses Medientums ist die Aussicht auf einen besonderen Rang im Hades verbunden.

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5. Was sieht der Missionar in dem Versuch, des Unsichtbaren Herr zu werden?

Das menschliche Verlangen nach Licht und Wegleitung durch mystische Mächte und der Glaube, daß dies möglich ist, geht durch die ganze Menschheit, auch die Kameruner. Wie stellt sich der Bote des Evangeliums zu diesem Suchen?

Kommt nicht in all diesen vielfach bewußt unehrlichen Manipulationen die Sehnsucht nach Offenbarung zur Erscheinung? Einmal hält [es] der Kameruner für möglich, daß ein Mensch Wohnung eines höheren Geistes sein kann und daß dann die übersinnliche Macht, das Göttliche aus ihm spricht, wenn sie ihn ergriffen hat. Zu solchem Beruf kann sich keiner drängen; er muß es sich gefallen lassen, daß er durch Reinigungsriten hindurchgeht und lernt, Entsagung [zu] üben mehr als andere. Wer als Dämon „Dämon herauskommen“ will, muß zuvor in die Stille gehen, schweigen lernen oder gar „sterben“. Das Fest des „Herauskommens“ ist zwar der Familie ein Tag stolzer Freude, aber es fordert sehr große Ausgaben, also Opfer. Man sagt, der Mann einer vorhin beschriebenen djengu-Frau müsse sie doppelt bezahlen: einmal den eigentlichen Frauenpreis und dann die Kosten für die Initiation. Das Kleid des Dämonendarstellers muß das Menschliche verdecken; nicht das im Fruchtbarkeitskult so sehr im Vordergrund stehende Geschlechtswesen ist hier das Wesentliche, sondern das Geistwesen. So haben auch die Medien mit Geschlechtlichem nichts zu tun, und ihre Offenbarungen empfangen sie nur auf dem Weg des Leidens. Das sind alles Gedanken, die unbewußt oder halb bewußt in Übungen und Ausführungen stecken.

Andererseits tritt uns hier eine krasse Selbstsucht entgegen, besonders in den Kultbünden, und es ist nicht Zufall, daß Christen im Blick auf die Geheimbünde gern sagen: „Denen der Bauch ihr Gott ist“. Der Ergriffenen und Geweihten Ziel ist es nicht, vorzüglich Träger des übersinnlichen Geistwesens zu sein, sondern der Selbstsucht und eigennütziger Macht zu frönen. Da tanzt die Großmutter im Kultbund und trägt etwas von für andere zu Tabu gewordener Speise mit sich. Die Enkelkinder erkennen die Großmutter in der Reihe und bitten um etwas Speise, die die Alte ihnen absichtlich hinhält. Die Enkel greifen zu und schieben das Verbotene ein. Da hebt die Alte ein Geschrei an: Die Kinder haben sich vergangen, sie sind in Gefahrenzustand gekommen! Und ihre Genossinnen stimmen ihr bei: Ein Mordsvergehen! Da muß der Vater seine Kinder mit der Hingabe einer Ziege vom „Zugriff des Dämon“ lösen und den Gefahrenzustand beseitigen. So wird das Vergehen der Kinder gesühnt, und die alten Weiber haben ihren Fraß.

Auf welche Weise werden in der Praxis all die schönen Gedanken des kameruner Geisteslebens mißbraucht und in den Staub getreten! Unter Vorgeben einer Offenbarung wird Unfug und absichtlicher Betrug getrieben. Weit entfernt davon, etwas vom wahren Prophetentum zu besitzen und zu offenbaren, bietet sich uns ein verzerrtes Prophetentum dar. Was von den Dämonen kommt, ist Schmutz und Lüge.

So liegt beides vor: Form und Verständnis für die geistige Seite des Menschen und seiner seelischen Kräfte, aber auch ihr Verzerren im Mißbrauch. Doch diese Anschauungen bieten Gefäße dar, in die die neutestamentliche Wahrheit gegossen werden kann. Wenn der Missionar [vom] Geist, [von der] Geistgemeinde, die über natürliche Grenzen hinausreicht, von Auferstehung des Leibes, von ewigem Leben u. ä. [spricht], weiß er sich verstanden, falls er in das Geistesleben seiner Zuhörer eingedrungen ist. Mensch

