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Band 1 |
Zu Ittmanns Werken
Band 2 |
Geistiger Volksbesitz
Band 3 |
Religion im v. Kamerun
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Anhang

Inhalt Kapitel 3

Dritter Teil: Religion, vgl. auch Synkretismus Religion, Moral, Moralität Moral und Ethik

Dritter Teil: Religion, vgl. auch Synkretismus Religion, Moral, Moralität Moral und Ethik

I. Die Moral der Kameruner

Nach S. 60ff. ist es Zweck der Tabu-Bestimmungen, drohende Gefahren abzuwenden. Ohne solche gebotenen Enthaltungen würde die in den geschützten Objekten ruhende Gefahr sich am Nichtachter der Bestimmung offenbaren. Neben solchen Tabu-Regeln gibt es aber auch noch andere Bestimmungen, die ganz klar von Menschen oder einem noch höheren Gesetzgeber gesetzt sind oder höherer Sittlichkeit Sittlichkeit entspringen. Diese unterscheiden sich von den Tabu-Bestimmungen besonders dadurch, daß sie nicht wie diese von selbst, gleichsam zaubermäßig gegen den Übertreter wirken; sie haben nichts zu tun mit automatischer Magie, sondern Wille und Macht des Gesetzgebers führen gegebenenfalls die Strafe herbei.

Die Sprache hat mannigfaltige Ausdrücke, um von solchen gesetzlichen Bestimmungen zu reden; wir führen hier einige an:

Benda „Rechtsgrundsätze aufstellen, ein Verbot Verbot erlassen“, wovon mbenda 9, mambenda „Gesetz, Verbot“ gebildet wird. Wenn etwa die Dorfältesten oder der Häuptling anordnet, daß die Wasserschöpfstelle nicht verunreinigt werden dürfe; oder wenn an einem besonderen Tag, vgl. S. 48, 180ff. o. ä., Gänge außerhalb der Siedlung verboten werden. Äußerlicher und allgemeiner sind mweka „Verbot“ und eka „verbieten“.

Werden solche Ver- und Gebote zu „Gewohnheit und Sitte Sitte“, so ist das edemo, be-, die nicht mehr öffentlich verkündigt werden muß, sondern die jeder weiß und sich wegen Nichtbeachtens Tadel oder Strafe zuziehen kann. Während über das mbenda der einzelne Gesetzgeber wacht, wendet sich die ganze Gruppe gegen Verletzung der edemo; man ist sie kolongone „gewöhnt“, mit welchem Wort zugleich etwas wie Liebe Liebe und Zuneigung ausgedrückt wird. [Notiz: bula]

Dazu gesellen sich zwei Verben: Dolo „schön, recht, gut (also ästhetisch ästhetisch und moralisch) werden“ und sein Derivat dolone zum Ausdruck dessen, was „sich ziemt“ und darum förderlich ist (sein Gegensatz ist bewa „in einen schlechten Zustand geraten“) und angamene „verpflichtet sein“ zum Ausdruck dessen, was man tun muß, um vor Überraschungen gesichert zu sein; davon abgeleitet jangameye „die Vorsicht Vorsicht“. In angamene liegt mehr der von außenher wirkende Zwang als in dolo, das die Sache mehr ins eigene Belieben stellt, z. B. beim baden Baden ist es dolo, wenn die Männer ihren Penis verbergen, es ist aber angamene, daß Männer sich beim Passieren einer Frauenbadestelle bemerkbar machen, um den Frauen zum Verstecken Zeit und Gelegenheit zu geben. Im ersten Fall bringt sich ein Badender vielleicht selbst in Gefahr, wenn er die Sitte nicht beachtet, in diesem aber andere, die die Sitte schützt.

Sambwabloßstellen bloßgestellt, öffentlich blamiert werden“ gehört als Inversiv zu sambane „mit etwas öffentlich entlang gehen“, vgl. musamba „Leib, Nacktheit Nacktheit“; so kann sich einer, der unter dem sambwa steht, nicht mehr öffentlich zeigen; davon bosambo „die Schmach, Schande Schande“ und bosolo 13 von solo „sich schämen, in Schande sein“. Wenn hier für den gleichen Begriff [ein] dreifacher Ausdruck vorliegt, wird wohl die Empfindlichkeit des Kameruners in diesem Punkt offenbar.

BongoFurcht Furcht, Angst“ schließt von Ehrfurcht Ehrfurcht bis Todesfurcht alles ein an niederdrückenden und beklemmenden Gefühlen, während munyenge „Freude“ das Gegenteil an Äußerungen der Befreiung, Lösung, Ausgelassenheit, auch sehr niedriger Art in sich begreift.

Etom 7 ist alles, was einem als „Verpflichtung“ gegenübertritt, es kann daher auch eine „ Schuld (und Sühne) Schuld“ ausdrücken, aber nur im äußerlichen Sinn, während innerliche „Schuld, Ursache“ durch ndjom bezeichnet wird. Dagegen ist bobe bobe 13 „das Schlechte, Bosheit, Unrecht, Sünde Sünde“. Ein praktischer Fall möge dies erläutern: Zu einer Totenfeier sind die verwandten Sippen geladen. Jede dieser Sippe hat nun ein motio-Opfer zu bringen, vgl. S. 224, das ist etom. Der Streich, der des Opfers Kopf vom Rumpf trennen soll, geht fehl. Damit wird offenbar, daß der, der ihn geführt, ndjom o nyolo „eine Schuld an sich“ hat; die Geister nehmen sein Opfer nicht an, weil ein nicht geregeltes bobe „Böses“ zwischen ihnen und dem Opferer steht. Dieses ist nun herauszufinden, entweder durch freies Bekenntnis des Fehlenden oder durchs Orakel. Nun ist es Aufgabe, {280} ndjom und bobe zu beseitigen. Der Bloßgestellte hat sich mit einer Frau des Verstorbenen vergangen; das ist bobe. Durch eine Sühnehandlung kann das beseitigt werden, er hat das übliche djenga „Entgelt für Benützung einer Frau“ zu bezahlen, womit die Sache rechtlich erledigt ist. Die Frage aber bleibt, ob ihm auch ndjom o nyolo „die Verschuldung vom Leib“ genommen ist und der von den zürnenden Geistern ausgehende und auf des Frevlers Vernichtung zielende Einfluß beseitigt wird. Es kann das durch Opfer, vgl. auch Kulte und Ahnenkult Opfer und Magie, vgl. auch Kunst Magie oft zuwege gebracht werden, oft aber auch nicht, und der Frevler geht dann nach landesüblichem Glauben an diesem ndjom zugrunde, der nur offenbar geworden [ist], weil er einer etom genügen wollte. – Es zeigt sich hier, ein wie leiser Übergang von etom und ndjom zu eyia eyia „Tabu-Vorschrift“ führt.

Dem moralischen Libertinismus förderlich ist, daß die meisten Ausdrücke für moralische Ideen beides bezeichnen: Moralisches und Ästhetisches; so ist bwam „gut und schön“, bobe bobe „schlecht und häßlich“; das Verb dolo bezeichnet das, was der Norm entspricht, bewa, das was ihr widerspricht, und zwar moralisch und ästhetisch, z. B. „deine Worte sind dolo“ (schön gesetzt, angenehm zu hören oder wahr, den Tatsachen entsprechend?). So wird auch sángà sángà „weiß, rein werden“ und mbindo „Schmutz“ physisch von Stoffen, psychisch von magischen Einflüssen auf Seele und Leib, aber auch moralisch von Handlungen gebraucht. So ist der Ausdruck teme na sim „kerzengerade, recht werden“ und seine kausative Form tese na sim „kerzengerade, recht richten“ ein physischer, rechtlicher und zugleich moralischer Begriff. Dieses schillernde Ineinanderfließen der Begriffe ist jedenfalls dem Herausarbeiten einer klaren Moral nicht förderlich. Ebenso ist es bei Wörtern wie z. B. wusa „sich verfehlen“, nyama „verdorben werden“, nyamse „verderben (trans.)“, bulea „zerstört werden“, bulele „zerstören“, pengame „krumm, verbogen werden (vom Bach, Gesang, aber auch vom Charakter Charakter)“, ein ewol’ a moto „hohler Mensch Mensch“ kann einer sein, der keinen rechten Verstand hat oder auch, dem die Lebensseele entschlüpft ist, aber auch der sittlich defekt ist.

Noch mehr Ausdrücke könnten angeführt werden, die zeigen, daß der Kameruner die moralischen Ideen <gut> und <böse> völlig unabhängig vom Tabu kennt und damit auch das, was wir < Gewissen Gewissen> nennen, was für ihn im Herzen seinen Sitz hat, vgl. S. 282ff.; daß aber diese Ideen schillernd und oft täuschend mit anderen Ideen vermengt sind. ästhetisch

Diese Beobachtung macht jeder, der sich wirklich mit dem Kameruner beschäftigt. Dabei ist noch darauf aufmerksam zu machen, daß sich dadurch ihre Vorstellung oft auch noch mit anderem füllt, als es bei dem Durchschnittseuropäer der Fall ist. Dabei haben die Kameruner aber doch auch ein gutes Gemerke für das, was sich für Europäer schickt und was sich für sie nicht ziemt und sie wissen hier in ihrem Urteil oft auffallend genau zu unterscheiden. Aber gerade diese Beurteilung der ihnen so Fremden zeigt, daß sie sicherlich moralische Wesen sind und über ein mehr oder weniger entwickeltes Gewissen verfügen.

Es muß zugegeben werden, daß wie zwischen Europäern auch zwischen Kamerunern ein großer Unterschied besteht. Jeder der Arbeiter, Angestellte, Schüler unter sich hat, merkt, daß einige moralische Eigenschaften haben: Treue, Uneigennützigkeit, Wahrheit, Ehrlichkeit, manchmal bis zur Selbstaufopferung; und andere sind unverbesserliche Lügner und Diebe, fähig zu allen möglichen Vergehen. Ähnliches kann man auch in den Dörfern bei den mehr unberührten Leuten feststellen. Diese persönliche Qualität wird freilich vielfach niedergehalten durch die Menge, durch das Klassen- und Gruppenurteil – ganz wie bei uns. Darum ist es gut, in Notfällen mit einigen Einzelnen zu sprechen, um sie aus der Masse zu lösen und sie zu überzeugen. Sind dies dann wirkliche Persönlichkeit Persönlichkeiten, so gelingt es ihnen oft leicht, den entstandenen Bann Bann zu brechen. Wichtig ist es daher für jeden, der mit dem Volk zu tun hat, Leute mit Führereigenschaften unter ihnen zu erkennen und sie als Sprecher zu benützen.

{281}

[Eingelegter Zettel, Inhalt nicht zuzuordnen: Mangon ma bila Auf dem Kriegskanu stand vorn vor den Ruderern und Kriegern ein Topf mit einer Kräuter-Medizin, bo mato esibe wea owase. Auf diesem Topf saß ein unschuldiges Mädchen, das einen Wedel schwang, um dadurch den Feinden Kraft und Mut zu nehmen und der Eigenen Herz zu stärken. Wenn dieser Topf beschädigt wurde, etwa durch Wurf oder Pfeilschuß oder eigene Ungeschicklichkeit, so galt das als schlimmes Omen: Die Sache ist verloren, es hilft nur noch schleunige Flucht.]

Es ist schon gesagt, daß ihre Überlieferungen Überlieferungen in Sage Sagen, Mythe, Mythenbildung Mythologien, Märchen Märchen, Sprichwörtern u. a. den unwidersprechlichen und unbeeinflußten Beweis liefern für ihre moralischen Ideen. Nach allen ihren Berichten werden Verbrechen Verbrechen irgendwie bestraft, Tugend belohnt und Unschuld kommt einmal ans Licht.