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Rückblick

1. Zusammenfassung des missionarischen Urteils über den geistigen Volksbesitz der Kameruner

Der Missionar in Kamerun weiß und glaubt, daß die Botschaft, die er den Primitiven des Landes zu bringen hat, einzigartig ist. Und unter diesem Eindruck steht er nicht am stärksten in den Anfängen seiner Tätigkeit, wo er etwa noch getragen ist von Glaube und Sitte seiner Heimatkirche und ihm das Andersartige noch fremd und unverstanden vor Augen tritt. Sondern dieser Eindruck mehrt sich, je länger, je mehr und genauer er in das Geistesleben seiner Pflegebefohlenen hineinschaut. Auch der junge Kamerunchrist empfindet das Neue, das ihm im Erleben der Botschaft entgegentritt; er erfährt, daß Gottes Geist, der die Botschaft trägt und auf dessen Stimme er lauschen lernt, etwas seither Unbekanntes in ihm und um ihn schafft: die Furcht weicht, weil das Vertrauen wächst nicht zum vielgestaltigen Unsinnlichen, sondern zum persönlichen Gott, der sich aus seiner Verborgenheit in den Herzen bezeugt. Er merkt auch, daß vieles, was in den Herzen schlummerte an ungestilltem Verlangen und Sehnsucht und was ihm die Überlieferung gleichsam als Weissagung vor Augen hielt, nun in Christo Geist und Leben wird. Die vorstehenden Abschnitte zeigten in gedrängtem Überblick die Gebiete kameruner Geisteslebens in seinen Licht- und Schattenseiten. Und nun vergegenwärtigen wir uns in kurzem Rückblick nochmals die Hauptpunkte der Geheimnisse kameruner Geisteslebens:

Der Kameruner weiß, daß er ein Einzelwesen ist. Mancherlei Bräuche deuten darauf hin und viele Übungen gelten nur dem Einzelnen. Er unterzieht sich der Beschneidung Beschneidung, Zahnverstümmelung Zahnverstümmelung, Tätowierung, Absonderung und anderen Übungen; die Äußerungen seines Strebens nach individueller Eigenart sind herausgeboren aus einem Suchen nach seinem persönlichen Ideal entsprechend seinem Lebensalter, seinen Verhältnissen und seiner Stellung.

Beim Streben nach diesem Ideal findet er, daß in seiner Leiblichkeit etwas nicht in Ordnung ist: Der Mensch ist nicht so, wie er sein soll. Darum die vielen Übungen, Waschungen, Klistier Klistiere, Übergangszeiten. Sie zeigen, daß sich der Kameruner bewußt ist: Natürlicherweise stimmt etwas nicht, dem muß ab- und nachgeholfen werden.

Daneben steht er unter dem Eindruck, daß dem Leib auffällige Kräfte innewohnen. Das führt ihn zur Nutzung von Körperteilen zu Schutz und Abwehr; beim lebendigen Menschen sind es die „Zubehör“ genannten Wachstumsstoffe Wachstums- und Abfallstoffe des Körpers, vgl. S. 2, und beim Toten hauptsächlich Knochen Knochen, Schädel, Haare und Haut.

Das alles ist zwar dem Kameruner ein Tappen im Dunkeln, ein Geheimnis, daß er auch mit seinen Gebräuchen nicht erklären kann. Denn die Auskunft, das sei alles überliefert, so „müsse“ es gemacht werden, gesteht das Mysterium erst recht ein. Die Botschaft des Missionars aus dem Evangelium sucht ihm auf seine meist unausgesprochenen Fragen Antwort zu geben: „Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde“; „Wir sind göttlichen Geschlechts, aber die Sünde hat (auch ihre Sündenfalls- und Sintflutsage, vgl. S. 145f., stellt es so dar) nicht nur das Verhältnis des Menschen zu den Tieren, sondern auch zu Gott verdorben und Furcht und Grauen vor allem Übersinnlichen ins Menschenleben gebracht; sie hat auch des Menschen Leib Leib verdorben und ihn dem Tod ausgeliefert. Aus diesem Unglück aber befreit weder Bestechung durch Opfer noch Magie des Zauberers, sondern die ngum „heldische Kraft“ des lebendigen Gottes hat den Todesbann gebrochen. Er gibt dem Menschen einen neuen Geist, unter dessen Zucht er auch sein Leibesleben stellen kann.