Freilich ist zuzugeben, daß der moralische Standard nicht sehr hoch ist und keine sehr große Gewalt über der Kameruner Seele hat; die Moral ist jedenfalls nicht allgemein ein kategorischer Imperativ. Es besteht eine große Laxheit: Lüge Lügen werden nicht tragisch genommen, besonders wenn damit kein Näherstehender geschädigt wird. Daher auch keine Kritik gegen Gerüchte und rumours; der Sinn für die Wahrheit und Klarheit scheint oft zu fehlen. Stehlen kann man bei Fremde, Fremdlinge Fremden, nur darf man sich nicht erwischen lassen. Hierher zählt ja der bei allen Stämmen in größerem oder geringerem Maße früher geübte Menschenraub und Kannibalismus Kannibalismus. Der sonst so scharf gefühlte und betonte Unterschied zwischen Tier und Mensch (z. B. der Verruf der Zwillingsgeburten, weil es tierisch ist, mehr als ein Kind zugleich zu gebären) wird hier aus Fleischmangel nicht beachtet. Der unverhüllte Grundsatz: Wer Macht hat, hat auch das Recht (man denke daran, daß ein Sippensprecher seine ganze Gefolgschaft zur Verhandlung eines Rechtsfalles eines seiner Angehörigen mitbringt), weckt und macht bei den Schwachen zum Lebensprinzip die Überlistung des Gegners; man sehe sich z. B. daraufhin einmal ihr Märchengut an!

Auf was ist nun solche Laxheit zurückzuführen? Das Sippengebot wird nicht verkündigt von einem persönlichen, überweltlichen Gott. Zwischen Religion und der Gottheit (die Ahnen-Götter sind so schlecht wie die Menschen; vgl. wie etwa in den griechischen Göttern sich menschliche Art und noch mehr Unart widerspiegeln) besteht nur eine schwache Bindung. Daher kann man religiös sein, ohne moralisch zu sein. Nur ein absoluter Gottescharakter, wie er uns in Kamerun etwa bei Loba Loba, vgl. S. 123ff., entgegentritt, kann auch absolute moralische Gesetze geben und darüber wachen. Das auf menschliche Gewalt oder ahnenkultliche Überlieferung zurückgeführte mbenda „Gebot“ oder mwekaVerbot Verbot“ oder edemo „Herkommen“ erleidet stets Einschränkungen und Ausnahmen: Mord, Mörder Mord ist nicht an sich schlimm, sondern nur weil ein Mensch ausfällt, der aber wieder ersetzt werden kann und weil das sachliche [?] mbaki mbaki den Mord rächen rächt, was aber magisch-mechanisch gehindert werden kann. Diebstahl Diebstahl ist nicht gestattet, denn er vernichtet persönliches Eigentum Eigentum. Dies aber ist zu schonen, weil sonst das Leben der Gruppe gefährdet ist. Ähnliches gilt von Beleidigungen, Schlägereien, Körperverletzungen und am meisten vom bösen Zauber und Neid. Der Neiding, die Hexe ist der Volks- und Gemeinschaftsfeind, der Verderber kat’ exochen, und ist darum zu verfolgen. Berührt aber solches Unrecht nicht die Gruppe, dann ist alles erlaubt; was als „schwarze Kunst, weiße und schwarze Kunst“ innerhalb der Gruppe schwer gestraft wird, ist höchsten Lobes wert, wenn es, dann „weiße Kunst“ genannt, sich gegen andere richtet. Darum gesteht auch einer seine Schuld nicht ein, er sei denn durch die Allgemeinheit oder deren Vertreter in die Enge getrieben; und er gibt sich erst für schuldig, wenn der zuständige Richter die Sache untersucht und sein Befund und Spruch die öffentliche Zustimmung erfahren hat. Hier zeigt sich auch die Überlegenheit des Volksgewissens über das Einzelgewissen, vgl. S. 283ff. Ist die öffentliche Zustimmung erfolgt und der Beschuldigte sieht keinen Ausweg mehr, so gibt er alle Ausflüchte auf und sucht nun mit der gleichen Hartnäckigkeit, die er seither aufs Leugnen verwendet, Mitleid Mitleid und Verzeihung oder nimmt den Spruch mit finsterer Miene auf sich.

So ist der Schluß berechtigt: Es ist der große Fehler der kameruner Religion, daß sie nicht moralisch, und der Fehler der kameruner Moral, daß sie nicht religiös ist. Man kennt nur verschwommen einen höchsten Gesetzgeber und daher nur schwach eine letzte Verantwortung. So ist auch das kameruner Gewissen Gewissen von absoluten Ideen nur gering beherrscht.

Dennoch: Sporadisch werden Moral und Sittlichkeit Sittlichkeit im kameruner Gewissen laut; ein gewisses Pflichtgefühl, Sinn für Recht und Unrecht ist doch vorhanden und zwar unabhängig von der Tabu-Idee.

{282}

[Rückseite S. 281: Mitwissen ist Gott, Ahnenwelt, Stammesgruppe]

II. Das Gewissen Gewissen der Kameruner

A. Allgemeines

Das Urteil über das kameruner Gewissen schwankt; bald hört man ein verächtliches Urteil, bald ein hohes Lob aus dem Mund solcher, von denen man es nicht erwartet. Aber solchem Tadel und Lob liegen Fehlbeobachtungen zugrunde:

Das Lob ist gespendet dem Heiden gegenüber den <verstohlenen christlichen Hosenniggern>; manche tun so, als werde den Schwarzen erst durch die Mission, Missionare, vgl. auch Christen Mission und das von ihr übermittelte sittliche Gebot: „Du sollst nicht stehlen, ehebrechen u. s. w.“ die Sünde Sünde dawider zum Bewußtsein gebracht und sie zur Übertretung verführt. Die Toren können ja nicht wissen, daß auch jedem Neger diese Gebote ins Herz geschrieben waren, noch ehe sie einen europäischen Katechismus kennengelernt haben. Sie könnten zwar wissen, daß sich außer den Missionaren auch noch andere Europäer sonderlich an der Küste herumtreiben, die ihren Einfluß hinterlassen [haben]. So waren 1925 schon gegen 200 deutsche Pflanzer an der Küste zugelassen, ehe nur einer Hand voll Deutsche deutscher Missionare der Eintritt ins Land gewährt wurde. Aber es ist so Mode, die schönen Seiten der Kultur Kultur den weltlichen Kolonisationsfaktoren zuzuschreiben und ihre unguten Begleiterscheinungen der christlichen Mission.Man vgl. auch z. B. die Klagen des amerikanischen Missionars Thompson in seinem <Thompson in Africa> über den Zustand in Freetown und anderswo. Und eine sehr harmlose Sache war auch +handel u. ä. in Kamerun nicht. Bekanntlich verkaufen ja auch die Kaufleute und nicht die Missionare Hosen und anderes an die Schwarzen. 1928 kam ein Herr Schröder der WAPV von Munwama [?] aus nach Nyasoso, um einen Laden aufzumachen. Ich sagte ihm, daß er schlechte Geschäfte machen werde, denn der Laden der 9. F. L. [?] gehe ja auch nicht recht. Er erwiderte: Sie wissen, der kaufmännische Grundsatz heißt: Angebot bewirkt Nachfrage.

Man führt Fälle an, wo echte Naturkinder ehrlich gehandelt und nicht gestohlen haben, während unter europäischem Einfluß Geschulte und Erzogene gestohlen haben. Nun, einmal kann niemand sagen, daß alle Letztgenannten Diebe o. ä. seien und alle Primitiven ehrliche Leute; aber man tut so, als sei es so. Warum lassen denn manche Naturkinder fremde Gegenstände liegen, an denen sich solche vergreifen, die an Europäer gewöhnt sind? Nun, nicht deshalb, weil jene von Haus aus ehrlicher wären als diese, sondern: Den Wilden sind die meisten europäischen Gegenstände nicht des Stehlens wert, er weiß nichts damit anzufangen und jeder in seiner Umgebung würde sofort erkennen, daß der Gegenstand gestohlen ist. Zum Andern fürchtet der Wilde den fremden Gegenstand, er kann ihm ja Unheil bringen; darum läßt er die Finger davon. Diese beiden Gesichtspunkte fallen bei dem weg, der an Europäer und Europäisches gewöhnt ist. Es besitzen an der Küste sehr viel Schwarze auch ehrlich erworbene europäische Gegenstände und sie fürchten auch in gestohlenem Gut keine magisch-dynamischen Mächte wie ihre Landsleute aus dem Busch = ungepflegter Wald Busch.

Wer etwas vom Gewissen der Kameruner sagen will, muß nicht nur oberflächlich und äußerlich die Dinge beurteilen, sondern diese Menschen wenigstens bruchstückweise mit der Seele erschaut haben.

Was ist das Gewissen? Conscientia, syneidesis, gewizzani ist <Mitwissen>, Gewissen. Es setzt also voraus, daß andere oder jemand anderes mit mir um etwas weiß. So ist es bei uns und es mag jedem verständlich sein. Die Kameruner haben zwar für diesen Zustand oder diese geistige Funktion kein besonderes Wort, aber die Sache kennen sie durchaus. Und wenn sie davon reden wollen, nehmen sie wie bei gar vielen geistigen Bezeichnungen den Sitz der Eigenschaft für diese selbst. Sie reden vom <Herzen> oder der <Stimme des Herzens>, wenn sie von Gewissensfunktionen reden wollen.

Mit wem hat nun der Mensch sein Wissen gemein, jenes Wissen um sein Innerstes, das uns Menschen über unsere Umwelt erhebt? Wir sagen, das ist das höchste Wesen, das über den Menschen steht, nämlich Gott. Ihm ist der Mensch und die Menschheit im Innersten verpflichtet; er ist die bestimmende Macht über uns. Er spielt auf unseren Seelen wie der Künstler auf den Glocken eines Schellenbaums, und dadurch erfährt der Mensch, ob sein Verhalten der als verpflichtend anerkannten Richtschnur entspricht oder nicht. Diese Sache ist bei uns einigermaßen klar.

Haben nun die Kameruner unberührt von europäischer Kultur Kultur ein Gewissen in diesem Sinne oder nicht? Schauen wir uns den Tatbestand etwas näher an.

{283}

B. Beobachtungen bei unberührten Kamerunern

1. Äußerungen des Volksgewissens

Auf S. 30 – 37 und 119 – 127 ist gezeigt, daß die Kameruner von Gott wissen und zwar sowohl als schöpferischer wie als richtender Macht. Die dort aufgezeigten Vorstellungen sind nicht Ergebnisse der von außen nach Kamerun hineingetragenen Einflüsse. Bei allen Stämmen begegnen wir Ausdrücken wie: Schöpfer Schöpfer, Former, Regierer, Richter; als Prädikate sind sie mit der Gottheit verbunden, der man die entsprechenden Tätigkeiten zuschreibt. – Denn neben dem Ahnenkult, dem Machtmittelwesen und Geisterdienst, der die Kameruner in Furcht Furcht hält und der so Gedanken an ein höheres Wesen am rechten Durchbruch hindert, findet sich trotzdem bei allen Stämmen das Bewußtsein von einer Autorität, die von den Schattengeistern unterschieden und meist auch räumlich getrennt ist, von einem Träger des Alls, der jeden einzelnen ins Dasein ruft und der den Tod sendet. Diese autoritäre Macht ist nun nicht ein philosophischer Notbehelf zur Bezeichnung der letzten Ursache aller Dinge, deren Entstehung sich der Mensch nicht erklären kann, ohne auf den Begriff „Gott“ zurückzugreifen. Diese Macht trägt vielmehr persönliche Züge, und diese Persönlichkeit kümmert sich um der Menschen Verhalten zueinander. Der reiche Schatz ihrer Traditionen an Geschichten, Märchen Märchen, Sprichwörtern, Redensarten, Gebräuchen zeugt davon. Dies sind Äußerungen des Volksgeistes, sie setzen nicht nur das Volk voraus, sondern auch dessen einheitliches Denken und Empfinden all die Generationen hindurch. Damit zeugen diese Überlieferungen aber auch für das Gewissen im primitiven Volk. Leider ist in Kamerun versäumt worden, beizeiten genügend zu sammeln, und ich hoffe, daß [das], was ich an sittlich-religiösen Stoffen zusammengetragen [habe], andere reizt zu religionspsychologischem Sammeln.

Zwar ist die ungeschriebene Literatur, die Dichtung der Kameruner im Vergleich zu anderen Völkern arm an direkten religiösen Beziehungen; vgl. etwa Bellons Sprichwörter der Twineger oder allerlei, was Dr. Johannsen aus Ostafrika berichtete. Man muß aber in Kamerun für diesen Punkt die Sitten und Gebräuche heranziehen, um das Denken und Empfinden des Volkes zu erfassen. Besonders wäre es da ergebnisreich, wenn die früheren Missionare oder andere die Neumondabend- oder bei anderer Gelegenheit gesprochenen Gebete aufgezeichnet hätten. Dieses hätte mehr als alles andere den Beweis erbracht, daß der Kameruner von der Gottheit erwartet, daß sie darauf sieht, wie der Mensch seine Pietäts- und Bundespflichten innehält und sein Verhältnis zu den Mitmenschen so regelt, daß der Andere nicht absichtlich in Not gebracht wird, vgl. S. 123ff., 178bff.