Damit hat er aber auch die Bürgschaft, daß sein Menschengeist nicht in Gefahr steht, durch eingebildete Geister verderblicher Mächte geschädigt zu werden, denn Christi Erlösung erstreckt sich auf Leib, Seele und Geist; 1. Thess 5, 23. Das geistige Ich des Menschen, das im Denken der Kameruner solch große Rolle spielt und um dessen Erhaltung der größte Teil des Lebens- und Geisteskampfes in Kamerun geht, steht für den gläubig gewordenen Menschen nicht mehr unter dem Einfluß von magisch {162} geladenen Menschen und unsinnlichen Kräften, die, wenn ganz real, doch untergeordnet sind, sondern unter der Herrschaft des himmlischen Königs, dessen schirmendem und behütendem Einfluß sich der Christ nur durch eigenen Ungehorsam, Untreue und Unglauben entziehen kann.

Denn in der gläubigen Verbundenheit mit dem Lebensfürsten ist auch dem kameruner Christen gewiß, daß Christi Sieg und Gerechtigkeit ihm gilt. Muß auch sein sterblicher Leib Leib zugrunde gehen, sein geistiges Ich, seine Seele, wird nicht zum „Schatten“ oder Gespenst, noch weniger zum Wiedergänger Wiedergänger; sein Leib „ruht“ und sein Geist geht ein zum seligen Leben der Gottesgemeinschaft und wartet der Auferstehung von den Toten. Und dies wird dem Christen nicht garantiert durch magische Mysterien Mysterien, in denen er sich selbst emporarbeitet. Der Christ glaubt an eine Neuschöpfung als Gottes Tat. Da wird Wahrheit und Wirklichkeit, was ekale, der dämonisierte Kultbundtänzer bei manchem Umzug in trügerischer Weise dargestellt hat: Christus lebt und „lässet auch ein Haupt sein Glied, welches es nicht nach sich zieht?“

Bei den mancherlei Bestrebungen zwecks Entwicklung Entwicklung und Herausbildung seiner Persönlichkeit lebt der Primitive doch in dem Bewußtsein, daß er in letzter Linie nicht wäre ohne die Gruppe, zu der er ohne sein Zutun gehört und die er u. U. erweitert durch mündlich und sachlich geschworenen Bund, vgl. S. 78ff. Mit all seinen Bräuchen dient er zuletzt nicht nur sich selbst, sondern auch dieser seiner Gruppe und ihrer sozialen Ordnung. Wie zeigen doch z. B. die Tänzer bei den Eingangstänzen zum eyu (Bakwiri) eyu der Bakwiri auf S. 11 den „Ahnenschatten“ ihre individuelle Begabung, Fähigkeit und Mittel, mit der sie ihrer Sippe dienen! Und das ganze Totenfest und die Sorgen um einen männlichen Nachfolger, der die Toten- und Ahnenkultgebräuche verrichten kann, ist Tatbekenntnis, daß der Einzelne die Sippe zu seiner Vollendung braucht.

So fühlt sich der Kameruner von der Wiege bis über das Grab hinaus mit denen verbunden, zu denen ihn eine höhere Hand gestellt hat: Familie, Sippe, Stamm, Rasse, Menschheit, ja mit der ganzen sinnlichen und unsinnlichen Welt. Aber welchen Zweck hat diese Verbundenheit, was ist ihr Ziel? Doch nicht die Fortpflanzung der Sippe allein. Auch der Primitive Kameruns ist damit in seinem Denken nicht befriedigt, die letzten Hintergründe bleiben ihm Geheimnis. Darum sucht er ja auch in den mysterischen Geheimkulten mit trügerischen Mittel eine neue Gemeinschaft über Sippe und Stamm hinaus anzustreben.

Die evangelische Botschaft aber gibt dem Primitiven eine befriedigende Antwort: Es ist eine neue Menschheit im Werden, die samt ihrem Gründer und Haupt, Christus, diesem echten mulondedi mulondedi „Vollmenschen“ und muanedi „Vorkämpfer, Häuptling Häuptling“, ihm Gegenstand des Glauben Glaubens ist, von der er aber jetzt schon in der neuen Christengemeinde sein Angeld auf Erfüllung sieht. Ob diese neue Gemeinde auch Flecken und Runzeln hat, ist sie doch ein Neues, und der Protest gegen diese Flecken und Runzeln zeigt nur, daß sie zu etwas Höherem berufen ist. Man muß die Enttäuschung so mancher Alten, die die Evangeliumspredigt in ihrem Dorf aufgenommen haben, ohne selbst den letzten Schritt zu wagen, gehört haben, wenn sie den Fehlern in der Gemeinde gegenüber klagen: Die neue Gemeinschaft, die wir erwarteten, versagt ja, denn die jungen Christen leben ja auch nicht fehler- und sündlos! Und doch sammelt sich unter dem einen Haupt, dem wahren mulondedi und mot’ e mba „dem Menschen wie er sein soll“ (leider hat man „Menschensohn“ wörtlich und nicht dem Sinn nach mit diesem Wort übersetzt), aus Familien, Sippen, Völkern, Rassen eine neue Menschheit. „Es wird eine Herde und ein Hirte sein.“ Unter dem Geisteswirken des alten Schöpfer- und Richtergottes entsteht ein Neues, das alle Zeit und Vergangenheit überdauern wird.