Einige Beispiele aus den Märchen; sie haben weniger einen religiösen als einen rationalisierenden Hintergrund; sie deuten weniger auf den persönlichen Gott als Ziel denn aufs allgemein waltende Schicksal Schicksal; sie kündigen nicht moralisierende Strafe an, sondern zeigen, wie es eben im Leben geht; sie überlassen die genauere Deutung, die Nutzanwendung mehr dem einzelnen Erzähler oder dem Hörer.Vgl. „Eine volkstümliche Predigt in Kamerun“ in Prof. D. Heinrich Fricks „Religionskundlichen Beiblatt“ VI, 3.

Der Anteil des Gorilla Gorilla

oder: In der ungerechten Welt gilt das Recht des Starken.

Eines Tages gingen Gorilla und Rind und Moschuskatze zusammen auf die Jagd. Sie erlegten eine Schraubenantilope. Der Gorilla sagte, das Rind solle sie verteilen. Da zerlegte das Rind das Tier in drei gleiche Teile: Eines für den Gorilla, eines für die Moschuskatze und eines für sich selbst. Das erboste den Gorilla; er stürzte sich auf das Rind, zerkratzte ihm den Kopf, daß die Hautfetzen nur so herunterhingen und es vor ihm liegen blieb. Dann sagte er der Moschuskatze: Verteile nun du die Antilope. Da nahm die Moschuskatze alle Teile zusammen und legte sie vor den Gorilla. Dieser fragte dann: Wessen Anteil ist das nun? Und wer hat dich solches Teilen gelehrt? Da antwortete die Moschuskatze nur: {284} Der da vor mir steht, mein Herr mit der rötlichen Mähne!

Tausendfuß Tausendfuß und Spinne, vgl. auch Vogelspinne Spinne

oder: Der Dumme macht sich lustig über das, was er nicht versteht und offenbart so seine Torheit.

Tausendfuß und Spinne waren Freunde und gingen viel miteinander aus. Auf einem solchen Spaziergang sagte der Tausendfuß einmal zur Spinne: Lieber Freund, ich kann dir nur versichern, daß die Menschen nichts hören, sie sind taub. Die Spinne erwiderte: Was, du meinst die Menschen seien taub? Und er erklärte der Spinne: Ich behaupte dies, weil ich folgendes beobachtet habe: Wenn ich nicht gerade dem Menschen bis auf den Leib rücke, sagt er nie, da ist ein Tausendfuß; und ich höre doch, wenn ich wandere, meine vielen Beine rauschen wie ein Dampfschiff; und wenn unser zweie zusammenwandern, dann tönt das: Wu-wu-wu. Aber die Menschen vernehmen solches Geräusch doch nicht.

Da entgegnete ihm die Spinne: Freund, da hast du ganz recht beobachtet, und ich kann noch hinzufügen: Die Menschen sind auch blind. Denn wenn ich mein Haus gebaut habe und die Wände ausgerichtet und das Fundament und die Dachtraufe in Ordnung habe, kommt gewöhnlich so ein Mensch daher, zertrümmert mit den Unterbau, fällt über meinen Hauseingang und ruft aus: Ach, das Gewebe der Spinne hängt mir am ganzen Leib herum. Da zerreißt nun so ein Kerl mein ganzes Gebau mit seinen plumpen Händen. Ich aber flüchte und verstecke mich im Gras und baue mir schließlich an einem anderen Platz meine Behausung. Und so behaupte ich: Die Menschen sind blind und sehen nicht.

Dem fügte der Tausendfuß noch hinzu: Das stimmt, was du sagst! Dazu sind die Menschen aber auch noch dumm. Hast du nicht schon beobachtet, daß sie zum Beispiel die eigene Haut, die ihnen der Schöpfer am Tag ihrer Geburt gegeben, für nichts achten? Gewöhnlich, wenn sie nur ein wenig herangewachsen sind und kaum die Augen aufmachen können, da nehmen sie so ein Ding und hängen es sich um die Hüfte, und manche schlagen dazu auch noch ein solches Ding sich um die Brust. Andere wieder bedecken den Kopf mit einem Ding, um der Sonne und dem Regen zu wehren, die doch Gott erschaffen hat. Während des Regens haben sie auch noch ein großes Ding in der Hand, das sie hoch über sich halten. Darum sage ich: Die Menschen sind dumm, denn sie setzen sich über das hinweg, was Gott angeordnet hat. Tausendfuß

Der Himmelsgott und der fliegende Hund Mweme

oder: Wer sich von Gott zurückzieht, schadet sich nur selbst.

Die Mutter des fliegenden Hundes war gestorben, und er wollte ihr ein großes Totenfest halten. Speise und Trank hatte er vorbereitet und seine Freunde zum Tanztag geladen. Am Abend vor dem Tag bat er Gott, er möge für den morgigen Tag gutes Wetter schicken, damit er sich mit seinen Freunden freuen könne und sie einen guten Eindruck von ihm mitnehmen. Als sich am anderen Morgen die Freunde einstellten, da regnete es in Strömen, und den ganzen Tag über kam es zu keinem Tanz im Hof. Verdrossen saßen die Gäste in den Hütten und unter dem Dachvorsprung, genossen unfroh, was ihnen Mweme auftischte, und zogen am Abend naß und verdrossen zu ihren Heimstätten. Da stellte sich Mweme in den Hof, ballte die Faust nach oben und rief: Nimmer will ich dir dienen, nimmer dein Antlitz schauen! Von der Zeit ab ist der fliegende Hund ein <Vogel der Nacht> geworden, und wenn er verdrossen durch die Luft streicht, hängt er den Kopf nach unten wie einer, der verbittert eine schwere Last trägt und mit Gott und Menschen hadert.

{285} Aus diesen Überlieferungen Überlieferungen spricht nicht nur das Volksempfinden, sondern auch das Volksgewissen und in diesen launischen Unterhaltungen wird ein Zusammenhang zwischen Frömmigkeit und Sittlichkeit Sittlichkeit sichtbar, den man sonst nicht vermutet. Auch das Sprichwörter Sprichwort spricht das oft genug aus. Wenn es erklärt: Wer dem Armen etwas abschlägt, schlägt es Gott ab, so klingt doch daraus die Erinnerung: Du sollst Gott fürchten. Oder wenn es fragt: Darfst du über die Raphiablätter (als Dach- und Wandbedeckung gebraucht) schelten, während du unter der Raphiapalme sitzest?, so mahnt es doch daran, seine Zunge zu hüten, weil der Geber aller Gaben es hört. Und wenn man in dem patriarchalen System den Alten nicht verachten darf, so bezieht sich das letztlich auch auf den größten Sippenvorsteher, Gott. So könnte man zu allen Geboten Belege aus der Weisheit des Volkes sammeln, vgl. dazu „Geistiger Volksbesitz...“ S. ---. Da mahnt eines den Vater, der nicht für seine Familie sorgt: Du bist doch ein Entenheimvorsteher! Denn der Enterich kümmert sich um seine Jungen nicht. Die Mutter aber lobt es, indem sie mit der Henne verglichen wird: Das Huhn Huhn mit Kindern geht nicht weit auf seinen Spaziergängen. – Kindern hält man die stumme Kreatur vor Augen: Wenn der Sumpfbock (Antilope) alt geworden ist, wird er von seinen Kindern gesäugt. Und ungehorsame Kinder weist man zurecht mit: Weil das Bächlein sich nicht raten lassen wollte, wurde es krumm, und ein <diebisches Kind bringt seine Eltern und Kind Eltern in Verruf>.

Die Überlieferung weist einen auch darauf hin, daß man sich möglichst selbst ernähren und die nicht vergessen soll, die einem im Leben zum Fortkommen verholfen haben. Da ist im Urwald ein Baum mit rissiger Rinde. Ein Vogel hat eine wilde Feige gefressen, und da er an dieser Rinde seinen Schnabel abputzt, bleibt dort ein Feigenkorn hängen; das schlägt aus, die junge Pflanze wächst, strebt nach oben und schlingt kräftige Wurzeln um den Wirtsbaum. So umklammert die Feigenliane ihn nach und nach wie mit eisernen Armen, saugt ihn aus und erstickt ihn. Diesen Vorgang kleidet das Sprichwort in den Satz: Der Sklave hat seinen Herrn getötet, und will damit mahnen gegen alles selbstsüchtige und undankbare Wesen der egoistischen Menschen. – Ein anderes Wort stellt diesen Gedanken positiv dar: <Wir sind Kasonüsse, wir helfen uns gegenseitig hinaufzuklettern.> Diese Nüsse sind die Früchte einer Liane Liane. Da ist eine Nuß in den Boden gefallen, keimt und der Trieb arbeitete sich nach und nach in die Krone eines Baumes hinauf. Triebe anderer Nüsse haben es dann leichter, sie halten sich an den Ranken ihrer Vorgängerin fest und steigen so geschwind in die Krone des Baumes hinauf. Wie so eine Nußranke der anderen hilft, wird sie zum Bild wahrer sozialer Gesinnung.

Wer das Volksgewissen eines Stammes, wie es in seinen Sprichwörtern, Fabeln und anderem ungeschriebenen Gut lebt, kennengelernt hat, sieht, daß dem Kameruner ein Ideal über das Verhältnis von Eltern und Kind Eltern und Kindern, Alten und Jungen, Führern und Gefolgschaft, Herr und Knecht, Freundschaft Freundschaft und Ehe Ehe vor Augen schwebt, das sich von dem des Kulturmenschen nicht unterscheidet. Der Kameruner schätzt die gleichen Tugenden der Treue, Wahrheit, Umsicht, Beharrlichkeit, des Fleißes, der Selbstüberwindung, der Güte und Freundlichkeit wie wir auch. Die Maßstäbe für gut und schlecht, recht und unrecht, schuldig und unschuldig, schön und häßlich weichen von unseren kaum ab.

Es ist überall das Bewußtsein lebendig, daß hinter dem Himmel, vgl. auch Loba, Firmament Himmel oder hinter der Sonne Sonne, dem Auge Gottes Auge Gottes, eine göttliche Macht wirkt, die wie die Sonne, wie der Himmel alles sieht, was unter ihr vorgeht, und die das Böse rächt, vgl. S. 125ff. An diese Himmelsgottheit wendet sich auch, wer sich bedrückt fühlt und auf Erden keinen Helfer hat, denn das Himmelsauge sieht darauf, daß die Menschen sich nicht gegenseitig verleumden, bestehlen oder sonst schädigen. So kann man auf den Himmel hinweisen einen, der etwas Böses getan hat oder im Begriff steht, es zu tun. In solchem Hinweis lebt das Bewußtsein von einem Zusammenhang zwischen Gottesfurcht und sittlichem Leben. Die Gottheit Gottheit ist ein Richter Richter und ein Rächer alles Bösen. Vor ihm kannst du nichts verbergen. <Darum wenn du etwas zu essen hast, so iß im Hofe>, denn hast du nicht gestohlen, so mag es der Himmel wohl sehen.

{286}

[Notiz am unteren Seitenende: Etob’e ngwe zeigt doch Verlangen nach Gutmachung.]

So zeugt auch die landesübliche Sitte Sitte in vielen Beispielen für das vorhandene Volksgewissen: Auch bei den sogenannten Wilden ist der Stand der Ehe geordnet im Gegensatz zu der nach der Volksanschauung widergesetzlichen und unstatthaften freien Liebe. Die Familie, vgl. auch Gruppe Familie und ihr geregelter Pflicht Pflichtenkreis wird vom Volksgewissen beobachtet, und man glaubt, daß sich Untreue der Ehepartner gegeneinander oder Unkindlichkeit gegenüber den Eltern der Frau häufig in Unfällen bei der Geburt oder in schweren Geburten offenbart, weil sowohl über der heilig zu haltenden Ehe wie auch über das Verhältnis der Kinder zu den Eltern eine richtende Macht waltet.