Auf dem Weg zu einer Außenstation stand ich eines Sonntags morgens im Gehöft eines Heiden, vor dessen Hoffetisch ndjom. Bald hat sich eine Gruppe Leute um mich versammelt, und ich sprach zu ihnen über die Nichtigkeit des Fetischdienstes. Zum Erweis der Unmacht dieses {163} Machtmittels hob ich den Deckel des großen Topfes mit Regenwasser ab, der im Rankengewirr in einer Astgabel stand. Voll Schrecken stoben alle meine Zuhörer auseinander und der Hofherr rief mit einer Stimme, die mir heute noch nach fast dreißig Jahren in den Ohren gellt: Loba lam di! „Das ist ja mein Gott!“ Von seinem heidnischen Standpunkt aus hätte er sagen müssen: „Das ist ja mein ndjom-Fetisch!“ Er nahm aber den christlichen Gottesnamen, den ein unberührter Heide nie für einen Fetisch gebrauchen kann. Er wollte mir zurufen: was für dich der lebendige Gott ist, das ist für mich dieser Fetisch. Aus dieser Äußerung wie aus vielen anderen klang mir eines stark entgegen: Auch die Heiden haben einen Glauben Glauben; durch diese Haltung sind sie mit ihren Götze Götzen und den hinter ihnen geglaubten unsinnlichen Mächten verbunden. Mögen wir ihre Haltung „Aberglauben“ nennen, für sie ist es „ein Glauben“; ihre innere Einstellung und Haltung ist nicht wesentlich anders als die unsere; wir haben von uns selbst [aus] den Primitiven in diesen Stücken nichts voraus. Nur das Glaubensobjekt ist verschieden.

Die übersinnlichen Objekte des heidnisch-kameruner Glaubens sind eine Mischung von Lüge, oft bewußter Lüge, und Wahrheit; aber der Mensch verhält sich glaubend dazu. Wer z. B. der Leute Haltung dem Orakel gegenüber kennt, vgl. S. 138f, oder bei Einführung eines neuen Fetischs, vgl. S. 137, oder bei Handlungen, solange der Fetisch noch in Ansehen steht, weiß, daß sich diese Menschen glaubend verhalten. Freilich, ihr Glaubensobjekt entbehrt des göttlichen Zentralpunktes; es besteht aus einer Menge von Kräften und Geistern, hinter denen Gott ganz verschwindet. Dementsprechend ist auch das Glaubensleben des Primitiven zersplittert, und diese Zersplitterung schafft die für den Animisten eigentümliche Ungewißheit und Furcht, Sklaverei statt Freiheit.

Doch die Hand des Glaubens ist da, nur der rechte Gegenstand des Glaubens fehlt oder ist doch aus dem Gesichtsfeld gerückt. Das Gefäß ist vorhanden, der Inhalt zerronnen; es sind „löchrige Brunnen, die kein Wasser geben“. Wo ist der neue Inhalt, der bleibt? Das Evangelium sagt: Christus kam nicht aufzulösen, sondern zu erfüllen, zu füllen mit rechtem Inhalt. Das Evangelium von ihm ist dieser neue Inhalt. Wenn mit dem Evangelium Gottes Licht in das unwahre kameruner Glaubensleben hineinscheint, dann scheiden sich Licht und Finsternis. Der rechte Glauben verdirbt den Gläubigen und seine Umgebung nicht, sondern errettet und heilt.