Es ist merkwürdig, daß in einem Land, wo schon soviel Blut geflossen [ist], dennoch des Menschen Blut heilig gehalten wird. Man muß entstandene Blutschuld Blutschuld sühnen, oder es droht Aussterben der Familie; vgl. das auf S. 59 über mbaki und S. 236ff. über gestörte Ordnung Gesagte. Ebenso ist das Eigentum Eigentum geschützt, zum mindestens innerhalb der eigenen Gruppe, in der man lebt, und wenn dem festgestellten Dieb die Mittel fehlten, seinen Frevel wiedergutzumachen, durfte ihn der Geschädigte in die Sklave, Sklaverei Sklaverei verkaufen unter Zustimmung des Volksgewissens, das durch den Frevel gekränkt war und Sühne verlangte.

Wir haben zwar das Orakelwesen, vgl. S. 153ff., und das Gottesgericht, vgl. S. 164ff., als jeder Religiosität und Sittlichkeit Sittlichkeit bar einen Volksschaden nennen müssen, aber dennoch zeugen auch diese Einrichtungen davon, wie der Kameruner des Glaubens lebt, daß eine höhere Macht das Recht schützt, indem sie dem Menschen ihren Willen und ihre Geheimnisse kundtut und Schuld und Unschuld ans Licht bringt. So verbinden sich hier wie auch sonst oft Gedanken, die aus der Tiefe des Glaubens stammen, mit krassem Aberglauben und menschlicher Grausamkeit Grausamkeit und List List. Dem Vornehmen, Gottes Gerechtigkeit offenbaren zu wollen, gesellt sich so oft menschliche Gewissenlosigkeit.

2. Das Einzelgewissen

Während sich in Kamerun das Volksgewissen verhältnismäßig leicht nachweisen läßt, ist solches mit dem Gewissen des Einzelnen nicht so einfach. Aber es ist überall da erwacht, wo man sich unter den Einfluß des Christentums gestellt hat, dann muß es doch auch schon vorher vorhanden gewesen sein, nur wird es da selten beobachtet. Immerhin könnte einen eines in diesem Stücke stutzig machen: Wie sehr wird doch fast überall eine ungute Tat geleugnet, wenn man einem menschlichen Gegner gegenübersteht. Da herrscht einfach der Grundsatz: Man gibt nicht mehr zu, als man zuzugeben gezwungen ist.

Es kann doch nicht gut sein, daß die eigentümlichen Gewissensregungen, die aus den Überlieferungen Überlieferungen des Volkes stammen, nur einer vergangenen Zeitperiode angehören und daß sie damals zwar nach lebendigem Gefühl geformt wurden, nun aber dem heutigen Geschlecht gedankenlos überliefert sind. Denn es werden auch heute noch neue Märchen und Sprichwörter geschaffen und andere werden umgeformt, um sie den Bildern der neueren Zeit anzupassen.

Es gehört wohl zu den unangenehmsten Sitten im Zusammenleben mit den Kamerunern, daß sie in vielen Fragen scheinbar das Bewußtsein einer Verschuldung nicht haben und alle Schuld leugnen, um dem Gegner die ganze Last der Beweisführung aufzubürden. Nur dann, wenn sie mit solchen Beweisen so in die Enge getrieben sind, daß sie einen Ausweg nicht mehr sehen, geben sie ihre Schuld zu und bitten im gleichen Atemzug um Verzeihung und Entschuldigung. So hat man oft den Eindruck, daß es äußerst schwer ist, bei dem Kameruner das Bewußtsein der Schuld (und Sühne) Schuld und das Verlangen nach Vergebung zu erwecken; aber ein Beweis, daß in solchem Fall ein Gewissen nicht vorhanden ist, ist nicht zu erbringen. Es gibt doch auch Fälle, wo einer seine üble Tat alsbald offen eingesteht, und oft macht sich auch beim Kameruner das lange unterdrückte Gewissen gewaltsam Luft. So schreibt der schon genannte Missionar P. Scheibler sen.  Scheibler sen., Paul Missionar {287} am 30. 9. 08: „Es kommt vor, daß die Leute große Furcht vor dem Tode haben. In solcher Weise starb hier in Bikog (Basa-Landschaft) ein alter Orakler. Die Furcht vor dem Tode ließ ihn nicht in dem Hause bleiben, und niemand konnte ihn zurückhalten. In seiner inneren Not lief er in den Hof und schrie um Hilfe; dem, der ihm helfen könnte, machte er große Versprechungen: Ziegen, Waren, Weiber, schließlich alles, was er hatte. Aber niemand konnte ihm helfen, weder Menschen noch Geister, die er anrief. Der Tod ereilte ihn stehend und flehend.

Es hat dies seinerzeit einen tiefen Eindruck auf die Leute gemacht, und auch heute nach drei Jahren ist dies in der Gegend nicht vergessen. So wird die Trostlosigkeit des Heidentums offenbar. Bei seinen Lebzeiten waren viele zu diesem harten Manne gekommen, um sich Hilfe und Rat zu holen und sich wahrsagen wahrsagen zu lassen, und nun stand er angesichts des Todes in eigner Not jämmerlich und verlassen da. All sein Können und Hokuspokus half ihm nichts. – Ich führe nur diesen einzelnen Fall an, aber man hört oft von dem und jenem erzählen, der bis zum letzten Atemzug vor Furcht geschrien habe.“

So sagt auch das Sprichwörter Sprichwort, daß man dem höchsten Richter nicht entgeht: <Du entflohst dem Krokodil Krokodil im Meere und trafst nun den Leoparden auf dem Lande>, ebenso auch im Märchen Märchen, z. B.: Ein Jäger fand eine Riesenschlange unter einem Baum liegen. Er zog sein Haumesser aus der Scheide, um sie zu töten. Sobald sie die Gefahr bemerkt [hatte], stürzte sie sich in einen nahen See und verkroch sich unter einem Stein. An diesem Platz hielten sich viele Fische auf. Es dauerte nicht lange, da kam ein Fischer daher und hatte eine Last Fischgift (Akazienblätter) auf seiner Schulter. Als er das trübe Wasser des Sees sah, vermutete er Fische darin und warf die Blätter in das Wasser. Das Gift brannte den Fischen, aber auch der Schlange in ihrem Versteck, in den Augen. Sie suchte nun noch mehr in die Tiefe zu steigen und scheuchte so noch mehr Fische auf. Als der Fischer das sah, nahm er sein Haumesser, um die betäubten Fische zu töten und in seine Tasche zu stecken. So kam er auch an den Ort, wo die Schlange versteckt lag. Er hielt ihren Schwanz für einen Fischschwanz, ergriff ihn und zog die Schlange heraus. Da ließ Furcht und Schrecken die Schlange laut aufschreien: Wahrhaftig, Wohlsein gibt es nicht auf dieser heißen Erde. Du kamst, um Fische zu töten. Ich habe sie dir gegen das Ufer zugetrieben; was kamst du denn noch hierher, um mich in der Tiefe zu fangen? Laß mich, daß ich hier in dieser Steinhöhle ersticke. Etwas Gutes gibt es doch nicht droben auf dem Land, da ist der Jäger mit dem Gewehr; noch ist in der Meerestiefe Glück, da ist der Fischer mit Gift und Speer Speer und Netz. Ich arme Schlange bin ganz von Gefahren umringt.

So gibt es doch auch einzelne Gewissensregungen. Wieviele Sühnegebräuche, vgl. S. 206, 249, zeugen doch davon, daß Einzelne eine Empfindung haben für Unrecht, Schuld, Sühne, Vergebung, Verzeihung und Freispruch.

Oder wenn man in ihr Familienleben horcht, so merkt man doch auch da bei viel Verstocktheit, wie Gewissen vorhanden ist und wie man auch an das Gewissen appelliert.

Eines Tages kam beim Abendmahlsdurchgang in Nguse-Bakosi eine Frau zu mir; die sagte, sie könne nicht zum Abendmahl kommen, weil sie mit ihrem Vater nicht ausgesöhnt sei. Ich ging dann mit ihr in ihr Elternhaus und traf dort einen alten, kranken Mann. Ich sagte ihm von der Not seiner Tochter und fragte ihn, ob er nicht vergeben könne, besonders auch angesichts seines bald zu erwartenden Endes. Der Alte sträubte sich und strich mit seinen Händen über die Oberschenkel als Zeichen dafür, daß er seine Tochter von sich stoße. Seine Verwandten und Nachbarn hatten sich bei unserer Unterhaltung auch eingestellt. Die drangen aber nun schwer auf ihn ein und hielten ihm seine Herzlosigkeit vor; er sei doch nicht ein Tier, sondern ein Menschenvater (damit wollten sie gerade auf die inneren Regungen des Gewissens hinweisen). Nach längerem Hin und Her erklärte der Alte sich bereit, das väterliche Verhältnis zu seiner Tochter wieder herzustellen, wenn diese ihn <besteche>, d. h. seine bitteren Gefühle durch eine Gabe zudecke.

{288}

[Rückseite S. 287: Häuptling Ebanja, Sohn des Makia in Mukaria [?] ]

Andererseits treten solche Nachbarn und Freunde auch als Gewissenswecker gegen Sohn oder Tochter auf, die sich gegen Vater oder Mutter vergangen [haben]. So kann doch auch bei Leuten, die nichts vom Christentum wissen, das Gewissen geweckt werden. Da ruft etwa der Vater die Erwachsenen seiner Sippe und die Nachbarn zusammen, legt ihnen das ungute Verhältnis mit seinem Sohn dar und bittet um ihre Hilfe. Als die Vertreter heiliger Ordnung, wider die er nicht ungestraft freveln könne, nehmen sie nun den Sohn vor. Sie treiben ihn zum Geständnis, zur Bitte um Vergebung, zur Leistung einer Sühne, um dem verachteten Vater Genugtuung widerfahren zu lassen.

So läßt sich auch in manchen Fällen von Diebstahl Diebstahl, der überführt ist, von Betrug Betrug, der aufgedeckt wurde, oder anderer Sünde Sünde ein Schamgefühl Schamhaare Schamgefühl aufzeigen, das tief empfunden wird. Wenn sich z. B. der Häuptling der Bakosi, Ntoko, im Gefängnis zu Kumba entleibte, wo er wegen unbeabsichtigter Unterschlagung in Untersuchungshaft saß, so hat er das nicht aus Furcht Furcht vor der Strafe getan.

Man darf bei so viel Gewissenslosigkeit in unserem zivilisierten Europa natürlich nicht beim primitiven Kameruner ein gar zartes Gemütsleben und Gewissensregungen erwarten. Und wenn sich unseren europäischen Augen nicht schnell Gewissensregungen unter den Schwarzen zeigen, so dürfen wir nicht ihr Vorhandensein überhaupt in Abrede stellen. Mag diese innere Stimme uns oft wie verstummt erscheinen, so muß oft nur die rechte Gelegenheit und Anstoß kommen, dann redet auch das Gewissen wie <das stumme Kind> in einem Märchen. Dort wird nämlich erzählt: In einen hängenden Kochtopf war ein Tausendfuß >Tausendfuß gefallen. Unter ihm zündete die Hausfrau Feuer an und ihr stummes Kind sah zu. Als es nun dem Tausendfuß zu heiß wurde, bäumte und wand er sich in der Hitze. Das hat das stumme Kind so erregt, daß es plötzlich seiner Mutter zurief, sie solle doch schauen, was in dem Topf vorgehe. – So kann tiefes Erleben das Gewissen zum Sprechen bringen.

Bei den Heiden wecken oft gewisse Lebensführungen das Gewissen auf. Wenn Unglücksfälle eintreten, werden sie oft aufgehobene Finger, die auf vergangene, aber nicht vergessene Schuld hinweisen, vgl. S. 244. Sie machen die Stimme des göttlichen Gebotes, das auch in des Heiden Busen geschrieben ist, auf einmal erklingen.

Zu solchem Erklingen der Saite im Inneren des Heiden kommt es aber auch, wenn die gleiche Saite von außen ertönt, nämlich wenn er unter die Botschaft des Christentums kommt und ihm das göttliche Sittengesetz nahegebracht wird, wie es in den zehn Geboten seinen Niederschlag gefunden. So sehen wir noch

C. Wie das Gewissen unter dem Einfluß des Christentums reagiert

Denn dieses geschriebene Gesetz stimmt allerwege überein mit dem ungeschriebenen Gesetz in des primitiven Kameruner Herz. Und wie die angeschlagene Saite des Klaviers gleiche Saiten auf anderen Oktaven mitschwingen läßt, so schwingen die Saiten des Bewußtseins des Gewissens heidnischer Wahrheitssucher mit, wenn ihnen das Zeugnis des christlichen Boten Gottes Forderungen vorhält. Daß unter dieser Einwirkung das Gewissen beim Kameruner aufwachen kann, zeugt dafür, daß es zuvor schon vorhanden war, auch wenn es geschlafen hat und kaum reagierte. Wie und bei welchen Gelegenheiten tritt es uns nun entgegen?