2. „Wir haben auf euch gewartet“

Als Missionar Fr. Authenrieth 1893 als erster Weißer in die Bakosi-Landschaft gekommen war, empfing ihn der Häuptling Ekwe in Nyasoso mit den Worten: „Wir haben auf dich gewartet.“ Der Häuptling hatte einige Tage zuvor geträumt, daß ein weißer Mann zu ihm kommen werde, der es gut mit ihm meint. Der Alte drückte die allgemeine Stimmung der Kameruner im Lande den Trägern des Evangeliums gegenüber aus, wie trotz mancher Übergriffe die Weißen im allgemeinen nicht als Landesfeinde angesehen wurden. Aber selbst dann nahm der Kameruner den „Gotteseuropäern“ gegenüber eine besondere Haltung ein, vgl. Schulers Erlebnis auf S. 94. Man spürte bald, daß das Evangelium auf unausgesprochene und doch tiefempfundene Fragen Antwort brachte.

Seit Beginn der Missionsarbeit in jenem Land waren die Berichte von dort trotz aller vorhandenen Schwierigkeiten auf den Ton gestimmt: Das Land steht offen; das Erntefeld ist weiß; oder doch: Das Feld dort wartet auf den Ackers- und Säemann! Mit seiner Aufforderung: „Bittet den Herrn der Ernte, daß er Arbeiter in seine Ernte sende!“ erkennt Jesus das halbheidnische Samaria als ein Feld „weiß zur Ernte“ an, wo Boten des Evangeliums nötig seien. Die Proben, die im Vorstehenden aus dem geistigen Volksbesitz der Kameruner gegeben sind, haben uns wohl den Eindruck vermittelt, daß die dortigen Stämme tatsächlich auch einem Feld gleichen, auf dem unter sehr viel Unkraut auch Pflanzen wachsen, in denen der Bote des Evangeliums Wildlinge sehen kann, auf die das Edelreis des Evangeliums zu pfropfen sich lohnt. Wer genauer hinsieht, ahnt wenigstens, daß im {164} heidnischen Urgestein auch vereinzelte Goldkörnchen, Goldstaub zu finden ist; freilich Staub und Körnchen, die bedeckt und vermengt sind mit Wust und der Masse unbrauchbarer Steine und Erde; Staub und Körnchen, die gesucht werden müssen, die man aber zubereiten kann zu edlen Gefäßen. Der Gang durch die einzelnen Gebiete des geistigen Volksbesitzes, der hinter uns liegt, ließ uns immer wieder – an einzelnen Stellen mehr, an anderen weniger – etwas ahnen davon, daß sich Gott unter den kameruner Heiden nicht unbezeugt gelassen hat. Damit aber hat er uns zugleich die Aufforderung gegeben, daß in der Missionsarbeit diese „Zeugnisse“ beachtet werden, daß dem vorhandenen Goldstaub nachgegangen werden muß; das Ackerfeld soll bereitet und mit gutem Samen besät und, wo dies möglich ist, die Ernte eingebracht werden.

Dies Buch ist entstanden in der Kriegsgefangenschaft als Rückblick auf und Rechenschaft über eine dreißigjährige befohlene und darum geliebte Arbeit. Es ist nicht geschrieben als Abschluß eines Lebenswerkes, sondern in der festen Erwartung, daß sich Kamerun zum dritten Mal dem Evangelium als dem guten Samen und uns deutschen Missionaren als Säeleuten und Erntearbeitern erschließen wird.


Fußnoten:

62 Der schon oft genannte Hades, die Siedlung der Schatten ist nur ein Teilgebiet von ihr, die übersinnliche Seite der irdischen Siedlung.
63 Vgl. auch, daß der Mann zum Mond, die Frau gelegentlich zur Sonne betet.
64 Vgl. Religionskundliches Beiblatt, IV, Nr. 4, S. 14f. [Ittmann 1934]
65 I.A. „besitzen“ Frauen Wildschweine als solche Seelentiere.
66 Neben den Erfindern können auch alle, die den Fetisch gekauft haben, neue anfertigen und sie weiterverkaufen. Darum finden die Fetische so viele Lobredner im Land, bis damit kein Geschäft mehr zu machen ist.
67 Heute wird er von der europäischen Verwaltung ernannt auch unter der indirect rule.
68 Bevor Missionsarbeit in Kamerun getrieben wurde, wurde in Kalabar und Umgebung bei der Evangeliumsverkündigung Obase als Gottesname gebraucht; von dort kam mit dem Bericht über die neuartige Predigt auch dieses Wort ins Gebiet der Duala.
69 So nennt man wilde Pflanzen, die zwar Nutzpflanzen ähnlich sehen, deren Früchte nicht gegessen werden können „(Pflanze) des Nyikob“, so wie man im Waldland sagt „(Pflanze) der bedimo Schattengeister“.
70 Eleu von lewe „lecken“, also „das Leckende“. Wenn den Leuten nachts die Kopfhaare abgefressen werden, so hat es „der Lecker“ getan, den man in abergläubischer Furcht erschlägt, wo man ihn trifft, um mit dem schlimmen Vorzeichen auch drohendes Unglück zu beseitigen, vgl. S. 134f.
71 Regen, Blitz, Donner, Regenbogen, Mond, Sterne, Sonne sind alles solche außerordentliche, wenn auch für uns regelmäßig wiederkehrende Erscheinungen; z. B. vom Mond glaubt man, er sei jeweils ein neuer Mond, der sich durchs Himmelsgewölbe durchzwängt und nach dem Vollsein wieder hineinschlüpft, um einem neuen Mond Platz zu machen. Aber auch anderes Außergewöhnliche steht mit dem Himmel in Verbindung, z. B. Zwillinge, vgl. S. 4ff., ebenso Albino; sie werden nicht beerdigt, sondern zwischen Wurzelwänden eines Wollbaumes gelegt und mit Holz und Reisig zugedeckt. Vgl. auch die in Unterlassung der Beerdigungsriten und Totenfeiern Abgeschiedenen in Note zu S. 7.
72 Vgl. Ittmann, Von der Gottesvorstellung der Bakwiri, in: Africa No. VIII No. 3, [1935] S. 355–372.
73 Bei den Bakosi ist Nyambe zu Mwa-nyame geworden; Nyame ist das abgeschliffene Nyambe; mwa aber bedeutet „Sippe“, vgl. S. 80; Mwa-nyame wäre dann eigentlich Nyambes Sippe oder Siedlung, so daß hier der Sitz für die Person steht, wie sonstwo der Sitz für eine Eigenschaft. Wenn wir auf S. 144 Ma-ndem recht gedeutet haben, weist das in die gleiche Richtung.
74 Danach würde ein Kameruner auch den Begriff bestimmen: Weiße Magie ist, was nicht mir, dem Einzelnen dient und förderlich ist, sondern vor allem der Gruppe; Schwarze Magie ist, was geübt wird, um andere und die Gruppe zu schädigen und in Gefahr zu bringen. Hierbei kann man also nicht nach der Art der magischen Handlung unterscheiden, denn die gleiche Handlung kann unter Umständen bald das eine, bald das andere beabsichtigen und bewirken; es kann eine Handlung auch beides zugleich sein. Lemba ist immer schwarze Kunst; mulemba „der Hexerich, die Hexe“ ist immer ein Neiding; dagegen ist ekong „Sozialtotemismus“, vgl. S. 130f., und ewusu „Individualtotemismus“, vgl. S. 137, obwohl beides nicht ohne Hingabe der Lebensseele eines Menschen erlangt werden kann, zunächst erlaubt; es wird ja in den Kultbünden geübt; erst wenn diese Kunst zu Neidingtum führt, wird es verurteilt.
75 Was sich heute hauptsächlich in Fremdensiedlungen und europäischen Pflanzungen an „Medizinmännern“ und Quacksalbern herumtreibt, gehört auch zu dieser Gruppe. Aber losgelöst von allen örtlichen und beruflichen Bindungen, auch denen des Geheimbundes, sind sie in jeder Hinsicht viel gefährlicher als der in seinem Stamm seßhafte nganga. Dieser kennt doch i. a. eine gewisse Verantwortung – er kann ja als Hexe, Neiding verschrien werden; jener aber vertauscht den Ort seiner Wirksamkeit, wenn sein Schwindel an einem Ort nicht mehr verfängt. Das gewachsene okkulte Wesen der Dörfer und Stämme stirbt nach und nach ab; Fremdensiedlung und Pflanzung sind heute sein Hort.
76 Unübersetzbar, gleichsam Aufruf und Bestimmung zu einer feierlichen Ansprache; näheres siehe in Zeitschrift für Eingeborenensprachen, Band --- S. ---.
77 Weder in solchem Fall, noch wenn ein Wohltäter mit dem Namen der Ahnengottheit benannt oder im Grasland der Häuptling mit diesem Namen belegt werden kann, meint man, daß die betreffende Person nun wirklich Gott sei. Die Vorstellung ist, daß sich in einer solchen Person gleichsam die übersinnliche Gottheit widerspiegelt, wie im Schrei des Flughundes, vgl. S. 144, das Hämmern des Schmiedes der Kinder in der unsinnlichen Welt widerhallt.
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