1. Das Gewissen des Einzelnen

Die Bekehrung Bekehrung des Einzelnen vollzieht sich in Kamerun meist nicht plötzlich und unvermittelt, sondern meist allmählich. Meist ist sie das Ergebnis einer oft geheimnisvollen Entwicklung Entwicklung. Da wird einer gepackt etwa von einem Spruch, einem Gleichnis, einer biblischen Geschichte, die ihn nicht mehr losläßt. Diese Sache verfolgt ihn oft in seinen Träumen, und er hört da etwa einen Zuruf, einen Befehl, von dem er weiß, daß er ihn befolgen muß. So erzählte mir einmal ein früherer Sklave, wieso er Christ geworden sei: In unser Dorf war ein Missionslehrer gekommen, und ich hatte ihn auch gehört. Eines Nachts lag ich nun träumend in einem {289} tiefen Sumpf und rang um mein Leben. Da hörte ich eine Stimme: Folge dem Lehrer Lehrer! Und es war mir, als wandle vor mir dessen Gestalt über dem Sumpf. Ich strebte ihm nach und kam so auf festes Land. Als ich wach wurde, wußte ich, was mir der Traum sagen wollte. Am anderen Morgen ging ich nun zu dem Lehrer und meldete mich zu seinem Taufunterricht.

Anderen zeigt kein Traum den Weg, sondern sie erleben vielleicht Kampf und Sieg eines anderen mit. Das geweckte Gewissen des Bekannten weckt auch ihr Gewissen auf. Dieser Typus ist in Kamerun sehr häufig. Anderen wieder wird gleichsam das innere Ohr geöffnet: Sie verarbeiten mit dem vorhandenen Gefühl für Wahrheit die gehörte Botschaft. Damit fällt das Samenkorn in einen Acker, und es kommt auf das weitere Verhalten des Menschen zu dieser Wahrheitserkenntnis an, wie sich dieses Samenkorn entwickelt. Jedenfalls gibt es eine Menge biblischer Wahrheiten, die dem Kameruner ohne viel Erklärung verständlich sind und die er innerlich bewegen und beherzigen kann. Da ist es vielleicht noch nicht einmal das Wort des Mission, Missionare, vgl. auch Christen Missionars, das ihn anpackt, sondern er hört vielleicht ein solches Wort aus dem Bericht eines, der den Missionar gehört oder in seiner Unterweisung gestanden hat. So geht oft ein Samenkorn, das in einer Farmgemeinde an der Küste ausgestreut wurde, weit im Innern in einem noch unberührten Dörfchen auf, das Gewissen eines einzelnen wird wach, er fragt und sucht weiter und findet bei anderen Christen, bei einem eingeborenen Lehrer oder bei einem Missionar selbst Antwort auf seine Fragen. Und je heller einem auf diesem Weg das Licht Christi aufgeht, desto dunkler kommt ihm die Nacht vor, in der er seither gelebt [hat]. – Eines Tages trat ich aus dem Busch in das Gehöft des christlichen Häuptlings Koto-Mangamba. Als ganz junger Missionar fragte ich ihn, ob in seiner Gegend auch schon Säulen des Heidentums (angesehene Medizinmänner oder Wahrsager) zur Christengemeinde gekommen seien? Da erzählte er mir von einem sehr angesehenen Medizinmann aus seiner Nachbarschaft, der weithin bekannt war. Der sei eines Tages zu ihm gekommen und habe ihm erklärt, er könne seinen Beruf nicht mehr weitertreiben, sein ganzes Tun komme ihm der christlichen Verkündigung gegenüber als unwahr vor. Auf seinen, des Koto, Rat habe sich der Alte dann weiter unterrichten lassen und sei Christ geworden, nachdem er sein Zaubergerät und seine Machtmittel öffentlich übergeben habe. Er lebte dann noch Jahre in der Gemeinde, äußerlich zwar arm geworden, innerlich aber befriedet, weil sein aufgewecktes Gewissen im lebendigen Gott Ruhe gefunden hatte.

Wo das Licht in ein solches Herz hat hineinleuchten können und das Gewissen aufgewacht ist, da kann ein solcher zwar die neue Erkenntnis oft nicht ganz klar aussprechen, aber oft kann man beobachten, daß diese innere Erleuchtung sich so sehr bewährt, daß solche Menschen in gewissem Sinn über ihre Umgebung herausragen. Aber wo man das auch nicht aussprechen kann, ist auf das Suchen nach Wahrheit und Klarheit doch etwas von der gewissen weckenden und die Sünde Sünde ans Licht bringenden Kraft des Wortes Gottes in ihrem Inneren wirksam, so daß manche Schuld bekannt wird, nicht auf äußeren Zwang hin, sondern in innerer Freiwilligkeit.

Die Christengemeinde setzt sich aus Einzelchristen zusammen. Aus der Übereinstimmung des Gewissenszeugnisses dieser Einzelnen bildet sich nun auch

2. Das Gemeindegewissen

Denn das ist ja auffallend, daß sich sonst unbekannte und fernstehende Leute darum zusammenfinden und zusammenschließen, weil sie sich innerlich verwandt fühlen. So ist es vielfach das gleiche Gewissenserleben kameruner Menschen, das sie zur Christengemeinde zusammenführt. Denn sie stehen den Fragen nach einer Neuordnung ihrer Beziehungen zu Volkstum und Familie, vgl. auch Gruppe Familie [aufgeschlossen] gegenüber. Diese zusammengeführte Gemeinde, bestehend aus Leuten, denen die Augen geöffnet wurden über sich selbst und ihr Verhältnis zu Gott und Mitmenschen, fühlt auch in ihrer Mitte ein Gesamtgewissen erwachen. Man merkt auf einmal, daß vieles, was seither beim Wandel nach väterlicher Weise ihr Gewissen nicht beunruhigte, nun vom einzelnen und von der Gesamtheit nicht mehr ertragen werden {290} kann. Denn sie haben den Willen Gottes in mehr oder weniger tiefer Weise erkannt und wollen ihm in menschlicher Schwachheit und doch mit Ernst folgen. Sie haben besonders auch erkannt die brüchige Grundlage, auf denen seither ihr Sitten- und Gewissenleben basierte, und merken nun, daß es vor allem bei ihnen darum geht, ob sie dem größeren oder kleineren Maße ihrer Wahrheitserkenntnis gemäß treu leben wollen oder nicht.

Da erwacht denn auch bei denen, die die Wahrheit lieben, eine Verfeinerung des inneren Empfindens für das, was einem Christen Christen erlaubt ist und was nicht. Sie erkennen im Licht, das von dem Angesicht Christi ausgeht, daß vieles von dem, was ihnen als Gebot überliefert war, unwichtig oder gar unsinnig, beiseite zu lassen ist, daß anderes aber von der neuen Sittlichkeit Sittlichkeit bestätigt wird und daß letztlich einiges von ihnen verlangt wird, davon die seitherigen Überlieferungen schwiegen. Von dieser neuen Erkenntnis werden oft nicht nur Christen ergriffen, sondern auch nachdenkliche Heiden. So kommt es vor, daß lässigen Christen von Heiden, die nicht unwissend geblieben sind, vorgehalten werden kann, was die christliche Sittlichkeit eigentlich von ihnen fordert. Dies ist zugleich ein Zeugnis dafür, wie das allgemein menschliche Gewissen die Grundlage bleibt, auf der sich das christliche Gewissen des Einzelnen und der Gemeinde aufbaut; und nur in dem Maße, als das einzelne Gewissen zu den christlichen Forderungen zustimmen kann, wird sich auch das Gemeindegewissen gesund entwickeln können. Darum ist auch so wichtig, daß man nicht das oder jenes in Kamerun einführt, nur darum, weil man es auch so in Europa hat, sondern daß auch das christliche kameruner Gemeindegewissen herauswächst aus einer Vermählung des göttlichen Zeugnisses mit dem, was die Kameruner schon als Volksgewissen in sich tragen. (Mit dem Aussprechen dieser Sätze sind wir uns bewußt, daß wir jeglichen Synkretismus Synkretismus mit dem Heidentum abzulehnen haben.)

Auch das Liebesgebot Jesu gegen die Feinde ist für den primitiven Kameruner durchaus nicht ganz unbegreiflich, wenn es auch wie überall Fälle gibt, wo man seine Praxis nicht anerkennen will. Liegen aber nicht gerade kriegerische Verwicklungen vor oder verdirbt ein unerledigter Prozeß die nachbarlichen Verhältnisse, so erkennt jeder primitive Heidentum, Grundzüge des Heide an, daß das Wesen der Menschlichkeit Güte sei. Wer nicht danach handelt, wird mit dem Tier verglichen: <Bist du aus der Heimat fort, so bist du in den Händen von Tieren>.

Zwar gibt es wegen nichts so viele Kirchenzuchtsfälle beim Durchgang zum Heiligen Abendmahl wie wegen Verstoßes gegen die Heiligung des Geschlechtsleben, -symbolik Geschlechtslebens. Und zwar ist das nicht so vom christlichen Sittengesetz eingerichtet, sondern man kann sagen, auch vom Volksgesetz. Es ist erstaunlich, wie gerade auch alte Heiden von dem Christentum erwarten, daß es auch das Geschlechtsleben bei ihrem Volk neu und besser regeln könne, als es seither der Fall war. Zwar wird auch bei ihnen nach altem Herkommen streng unterschieden zwischen Ehe Ehe und wildem Geschlechtsgenuß, aber die erfahrenen Alten haben gemerkt, daß in dem von den Vätern Ererbten nicht die nötige Kraft liegt zum Wandel in einem neuen Leben. Darum erhoffen sie solche von der neuen Botschaft des Evangelium Evangeliums, das ja von dieser neuen Lebenskraft in der Gottesgemeinschaft spricht und zeugt. So kann in vielen Stücken an das natürliche Gefühl und das menschliche Empfinden beim Kameruner angeknüpft werden zwecks Regelung des Gemeindelebens.

Kurz vor dem Krieg haben wir in Kamerun versucht, die in unseren Gemeinden zur Geltung zu bringenden Punkte in einer Gemeindeordnung zusammenzufassen. Ich setze die Hauptpunkte hierher:

[fehlen im Manuskript]

{291}

Das erwachte Gemeindegewissen ist natürlich der Pflege und der Stärkung bedürftig. Das geschieht durch Verkündigung des Wortes, Einführung in die Schrift, in Predigten, Katechesen, Unterredungen, Pflege des Gebetslebens und anderer seelsorgerlicher Betreuung.

Je stärker das Gemeindegewissen ist, desto kraftvoller [sind] auch die Züge der Reinheit und Liebe Liebe, die bei Einzelnen und in der Gemeinde zu finden sind, trotz aller schweren Versuchungen, in denen alle stehen. Wenn nun in der Gemeinde Zeugnisse dafür laut werden, daß man, statt sich in Eigensucht und Neid von den anderen zu trennen, bereit sein müsse, ihnen zu helfen und ihnen zu opfern, etwa die Kranken in der Gemeinde zu pflegen, durchreisende Christen zu beherbergen, für die Bedürfnisse der Gemeinden aufzukommen, und manch anderen Dienst der Liebe zu üben, so ersieht man daraus: Das Gewissen ist vorhanden und es tut seine Wirkung; vielleicht oft nicht so, wie man das gerne hätte, aber es ist doch vorhanden und, wo es gepflegt wird, ist es ein Führer derer, die seither in heidnischer Blindheit gelebt [haben]. Gewissen

{292}

[Rückseite von S. 291: Dies gilt besonders bei Nyambe, er wird stets mit den Ahnen zusammengedacht und diese sind durchaus keine sittlich fördernde Vorbilder; so liegt auch in seinem Dienst kaum ein sittlicher Stimulus. Andererseits dichtet man, wie das die Griechen taten, den Göttern nicht Dinge und Taten an, die sie auf eine moralisch tiefere Stufe setzen als ihren Verehrern [?] gestattet ist.]

D. Wie wirkt sich in Kamerun die Religion auf die Ethik, vgl. auch Moral Ethik aus Sittlichkeit

Ist in Kamerun schon vor Eintritt des Christentums Religion vorhanden, so ist die Frage berechtigt, inwieweit erkennt man sie an ihren Früchten?

1. Zusammenhang zwischen Religion und Ethik Heidentum, Grundzüge des

Ein großer Teil der primitiven Religion ist darum ethisch ganz indifferent, weil die Mächte und Kräfte, die verehrt werden, das Numinose, das einen erschüttert, ethisch indifferent sind, wie z. B. das ganze Gebiet des Dynamismus Dynamismus, Totem, Totemismus Totemismus, Animismus und der Magie, vgl. auch Kunst Magie.

Darum kann von diesen religiösen Unkräften auch kein sittlich veredelnder Einfluß ausgehen; im Gegenteil, die Sittlichkeit wird verdrängt.

Erst bei den Hochgöttern Nyambe, Ya. Zamba, Ko. Mwa-nyame etc. Nyambe und besonders Loba Loba treten uns solche ethischen Ziele entgegen, doch haben sie aufs Leben verhältnismäßig wenig Einfluß.

Und doch ist Einfluß da, aber vielfach einer, der die Sittlichkeit verdirbt; z. B. der Blutbund zwischen dem Ehemann und seiner Frau, vgl. S. 151, will das Vertrauen nicht wecken und unterstützen, sondern mittels der Furcht beherrscht der Starke den Schwachen; das Gleiche gilt von den Wiederherstellungsriten der Gruppe, vgl. S. 236.

Diese verkehrte Religiosität verdirbt jegliches religiöses Leben. Da ist einer angeklagt, er treibe schwarze Kunst, weiße und schwarze Kunst und schädige als Neiding andere. Das kann er zunächst bestreiten, sobald aber das Orakel Orakel festgestellt [hat], daß er sich schuldig gemacht habe, ist er bereit, den Ordal, Gottesgericht, -urteil Ordal-Trunk zu tun: man kann ja nicht wissen; und gegen diesen Entscheid ist keine Berufung möglich. Man will auch keine, sondern ergibt sich diesem Geschick Geschick, nicht weil man von seiner Schuld überzeugt ist, sondern weil ein äußerliches Mittel so und nicht anders gefallen ist. So ist die ganze heidnische Religion ein unsicheres Gebiet und diese Unsicherheit überträgt sich auch auf das sittliche Leben. Man weiß nichts Gewisses, alles beruht ja auf Überlieferungen Überlieferung.

Wie schlecht ist z. B. zu scheiden zwischen Geschichte und Märchen Märchen. So hat man eine ganze Reihe von Naturvorgänge erklärenden Märchen, deren Unstimmigkeit handgreiflich ist für den, der die Sache einmal gewissenhaft untersuchen will. Der Alten oder des Orakels Entscheid hebt jegliche persönliche Verantwortung auf. Darum verkümmert unter dem Einfluß der heidnischen Religiosität auch das Nachdenken und die persönliche Überzeugung. Religion ist nicht erworbenes Gut, sondern überzeugungsloses Vätererbe, das man nachplappert. Darum kann diese Religion auch keine Märtyrer schaffen, an denen die Sittlichkeit Vorbilder hätte. In der Flut des primitiven Lebens steht kein roche de bronze. Wenn die Lüge Lüge einmal gepriesen und dann wieder bestraft, der Diebstahl Diebstahl innerhalb der Sippe dem Mord, Mörder Morde gleich geahndet und der gegen Fremde, Fremdlinge Fremde gefeiert wird, die geschlechtliche Ausschweifung unter gewissen Voraussetzungen geheiligte Sitte Sitte und dann wieder streng tabuiert ist, können sich sittliche Charaktere nicht gut bilden.

Wer das Leben des primitiven Kameruner als Verstehender betrachtet, muß sich immer wieder wundern, wie das ganze Leben unter dem Bann Hypnose, vgl. auch hellsehen hypnotisierender Lüge steht.

Es lügt nicht einer oder [ein] ganzes Volk gelegentlich einmal oder wird belogen, sondern die Lüge ist die Grundlage alles heidnischen Denkens. Man vergegenwärtige sich das über Machtmittel, Orakel, Ordal o. ä. Gesagte, wo jeder seine natürliche Empfindung, das Urteil der „Stimme des Herzens“ gläubig einem sachlichen Entscheid unterstellt! Das erzeugt eine Unsicherheit der Sittlichkeit, die in allen Fällen des Lebens offenbar wird. Ihre ganze Zauberei ist eine große Flucht heraus aus der Wirklichkeit und Wahrheit in den Schein und die Lüge.

Ich bin meist gut verstanden worden, wenn ich ihre Lage verglich mit einem Schielenden. Sieht es aus, als habe er das Gesicht auf das wahre Ziel gerichtet, so sieht er es nicht und kommt nicht dahin, weil seine Augen doch woanders hinschielen. So sind seine Sinne und damit auch sein Gang verkehrt. Ohne Bild: Gott tritt dem Primitiven zurück, vgl. S. 31f., oder ist nur Dekoration. Er wird nur dann angerufen, wenn sonst gar nichts mehr helfen will. In den meisten Fällen verhindern Geister Geister und Mächte den Blick auf die letzte Ursache, Gott. Man muß staunen, wie leicht mancher fromm reden kann; man ist gewöhnt, von Geistigem zu sprechen. Aber trotz allen Redens von Geistern und Seelen sind die irdischen Werte die allein beherrschenden, denn das Orakel gibt an. Der Geheimbund, -kult, vgl. auch Wassergeister, Kultsprache Geheimbund beherrscht alles geistige Wesen der Gruppe, vgl. auch Familie, Sippe, Stamm Gruppe. Man lehnt Verantwortung ab mit dem Hinweis: Dafür kann ich nicht, so bin ich eben geschaffen. Die Sprichwörter sind voll sittlicher Gedanken rationalisierenden Charakters, aber die Praxis ist der Sittlichkeit so oft bar. Man ruft nach Gesetzesbestimmungen und Ordnungen, man schafft sie – aber niemand will sich dran halten. Mute mamba bula {293} mbenda [?] „Der ein Gesetz aufstellt, übertritt es auch leicht“, spottet das Sprichwörter Sprichwort. Die sittlichen Gesetze und Regeln sind immer nur für die anderen.

Bosheit und Gemeinheit werden gepriesen, wenn der Kultbund die öffentliche Meinung in dieser Richtung bildet. Dagegen tabuiert er ganz Harmloses, Verstöße gegen Höflichkeit; Bekanntschaft der Frauen mit Dingen des Männerbundes werden zu Todsünden.

Ihr Leben verläuft in einem Kommunismus kommunistisch-plutokratischen System, in dem es nur mittels Hexenkraft einen Aufstieg gibt. Der Neid Neid beherrscht den Verkehr innerhalb der Gemeinschaft. Und dieser hindert am Aufstieg: Ein Reicher wird verdächtigt und lebt in beständiger Furcht vor den anderen, daß sie ihn um seinen Besitz bringen; jeder ist Egoist und sieht im anderen Egoisten den Feind. Neid ist nicht bloß eine Schwäche, die allein ihrem Träger schadet, sondern wer diso l’ ekon, wörtlich: „Auge des Neides“, d. h. den bösen böser Blick Blick hat, schadet damit auch seinem Nächsten und kann darob als Hexe angeklagt werden. Auch die Ahnengeister und besonders die vom Hades entfernten Buschgeister sind neidisch. Darum darf man auch vor einem bevorstehenden freudigen Ereignis nicht reden, darf sich auf vieles, was man sehnsüchtig erwartet, nicht vorbereiten und wie viele im Land tragen mina ma tete „unnütze Name, Namensgebung Namen“, um Unholde und feindliche Geister irre zu führen, so daß sie dem Namensträger kein Unheil zufügen.

Wo Lüge Lüge die herrschende Macht ist, erfüllt sie das ganze Leben mit Mißtrauen Mißtrauen, und dieses Mißtrauen richtet sich nicht nur gegen Fremde, Fremdlinge Fremde und ungute Menschen, sondern gegen die Nächsten. Am deutlichsten zeigt sich das im Hexenglauben, die Hexe wütet ja am meisten unter den eigenen Leuten: Mulemb’ a mboa nde oe made mot’ ao „Die Hexe in der Heimstatt frißt ihre eigenen Angehörigen“, sagt das Sprichwort.

Mindestens das erste Opfer ist immer eines aus nächster Verwandtschaft; und die Antihexenmittel in den Gehöften sollen ja verhindern, daß eine Hexe aus einem solchen Gehöft ausgeht. So muß man bei den anderen jedes Wort, jede Bewegung Bewegung beobachten und beurteilen, denn alles kann seine Bedeutung und seine Folgen haben.

Dieses Mißtrauen wirkt Furcht Furcht, das wesentliche Merkmal aller Animisten; und wo Furcht ist, da ist auch Grausamkeit, durch die man die Furcht in sich überwinden [will], um sich anderen gegenüber durchzusetzen. Mit wollüstiger Freude werden Gefangene zu Tode gequält, man weidet sich an den Qualen Mißhandelter und auch die sogenannten Tapferkeitsübungen der Jugend wollen in diesen Stücken abhärten und verrohen. So sieht man oft auch Tiere mit unheilbaren Schäden, etwa Beinbruch, behaftet herumhumpeln, aber man schlachtet sie doch nicht, denn trotz aller Bruderschaft und gemeinsamem Besitz muß man unter Umständen einen Prozeß fürchten. So läßt man das gequälte Tier lieber abmagern und eingehen. Fremde Kranke überläßt man ihrem Elend, und manchmal sorgt man für die eigenen nur, weil man ihren Fluch Fluch fürchtet. Um wie manche Alten kümmert man sich in ihrer Lebensnot oft nicht; sind sie aber gestorben, so überbietet man sich mit Leichengaben und Totenklage Totenklagen. In Viktoria beobachtete ich soviel Vergeudung von Nützlichem bei dem Ableben einer erblindeten armen Frau, daß man mit diesen Werten ihr die letzten Lebensjahre hätte erleichtern und verschönern können. Aber hier kommen animistische Vorstellungen, vgl. S. 215, zum Ausdruck. mudi Mudi „die Lebensseele“ ist sittlich indifferent, sonderlich bei Alten, die davon nicht mehr viel besitzen, aber der Dienst an der edimo edimo „der zum Schatten gewordenen Totenseele“, ist höchstes Gebot der Animisten. Mudi eines anderen kann man stehlen und für sich selbst benützen, und wenn damit Mord verbunden wäre; mudimo bzw. edimo sind von ihren Trägern nicht zu trennen.

{294} Wo Grausamkeit nicht angebracht ist, etwas weil das Gegenüber überlegen ist, sucht man sein Ziel durch Bestechung und ähnliche unschöne Wege zu erreichen. Man kann niemandem auf sein Wort hin trauen und will selbst in den innigsten Verhältnissen Pfänder und magische Garantien haben, um gesichert zu sein.

Und das gleiche wendet man auch den höheren Mächten gegenüber an, auch die Ahnen muß man < bestechen bestechen>, wenn auch sittliche Voraussetzungen, z. B. Aussöhnung mit Gesippten und Wiedergutmachung, Erfüllung von Verpflichtungen u. ä. gefordert sind.

Und wo man, wie etwa bei Loba Loba, vgl. S. 124f., Bestechung für undenkbar hält, spielt mancher mit dem Gedanken, Gott beim letzten Gericht durch ein endloses Palaver = Aussprache Palaver zu <ermüden>. Andere Möglichkeiten sind: sich Machtmittel zu besorgen; damit ist man gesichert, vgl. z. B. S. 88f., sogar gegen Mokase, vgl. S. 100.

So ist das ganze Leben erfüllt von Egoismus Egoismus. Er gipfelt in da la moto „Aneignung der Lebensseele eines anderen zu eigenem Nutzen“, vgl. S. 87. Die animistische Religion sanktioniert den Kampf ums Dasein in dieser Form, dessen Ziel und Zweck der Schutz der eigenen Kräfte ist.

Aber den gleichen Egoismus setzt man auch bei den Geistwesen voraus; selbst von den Ahnenschatten ist Liebe Liebe nicht zu erwarten. Die Sprache hat kein wurzelhaftes Wort für Barmherzigkeit. Besonders gilt dies auch nicht als Gesinnung der Ahnen für die Nachkommen. Die christliche Sprache hat das Wort ndedi für „Barmherzigkeit“ gewählt, das auf den Stamm *lela, Duala ea „weinen“ zurückgeht, während die heidnische Sprache Sprache das Wort ndedi gebraucht, um allerlei Mitleidsbezeugungen für den Verstorbenen (solange die Leiche noch nicht beerdigt ist) zu bezeichnen, vgl. S. 211ff.: Weinen, aufschreien, sich auf dem Boden wälzen, sich mit Erde bestreuen u. ä. Erst in übertragenem Sinn gilt die obige Bedeutung.

Auch wenn der Heide Gott Güte zuschreibt, so stellt er sich das nicht recht als eine sittliche Gesinnung vor, sondern als eine irrational wirkende Eigenschaft, die gelegentlich einmal hervorbrechen kann; nicht nach sittlichen Gesichtspunkten und Zwecken, sondern wie es das blinde und launige Geschick Geschick mit sich bringt, vgl. S. 125f., 117. Ist das eine Glück, -sgut Glücksgut und [die] Gelegenheit verscherzt oder muß es, weil eine unerfüllbare Forderung abgelehnt wird, entzogen werden, dann kann nur Verderben, das Verderben folgen.

So sind im Grunde auch unter Menschen Liebe und Humanität ausgeschaltet, es sei denn, man mache sich frei von fremdem Einfluß und lasse sein Herz reden. So sind auch die Ehe Ehe und das Verhältnis zwischen Eltern und Kind Eltern und Kindern in erster Linie ein Rechtsverhältnis: Ndol’ a djomba e si mapo o diba „Bräutliche Liebe Liebe kommt nicht in die Ehe“. Liebe zwischen Eltern und Kindern ist meist einseitig und arm. Selbst der Mutter, vgl. auch Eltern Mutter fehlt das zarte Verhältnis zum Säugling Säugling, das wir bei unseren Müttern beobachten. – Vor einen weißen Richter bringt man das Palaver zweier Frauen, die sich um die Mutterschaft eines Kindes streiten. Der Richter nimmt sich Salomos Urteilsspruch zum Exempel, kommt aber in schwere Verlegenheit, als sich beide Frauen einverstanden erklären, daß das Kind geteilt wird, und einer der umstehenden Alten nur mit Gewalt gehindert werden kann, das weise Urteil zu vollziehen.

Echte, uneigennützige Freundesliebe ist selten. Mancherlei Sprichwörter betonen, daß Freundschaft Freundschaft <zweirückig> sei, d. h. auf Gegenseitigkeit Gegenseitigkeit beruhe. Für jede Leistung erwartet man Ersatz.Z. B. ist die erfreuliche Gastfreundschaft auf dem alten do ut des begründet.

So wird die Freundschaft durch Eigennutz verdorben. Man beobachte doch, wieviele Tiermärchen damit beginnen, daß zwischen Zweien Freundschaft bestand, die {295} aber zerbrach an dem Betrug oder Überlistungsversuch, den das Märchen dann schildert.

So sind auch der Blutbund und andere Abmachungen, vgl. S. 151, 292, nicht auf Vertrauen, sondern auf magischen Zwang gegründet.

Die Ethik ist völlig diesseitig und kennt eine Vollendung im Jenseits nicht. <Auf dieser Erde wachsen meine Freuden.> Das Jenseits bringt nur Steigerung irdischer Machtverhältnisse; Feindschaften bestehen weiter, Schattenseelenraub u. ä. blüht dort, vgl. S. 78f.

Unter diesen Umständen ist der Vergeltung Vergeltungsgedanke nur gering ausgebildet. Wer in dem Animismus Animismus ganz befangen ist, läßt für den Hades Hades keinen sittlichen Maßstab zu. Ihm gelten für den Eintritt dort die gleichen Machtmittel wie hier. Sodann gilt das Gesetz der Magie, vgl. auch Kunst Magie: Gleiches wirkt Gleiches. Zeigen die Hinterbliebenen am Totenfest, in welchem Ansehen ihr Verstorbener hier stand, so fällt ihm solches auch dort zu, vgl. S. 227; darum: Ging es einem hier gut, dann auch im Jenseits. Wer hier schwach, arm, krank, ohne Anhang, mächtig, reich war, wird es auch dort; wem hier kein Totenfest gehalten wurde, kann dort keine gute Aufnahme erhoffen. So ist gerade für die, die hoffen wollen, die Jenseitshoffnung völlig ausgeschlossen. Die Gaben, welchen die Schatten verlangen, sind irdische Güter, einerlei mit welchem Herzen sie gegeben werden.

Von einer Umwertung aller Werte im Jenseits kennt der Animist im Grunde nichts. Sein Magieglauben gibt ihm keinen Raum, auf eine ausgleichende göttliche Gerechtigkeit zu hoffen. Umgekehrt läßt gerade die Verkündigung dieser Gerechtigkeit als Hoffnungsgut die geplagten Menschen aufhorchen und führt sie der christlichen Gemeinde zu.

Weil die Geister Geister und Kräfte unberechenbar, launisch, nicht sittlich sind, gibt es, wo sich der Egoismus Egoismus nicht durchsetzen kann, nur fatalistische Ergebung. Das Orakel Orakel entscheidet, die andeutenden Omina, vgl. S. 56ff., geben Wegweisung. Da müssen selbst Vernunft und aufrichtiger Wille Wille zurücktreten und nur List List und im Erleiden passiver Widerstand können helfen. Dieser Determinismus hemmt jede gesunde Energie. Man glaubt ja doch nichts schaffen, dem Unabwendbaren gegenüber doch nichts erzwingen zu können. Wo solches Nachdenken und sittliches Wollen fehlen, ist auch das Vorwärtsstreben gehemmt sowohl auf sittlichem wie auf wirtschaftlichem und technischem Gebiet.

Wie die Magie die Religion fesselt oder tötet, so auch die Moral. Zauberglaube wirkt keine Sittlichkeit; Zauber, vgl. auch Magie Zauber ist unwahr und unsittlich. Mag auch die Magie wie bei den Tabu-Regeln dem Menschen ein „Du sollst!“ und „Du darfst nicht!“ vorhalten und so scheinbar eine Schule für die Ethik sein, so haben die Tabu-Bestimmungen doch wieder mit echter Sittlichkeit nichts zu tun, oder nur selten. Sie mögen helfen, eine gewisse äußerliche Ordnung (primitive) Ordnung, die stoicheia tou kosmou des Neuen Testaments, aufrechtzuerhalten – zur Herzenszucht gereichen sie nicht; ganz abgesehen vom Unsinn, den viele fördern.

Bis ins Sühneopfer hinein, wo sich das Heidentum meist in seiner innerlichen Seite zeigt, verheert die Magie sittliches Empfinden und verhindert das Aufkommen wahren Schuldbewußtseins. Auch das kameruner Sühneopfer wird zum Zauber; es wirkt nicht neues Vertrauen, läßt Glauben und Treue nicht gedeihen. Das in irgendeiner Form mit dem Opfer oder Gebet verbundene Orakel gibt mechanisch an, ob die Sache erledigt ist oder nicht, vgl. S. 180, 224.

Dem allem kann man entgegenhalten, daß vieles vom Vorstehenden gemildert werden kann durch menschliche Güte und Gutmütigkeit, die man immer wieder auch bei den Kamerunern beobachten kann. Vielleicht hat niemand mehr als der Mission, Missionare, vgl. auch Christen Missionar Gelegenheit, solches zu beobachten, und auch Anlaß, dies zu bekennen; aber der einzelne Primitive ist ja nicht frei in seinem Handeln; immer ist Rücksicht zu nehmen auf die sichtbare und unsichtbare Gruppe und ihren Einfluß. Diese Umwelt bestimmt den im Herdensinn befangenen Kameruner, {296} und zwei Mächte wecken und fördern diesen Sinn in ihm: Der Bauch und der Geheime Kultbund.

Die Frage, die keinem Menschen fremd ist: Was werden wir essen? erfüllt das ganze Denken des Durchschnittskameruners mit der Hartnäckigkeit des durch nichts eingeschränkten Selbsterhaltungstriebs. Der Bauch ist sein Gott und danach auch sein Gottesdienst.

Die Ablehnung der evangelischen Botschaft hat nicht fromme Bedenken als Grund, sondern die Überlegung: Wendet sich das junge Volk von den Geheimbünden ab, wer wird uns dann mit Nahrung, besonders Fleischnahrung versorgen? Denkt ihr, der Weiße Weiße wird euch mit Fleisch und Nahrung versorgen, wenn ihr alt seid und krank und arbeitsunfähig? Warum lauft ihr in den christlichen Gottesdienst? Wird dort je einmal eine Kuh oder eine Ziege oder auch nur ein Huhn ausgeschlachtet und verteilt? Jeder ist sich selbst der Nächste; darum keine Waise Waisen-, Witwen-, Kranken-, Armenversorgung!

Nur die Geheimkultbünde gehen über die Sippen- und Stammesgrenzen hinaus. Ihr Streben geht auf nichts Höheres, wenn auch davon etwas in schwachen Rudimenten sichtbar wird. Aber ihr Ziel ist vor allem, den Bauch auf Kosten anderer zu füllen. Dazu kann nur die Furcht Furcht helfen. So gilt es dem lieben Nächsten etwas vorzumachen, das er in seiner „ganzen Tiefe“ nicht verstehen kann. Denn mit dem rechten Begreifen beginnt das Geheimnis und mit dem Geheimnis die Furcht zu schwinden. Der geheime Kultbund, der das am besten zuwegebringt und geschickt mit den Wechselfällen des Lebens und der Natur zusammenarbeitet, ist der angesehenste und gefürchteste. Bei ihm kommt es viel auf die Tüchtigkeit und Gerissenheit der Mitglieder und noch mehr der Führer an. Sittlich aber stehen alle eigentlich auf dem Nullpunkt.

Wir erwähnen nichts von der alten Zeit, wo der Geheimbund, -kult, vgl. auch Wassergeister, Kultsprache Geheimbund Schädeljägerei und Menschenopfer Menschenopfer veranstaltete. Da stirbt aber heute ein angesehenes Sippenhaupt. Seine Kultbrüder sind ums Sterbebett versammelt. Sie haben den Kranken wohl gar aus seiner Wohnung ins Kulthaus gebracht. Ist der Geist kaum entflohen, dann verrichten einige, was in diesem Fall kultisch nötig ist. Die anderen aber stieben auseinander und halten Razzia auf Ziegen, Schafe und Rinder des Verstorbenen, um nun einige Tage zu festen. Die Angehörigen und Witwen des Frischverstorbenen sind bei der Totenfeier ausgeschaltet, ihnen bleibt nur das Schuldenbezahlen vorbehalten. So ist der Tod eines Genossen den Kultbrüdern willkommen, denn er füllt ihnen den Bauch. Die Familie wird herzhaft ausgebeutet, ohne daß sie sich dem widersetzen kann. Die Leute seufzen unter dieser ihrer eigenen Tyrannei, aber das Volk hat nicht die Kraft, sich von dieser Fessel zu lösen. Hier hat eine christliche Regierung eine große Aufgabe, deren Lösung die Predigt des Evangelium Evangeliums die Wege bahnt.

In den Geheimbünden leben die Reste einer femeartigen Geheimpolizei fort. Hier sind die Bänkelsänger und Medizinleute zu Hause. Zu ihrem Tanz Tanz und magischen Getriebe vor dem Trauerhaus strömt das Volk zusammen, um auf seine Weise an den Freuden der Totenfeier Anteil zu haben. Die Kultbünde, so sehr sie von den meisten zu Recht beklagt werden, verkörpern doch das Denken und Fühlen der in der Magie befangenen Leute. Nur wer sich dem Einfluß des Evangeliums ergibt, kann sich innerlich von ihr lösen und tritt damit gewollt oder ungewollt in einen Gegensatz zu der von den Bünden geschaffenen Volksmeinung, wenn auch nicht zur tieferen Erkenntnis Einzelner. Daher die Ablehnung des Evangeliums durch die Bünde. Trotz gewisser Äußerungen des Einzel- und Volksgewissens, vgl. S. 293ff., plagt den Neger im allgemeinen der Magen mehr als die <Stimme des Herzens>.

2. Die Norm primitiver Ethik Gruppe, vgl. auch Familie, Sippe, Stamm

ist im allgemeinen die Sitte Sitte, das Herkommen; nicht ein geoffenbartes Wort, das Gottes Willen kundtut, noch das Gewissen, Gottes Stimme im Herzen; doch vgl. S. 293ff. In der überkommenen Sitte lebt das sittliche {297} Bewußtsein der Gruppe und des Einzelnen. Die als unverbrüchliches Gesetz in Ahnendienst und Animismus verankerte Tradition zeigt die Sitte und sagt, was sittlich ist. So hängt die auf Überlieferungen Überlieferung basierte Ethik zusammen mit der Vorstellung, die man von den Ahnen hat, und zwar ist diese doppelspurig:

1. Einmal sind die Ahnengeister fast Götter: Oft spricht man von ihnen, als kenne man kein göttliches Wesen über ihnen. Spricht man auch nicht ausdrücklich von ihrer Allgegenwart, so können sie doch plötzlich an irgendeinem Ort sein und zwar zu jeder Zeit und an jedem Ort. Da sie in die über- , unsinnliche Welt übersinnliche Welt des ndimsi ndimsi eingegangen sind, wissen sie auch alles. Sie haben die Mächtigkeit der Leute „mit vier Augen“ in erhöhtem Maße und schauen deshalb die Vorgänge der unsichtbaren und der sichtbaren Welt, auch wenn sie ihren Wohnsitz in einem „fernen Land“ haben. Wie ein Sippenältester auf Erden Mundwalt, Vertreter und Herr der Sippe und als solcher ein Glied des Dorfrates ist, so auch im Hades in erhöhtem Maße. Sind sie also auch nicht Vollgötter, so doch mächtige Vermittler der Gaben des Wirker Wirkers, so daß man von ihm gar nicht reden und auf ihn achten muß.

2. Sind sie also nicht von solcher Macht, daß Menschen vor ihnen zittern müßten (die Sippenmitglieder haben auch auf Erden nicht vor ihnen gezittert), so sind sie auch im Hades nicht viel höher geachtet denn als Menschen auf Erden und keiner von ihnen hat für gewöhnlich Macht über seine Gruppe hinaus. Sie sind ja auch abhängig von den Gaben und dem Dienst der Hinterbliebene Hinterbliebenen, entwickeln sich auch von ihrem Eintritt in den Hades ab nicht weiter aufwärts; und wie sie auf Erden waren, nämlich behaftet mit menschlichen Schwächen und Grillen alter Leute, so sind sie auch im Jenseits gleich geblieben; wie auf Erden wachen sie über die Verhältnisse ihrer Sippe, besonders darüber, daß der Sippenälteste, ihr Vertreter in der Sichtbarkeit, anerkannt wird.

Schauen wir sittliche Züge der Stämme, wie sie etwa in den Mannbarkeitsschulen, vgl. S. 193ff., gelehrt wurden, so sehen wir bessere und schlechtere Stücke:

Als wertvolle Elemente (hier achte man besonders auf die Lebenslehren, die die Sprichwörter in knapper Form des bildhaften Spruches, die Märchen Märchen in epischer und oft dramatischer Darstellung bieten) innerhalb der Gruppe, denn nur hier kennt man im allgemeinen Verpflichtungen an, gelten: Pietät gegenüber Alten und Eltern, Zusammenhalt der Gruppe zu gegenseitigem Schutz und Förderung, denn man fühlt sich füreinander verantwortlich, gegenseitige Unterstützung, z. B. innerhalb der Altersklassen Altersklassen, friedliches Zusammenleben von Mann und Mann und Frau, männlich und weiblich Frau, das oft dadurch erschwert wird, weil ja die Ehe Ehe zu zwei Gruppen Beziehungen hat. Pflege des Stammes und Nachwuchses.

Daß diese wertvollen Stücke primitiver Ethik meist eine opportunistische Erklärung haben und ausdrücklich nur den Sippengliedern nach dem Grundsatz des do ut des gelten, sollte verhindern, daß die Europäer das Gefäß, in dem diese Stücke gesammelt sind, nämlich die Sippe, zerbrechen. Diese positiven Werte sind Anknüpfungspunkte für die Ethik des Evangelium Evangeliums und von jedem zu pflegen, der an die Zukunft der Stämme denkt.

Neben diesen sittlich fördernden Elementen finden wir aber auch ungute Momente der primitiven Sitte.

Die Herrschaft der Sitte zerschlägt oder hemmt doch das sittliche Empfinden und Leben des Individuum Individuums, das nur als Glied der Gruppe etwas bedeutet und unterdrückt werden muß, wenn es über das allgemeine Niveau herausragt auch auf sittlichem Gebiet, vgl. S. 44, 135. So können sich sittliche Persönlichkeit Persönlichkeiten nicht entfalten, sie stehen unter dem Zwang der Sippengruppe und ihrer Sitte. Sittlich selbständige Charaktere müssen oft auswandern, weil sie vom Herdentum nicht ertragen werden.

{298} Die Sitte sanktioniert nicht nur Wertvolles, sondern auch Verwerfliches: Menschenfresserei, Schädeljagd, Blutrache Blutrache, Roheiten gegen Wöchnerinnen und Witwen, Kindesmord, Menschenhandel, Sklave, Sklaverei Sklaverei, wobei wir betonen, daß die Kameruner Haussklaverei oft nicht so entwürdigend war und ist wie manche soziale Verhältnisse sozialen Verhältnisse in Europa. So hat, um nur ein Beispiel zu nennen, Fonyonge von Bali seinen Erzieher, der ein Sklave war, geadelt.

Die Sitte verlangt oft geradezu Un Keuschheit keuschheit, vgl. S. 42, die Überlieferung berichtet (also Ideal!), daß früher die Unbescholtenheit der Jungfrauen und Frauen Stammesforderung war, ja daß die Einehe die Regel gewesen sei, z. B. bei den Bali, daß aber der Mangel an Nachwuchs, das Zurückgehen der Gruppe die Alten bewogen habe, die herkömmliche Bindung zu lockern und zu bestimmen, daß Kinder geboren werden müssen, einerlei wer sie erzeugt hat und auf welchem Weg. So kommt es auch, daß oft eine Ledige mit Kind begehrter ist als ein unbescholtenes Mädchen; denn in jener glaubt man eher eine Garantie für künftige Nachkommen zu haben.

Die Sitte regelt die Arbeitsteilung Arbeitsteilung zwischen Mann und Mann und Frau, männlich und weiblich Frau. Das ist in mancher Hinsicht gut; aber sie hindert auch in vielen Fällen die gegenseitige Hilfe und Unterstützung der Ehegatten und läßt in der Ehe Ehe nur Recht und Zwang der Sitte, nicht die Milde des Herzens walten.

Die Sitte fordert stets ein strenges Gesetz; vielfach gibt man sich aber mit dessen Aufstellung zufrieden, als wäre die Sache schon mit schönen Grundsätzen und harten Bestimmungen erledigt. Es ist Gewohnheit, daß man sich an die Bestimmungen möglichst wenig hält. <Leicht bricht der Gesetzgeber sein eigen Gesetz>, warnt das Sprichwörter Sprichwort.

Die Macht der Sitte macht den Menschen durch und durch konservativ. Tradition Tradition läßt den Menschen stets rückwärts, nie vorwärts blicken; und wo das Alte nicht mehr im aktiven Leben festgehalten wird, z. B. Menschenfresserei, Menschenhandel u. ä., da lebt solches in der Fantasie fort und findet im unsinnigsten Aberglauben, vgl. S. 82 – 98, Fortsetzung und Ausdruck. So wird die Tradition ein wahrer Bann gegenüber aller gesunden Entwicklung. Wo aber die neue Zeit Stücke der alten konservativen Sitte zerbricht, ohne durch eine neue Sittlichkeit eine bessere Norm aufzustellen, da tritt ein Libertinismus auf, der oft übler ist als das starre, alte Wesen. Vergleiche dazu etwa den Vorwurf der Kameruner gegen die Europäer, daß sie durch Wegtun der alten Strafbestimmungen gegen geschlechtliche Vergehen der Unsittlichkeit Tür und Tor geöffnet haben. Gruppe, vgl. auch Familie, Sippe, Stamm

3. Wie es um die sittliche Kraft, vgl. auch Macht Kraft bestellt ist

Man mag nun die Frage erheben, ob es denn dem primitiven Leben ganz an sittlicher Kraft fehle, und man kann darauf antworten: Nach dem vorher Gesagten muß solche Kraft vorhanden sein, aber vielfach gebunden kommt sie nicht oder kaum zum Durchbruch. Das zeigt sich schon in der mehrfach erwähnten Tatsache, daß man Gesetzgeber wünscht, gern Aufstellung von förderlichen Bestimmungen zustimmt, sie aber dann doch nicht hält. Solche Liebe zu gesetzlicher Fixierung, überhaupt der gesetzliche Hang macht sich auch in den jungen Christengemeinden breit. Danebenher aber verstummt die Klage nicht über Laxheit auf diesem und jenem Gebiet. Ein Trinker ist in gewissen Perioden seines Lebens bereit, Enthaltsamkeitsgesetze zu schaffen und anzunehmen, schnell aber schiebt er sie in der Praxis des Lebens beiseite. Ähnlich ist das Verhalten der Kameruner im allgemeinen. Mag solche Praxis auch zu Tadel Anlaß geben, so ist das Verlangen nach gesetzlicher Regelung doch ein Zeichen vom Vorhandensein eines sittlichen Bewußtseins, mag es auch oft verschüttet oder Kraft zu seiner Durchführung nicht vorhanden sein. Wer solchem sittlichen Bewußtsein in einem Stamm nachgehen will, studiere seine Sprichwörter, Märchen und andere Überlieferungen. Gewiß haben sie nicht die geistige und religiöse Tiefe biblischer Gleichnisse und Sprüche, aber sie halten doch immer wieder der Jugend und den Alten ein Ideal vor, das höher ist als das durchschnittliche Lebensniveau.

Leider sind die Unterweisungen in den Pubertät Pubertätsriten nicht fixiert und können nicht studiert werden, aber Bruchstücke davon leben noch im Volk und wenn z. B. die während solcher Riten geformten Altersklassen Altersklassen Bestimmungen haben wie: sich freundlich zu begegnen, sich beim Verkauf nicht zu übervorteilen, einander in Not zu helfen, für kranke Altersgenossen zu sorgen, im Todesfall den Hinterbliebene Hinterbliebenen beizustehen, z. B. für Beerdigung Beerdigung zu sorgen u. ä., {299} so wird hier doch der Volkswunsch offenbar, daß das Zusammenleben auch über die Sippe hinaus nach sittlichen Grundsätzen erfolgen sollte.

Wer nur ein wenig in das geistige Leben der Stämme eingedrungen ist, merkt, daß auch sie das <Gesetz>, wie wir es in den zehn Geboten haben, kennen und auch anerkennen. <Unsere Vorfahren haben uns das Gleiche hinterlassen, darum sind des Gesetzes Lehren gut.>

Bei aller Schwachheit gegenüber der Forderung wahrer Sittlichkeit ist erfreulich, daß doch auch edle Taten geübt werden. Bei der allgemeinen Versumpftheit besonders an der Küste ist es geradezu ein Wunder, daß auch hier manche Jungfrauen rein in die Ehe Ehe treten und manche Frauen aller Versuchung, auf falsche Wege zu gehen, widerstehen. Hie und da trifft man auch bei Einzelnen Züge, die einem in Erinnerung rufen: Seht, wir Wilden sind doch bessere Menschen! Zwei Fehler unterlaufen oft europäischen Beurteilern: Man zieht von Beobachtungen bei Einzelnen zu rasch Schlüsse auf die Allgemeinheit, sei es zum Schlimmen oder zum Guten;

man stellt das Schlimmste der einen Seite dem Ideal auf der anderen Seite gegenüber. – Beide Beurteilungen sind falsch und darum ungerecht.

Sehen wir aber auf die Grundlage, so finden wir: Die Sitte Sitte, ob gut oder schlecht, ist aus dem Egoismus Egoismus geboren, der sich in opportuner Manier und irdischem Sinne seinen Weg bahnt, auch wo er über Laster füh Heidentum, Grundzüge des rt Ethik, vgl. auch Moral . Kraft, vgl. auch Macht

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